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Darf man sich konservativ nennen? Aber klar doch, nur muss man heutzutage bereit sein, dafür gewisse Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen. Glimpflich läuft es für jemanden ab, der sich als einen Kulturkonservativen betrachtet und beispielsweise die Museen zeitgenössischer Kunst mit wachsender Missbilligung durchstreift oder die noch immer üblichen Klassikerhinrichtungen im deutschen Regietheater verachtet. Wer so denkt, befindet sich offensichtlich nicht auf der Höhe des Zeitgeists, doch begegnet man ihm mit Nachsicht. Konservativ hinsichtlich der Lebensformen und Verhaltensweisen zu sein, ist riskanter. Wer das alte Familienbild samt heterosexueller Ehe und selbstgezeugter Kinder hochhält, sollte sich von feministischen und genderpolitischen Kreisen fernhalten, wo ihm Verachtung oder gar Hass entgegenkämen. Und wer es wagt, sich als politisch konservativ zu bezeichnen, dem wird es schwerfallen, den vernichtenden Verdacht abzuwehren, er stehe den Rechtsradikalen samt ihrem finsteren Gedankengut nahe. Damit natürlich hängt die Frage zusammen, inwiefern ein politisch Konservativer zu den «Rechten» zu zählen und ob der verpönte Begriff «rechts» in irgendeiner Weise zu retten wäre.
Die gegenwärtige Sprachregelung läuft darauf hinaus, «rechts» mit «reaktionär», «rechtspopulistisch» und «rechtsradikal» gleichzusetzen, «links» hingegen mit «aufgeklärt», «fortschrittlich» und «humanitär». Kurz: Links sind die Guten, rechts die Bösen. Diese moralischen Zuweisungen sind relativ neu. Ich erinnere mich daran, dass es sich in meiner Jugendzeit, also in den sechziger Jahren, geradezu umgekehrt verhielt. Man wollte zwar nicht explizit rechts sein, um sich nicht abermals die Finger zu verbrennen, man strebte einer bürgerlichen Mitte zu. In dieser Mitte allerdings versammelten sich nicht wenige, die an einer Verharmlosung oder Entsorgung der deutschen Schuld unterschwellig, manchmal auch absichtsvoll mitwirkten. In meiner Schule jedenfalls, im altsprachlichen Heinrich-von-Gagern-Gymnasium zu Frankfurt am Main, spielte die später sogenannte Vergangenheitsbewältigung keine nennenswerte Rolle. Einmal gab es in der Aula, deren Wände mit den anämischen antiken Gestalten des Nazareners Wilhelm Steinhausen geschmückt waren, eine Gedenkfeier für die Opfer des 20. Juli. Es wird 1959 gewesen sein, wahrscheinlich in der Nähe des 15. Jahrestages des Attentats auf Hitler. Ich war 14 Jahre alt und verstand nicht, worum es letztlich ging. Die weihevoll-bedrückte Stimmung kam mir befremdlich vor.
Die Vergangenheit war etwas, worüber man nur höchst ungern redete. Die Gegenwart lag näher und erschien dringlicher. Die Trümmer waren noch nicht alle beseitigt, die Städte mussten wiederaufgebaut und die zahllosen Flüchtlinge aus dem deutschen Osten mussten integriert werden (wie man heute sagen würde). Und es gab die Angst vor einem neuen Krieg, es gab einen klar benennbaren Feind: den Kommunismus. Die Niederschlagung der Aufstände in Ostberlin 1953 und in Budapest 1956, nicht zu vergessen den Bau der Berliner Mauer 1961, die Kuba-Krise des Jahres 1962 und das traurige Ende des Prager Frühlings 1968, versorgten alle Gegner linker, sozialistischer Ideen mit ständig neuer Munition. Vor allem galt dies für die dem Krieg entkommene Elterngeneration, die sich vor einem Angriff aus dem Osten fürchtete, und diese Furcht hatte reale Gründe. Für die Eltern also war «links» ein Schreckgespenst, und folgerichtig waren sie aufs äußerste empört, als sich ihre Nachkömmlinge mit linken Ideen mehr oder minder identifizierten.
Die Generation danach nämlich begann mit Heinrich Böll «Wo warst du, Adam?» zu fragen, und sie fragte weniger nach den Kriegserlebnissen, die ihr unaufgefordert und auf zunehmend lästige Weise von den Vätern aufgetischt wurden, sondern sie fragte nach deren Schuld und Verstrickung. Und sie versorgte sich mit dem theoretischen Rüstzeug der zumeist jüdischen Emigranten, die der Shoah entkommen waren, sie las Autoren wie Horkheimer, Adorno, Marcuse, Lukács und Wilhelm Reich, sie studierte Marx und Engels, und manche vertieften sich sogar in Trotzki, Lenin und Stalin. Je mehr die Achtundsechziger den Diskurs bestimmten, umso heller leuchtete der Sozialismus - ungeachtet des traurigen Bildes, das er in der Realität abgab - als eine zukunftsverheißende Idee, die nur endlich in die richtigen Hände gebracht werden müsse. Jetzt war «links» das Richtige und «rechts» das Verdammenswerte. So ist es bis heute geblieben, was in Wahrheit seltsam ist, wenn man sich das vom Sozialismus hinterlassene Desaster vor Augen hält.
