Schweitzer Fachinformationen
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In den Jahren null bis vier meines Trockenseins lernte ich die Grundlagen. Wie ich ohne Alkohol atmen, Freunde treffen, daten, küssen, zu Hochzeiten gehen, Weihnachten feiern, ja überhaupt leben konnte. Hier geht es nun um all das, wovon ich Ihnen noch nicht berichtet habe: die Jahre fünf, sechs und sieben.
Sobald wir länger als drei Jahre trocken sind, heißt es, sind wir in der Phase der Nachsorge. Der Grund? Eine maßgebliche Studie, die über acht Jahre geführt wurde, zeigt, dass die Rückfallquote massiv sinkt, sobald wir drei Jahre trocken hinter uns haben.
Im ersten Jahr schaffen es 36 Prozent, nüchtern zu bleiben. Das ist eine Zeit, in der wir immer wieder ins Straucheln geraten, und das ist - möchte ich hier betonen - ganz normal. Ich brauchte fünf Monate, um aufzuhören, wieder anzufangen, aufzuhören, wieder anzufangen, aufzuhören, wieder anzufangen. Bis endlich Tag eins der Trockenheit anbrach. In den Jahren eins bis drei steigt die Erfolgsquote auf 66 Prozent. Herrliche Aussichten! Nach drei Nüchternheitsjahrestagen bleiben umwerfende 86 Prozent trocken.
Das ist doch phänomenal: Nach drei Jahren knicken nur 14 Prozent ein. Aber halt, macht sich die stets negativ summende Drohne in meinem Kopf bemerkbar, das sind aber nicht null Prozent, oder? Immerhin noch 14 Prozent. Und wenn ich es zusammenfasse sollte, würde ich sagen, dass diese Zahl mich in den letzten Jahren beschäftigt hat. Und die Suche nach Wegen, um mich so sicher wie irgend menschenmöglich zu fühlen. Nicht in Angst zu leben, sondern mich aktiv dafür einzusetzen, dass dieser Regenwald nicht auch noch abgeholzt wird.
Die Abstinenz vom Anfang bis etwa zur Mitte ist ein traumhaftes Gefühl, aber ebenso ein angsteinflößender Drahtseilakt. Ab dem vierten Jahr aber haben Sie sich daran gewöhnt, dass Sie sich am Samstagmorgen nicht wie einer der Walking Dead fühlen. Der Reiz verfliegt also. Dass Sie fähig sind, morgens um neun Uhr in Ihren Yogakurs zu gehen, fühlt sich nicht mehr wie eine Offenbarung an. Es wird eben normal: »Na und?«
Die Gratulationen für das Trockensein, die Sie so sehr genossen haben, werden langsam zur Routine. »Was, sechs Jahre sind das jetzt schon? Spitze!« *Freund studiert die Speisekarte.* »Sollen wir Vorspeisen bestellen oder nicht?« Die neue Normalität eben. Die für alle Menschen um Sie herum ebenfalls normal ist. Kein triumphaler Sieg mehr, sondern einfach Ihr Leben.
Nach dem ersten Tag des vierten Jahres ist das Trockenbleiben - darf ich das sagen? - ein Klacks. Aber an diesem Punkt fängt die weniger selbstverständliche, aber tiefer gehende Arbeit an. Ich trainierte Fähigkeiten, die auf den ersten Blick mit dem Trockensein gar nichts zu tun hatten - dabei standen sie absolut in Zusammenhang. Ich lernte Dinge wie: Neinsagen (regelmäßig); Grenzen setzen (ich hasse Grenzen); um Dinge bitten, die ich haben wollte; meine Energie für jene Partys aufsparen, die mir am Herzen lagen; lernen, mit sicherer Begleitung die Kammer der Scham zu öffnen (was ich alles angestellt hatte!). Offen gestanden war das alles nicht so lustig, veränderte mich aber grundlegend.
Als hätte ich in den Jahren null bis vier gelernt, bis auf 18 Meter Tiefe zu tauchen. In den darauffolgenden Jahren aber wurde ich eine meisterliche Taucherin, die sich auch 30 Meter hinunterwagen konnte. Dort unten war es häufig dunkler. Es war auch schwieriger, mit den Dingen umzugehen, die man brauchte, um da hinunterzugelangen. Aber die Erfahrung war mindestens genauso großartig.
Ich war schon glücklich trocken. Quietschvergnügt, kreuzfidel und frohgestimmt wie Augustus Glupsch in Charlie und die Schokoladenfabrik. Es gab eine kurze Zeit, in der ich mich langweilte. Doch dieses Gefühl wurde schnell torpediert von einem klugen Therapeuten, der kurz hüstelte und dann meinte: »Vielleicht langweilen Sie sich ja grundsätzlich?« Ich hakte nach: »Wie meinen Sie das?« Und er: »Möglicherweise empfinden Sie im Moment einfach Ihr Leben als fad? Und nicht das Trockensein?« Verdammt noch mal, der lag ja richtig. Also zog ich los und sorgte für mehr Aufregung im Leben. YouTube ist ein Freund, der Ihnen nie Geld abknöpft, egal, ob Sie nun lernen wollen, im Meer zu schwimmen oder ein Soufflé zu backen.
