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»Wie finden Sie es denn bei uns in Deutschland, Mariasole?«, fragte die verständnisvoll dreinblickende Moderatorin mit dem kunstvoll hochgesteckten blonden Dutt. Michaela Roth hieß sie und sie leitete eine Guten-Morgen-Show bei einem Lokalsender.
»Wundervoll. Einfach wundervoll!«, war Mariasoles Antwort.
Michaelas Blick war nun vielleicht sogar etwas gönnerhaft. Als glaubte sie ihr kein einziges Wort. »Vermissen Sie Ihre Heimat, Ihre Insel, denn gar nicht?«
»Doch. Natürlich. Aber das Leben auf einer Insel, selbst wenn es sich um die Trauminsel Capri handelt, kann auch beengend sein. Ich fühle mich hier in Deutschland endlich am richtigen Platz. Dieses Gefühl habe ich anders herum in letzter Zeit auf Capri vermisst, verstehen Sie?«
Die Frau blinzelte, nickte. Aber, nein, man sah es ihr an: Sie verstand das nicht, wie man lieber in Deutschland als auf Capri leben konnte.
»Nun, wir alle sind jedenfalls sehr glücklich darüber, dass Sie Ihren Weg in unser Land gefunden haben, denn Sie sind zweifellos eine unglaublich talentierte Sängerin und Ihr Weihnachtslied ein richtiger Ohrwurm. Der Produzent, der Sie auf Capri entdeckt und nach Deutschland gebracht hat, hatte den richtigen Riecher, das muss man ihm lassen.«
»Danke. Grazie mille!«
»Würden Sie es denn für uns singen?«
Sie nickte nur und ging zur Studiobühne.
Mariasole schaltete den Fernseher nach Ende der Ausstrahlung des kurzen Interviews aus, legte die Fernbedienung vorsichtig auf den hübschen Holztisch und erhob sich vom Sessel. Sie war dankbar und noch immer etwas übermannt. Hier war sie also, im schönen Deutschland. Und das schon seit ein paar Monaten. Doch obwohl Zeit vergangen war, kam es ihr noch immer so vor, als träumte sie alles nur. Denn sie hatte ihren Umzug aus Italien einer ganzen Reihe glücklicher Umstände zu verdanken, die so wundervoll waren, dass sie ihr schier irreal erschienen. Bisher war sie nur auf ihrer Insel als Sängerin aufgetreten, inzwischen hatte sich das dank ihres Produzenten geändert. Sie hatte vor knapp vier Wochen einen Weihnachtssong aufgenommen. Die Verkaufszahlen, die die Prognosen der Produktion mehrfach überstiegen, sprachen eine deutliche Sprache: Sie hatte einen Hit gelandet. Einen Weihnachtshit. Und das als gebürtige italienische Inselbewohnerin. Ein Kontrast, der wohl größer nicht sein könnte.
Mit klopfendem Herzen, so wie immer, wenn ihr klar wurde, dass sie in ihrer Gesangskarriere gerade an einem sehr guten Punkt angelangt war, ging sie ans Fenster ihrer kleinen Wohnung und erzeugte dabei gemütlich klingendes Knarzen mit jedem ihrer Schritte auf dem antiken Holzboden. Sie mochte ihre heimelige Bleibe auf dem Bauernhof in Bayern! Sie konnte gar nicht in Worte fassen, wie gigantisch sich das anfühlte, endlich so richtig vom Singen leben zu können. Und dabei noch in so wundervollem Rahmen. Gut, die Wohnung war wirklich winzig mit ihren zwei Zimmerchen, dem mehr als übersichtlichen Bad und der Küchenzeile. Sie schlief zusammen mit ihrem kleinen Sohn Alfio in einem Bett, was nicht ideal war. Aber nichts würde ihr die Freude darüber nehmen, ihr Leben im Griff zu haben. Von der saisonbedingten Unterhaltungssängerin war sie emporgestiegen zur professionellen Sängerin mit Plattenvertrag.
Wohlig seufzend blickte sie zum Fenster hinaus und genoss den Ausblick. Sie fand es noch immer gewöhnungsbedürftig, nirgendwo das Meer zu entdecken. Hier im Süden Deutschlands gab es dafür jede Menge Neues zu sehen. Aber das Meer, das nicht.
Sie hatte nie daran glauben wollen, wenn man ihr sagte, dass das Meer jedem fehlen würde, der damit aufgewachsen war. Und doch . diese These hatte sich als die reine Wahrheit herausgestellt. Sie vermisste es, das weite Blau. Aber nicht so arg, dass es schmerzte. Eher wie ein konstanter Gedanke, der sie daran erinnerte, was für ein Privileg es gewesen war, sich jeden Tag am Anblick des weiten Gewässers ergötzen zu dürfen. Jetzt, in dieser neuen Phase ihres Lebens, fand sie es jedoch ganz wundervoll, durch dieses Fenster direkt über einen landwirtschaftlichen Betrieb blicken zu können, der herrlich eingebettet war in typisch bayrischer Landschaft. Sie sah Tannen - die erkannte sie - und allerhand andere Bäume, die sie jedoch nicht wirklich benennen konnte. Die waren ganz offensichtlich nur entfernt mit der Mittelmeervegetation verwandt, an die Mariasole gewöhnt war. Sie nahm sich vor, sich die Namen mal nennen zu lassen von all dem vielen Grün. Sie wollte lernen. So viel lernen.
