Schweitzer Fachinformationen
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April, April!
Sonntag, 1. April
Paula Stern kapitulierte. Ächzend wie eine alte Frau richtete sie sich auf, und dann sagte sie die Worte, von denen sie geglaubt hatte, dass sie sie erst im Alter von achtzig oder fünfundachtzig Jahren sagen müsste: »Matts, könntest du mir bitte die Schuhe zubinden?«
Matthias Weber streckte den Kopf aus der Küche und grinste sie frech an. »Kommt mein kleines Dickerchen nicht mehr an die Schuhbändel ran?«
Paula legte eine Hand auf ihren prallen Babybauch. »Ich glaube, er ist über Nacht noch ein Stück gewachsen. Ehrlich gesagt hab ich die Nase voll. Tagsüber weiß ich nicht mehr, wie ich sitzen soll, nachts weiß ich nicht mehr, wie ich liegen soll, und das Treppensteigen bringt mich jedes Mal schier um. Von den Rückenschmerzen ganz zu schweigen. Ich komme mir vor wie ein gestrandeter Wal.«
Mit missmutigem Gesicht sah sie ihm zu, wie er vor ihr in die Hocke ging und ihr die Schnürsenkel band.
»Du genießt es doch, wenn ich vor dir knie, oder?« Matthias richtete sich auf und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.
Nun musste sie doch lächeln. »Klar, das hat was. Aber ich möchte einfach endlich wieder so sein wie früher.«
Matthias küsste sie liebevoll auf die Nasenspitze. »Nur noch ein paar Tage, meine Süße, dann hast du es überstanden. Wir sollten uns beeilen, wir kommen sonst zu spät zum Essen.«
Paula betrachtete sich ein letztes Mal im Dielenspiegel. Sie konnte partout nicht verstehen, dass Matthias die extrem bauchlastige Frau in der XXL-Schwangerschaftslatzhose noch nicht verlassen hatte.
Als sie nach ihrer Jacke griff, schlug die Türglocke an.
»Wer könnte das sein?«, sagte sie überrascht.
Er drückte den Knopf der Gegensprechanlage, beugte sich zum Lautsprecher hinunter, der wohl eher für klein gewachsene Menschen installiert worden war, aber nicht für einen einen Meter sechsundachtzig großen Mann. »Wer ist da?«
»Überraschung!«, kam es krächzend aus dem Lautsprecher.
»Meine Eltern? Sag, dass das ein Aprilscherz ist.«
Doch Matthias sagte gar nichts. Er betätigte einfach nur den Türöffner und trat ins Treppenhaus.
Von unten näherten sich Schritte und Stimmen - und dann standen tatsächlich Paulas vor Freude strahlende Eltern vor ihnen.
»Mutsch? Paps? Was macht ihr denn hier?« Paula klang alles andere als begeistert.
Juliane Stern nahm ihre verdatterte Tochter zwischen Tür und Angel in die Arme. »Wir dachten, wir könnten dich in den letzten Tagen vor der Entbindung ein bisschen unterstützen. Da ist ja so viel zu erledigen und vorzubereiten. Und wenn du mit der Kleinen aus der Klinik kommst, brauchst du sicherlich auch jede Menge helfende Hände. Ach, Paulalein, wir machen es uns so richtig schön.«
»Außerdem kann deine Mutter es gar nicht erwarten, ihre neue Enkelin zu sehen«, ergänzte Paulas Vater, als er mit der Begrüßung an der Reihe war.
Paula war überrumpelt und sprachlos. Und entsetzt. »Hier könnt ihr aber nicht schlafen.«
Ihre Mutter tätschelte ihr beruhigend den Arm, dann drückte sie Matthias zur Begrüßung an sich. »Keine Sorge, mein Schatz, so arg rücken wir euch nicht auf die Pelle. Matthias hat was Hübsches für uns organisiert, nicht wahr, Matthias?«
»Ach, hat er das?«, sagte Paula spitz.
Matthias ging nicht darauf ein. »Wir sollten gehen, sonst bekommen wir Ärger mit meiner Mutter, weil der Kerscheplotzer verbrutzelt. Wir können uns ja dort weiterunterhalten.«
Daraus schloss Paula, dass auch seine Eltern eingeweiht waren. Nur sie nicht. Eine Tatsache, die ihr so gar nicht gefiel.
Matthias mied jeglichen Augenkontakt mit ihr, sodass sie ihm ihren Unmut über seinen hinterhältigen Plan nicht einmal durch Blicke mitteilen konnte. Er wollte Ärger mit seiner Mutter vermeiden, aber mit ihr würde er Ärger bekommen, und zwar so was von, das schwor sie sich.
Sie spürte einen unangenehm ziehenden Schmerz unterhalb ihrer Babykugel und hielt die Luft an. Das Ziehen verschwand wieder.
Matthias schob sie alle ins Treppenhaus und schloss ab.
»Wie geht es dir denn, mein Mädchen?«, fragte ihre Mutter auf dem Weg nach unten, während Paula wie ein dicker Pinguin unbeholfen neben ihr von Stufe zu Stufe watschelte.