Und schon war ich nicht mehr gelangweilt und unglücklich. Meine Herausforderung beim langfristigen Trockenbleiben sah vielmehr so aus: Wie kann ich mich endlich sicher fühlen? Sicher vor mir selbst, sicher vor anderen, sicher vor meinen Erinnerungen und last, aber sicher not least: sicher vor Alkohol und dem extremen kulturellen Druck, der mit ihm einhergeht. Und genau damit werden wir uns hier beschäftigen. In meinem ersten Buch ging es darum, wie ich zum Zustand von »glücklich und zufrieden« fand. Hier werden wir uns mit dem »dann leben sie noch heute« beschäftigen.
Also, los geht's! Was hat sich in den letzten Jahren in der Trinkerlandschaft so zugetragen? Nun, zuerst einmal hat eine Studie des britischen National Health Service ergeben, dass das stereotype Bild vom Säufer schief ist. Trinken ist in den privilegierten Schichten, die in schicken Vierteln wohnen, viel verbreiteter, als man angenommen hatte. La-di-trink-da. Die Leute mit Weinkühlschränken (oder gar Weinkellern), Brettern fürs Stand-up-Paddling, von Farrow & Ball gestalteten Inneneinrichtungen und Wodkasorten in ausgesuchten Geschmacksrichtungen sind die versoffensten Schluckspechte überhaupt.
Die nämliche Studie bestätigte noch einmal, dass die stärksten Trinker unter uns von den Babyboomern gestellt werden, die jetzt zwischen 55 und 64 Jahre alt sind. Innerhalb dieser Altersgruppe konsumieren zwei von zehn Frauen - und vier von zehn Männern - mehr als 14 Einheiten Alkohol pro Woche. Kein Wunder: Schließlich sind sie in den babylonischen, fetzigen, verrauchten und versoffenen Mad-Men-Sechzigern aufgewachsen.
Damals verschrieb man Schwangeren in Irland ein halbes Guinness täglich, was ihren Eisenspiegel im grünen Bereich halten sollte. (Wahre Geschichte: ist meiner Großmutter passiert.) Die gesundheitlichen Mythen, die den Alkohol umranken, haben die Babyboomer massiv beeinflusst. Was es umso schwieriger macht, eine Sucht zu erkennen. Und einen gordischen Knoten der Abhängigkeit schlang. Einen Knoten, der jeden Matrosen fuchsen würde.
Nichtsdestotrotz nimmt der regelmäßige und suchtgesteuerte Alkoholkonsum stetig ab. 50 Prozent der Frauen und 35 Prozent der Männer haben in der Vorwoche keinen Alkohol getrunken. Yabbadabbadoo! Die Anzahl der Männer, die bei einer Sitzung mehr als acht Einheiten Alkohol konsumieren, ist (von 24 Prozent vor zwölf Jahren) auf 19 Prozent gesunken. Der Prozentsatz der Frauen, die während einer Sause mehr als sechs Einheiten Alkohol konsumieren (was für mein Trinker-Ich nur der Anfang war), ist von 16 auf 12 Prozent zurückgegangen.
Die Millennials schwören dem Alkohol in Massen ab. Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass ein Drittel von ihnen ein alkoholfreies Weihnachten plante. Da die Generation X und die Babyboomer den 25. Dezember gewöhnlich als willkommene Gelegenheit betrachten, sich ab zehn Uhr vormittags (der Cocktail zum Geschenke-Öffnen) bis Mitternacht so manches Gläschen hinter die Binde zu kippen, ist das ein echter Fortschritt. Fast die Hälfte der Millennials gibt an, dass sie zum weihnachtlichen Abendessen lieber Tee oder Kaffee trinken als Wein. Angeber! Keine große Überraschung also, dass der Absatz von Bier mit null oder niedrigem Alkoholgehalt seit 2016 um 30 Prozent zugenommen hat.
Und dann: Bumm! die nationalen Lockdowns eins und zwei, die uns nicht nur seelisch aus der Bahn warfen. Sie katapultierten uns so weit ins Niemandsland, dass überhaupt keine Bahn mehr zu sehen war. Eine Studie der Organisation Alcohol Change UK fand heraus, dass ein Fünftel der Briten im Lockdown mehr trank als üblich (hicks!), ein Drittel trank weniger (Yippie!) und sechs Prozent gaben das Trinken ganz auf (allererste Sahne!).
Die Leute (und nicht nur die unter 40), die nicht oder nur wenig trinken, werden also immer mehr. Das veranlasste die Alkoholindustrie, die sozialen Medien mit Trinker-Memen zu überfluten (denn glauben Sie mir, genau da kommen die her). Zum Beispiel: »Das Bacardi-Feeling: einzigartig!« Der verschmähte Liebhaber postet in Folge eine Menge schmeichelhafter Fotos von sich.
Wir müssen lernen, diese raffinierten Marketingstrategien zu durchschauen, mit denen man die sozialen Medien überzieht. Würden wir auf ähnliche Meme für andere Produkte stoßen (zum Beispiel: »Rauchen: Hilft in Sekunden, wirkt für Stunden!« Oder: »Keine Hektik, keine Kompromisse: Essen Sie Rindfleisch!«), fänden wir das wohl ziemlich eigenartig. (Und würden vermuten, dass da die Tabak- oder Fleischindustrie dahintersteckt.) Und nicht wie...
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