Ich selbst sehe heute deutlicher, wie sehr ich ein Kind meiner Zeit war und sicherlich immer noch bin. Naturgemäß, wie Thomas Bernhard sagen würde, war ich damals links, zwar keineswegs so links wie jene Radikalen, die 1968 die ehrwürdige Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt, wo ich studierte, in Karl-Marx-Universität umtauften, aber doch links genug, um aus dem Vorwurf an die Väter, sie hätten Auschwitz organisiert oder zumindest ermöglicht, eine willkommene Waffe in jenem Generationskonflikt zu schmieden, der wahrscheinlich die meisten Söhne mit ihren Vätern verbindet, der jetzt aber mit selten da gewesener Heftigkeit geführt wurde. Was diese Väter verbrochen hatten, nämlich einen ganzen Kontinent in Schutt und Asche zu legen und ein ganzes Volk nahezu auszurotten, und was sie geleistet hatten, nämlich danach das Land wiederaufzubauen samt Wiederbewaffnung und Wirtschaftswunder, als ob nichts gewesen wäre - das war einmalig.
Um das letztlich Unverstehbare zu verstehen, beschäftigten wir uns mit den marxistischen Faschismustheorien, die mehr oder weniger auf Max Horkheimers Diktum hinausliefen: «Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.» Erst später fiel mir die moralische Verlogenheit auf, die darin bestand, dass wir das Thema Auschwitz für eigene Zwecke instrumentalisiert und die Opfer vergessen hatten. Und neben dieser Verlogenheit gab es einen immanenten Widerspruch: Wer im Kapitalismus die Ursache dieses singulären Verbrechens erblicken wollte (was Horkheimer so weder gesagt noch gemeint hatte), der konnte die Väter nicht für schuldig erklären - und er selbst, das war logisch darin eingeschlossen, konnte als mithaftender Erbe keinen Anteil an dieser Schuld haben. Der Schriftsteller Peter Schneider brachte das 1987 auf den Punkt: «Auch der Antifaschismus der Studentenbewegung war von unbewussten Entlastungswünschen gelenkt.»
Dass ich in die falsche Richtung ging, wurde mir allmählich bewusst, als ich 1988 einen Beitrag von Dolf Sternberger in der «FAZ» las. Der Philosoph und Politologe nahm Stellung in einem Streit, der sich an der These des Historikers Ernst Nolte entzündet hatte, der Archipel Gulag sei «ursprünglicher» als Auschwitz, womit Nolte sagen wollte, die Verbrechen der Nazis seien auch als Antwort auf die früheren der Bolschewisten zu verstehen. Sternberger wundert sich über die «logische Sonderbarkeit» des Begriffs «ursprünglicher» und kommt zu seinem zentralen Gedanken:
«Die wahnsinnige Untat, die mit dem Namen bezeichnet wird, lässt sich gar nicht verstehen, sie lässt sich nur berichten. Auch wenn nachgewiesen würde, dass der Plan zur in Hitlers Gehirn als eine Art Antwort auf frühere () Untaten des Bolschewismus ausgeheckt worden wäre, so würde das die wirkliche Ausführung, nämlich den tatsächlichen fabrikmäßigen Massenmord, nicht um einen Deut verstehbarer machen.» Sternberger fährt fort: «Auch besteht der Vorgang nicht allein aus der Untat der methodischen Menschenvernichtung, sondern zugleich aus dem millionenfachen unhörbaren Schrei der unschuldigen Opfer, und auch daran ist nichts zu , da dieser Schrei ja gar nicht hat laut werden können.»
Mit Sternbergers Argument war für mich der Antifaschismus als Rechtfertigung linker Utopien gründlich in Frage gestellt, aber noch war ich weit von dem Gedanken entfernt, irgendeinen Konservatismus in näheren Betracht zu ziehen. Ich bin ja auch nicht vorsätzlich konservativ geworden, sondern es hat sich nach und nach so ergeben. Vermutlich ist das ohnehin die Regel: Man sucht sich seine Weltanschauung nicht aus, sondern das Leben, die Umstände, das Alter führen einen zu bestimmten Haltungen und Anschauungen hin.
Ein Erlebnis, das mich auf diesem Weg ein Stück weiter führte, war jenes Kolloquium des Bertelsmann-Konzerns, das unter dem Titel «Kulturnation Deutschland» im Juni 1990 in Potsdam stattfand, bizarrerweise im Schloss Cecilienhof, wo Attlee, Stalin und Truman am 2. August 1945 das Potsdamer Abkommen unterzeichnet und die Teilung Europas besiegelt hatten. Jetzt hatte man, vermutlich der Mikrophonkabel wegen, den Boden des Saales durch Podeste angehoben, mit rotem Teppich belegt und darauf die Konferenzmöbel installiert. So wirkte der historische Tisch, als versänke er, Zeugnis einer untergegangenen Epoche, zusammen mit den drei Wimpeln der Siegermächte in Grund und Boden. Die Deutschen aus Ost und West, prominente Politiker wie Willy Brandt, Kurt Biedenkopf, Markus Meckel oder Friedrich Schorlemmer, Schriftsteller wie Christa Wolf, Stefan Heym,...
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