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Zieh dir etwas Ordentliches an!" Maria Butschek stand vor Eugenias Kleiderschrank, schob einen Bügel nach dem anderen zur Seite und suchte nach einem passenden Kleid für ihre Tochter.
"Als hätte ich irgendetwas Unordentliches!", gab Eugenia patzig zurück.
"Wie wäre es denn mit diesem dunkelblauen Kleid mit dem weißen Spitzenkragen?"
"Mama, ich gehe nicht in die Kirche!"
"Leider", murmelte ihre Mutter. Ihr Mann hatte sich durchgesetzt und Eugenia erlaubt, sich bei der Schauspielschule zu bewerben. Sie war tatsächlich zum Vorsprechen eingeladen worden, auch wenn sie mit ihren vierzehn Jahren eigentlich viel zu jung war. Wenn es um eine Ausbildung als Kleidermacherin gegangen wäre, hätte das Alter keine Rolle gespielt, das konnte man in jungen Jahren erlernen. Aber als Kind zum Theater?
Gut, das Konservatorium in Wien hatte einen tadellosen Ruf, sie hatten sich erkundigt. Es war eigentlich eine Ausbildungsstätte für den musikalischen Nachwuchs, war im Musikvereinsgebäude in der Giselastraße untergebracht. In dieser Institution gab es einen "Lehrgang für Declamation und Mimik". Schon Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, sollte er vor allem den Studenten im Opernfach neben der stimmlichen auch eine darstellerische Ausbildung für ihre Rollen geben. Daraus hatte sich eine Schauspielschule entwickelt. Zwanzig Jahre später sollte das Max-Reinhardt-Seminar die Nachfolge antreten.
Eugenia zeigte auf ein Sommerkleid, für das es eigentlich noch zu kalt war. Ein Jäckchen lehnte sie ab, nicht aber den Hut, den ihre Mutter aus dem Fach holte.
Im großen Vorzimmer des Musikvereins hatten sich schon einige junge Leute versammelt. Die Burschen waren älter, alle mindestens 18 Jahre alt. Unter den weiblichen Aspiranten war Eugenia sicher die jüngste. Alle saßen schweigend auf den Stühlen, die an den Wänden aufgestellt waren. Die Mädchen zerknüllten Texthefte in ihren Händen, die jugendlichen Liebhaber in spe waren damit beschäftigt, ihre pomadisierten Haare glattzustreichen oder ihre Hände zu Fäusten zu ballen. Ab und zu ging die eichene Tür zum Nebenzimmer auf und heraus trat mit rotem Kopf eine Bewerberin oder ein Bewerber. Die Mädchen fingen alle an zu weinen, aus Erleichterung, aus Frustration, aus Wut auf sich oder die Prüfer, warum auch immer. Aber Weinen tat gut. Die Mütter hielten tröstend Arme und Taschentücher bereit. Mit einem Ergebnis kam niemand, das würde ihnen schriftlich in den nächsten Tagen mitgeteilt werden.
Ich werde nicht heulen, schwor sich Eugenia, auf keinen Fall, gleichgültig, wie miserabel es läuft. Sie musste lange warten, ein schlechtes Zeichen. Im Prüfungsraum standen Musikinstrumente an der Wand, aufgestapelte Stühle, es war wohl ein Probenraum für Musiker. Hinter einem langen Tisch saßen drei Prüfer. Alle drei uralt, also jenseits der dreißig. Sie blickten freundlich. "Nun, Fräulein Butschek, dann fangen Sie doch bitte einmal an mit 'Meine Ruh ist hin'", sagte der mittlere, der wohl den Vorsitz führte. "Entschuldigung, aber ich habe nicht Gretchen vorbereitet, sondern andere Rollen!" Eugenia war irritiert. Hatte nicht in dem Anschreiben gestanden: "zwei Monologe nach Wahl"?
"Umso besser, und die wären?"
"Die Eve aus dem Zerbrochnen Krug und Viola aus Was ihr wollt."
"Sehr schön. Mal etwas anderes. Fangen Sie doch mit Eve an!"
Sie konnte sich von einer Sekunde auf die nächste in Eves Wut auf ihren Ruprecht hineinversetzen, weil der sie des Treuebruchs verdächtigte. Schmählicher Verrat war das. Pfui!
Unedelmüt'ger, du! Pfui, schäme dich,
Daß du nicht sagst: gut, ich zerschlug den Krug!
Pfui, Ruprecht, pfui, o schäme dich, daß du
Mir nicht in meiner Tat vertrauen kannst.
Gab ich die Hand dir nicht, und sagte: ja,
Als du mich fragtest: "Eve, willst du mich?"