Auch wollte sie lernen, allmählich damit Frieden zu schließen, dass Alfio einfach ein Drecksspatz war. Da, er sprang erneut in die tiefe Pfütze! Sie wusste schon gar nicht mehr, was sie ihm anziehen sollte. So viel hatte sie dann doch nicht mitgenommen. Denn eigentlich war das hier gerade eine Übergangslösung. Wohin der Übergang führen würde, das wusste sie nicht. Das hing von vielen Faktoren ab. Dinge wie Erfolg, zweiter Plattenvertrag, und, und, und . das waren Worte und Begriffe, die herumschwirrten, sich aber zum Teil ihrem persönlichen Einwirken entzogen. Sie hatte alles gegeben. Jetzt lag es nicht mehr nur an ihr.
Mariasole spürte, wie sich ihre Stirn in Falten legte, während Alfio lachte. Das konnte sie aus ihrer Position zwar nicht hören, aber ganz deutlich sehen. Und deshalb war es doch ein bisschen so als könnte sie ihn hören.
Alfio hatte sich eingelebt. Capris bunte Gassen, in denen er sonst immer gespielt hatte, schienen endlich in weite Ferne gerückt. Auch die Sonne, die sich hier gerne rarmachte, war offenbar gerade weit von Alfios Gedanken entfernt. Sie waren seit knapp zwei Monaten in Deutschland und ihr Sohn war nach anfänglichen Momenten großen Heimwehs endlich angekommen. So waren sie, die Kinder, oder? Flexibel, anpassungsfähig und lebensfroh. Alfio gehörte inzwischen selbst ein bisschen zu diesem Hof, auf dem sie lebten. Wie die Ställe, wie die Kühe, wie die Gasteltern und die gute Oma Nina und wie Niklas, der junge Besitzer des landwirtschaftlichen Betriebs und Sohn der Gasteltern.
Und wieder machte ihr Herz einen Sprung wie die Klippenspringer im Sommer auf Capri. Das passierte häufig. Vor allem bei Niklas. Wenn sie an ihn dachte. Wenn sie ihn ansah. Wenn sie ihn berührte.
Das mit Niklas war eine lange Geschichte, über die Mariasole gerne nachdachte. Sie hatte sogar mal versucht, einen Song über ihr erstes Treffen zu schreiben. Es war ihr aber nicht wirklich gelungen. Vielleicht, weil sie gespannt auf die Entwicklung ihrer etwas speziellen Bekanntschaft wartete; vielleicht würde sie sich einfach im Sand verlaufen. Möglich. Denn Niklas war eher . nun . zurückhaltend. Ja. Das traf es ganz gut. Und Mariasole wusste nicht, ob das einfach nur eine rein deutsche Zurückhaltung war. Das kannte sie so gar nicht. Italienische Männer waren sehr direkt. Also hing sie ein bisschen in der Luft.
Sie hatten sich im letzten Sommer auf Capri kennengelernt - unter sehr speziellen Umständen -, und es war eine schöne Freundschaft entstanden.
Tja. Und nun, nun hatte Niklas eine Ferienwohnung seines Hofes an sie vermietet, weil sie eine Bleibe in Deutschland gebraucht hatte, um ihren Weihnachtssong aufzunehmen und anschließend gut dafür zu werben, und sie lebten keine fünfzig Meter voneinander entfernt. Nur waren sie sich trotzdem nicht so richtig nahegekommen. Was ihr Herz keineswegs davon abhielt, weiterhin für ihn zu schlagen.
Oh. Da war er ja, der schöne Niklas. Er kam gerade aus dem Stall, zu dem Mariasole aus ihrem Fenster wunderbar schauen konnte. Er sah so männlich und umwerfend aus, dass es ihr schier den Atem verschlug. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie große, blonde Männer mit blauen Augen toll fand, die ihre Muskeln der harten Arbeit und keinem Fitnessstudio zu verdanken hatten. Und doch war es so. Sie fühlte sich wie ein Teenie beim Anblick ihres unerreichbaren Idols.
Sie beobachtete, wie er auf Alfio zuging und ihm liebevoll durch die Haare fuhr. Sie gönnte es ihrem Sohn, Niklas' Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber ein kleiner Teil in ihr beneidete ihn und wünschte sich, mit ihm tauschen zu können.
Ohne ersichtlichen Grund blickte Niklas ganz plötzlich zu ihr, zum Fenster herauf. Er lächelte, nickte ihr zu und winkte dann. Sie tat es ihm nach und überlegte, sich zu ihnen zu gesellen.
Bevor sie sich aber wirklich dazu entschließen konnte, hörte sie ihr Handy piepen. Sie nahm es sofort zur Hand, da ihr Produzent oft WhatsApp-Nachrichten schickte, um ihr Neuigkeiten mitzuteilen. Auf dem Display erschien eine Benachrichtigung und ihr Smartphone fiel ihr beinahe aus der Hand. Die Nachricht war nämlich nicht vom Produzenten, nein. Die war von jemand ganz anderem.
Das Wetter auf Capri war heute nicht gerade das, was man als typisch mediterran bezeichnen würde. Ein dicker Nebelschleier hatte die Insel verschluckt - so sah es jedenfalls aus. Die Luftfeuchtigkeit konnte man fast vom Himmel tropfen sehen und vor allem in den Knochen spüren - so war das manchmal im Winter. Aber das war dann auch schon alles. Recht viel winterlicher wurde es nur selten.
Velia lebte noch nicht lange auf der Insel, aber das Wetter machte ihr nichts aus. Sie...
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