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»Behaupten Sie das einfach, oder können Sie nachweisen, dass Sie in der fraglichen Nacht an einer Jane-Austen-Biographie gearbeitet haben?«
Jane Austens sechs Romane Verstand und Gefühl, Stolz und Vorurteil, Mansfield Park, Emma, Kloster Northanger und Überredung haben endlich auch in Deutschland eine breite Leserschaft gefunden. In der englischsprachigen Welt sind sie in unzähligen Leinen- und Taschenbuchausgaben mit und ohne Illustrationen verbreitet und fehlen in kaum einem Jahr im Abiturkanon vieler Schulen. Zeitschriften und das Internet sind voll von Jane-Austen-Cartoons. Es gibt ein Musical und Theaterstücke nach Stolz und Vorurteil, und die Filme und Fernsehserien nach ihren Romanen und sogar nach Episoden ihres Lebens haben ein weltweites Publikum gefunden und ihre Figuren zum Leben erweckt. Jane Austens bekannteste Gestalten sind in England sprichwörtlich. Schon Ende des 19. Jahrhunderts nannte man in manchen Familien einen überschwänglichen Dankbrief nach dem überkandidelten Pfarrer in Stolz und Vorurteil einen >Collins<.3 Heute haben einige ihrer Gestalten ein Eigenleben entwickelt. Der nasse Mr Darcy, der in der Fernsehserie nach Stolz und Vorurteil aus dem See steigt, ist zu einer Art Kultfigur geworden. Ständig werden ihre Romane von der Literaturwissenschaft verglichen und neu gedeutet. Jedes Jahr werden neue Doktorarbeiten über sie angefertigt. Jeder erhaltene Brief, den Jane Austen geschrieben, jedes Dokument, das sich auf sie und ihre Familie bezieht, ist veröffentlicht worden. Schon die Bibliographie über die Jane-Austen-Studien von 1952 bis 1972 enthält 794 Einträge.4 Unter den literarischen Größen der Weltliteratur gehört sie zu den beliebtesten und am intensivsten erforschten. Sie ist konkurrenzlos der beliebteste >Klassiker< Großbritanniens. Ihr wurde 1923 sogar die erste wissenschaftliche Ausgabe eines englischen literarischen Ouvres gewidmet.
»Es tut mir leid, Gav, aber ein nasses Hemd genügt nicht, um wie Darcy auszusehen.«
Aber nicht allein dies: Es gibt eine Jane-Austen-Gesellschaft. Zu Jane Austens 200. Geburtstag 1975 und zum 200. Erscheinungsjahr der Erstausgabe von Stolz und Vorurteil 2013 erschienen Serien von Briefmarken in Großbritannien. Ihr Bild schmückt seit 2017 die britische Zehn-Pfund-Note - offenbar aus gutem Grund. 2008 erschien im Spectator ein Aufsatz mit dem Titel »Jane Austen Knew All About a Banking Crisis«5, und der französische Ökonom Thomas Piketty erklärt:
Tatsächlich zeichneten die Romane Jane Austens und Honoré de Balzacs ein überraschend genaues Bild der Vermögensverhältnisse in Großbritannien und Frankreich zwischen 1790 und 1830. Beide Romanciers waren vertraut mit der Hierarchie der Vermögensverhältnisse in ihrer jeweiligen Gesellschaft. Sie durchschauten die verborgenen Vermögensstrukturen und ihren unvermeidlichen Einfluss auf das Leben von Männern und Frauen, einschließlich ihrer Heiratsstrategien und persönlichen Hoffnungen und Enttäuschungen. Diese und andere Romanciers beschrieben die Wirkungen dieser Ungleichheit mit solcher Genauigkeit und Anschaulichkeit, dass keine statistische oder theoretische Analyse es mit ihr aufnehmen kann.6
Ihre drei Romanfragmente sind in den letzten zehn Jahren von modernen Autorinnen zu Ende gesponnen worden. 1984 ist Jane Austen in Barbara Ker Wilsons (leider allzu naivem) Buch Jane Austen in Australia sogar zur Romanheldin auf dem fünften Kontinent geworden. 1986 hat die englische Autorin Judith Terry den Roman Mansfield Park aus der Perspektive eines Dienstmädchens im Haus Sir Thomas Bertrams neu erzählt.7 Das Haus in Chawton, wo sie gelebt und ihre Bücher geschrieben hat, das Haus in Winchester, wo sie gestorben ist, und die Kirche, wo sie begraben liegt, sind literarische Wallfahrtsorte. Der englische >Poet Laureate< von Königin Victoria, Lord Alfred Tennyson, fuhr, wie sein Sohn berichtet, Jane Austens wegen 1867 in das südenglische Seebad Lyme Regis:
Am 23. August fuhr mein Vater nach Bridport. Von da wurde er durch die Beschreibung der Stelle in Miss Austens Überredung nach Lyme gelockt und wanderte über die Hügel die neun Meilen von Bridport. Bei seiner Ankunft meldete er sich bei [F. T.] Palgrave, lehnte jede Erfrischung ab und sagte sofort: »Jetzt bring mich zu dem >Cobb< und zeig mir die Stufen, von denen Louisa Musgrove fiel.«8