Wenige Verse danach unterbrach sie der Prüfer: "Stopp. Danke, Fräulein Butschek. Genug der aufgeregten Eve." Der Nachbar zur Linken schien Protokoll zu führen und schrieb eifrig mit kratzender Feder. Der Prüfer zur Rechten interessierte sich mehr für seine Fingernägel.
"Was reizt Sie denn an der Viola?"
"Hm, die Hosenrolle."
"Sonst nichts?"
"Das Durcheinander in der Liebe. Dass sich alle falschherum lieben. Und sich dann doch richtig kriegen."
Der Prüfer schien zu lächeln. "Dann legen Sie mal los!"
Eugenia hatte geübt, ihre Stimme eine halbe Oktave herunterzuschrauben, aber das war ja albern. Im Spiel musste erscheinen, dass sich Viola als Junge verkleidete, aber als Mädchen liebte. Ihr Deutschlehrer hatte immer, wenn sie ein Gedicht aufsagte - und er hatte bevorzugt sie aufgerufen - gemahnt: "Nur nicht übertreiben, Eugenia, immer natürlich bleiben!" Das hatte sie sich gemerkt.
Nicht wir sind schuld, ach! unsre Schwäch allein.
Wie wir gemacht sind müssen wir ja sein.
Wie soll das gehn? Orsino liebt sie innig,
Ich armes Untier bin gleich voll von ihm,
Und sie, Betrogne, scheint in mich vergafft.
Was soll draus werden? Weil ich Mann bin, muss
Ich an der Liebe meines Herrn verzweifeln.
Und weil ich Weib bin: lieber Himmel, ach!
Wie fruchtlos wird Olivia seufzen müssen!
O Zeit! du selbst entwirre dies, nicht ich.
Ein zu verschlungner Knoten ists für mich.
Der Prüfer nickte freundlich: "Jaja, die verschlungnen Knoten! Danke, Fräulein Butschek. Sie hören in den nächsten Tagen von uns." Zum Protokollanten gewandt: "Liegt die Einwilligungserklärung der Eltern vor?" Der nickte. Eugenia stand auf, unschlüssig, ob sie jetzt entlassen war. Da erhob sich unerwartet der Fingernägel-Betrachter und legte ihr ein Blatt hin. "Sprechen Sie das!" Sie erkannte den Text sofort, Julias Monolog aus Romeo und Julia. Eugenia sah vom Blatt auf und rezitierte frei.
Dein Nam' ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,
Und wärst du auch kein Montague. Was ist
Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,
Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil
Von einem Menschen. Sei ein andrer Name!
Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,
Wie es auch hieße, würde lieblich duften;
So Romeo, .
"Jetzt nehmen Sie das Blatt zur Hand und sprechen Zeile für Zeile im genau gleichen Rhythmus, aber nur den Vokal Ä."
"Wie bitte?"
"Tun Sie, was ich sage. Wenn es leichter für Sie ist, können Sie das Ä auch singen, aber bleiben Sie genau im Versmaß."
Sie schüttelte den Kopf. Wollte der Prüfer sie zum Narren halten? Sie schüttelte mehrmals den Kopf und sang dann jubelnde Terzen: "Ä-ä ä-ä-ä-ä. Ä-ä-ä-ä ."
"Wie war's?", fragte ihre Mutter., als sie herauskam.
"Frag' lieber nicht!"
Das war eine Auskunft, die ihre Mutter zufriedenstellte. Sie klang nicht nach Erfolg.
Zehn Tage später kam die Nachricht vom Konservatorium, adressiert an ihren Vater. Das Hausmädchen hatte ihr zugeflüstert, sie habe beim Abstauben zufällig einen Brief mit diesem Absender auf dem Schreibtisch ihres Vaters entdeckt.
Eugenia musste warten, bis der Vater am Abend nach Hause kam. Sie war nicht aufgeregt, kein bisschen. Es war klar, dass sie die Aufnahmeprüfung nicht bestanden hatte. Überhaupt: Wollte sie wirklich auf eine Schule gehen, wo man einen Monolog auf Ä singen musste? Und vielleicht auf Ö flöten, auf I kichern, auf Eu heulen?
Wenn sie nur gewusst hätte, was sie anfangen sollte, jetzt, da im Sommer ihre Schulzeit zu Ende ging. Ihre Mutter sprach schon von "vernünftiger Beschäftigung". Das klang bedrohlich.
Der Vater kam, es wurde zu Abend gegessen, geplant, das Wochenende im Sommerhaus in Langenzersdorf außerhalb Wiens zu verbringen, den Garten nach langem Winterschlaf neu zu bepflanzen. Die Kinder durften schließlich aufstehen, Gustav, Arthur, Bruno und Egon auf ihre Zimmer gehen, Eugenia sollte beim...
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