Schweitzer Fachinformationen
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»Du siehst gar nicht gut aus, Kurt!«
»Findest du?«, sagte er und bemühte sich, munter zu klingen. Sie hatte Recht, er fühlte sich nicht gut, er fühlte sich sogar miserabel. Er griff nach der Tageszeitung, schlug sie auf und verschanzte sich dahinter, um ihrem prüfenden Blick zu entkommen. Er wollte auf keinen Fall zugeben, dass es ihm nicht gut ging, denn das hätte sie wahrscheinlich nur unnötig beunruhigt. Bestimmt würde er sich bald besser fühlen.
»Du bist so blass - hast du schlecht geschlafen?«, hakte Florentine nach und goss ihm Kaffee in die Tasse.
»Nicht, dass ich wüsste.« Natürlich wusste er es: Er hatte so gut wie kein Auge zugemacht. Der Druck in seiner Brust hatte ihn Stunde um Stunde wach gehalten.
»Am besten, du gehst gleich heute Morgen zum Arzt.« Sie tätschelte seine Hand, die schlapp neben seinem Teller lag, und sah ihn aus ernsten Augen an. »Ich werde gleich nach dem Frühstück in der Praxis anrufen und einen Termin für dich vereinbaren.«
Sie griff nach einem Brötchen, schnitt es gekonnt in der Mitte entzwei und bestrich die beiden Hälften mit Butter.
»Magst du lieber Honig oder Marmelade?« Sie saß ihm gegenüber, das Messer erwartungsvoll über den erwähnten Gläsern gezückt, und lächelte ihn an.
Er liebte dieses Lächeln. Es war das Erste gewesen, was ihm damals an ihr aufgefallen war, dieses Lächeln, sanft, zärtlich, verheißungsvoll. Ihr Gesicht war damals so glatt gewesen, so jung! Ihr Gesicht war damals so glatt gewesen, so jung! Er betrachtete sie eingehend, sah ihren fragenden Blick aus den immer noch strahlend blauen Augen. Fältchen umsäumten diesen Blick, unzählige, wie Sonnenstrahlen umkränzten sie ihre Augen. Er mochte diese Fältchen, jedes einzelne, hatte jedes von ihnen miterlebt.
»Kurt?«
»Marmelade, mein Liebes«, antwortete er geistesabwesend. Er hatte keinen Appetit. Der Druck auf seinem Herzen war zwar schwächer geworden, aber er war noch da und ängstigte ihn.
Nun lagen die beiden fertig geschmierten Brötchenhälften auf seinem Teller. Florentine sah ihn über die Zeitung hinweg an. Das blaue, fröhliche Strahlen war aus ihren Augen verschwunden, sie musterte ihn jetzt prüfend unter skeptisch hochgezogenen Augenbrauen hervor. Er glaubte, kurz Angst aufflackern zu sehen.
Dann stand sie so abrupt auf, dass der Küchenstuhl fast hintenüberkippte. »Ich rufe lieber gleich bei Erich an!«
Als sie zurück in die Küche kam, saß er noch immer tatenlos vor seinem Frühstück.
»Du sollst gleich kommen, sie schieben dich zwischenrein. Soll ich dich hinfahren?«
»Nein, ich nehme ein Taxi.« Er stand langsam auf und fühlte sich zum ersten Mal seit seiner Pensionierung wie ein alter Mann. »Mach du mal deine Arbeit, dann können wir heute Nachmittag was unternehmen.« Er versuchte ein Lächeln, das ihm sogar halbwegs gelang. Im Stehen war der Druck fast verschwunden.
Während er in der Diele telefonierte, kaute Florentine freudlos auf ihrem Brötchen herum. Sie machte sich Sorgen, schon seit einiger Zeit beobachtete sie ihn. Auch wenn er es gut überspielte und bestimmt dachte, sie würde es nicht merken. Doch sie hatte es gemerkt, sie hatte ihn in letzter Zeit öfter schmerzvoll sein Gesicht verziehen und an seine Brust greifen sehen. Es war ja wirklich nett, dass er sie nicht beunruhigen wollte, aber eigentlich beunruhigte sie sein Theaterspielen erst recht!
»Das Taxi kommt gleich.« Er hatte schon seine Jacke an und küsste sie auf die Wange.
»Aber du hast ja noch gar nichts gegessen!«
»Ach, meine Flori-Glucke«, lachte er und strich sich fast zärtlich über den Bauch, der sich in sanfter Rundung über dem Hosenbund wölbte. »Ich falle schon nicht vom Fleisch! Ich werde dann beim Mittagessen kraftvoll zuschlagen«, versprach er und verließ das Haus.
Sie schob den Teller mit dem angebissenen Brötchen weit von sich. Von wegen »kraftvoll zuschlagen«! Er aß seit Tagen wie ein Spatz, auch das hatte sie beobachtet, aber dieser Beobachtung bis jetzt noch keine größere Bedeutung beigemessen. Er war immer auf sein Äußeres bedacht gewesen, zuerst hatte sie deshalb geglaubt, er würde nur auf seine schlanke Linie achten. Aber in Wirklichkeit pickte er nur lustlos in seinem Essen herum.
