Schweitzer Fachinformationen
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Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben.
Unsere Ehemänner, Ehefrauen. Wir kennen sie, wir sind sie - etwa, wenn wir in Gesellschaft einen Moment getrennt werden und plötzlich ihre Ansichten vertreten, für ihr Lieblingsessen und ihre Lieblingsbücher schwärmen, Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, nicht unserem. Wir kennen ihre Eigenheiten, wie sie reden, wie sie Auto fahren, wie sie sich kleiden, wie sie einen Zuckerwürfel in ihren Kaffee halten und gebannt warten, bis Weiß zu Braun wird, um ihn schließlich, zufrieden, vom Löffel zu kippen. Genau das sah ich meinen Mann jeden Morgen tun; ich war eine sorgsame Frau.
Wir glauben sie zu kennen. Wir glauben sie zu lieben. Aber was wir lieben, ist in Wahrheit unsere eigene schlechte Übersetzung aus einer Sprache, die wir kaum beherrschen. Wir wollen zum Original vordringen, aber es gelingt nicht. Wir kennen das alles. Aber haben wir verstanden?
Eines Morgens wachen wir auf. Der vertraute schlafende Körper neben dem unseren im Bett: auf ganz neue Art fremd. Mir ist es 1953 passiert. Plötzlich stand mir im eigenen Heim einer gegenüber, dem bloß das Gesicht meines Mannes hingehext war.
Vielleicht kann man eine Ehe nicht sehen. Ist sie wie ein ferner, fürs bloße Auge unsichtbarer Himmelskörper messbar nur an ihrer Schwerkraft, an dem Sog, den sie auf ihr gesamtes Umfeld ausübt. So stelle ich mir das vor. Dass ich den Blick auf all das richten muss, was sie umgibt, die vielen verborgenen Geschichten, die ungesehenen Teile, bis sie sich irgendwo in der Mitte endlich zeigt - rotierend wie ein dunkler Stern.
Schon die Geschichte, wie ich meinen Mann kennenlernte, ist nicht einfach. Wir haben uns zweimal kennengelernt: einmal in unserer Geburtsstadt in Kentucky und einmal in San Francisco am Strand. Zweimal Fremde: der stehende Witz unserer Ehe.
Ich habe mich schon als ganz junges Ding in Holland Cook verguckt. Wir stammten aus derselben Farmgegend; an Jungen zum Lieben herrschte kein Mangel - und Gefühl schwitzte ich aus allen Poren wie ein giftgrüner Amazonasfrosch -, nur leider warf niemand ein Auge auf mich. Andere konnten sich vor Verehrern nicht retten, aber auch dass ich mich frisierte wie die anderen Mädchen, dass ich genauso den Spitzenbesatz von Dachbodenkleidern riss und mir an die Rocksäume nähte, half nicht. Meine Haut spannte wie die Sachen, aus denen ich zu schnell herauswuchs; ich fand mich schlaksig, dürr, ungelenk, und weil niemand mich schön nannte - nicht meine Mutter, nicht mein unwirscher Vater -, hielt ich mich für eine graue Maus.
Als es daher mit einem Mal einen Jungen gab, der meinem Blick nicht auswich, der plötzlich nach der Schule auf dem Heimweg auftauchte und es so hinbog, dass er auf einen Bissen hereingebeten wurde, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Dass er etwas wollte, war klar. Es konnte ihm nur um Schulnoten gehen, beschloss ich und passte ab da auf, dass ich meine Hefte seinem Blick entzog und im Unterricht nicht neben ihm saß, ich wollte für niemanden nur zum Spicken da sein. Aber darum ging es natürlich gar nicht, er war gut in der Schule. Was er wollte, hat er nie gesagt, die ganzen gemeinsamen Jahre nicht, aber man beurteilt einen Mann nicht nach dem, was er sagt. Man beurteilt ihn nach dem, was er tut, und an einem lichten Abend im Mai, als wir am Erdbeerfeld entlanggingen, nahm er meine Hand und hielt sie ganz bis nach Childress. Mehr als diese leichte Berührung war nicht nötig damals, als ich meine Nerven auf der Haut trug wie Spitze. Natürlich verliebte ich mich.
Dort in Childress erlebte ich mit Holland den Zweiten Weltkrieg. Ihm gefiel, dass ich »redete wie in den Büchern« und nicht wie die anderen Mädchen, und als er schließlich zur Army musste, sah ich dem Bus hinterher, der ihn in den Krieg trug. Einsamer Kummer für ein junges Mädchen.
Selbst fortzugehen wäre mir nicht in den Sinn gekommen, bis ein Mann von der Regierung bei uns anklopfte und namentlich nach mir fragte. In meinem verschossenen Sommerkleid polterte ich die Treppe hinunter zu dem rotgesichtigen, glatt rasierten Mann mit der goldenen Anstecknadel der Freiheitsstatue, die zu besitzen ich alles gegeben hätte. Mr Pinker hieß er. Die Sorte Mann, der man gehorchte. Er sprach mit mir über Arbeit in Kalifornien, darüber, wie sehr die Industrie tüchtige junge Frauen wie mich brauche. Seine Worte rissen einen Vorhang auf und gaben den Blick auf eine Welt frei, von der ich nicht die geringste Vorstellung gehabt hatte: Flugzeuge, Kalifornien; das war so, als willigte ich in eine Reise zu den Sternen ein. Als ich dem Mann dankte, sagte er: »Wie wär's, wenn Sie mir zum Dank einen Gefallen tun?« Ich war jung und unwissend und fand nichts dabei.