»Mein Rücken schmerzt, ich schlafe schlecht, ich kann mich nicht mehr bücken, geschweige denn meine Fußnägel schneiden, ich bewege mich zierlich wie ein Elefant, wenn ich zu viel esse, bekomme ich Sodbrennen, und manchmal habe ich ein fieses Ziehen im Unterleib - aber sonst geht es mir prächtig.«
Juliane lachte vergnügt. »Also alles ganz normal. So geht es jeder Schwangeren auf der Zielgeraden, mir sogar viermal. Ich glaube, das muss so sein, damit man die Angst vor der Entbindung verliert.«
Dem konnte Paula ausnahmsweise nicht widersprechen. »Stimmt, Angst habe ich tatsächlich keine, ich will einfach nur diesen riesigen Bauch weghaben.«
»Willst du deine Krankenhaustasche nicht mitnehmen?«
Paula fühlte sich ertappt. »Nein, die ist noch nicht fertig gepackt.«
»Aber du hast nur noch ein paar Tage bis zum Termin, du musst doch vorbereitet sein.«
Paula kannte diesen vorwurfsvollen Ton nur zu gut. Er hatte sie schon immer genervt. Sie fragte sich, ob wohl alle Mütter so waren. Und wenn nicht, warum musste ihre so sein?
In ihrem Bauch zog es erneut - die Anwesenheit ihrer Mutter tat ihr offensichtlich nicht gut.
»Erstens machen wir keine Weltreise, wir fahren nur ein paar Kilometer, und zweitens habe ich noch fast zwei Wochen, bis es so weit ist.«
»Gleich morgen werden wir uns um deine Tasche kümmern - man muss schließlich vorbereitet sein, wenn es losgeht. Meine Tasche stand bei jeder von euch vieren wochenlang vorher fix und fertig in der Diele, stimmt's, Werner?«
»Stimmt«, sagte Paulas Vater, der ihnen ein paar Stufen voraus war.
»Wenn nämlich die Wehen einsetzen, muss es meistens schnell gehen, da hat man dann keinen Kopf mehr dafür, alles Nötige einzupacken.«
Das könnte dann ja notfalls Matthias machen und mir nachträglich in die Klinik bringen, dachte Paula, während ihre Mutter weitererzählte.
»Bei dir zum Beispiel waren es von der ersten Wehe bis zur Entbindung keine vier Stunden.«
»Ja, ich packe die Tasche noch heute Abend«, versprach sie leicht gereizt.
»Hast du schon alle Babysachen? Wenn nicht, gehen wir so bald wie möglich welche kaufen. Oh, ich liebe diese winzig kleinen Hemdchen und Strampler.«
»Ich habe Babysachen«, sagte Paula knapp.
Endlich waren sie unten angekommen und traten in den kühlen, regnerischen Tag hinaus.
»Hast du sie schon gewaschen? Die zarte Haut eines Babys darf nämlich nicht mit Farbfixierungs- oder Stärkemitteln in Berührung kommen, das könnte Allergien auslösen.«
Die belehrende Art ihrer Mutter löste bei Paula auch etwas aus, nämlich ein heftiges Ziehen in Rücken und Bauch. Abrupt blieb sie auf dem Weg zur Straße stehen.
»Mutsch«, sagte sie nachdrücklich, aber so sanft wie möglich, während sie mit kreisenden Bewegungen ihren Bauch massierte. »Ich hatte monatelang Zeit, mich durch Schwangerschaftsbücher und Elternratgeber zu lesen, und genauso viel Zeit hatte ich, die Babyausstattung zu besorgen. Das Bettchen ist aufgebaut, mein Büro ist in ein Kinderzimmer umfunktioniert worden - und ja, die Kinderklamotten sind gewaschen.«
»Sei doch nicht so aggressiv, ich meine es nur gut«, antwortete Juliane beleidigt. »Wenn wir wieder abreisen sollen, dann musst du es nur sagen.«
Bevor Paula genau das sagen konnte, nahm ihr Vater ihre Mutter am Arm und zog sie Richtung Auto.
»Wir fahren einfach hinter euch her!«, rief er über die Schulter zurück.
Matthias stand bedröppelt da. »Paula, was sollte das? Ich dachte, du freust dich, wenn deine Eltern kommen.«
Paula war zum Heulen zumute. Das Letzte, was sie hatte tun wollen, war, ihre Mutter zu kränken. Sie beobachtete, wie ihr Vater ihr ins Auto half und dann selbst einstieg.
»Ach, irgendwie freue ich mich ja, aber irgendwie auch nicht. Ich wollte die Tage bis zur Entbindung in aller Ruhe genießen. Es werden nämlich für eine sehr lange Zeit die letzten sein, die ich ganz allein, ohne Mama zu sein, verbringen werde. Und jetzt . ach, ich weiß auch nicht - mir geht's heute einfach nicht so gut.«
Matthias öffnete die Beifahrertür seines BMW. »Möchtest du lieber hierbleiben und dich hinlegen? Du könntest dich ausruhen, und ich fahre mit den beiden zu meinen Eltern zum Essen rüber - meine Mutter würde es mir nie verzeihen, wenn ich ganz absage. Bestimmt packt sie dir was vom Kerscheplotzer ein.«
Paula überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf und stieg schwerfällig ein. »Nein, ich komme mit. Soviel ich weiß, hat sie extra für mich diesen >Kerscheplotzer< - was immer das auch sein mag - gemacht. Außerdem habe ich Hunger.«
Matthias schlug die Tür zu, ging vor der Motorhaube ums Auto herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Er startete den Motor, scherte aus und überholte langsam den Wagen von Paulas Eltern. Im Seitenspiegel konnte Paula sehen, dass sie ihnen folgten.
Matthias fuhr erst den Westring, dann den Marienring entlang.
Paula rutschte unentwegt auf ihrem Sitz hin und her, weil sie keine angenehme Sitzposition fand.
»War das deine Idee oder die meiner Mutter?«, fragte sie, als sie vor der Queichheimer Brücke wegen einer roten Ampel anhalten mussten.
»Die deiner Mutter, und ich fand sie ehrlich gesagt sehr gut. Es ist immerhin...
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