»Mach dich nicht verrückt«, schalt sie sich laut und stand endgültig auf. Schließlich war er auf dem Weg zum Arzt und der würde ihm schon helfen.
»Wie lange sind wir jetzt zusammen?«, fragte er unvermittelt, als sie am Nachmittag Arm in Arm durch den Park schlenderten.
Sie knuffte ihn in die Seite und sagte entrüstet: »Ziemlich genau zwanzig Jahre! Dass ihr Männer euch das nicht merken könnt!«
»Zwanzig Jahre!«, murmelte Kurt und es hörte sich fast so an, als würde er sich die Zahl auf der Zunge zergehen lassen. »Das schafft heutzutage kaum ein Ehepaar!«
Florentine zog ihren Arm enger um seinen und war fast ein bisschen stolz, dass sie schon so lange mit demselben Mann glücklich war.
Er blieb stehen und sah einer Entenmutter nach, die über den kleinen See paddelte und von fünf Entenkindern verfolgt wurde.
»Wir sollten endlich heiraten!« Er drehte sich zu ihr um, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn.
Florentine war verdattert und einige Zeit sprachlos. »War das etwa ein Heiratsantrag?«, stammelte sie endlich.
»Muss ich noch deutlicher werden?« Ihre Unsicherheit amüsierte ihn. »Also gut«, sagte er und hatte auf einmal wieder das Gesicht eines Lausbuben, der gerade einen Streich ausheckt. Dann wurde er wieder ernst, nahm Florentines rechte Hand und fragte feierlich: «Willst du, Florentine Johanna Jakobi, meine Frau werden?«
Sie konnte nicht antworten. Sie sah ihm nur in die Augen, wartete vergeblich auf das spöttische Grinsen, das immer dann kam, wenn er sie wieder einmal aufs Glatteis geführt hatte. Aber er grinste nicht, er sah sie nur abwartend an.
Himmel, sie war neunundfünfzig Jahre alt! Seit sie zwanzig war, hatte sie sich nach diesem Moment gesehnt, wollte sie diese Frage gefragt werden, hatte sie sich die kitschigsten Heiratsanträge für sich erträumt. Und jetzt, jetzt, wo sie überhaupt nicht mehr an so was dachte, jetzt, wo das Heiraten überhaupt nicht mehr wichtig für sie war, jetzt hielt Kurt um ihre Hand an!
>Alter Esel<, wollte sie sagen, auslachen wollte sie ihn - aber alles, was über ihre Lippen kam, war ein gehauchtes »Ja«.
Kurt nahm sie in die Arme und der Kuss, den er ihr gab, schmeckt wie der erste vor fast zwanzig Jahren.
»Warum willst du auf einmal heiraten?« Florentine hatte sich fest vorgenommen, diese Frage nicht zu stellen, denn wenn man einen Heiratsantrag bekam, fragte man einfach nicht nach dem Warum, man sagte ja oder nein, aber niemals warum. Aber nun hatte sie die Frage doch gestellt.
»Weil wir uns lieben, so eine blöde Frage!«, brummte Kurt neben ihr auf der Couch und versuchte sich weiter auf den Film zu konzentrieren.
»Wir haben uns doch schon vor fünf Jahren geliebt und vor zehn Jahren und vor fünfzehn Jahren«, sie ließ nicht locker. »Warum ausgerechnet jetzt?«
Er zog genervt die Luft ein. »Weil ich der Meinung bin, dass es langsam Zeit wird!«
»Aber warum auf einmal, warum gerade jetzt?«
»Ich wusste nicht, dass es dafür bestimmte vorgeschriebene Zeiten gibt!«, antwortete er und rollte die Augen. »Wenn es dir nicht passt, kann ich ja eine Andere heiraten!« Ein schiefer Blick von der Seite brachte Florentine zum Lachen.
»Soll das heißen, dass ich die Erstbeste bin, die du gefragt hast und dass noch einige andere in der Schlange stehen?«
»Ha, es gäbe schon ein paar, die mich alten Zausel noch nehmen würden!« Er tätschelte ihre Hand, die sie auf seinen Oberschenkel gelegt hatte und fühlte ihre Wärme durch den Stoff der Hose.
»Das sind die, die nicht wissen, wie grässlich du schnarchst!«, lachte sie. »Warum? Sag mir einfach warum!«
»Weil wir einfach nicht mehr die Jüngsten sind. Weil wir es schon längst hätten tun sollen. Weil ich wissen will, dass du versorgt bist, wenn ich mal nicht mehr bin! Sind das nicht Gründe genug?«
Florentine schwieg eine Zeit lang, wobei ihr Daumen auf seinem Oberschenkel unentwegt über die Bügelfalte der Hose strich.
»Was hat Erich wirklich gesagt?«, fragte sie endlich und sah ihm in die Augen. Sie hielt den Atem an.
Natürlich wollte sie die Wahrheit wissen, aber sie fürchtete sich auch vor seiner Antwort.
»Was ich dir vorhin schon...
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