»Das ist der erste vernünftige Vorschlag aus deinem Mund«, brummte mein Vater, als ich laut übers Weggehen nachdachte. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dass er mich irgendwann sonst so eindringlich angesehen hätte wie an diesem Tag. Ich packte meinen Koffer und kehrte Kentucky für immer den Rücken.
Auf der Busfahrt nach Kalifornien sah ich Berge in die Wolken steigen und darüber, als säßen sie auf einer Wolkenbank, noch höhere Berge aufragen. So etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Als wäre die Welt schon immer verzaubert gewesen, nur hätte es mir niemand gesagt.
Was den Gefallen betraf, um den Mr Pinker bat: Ich sollte ihm einfach nur schreiben. Über die Mädchen bei mir auf der Flugzeugwerft, die Maschinen, was so geredet wurde, das tägliche Allerlei, was wir aßen, was ich trug, was ich sah. Lachend fragte ich mich, was er damit nur wollte. Heute lache ich höchstens über meine Naivität - die Regierung interessierte sich für alles, was verdächtig schien, aber davon sagte er nichts. Bloß, dass ich mir vorstellen sollte, ich würde Tagebuch führen. Ich tat sogar dann noch brav meine Pflicht, als ich die erste Stellung aufgab, um als WAVE - bei den Women Accepted for Volunteer Emergency Service - freiwillig Dienst bei der Navy zu leisten und mir mit anderen jungen Frauen aus ähnlichen Verhältnissen das picklige Gesicht mit Noxzema zu reinigen, mit den Hüften zur Radiomusik zu wackeln, mich an Cola als Ersatz für rationierten Kaffee zu gewöhnen und an chinesisches Essen anstelle von Hamburgern. Abend für Abend gab ich mir Mühe, alles haarklein festzuhalten, nur kam mir mein Leben so dürftig vor, kaum der Rede wert. Wie so viele Menschen war ich taub gegenüber den eigenen Geschichten. Also schummelte ich.
Mein eigenes Leben mochte zwar öde sein, nicht aber die Bücher, die ich las, und so schrieb ich fleißig ab - klaute bei Flaubert, Ford und Ferber, erzählte von Intrigen und Kümmernissen, hellen, aufstrahlenden Freuden: erdichtet fürs Vaterland, verklammert mit Schweigen und Lügen. Das ist es, was letztlich ein Land zusammenhält. Ich machte meine Sache gut, verfasste meine Briefe in der Schrift, die meine Mutter mir beigebracht hatte, beständig, steil und stolz, mit dem besonderen geschlungenen P für Pearlie darunter, das ich mir mit neun ausgedacht hatte, und gerichtet an Mr William Pinker, 62 Holly Street, Washington, D.C.
Was hast du im Krieg gemacht, Grandma? Ich habe meinem Land etwas vorgelogen, ich habe so getan, als verpetzte ich Freunde. Ich war mit Sicherheit nur eine von vielen tausend in ihrem gewaltigen Kummerkasten für einsame Herzen. Stellt euch den Werbejingle vor: »Niemand petzt flinker für Mr Pinker!«
Dann war der Krieg vorbei und Schluss mit der Fabrikarbeit für Frauen, Schluss mit der Arbeit als WAVE. Meine Bulletins an Washington hatte ich längst eingestellt, ich hatte andere Sorgen - und die Näharbeit, mit der ich mein Geld verdiente. Eines Tages, als ich allein am Strand unterwegs war, kam ich an einem Matrosen auf einer Bank vorbei, er hatte ein Buch umgekehrt auf dem Schoß liegen wie ein Feigenblatt und starrte hinaus aufs Meer.
Ich wusste nicht viel über Männer, und ich erschrak über die Verzweiflung in dem schönen, ebenmäßigen Gesicht. Ich kannte den Mann. Es war der Junge, der ganz bis nach Childress meine Hand gehalten und dessen Herz mir, zumindest kurze Zeit, gehört hatte. Holland Cook.
Ich begrüßte ihn.
»Ach . Sarah, wie geht's? Wie geht's dem Hund?«, fragte er freundlich. Der Wind war mit einem Mal weg, als könnte auch der sich nicht mehr erinnern. Ich hieß nicht Sarah.
Einen Augenblick verharrten wir dort in der austergrauen Luft, während sein Lächeln langsam wegsackte, ich mir mit einer Hand den Mantelkragen an den Hals drückte, der Wind an meinem bunten Kopftuch riss und mir flau wurde im Magen. Ich hätte gehen können, einfach weitergehen, damit er niemals erfuhr, wer ich war. Eine Fremde bleiben, vom Nebel verschluckt.
Stattdessen nannte ich meinen Namen.
Da hast du mich dann erkannt, stimmt's, Holland? Deine erste kindliche Liebe. Pearlie, die dir Gedichte vorlas, die bei deiner Mutter Klavierstunden nahm; wir lernten uns nun zum zweiten Mal kennen. Plötzliche Erinnerung an die alte Heimat, aufgesprungen wie die Seite in einem Pop-up-Buch. Er unterhielt sich mit mir, brachte mich sogar ein bisschen zum Lachen, und als ich erwähnte, dass ich für Freitag keine Kinobegleitung hätte, und ihn bat, mitzugehen, da zögerte er einen Augenblick, ehe er mich ansah und leise sagte: »Abgemacht.«
Als er dann im Logierhaus erschien, war ich entsetzt. Die schwachen Glühbirnen zeigten einen abgehärmten, müden Mann, Hut in den Händen, Haut fahl, die schöne Krawatte schief. Jahre später sollte er behaupten, er habe keine Ahnung mehr, was...
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