Die Briefmarken von 1975
1870 berichtete James Edward Austen-Leigh, einer seiner Freunde benutze die Frage, ob jemand Jane Austen möge, als Test für die Einsicht einer Person. 1926 veröffentlichte Rudyard Kipling, der Autor des Dschungelbuchs, eine Kurzgeschichte mit dem Titel The Janeites, in der englische Offiziere, die begeisterte Anhänger Jane Austens sind, im Ersten Weltkrieg an der französischen Front einen einfachen Soldaten zur Lektüre ihrer Romane veranlassen. Außer dem Soldaten, der die Geschichte im Rückblick erzählt und dem ihre Gestalten Modelle der Wirklichkeit geworden sind, werden sie alle im Krieg getötet. Seitdem sind die Begriffe >Janeites< und >Anti-Janeites< in England für Verehrer und Gegner Jane Austens eingebürgert. Die Erzählung ist nur ein Dokument für die besondere und persönliche Beziehung, die sich über das Literarische hinaus immer wieder gerade zwischen dieser Autorin und ihren Lesern herstellt. Jane Austen ist mehr als eine Klassikerin der englischen Literatur. Für viele Leser, in Krisenzeiten sogar für berühmte Persönlichkeiten, haben ihre Bücher geradezu eine tröstende, ablenkende oder auch eskapistische Funktion. Der englische Premierminister Winston Churchill las Stolz und Vorurteil während des Zweiten Weltkriegs. A. A. Milne, der Autor des berühmten Kinderbuchs Winnie-the-Pooh, stöhnte 1936 über die politischen Zustände: »Die Welt stinkt. Ich hasse den beschränkten Egoismus Frankreichs, ich finde die deutsche Regierung unerträglich, ich kann Mussolini nicht ausstehen, ich verabscheue den Kommunismus«, und dann entfloh er in Austens Welt und machte aus seinem »Lieblingsbuch«9 Stolz und Vorurteil ein Schauspiel. Die erste wissenschaftliche Ausgabe der Werke und Briefe eines englischen Schriftstellers wurde ihr gewidmet.10 In Deutschland war sie lange ein Geheimtipp, soweit ihre Bücher überhaupt verfügbar waren. Das hat sich geändert, seit ihre Romane - von 1977 bis 1984 - im Reclam Verlag zum ersten Mal vollständig in deutscher Übersetzung erschienen.
Jede Darstellung von Jane Austen steht vor der Schwierigkeit, dass das biographische Material über sie keineswegs reichhaltig, ja für bestimmte Perioden ihres Lebens geradezu dürftig ist. Das hat mehrere Gründe. Der außerordentlichen heutigen Beliebtheit ihrer Bücher, ihrem überwältigenden Nachruhm, der sie selbst zweifellos sehr überrascht hätte, steht die Anonymität ihres Daseins als Kontrast gegenüber. Sie lebte zurückgezogen im Kreis ihrer Familie in der englischen Provinz und kannte keine einzige literarische Persönlichkeit ihrer Zeit. Ihre Bücher erschienen anonym. Nicht einmal ihre weitere Familie wusste zunächst, dass sie Schriftstellerin war. Sie ließ die Blätter, auf denen sie ihre Manuskripte schrieb, unter ein Löschblatt gleiten, wenn jemand das Zimmer betrat, und unternahm nichts gegen das Quietschen der Zimmertür, weil es sie rechtzeitig warnte. Eine ihrer Nichten nahm in einer Buchhandlung in ihrem Beisein ihren ersten Roman in die Hand und legte ihn mit einer abfälligen Bemerkung über den Titel wieder auf den Tisch zurück. Ihr ältester Neffe fiel aus allen Wolken, als er drei Jahre vor ihrem Tod erfuhr, dass sie die Romane geschrieben hatte, die er so bewunderte. Er machte ihr sein Kompliment in einem reizenden Scherzgedicht, dessen Anfang lautet:
Ich war überrascht, die Luft blieb mir weg,
Ich bekam, liebe Tante, einen furchtbaren Schreck
Wie das arglose Schwein, das der Fleischer ersticht,
Als ich erfuhr, dass Verwandtschaft ich habe,
Die Bücher zu schreiben hat die glänzende Gabe,
Die ganz England jetzt liest - ich ahnte es nicht.
Sollte der Prinzregent davon erfahren, so heißt es in den letzten Zeilen,
Dann macht er zur Gräfin dich ohne Frage,
Und zwar zur Belohnung - ich weiß es genau -
Und wenn die Prinzessin beschließt ihre Tage,
Dann macht er dich sicher zu seiner Frau. (B 152)
Gerade als Jane Austen berühmt zu werden begann und der Schleier ihrer Autorschaft sich lüftete, starb sie. Es gibt nur ein einziges authentisches Porträt von ihr - ein flüchtiges Aquarell ihrer Schwester, das nach...
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