Schweitzer Fachinformationen
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Ludwig ließ sich Zeit mit dem Maßnehmen der Bretter. Er steuerte einer ungewissen Zukunft entgegen. Das Fegen und Einsammeln der Werkzeuge wurde wieder Wenzel aufgetragen. »Aber nur so lange, bis wir einen neuen Lehrbub haben«, versprach der Meister. Jedes Mal, wenn Ludwig traurig wurde, lenkte er sich ab. Der Meister ließ ihn deutlich spüren, wie enttäuscht er war. Wenzel warf ihm ständig weidwunde Blicke zu. Die Truhe nahm Gestalt an. War es dem Umstand zu verdanken, dass das kritische Auge des Meisters nicht mehr auf ihm ruhte, dass er in seinem eigenen Rhythmus arbeiten konnte?
Seiner Mutter gegenüber verschwieg er den Rauswurf. Er beschloss, sich auf eigene Faust einen neuen Lehrmeister zu suchen.
Ludwig war beinahe fertig. Er polierte die Metallbeschläge seiner Truhe und betrachtete stolz sein Werk. Erst nach einer Weile bemerkte er Curt, der neben ihm stand und die Truhe ebenfalls ansah. Seinen Gesichtsausdruck konnte Ludwig nicht deuten. »Was ist?«, wollte Ludwig wissen. Curt verzog die Mundwinkel. »Ich finde es eine Schweinerei, was du unserem Meister angetan hast. Solche Nestbeschmutzer wie dich sollte man umgehend aus der Zunft werfen. »Du hast bestimmt auch schon gegen die Regeln verstoßen und gibst es bloß nicht zu«, gab Ludwig zurück.
Curt stieß ihn gegen die Schulter. »Was unterstellst du mir da?«
»Du hast als Einziger immerhin einen Schlüssel zur Werkstatt. Da ist es ein Leichtes, einfach mal ein paar Münzen einzustecken, wenn das Geld für den Besuch in der Wirtschaft nicht reicht.«
»Jetzt ist es aber genug«, rief Curt und schubste Ludwig, der daraufhin sein Gleichgewicht verlor und in die Späne fiel, die Wenzel in eine Schubkarre geladen hatte. Der Meister schmunzelte, Curt lachte lauthals, Wenzel errötete und wandte sich verlegen ab. Wenzels Scham wog für Ludwig am schwersten. Die Demütigung schien ihn einige Zentimeter tiefer in die Späne zu drücken. Curt hatte sich bereits weggedreht, für ihn war die Sache anscheinend erledigt, nicht so für Ludwig. Er stemmte sich aus der Schubkarre und ging Curt mit gesenktem Kopf hinterher. Dieser ahnte nichts. Erst, als sein Blick auf Wenzel fiel, der mit großen Augen zu Ludwig sah, drehte sich Curt um. Doch da krachte bereits Ludwigs Faust in sein Gesicht. »Spinnst du?«, rief Curt und hielt sich die Hand vor die blutende Nase. Ludwig schlug abermals zu. Curt prallte gegen die Werkbank, Ludwig setzte nach, drückte Curt auf die Arbeitsplatte und griff nach dem Beitel. Er holte aus, zielte direkt auf Curts Augen, wurde jedoch von jemandem am Arm gepackt und von Curt weggerissen. Von jemandem mit viel Kraft. Er sah in das wutverzerrte Gesicht seines Meisters.
»Du nimmst jetzt deinen Mantel und verschwindest aus meiner Werkstatt. Ich möchte dich nie wieder sehen!« Er lockerte seinen schmerzhaften Griff. Ludwig keuchte, schlich zu seinem Haken, nahm seinen Mantel und verließ die Werkstatt, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Natürlich ließ es sich der Meister nicht nehmen, persönlich bei seiner Mutter vorzusprechen und ihr einen langen Vortrag über Ludwigs moralische Makel zu halten. Ludwig lauschte an der halboffenen Tür. Die Mutter hörte stumm zu, nickte dann und wann und saß noch eine geraume Weile schweigsam am Küchentisch, nachdem der Meister gegangen war.
Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte.
Ludwig beschloss, sie wieder glücklich zu machen. Er war eigentlich kein Schläger. Bernhard, ja, der hatte gerne zugehauen. Aber er? Früh am nächsten Morgen packte er ein Brot ein und machte sich auf den Weg zu den Werkstätten, die ein Stück entfernt lagen. Er mochte weder Curt noch seinem ehemaligen Meister über den Weg laufen. Bereits beim dritten Versuch hatte er Glück. Es war Meister Koberling im Rosengarten, der versprach, ihn als Lehrling aufzunehmen. Zur Feier des Tages ging Ludwig in eine Wirtschaft, um seine neue Stelle zu feiern, aber er übertrieb nicht mit dem Biergenuss, schließlich wollte er nicht gleich am ersten Tag auffallen.
Der neue Meister zuckte zusammen, als Ludwig die Werkstatt betrat. »Guten Morgen, Junge. Ich habe erst nächste Woche mit dir gerechnet.«
»Wir hatten heute ausgemacht?«
»Auch gut. Dann mal los.«
Da der Meister sitzen blieb, fühlte sich Ludwig genötigt zu fragen: »Was kann ich denn tun?«
»Was willst du denn tun?«, kam die Gegenfrage.
»Fegen vielleicht?«, schlug Ludwig vor.
»Wie du willst.«
War der Vorschlag falsch gewesen? Ludwig wusste es nicht. Er warf dem neuen Meister neugierige Blicke zu. Er war um die 50 Jahre alt. Eine breite Narbe verunzierte die rechte Wange. Sein rotblonder Vollbart war von weißen Fäden durchzogen. Ludwig war der Einzige außer ihm in der Werkstatt. Der Meister saß reglos vor seinem ledernen Folianten und starrte hinein. Ludwig zuckte mit den Schultern, fegte die Werkstatt, inspizierte die Schränke. Mit Freude stellte er fest, dass die Werkzeuge von Meister Koberling bei Weitem besser waren als die des alten.
Schon nach wenigen Tagen ahnte Ludwig, warum Koberling keine Angestellten und keine weiteren Lehrbuben hatte. Die Werkstatt hatte wenig Laufkundschaft. Die Aufträge waren entsprechend komplex. Es würde eine Umstellung bedeuten, da sowohl der Schnitt als auch die Hölzer anders als gewohnt waren. Ludwig machte das nichts aus. Und die Kunden, die zu ihnen kamen, die mochten es wohl auch ernst meinen. Nur die Art und Weise des neuen Meisters war gewöhnungsbedürftig. Während Firchow immer genaue Anweisungen gegeben hatte, so antwortete Koberling stets mit einer Gegenfrage und überließ Ludwig ganz und gar die Entscheidung.
»Heute bist du alleine«, teilte der Meister ihm am Morgen seines achten Arbeitstages mit. »Ich muss auf eine Beerdigung. Die Schlüssel für die Schränke sind hier«, er deutete auf einen sehr umfangreichen Bund. »Das Auftragsbuch kennst du ja bereits. Ich bin morgen wieder da.«
»Was, wenn ein Kunde kommt?«, fragte Ludwig ängstlich.
»Dann fragst du ihn, was er haben will und schreibst es auf.«
»Und wenn er bezahlen will?«
»Dann nimmst du das Geld entgegen, schreibst eine Erhaltsquittung und tust das Geld in einen der Werkzeugschränke.«
»Und wenn .«
»Du kommst zurecht, Junge. Glaub einfach mehr an dich.«
Was blieb Ludwig anderes übrig? Er nickte ergeben und hielt sich zuerst einmal an das Fegen. Der gleichmäßige Schwung des Besens beruhigte ihn. Der Meister verließ die Werkstatt, und Ludwig setzte sich an den Tisch mit dem Auftragsbuch und starrte vor sich hin. Er musste zugeben, es hatte etwas Hypnotisches: der Tanz der Staubkörner und das Knacken des Holzes im Ofen. Ludwig kämpfte gegen den Impuls an, die Augenlider zu schließen und ein Nickerchen zu machen. Warum eigentlich nicht? Nur kurz.
Er erwachte, als jemand an die Scheibe klopfte. Ludwig fuhr hoch. Mit Schrecken bemerkte er, dass es draußen schon dunkel war. Die Lampe, die in der Werkstatt brannte und nur dazu da war, die Schränke auszuleuchten, wenn man einmal etwas suchte, war beinahe leer gebrannt. Durch die schräg stehenden Belüftungsschlitze der Ofenklappe glomm das letzte Rot der sterbenden Holzscheite. Ludwig kniff die Augen zusammen und versuchte zu ergründen, wer an die Scheibe geklopft hatte. Er sah lediglich einen schwarzen Schemen, vor dem sich ein helles Oval abzeichnete. »Es ist offen«, rief er. Doch niemand kam herein. Ludwig zuckte mit den Schultern und tat so, als inspiziere er das Auftragsbuch. In Wirklichkeit spähte er zwischen den Wimpern zu der Gestalt, die sich auf seinen Ruf hin ein wenig nach rechts bewegt hatte. Ludwig wurde es mulmig zumute. An der Schiebetür waren zu allem Überfluss Schritte zu vernehmen. Dann ging die Lampe aus, und das Glimmen des Ofens war die einzige Lichtquelle. Ludwigs Herz begann wild zu schlagen. Beiläufig griff er nach dem Schürhaken. Er ging rückwärts zur Hintertür, ließ das Gesicht nicht aus den Augen, das zu ihm herein spähte. Er spürte einen kalten Luftzug. Da hatte doch jemand klammheimlich die Schiebetür geöffnet. Eine eiskalte Hand legte sich auf seine Schulter. So kalt, dass er glaubte, der Stoff seines Hemdes müsse auf der Stelle gefrieren. Ludwig schlug die Hand fort, drehte sich um und stand seinem Bruder Bernhard gegenüber.
»Das kann nicht sein«, stammelte er. »Du bist tot.«
»Ich weiß«, sagte Bernhard listig. Seine Augen funkelten in der Dunkelheit wie Katzenaugen, wenn sie angeleuchtet wurden. Ludwigs Herz schlug nun ganz langsam. »Warum bist du hier?«, flüsterte er.
»Weil du eigentlich hättest sterben sollen, nicht ich«, brüllte Bernhard unvermittelt und sprang mit gefletschten Zähnen auf ihn zu. Ludwig duckte sich und fiel. Der Aufschlag war fürchterlich.
Ludwig schrie, als sich etwas auf sein Gesicht fallen ließ. Er schlug wie toll um sich, keuchte. Sein Gesicht kam frei. Seine Nasenflügel blähten sich wie Schiffssegel, so schnell sog Ludwig die Luft in sich hinein. Es dauerte eine Weile, bis er sich bewusst wurde, dass er keine vier Jahre zählte, und er nicht von einer Katze attackiert worden war. Ludwig saß auf dem Boden der Werkstatt und rekapitulierte, was geschehen war. Er war eingeschlafen, im Schlaf war er zur Seite gekippt, auf dem Boden aufgeschlagen. Das Auftragsbuch hatte er mit hinunter gewischt. Es war auf seinem Gesicht gelandet. Kein Bernhard. Keine Dunkelheit. Ein Blick auf die Standuhr in der Ecke sagte ihm, dass er nur 47 Minuten geschlafen hatte. Genug anscheinend, um wirres Zeug zu träumen. Der Schreck saß ihm gehörig in den Knochen, denn er...
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