Schweitzer Fachinformationen
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Carl Finch leidet an chronischem Geldmangel. Schon immer. Er bittet seine Stiefschwester Harriet um Hilfe, die ihm auch zusteht, wie er denkt. Denn sein Vater hat ihr das große Herrenhaus der Familie in Gloucestershire vermacht, und Carl ist mehr oder weniger leer ausgegangen. Als Carls Leiche daraufhin in einem Waldstück beim Herrenhaus gefunden wird, beginnen Campbell und Carter zu ermitteln und stoßen rasch auf eine Wand aus Lügen - und viele Verdächtige ...
Es regnete in Oxford, wie im größten Teil des restlichen Landes auch. Reisende eilten entlang der Reihe von Bushaltestellen in der Magdalen Street und überflogen die aufgelisteten Nummern auf den Metalltafeln an jeder davon. Ein optimistischer Geiger brachte den Passanten ein Ständchen dar, doch niemand beachtete ihn. Seine Entscheidung, in einer überdachten Lücke zwischen zwei Läden vor dem Wetter Schutz zu suchen, half auch nicht gerade weiter, weil er nun im Schatten verborgen war. Die klagenden Noten wehten aus seinem Unterstand auf die Straße, ohne Beachtung zu finden. Niemand blieb stehen, um eine Münze in den offenen Geigenkasten auf dem Boden vor ihm zu werfen.
Carl Finch sah ihn ebenfalls, und wie alle anderen auch blieb er nicht stehen, um ihm etwas Geld zu geben. Carl hatte selbst gerade einen finanziellen Engpass. Er akzeptierte den Versuch des Straßenmusikanten, sich etwas Geld zu verdienen, auch wenn ihm selbst das Kratzen einer Violine nie sonderlich zugesagt hatte. Doch leider, dachte er grimmig bei sich (und er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es sein natürliches Recht war und ihm zustand), solange er nicht das Geld bekam, das ihm zustand, blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst zu verzweifelten Maßnahmen zu greifen.
Er war Anfang vierzig, kräftig gebaut mit langen rötlich-blonden Haaren und heller Haut. Missmutig, wie er derzeit dreinblickte, erinnerte er an einen nordischen Krieger, der soeben von einem Langschiff gesprungen war und durch das Wasser in Richtung der unverteidigten Küste platschte, das Schwert in der Hand. Die Menschen gingen ihm aus dem Weg.
Doch der Schein trog. Carl war ein geplagter Mann. Er hatte mehr mit den verängstigten Mönchen einer sturmgepeitschten Abtei gemeinsam, die die Nachricht von den Eindringlingen erhalten hatten, als mit den Angreifern. Kein Mönch hätte inbrünstiger um den Erlöser beten können, als Carl dies tat.
Ein Bus steuerte die Haltestelle an, die Carl soeben passierte, und er sah, dass er auf seiner Route durch die Banbury Road fahren würde, also stieg Carl ein. Es gab keine freien Sitzplätze, daher stand er, machtlos eingepfercht zwischen den anderen regendurchtränkten Fahrgästen: alten Frauen mit Plastiktragetaschen, jungen Müttern mit ihren Kleinkindern, verunsicherten Touristen sowie einem älteren Mann, der aussah, als hätte er irgendwann einmal etwas mit der Universität zu tun gehabt und wäre inzwischen genauso verärgert über die ganze Welt wie Carl.
Er sprang in Summertown raus und marschierte mit schnellen Schritten an den Läden vorbei, bis er in eine der Seitenstraßen einbog und vielleicht fünf Minuten später vor seinem Ziel angelangt war, einem schmalen viktorianischen Reihenhaus. Es stand ein wenig von der Straße zurück, abgetrennt durch ein niedriges Ziegelmäuerchen und einen gepflasterten Vorgarten. Die Vorhänge waren bereits zugezogen, denn es war zwar technisch gesehen noch Nachmittag, doch die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt. Im Innern des Hauses war eine Lampe eingeschaltet worden, und das gelbe Licht fiel durch einen schmalen Spalt nach draußen. Edgar Alcott schätzte seine Privatsphäre. Andererseits spähte er gerne nach draußen, um zu sehen, wer vor seiner Türschwelle stand und Einlass begehrte.
Er erkannte Carl, öffnete ihm und bat ihn herein. »Mein lieber Freund«, begrüßte er seinen Besucher. »Was für ein furchtbarer Tag. Wie schön, dass Sie vorbeigekommen sind.«
Carl entledigte sich seiner nassen Barbour-Jacke, hängte sie an einen Haken im schmalen Flur und folgte seinem Gastgeber in einen Raum, den Alcott »Salon« zu nennen pflegte, auch wenn er nicht viel größer war als eine Briefmarke. Doch Edgar gehörte zu der gewissenhaften Sorte von Leuten und mochte es, wenn die Dinge »richtig« waren.
Er selbst war ein lebendes Beispiel für seine Philosophie. Er war stets und zu jeder Tageszeit passend gekleidet, mit sauberem Hemd, sorgfältig geknoteter Krawatte (passend zum Hemd), Hosen mit rasiermesserscharfen Bügelfalten und auf Hochglanz polierten Schuhen. Edgar selbst hatte etwas Hochglanzpoliertes an sich. Es war unmöglich, sein Alter einzuschätzen. Er hatte die frische faltenlose Haut von jemandem, der viel jünger war, und sein Haar, obwohl ergraut, war dicht und elastisch.
Carl glaubte nicht eine Sekunde, dass sein Gegenüber schon immer den Namen Edgar Alcott getragen hatte. Zweifellos gab es reichlich Leute mit dem Familiennamen, doch Carl kannte niemanden. Er glaubte sich zu erinnern, dass seine Stiefschwester als kleines Mädchen ein Buch besessen hatte mit dem Titel Little Women, geschrieben von einer Frau namens Alcott, doch das war auch schon alles. Er vermutete auch, dass der Vorname Edgar später angenommen worden war, auch wenn er keinen Grund zu dieser Annahme hatte, außer, dass der Name irgendwie nicht zu der Person vor ihm passte. Wie dem auch sei, Edgar Alcott gab niemals Informationen über sich preis, und irgendwie kam es nicht dazu, dass man fragen konnte. Er strahlte Carl an und erkundigte sich höflich, ob der Besucher eine Tasse Tee haben mochte oder vielleicht etwas Stärkeres? Fremde, die ihm auf der Straße begegneten, vermuteten in ihm wahrscheinlich einen harmlosen älteren Burschen, doch Edgar war alles andere als harmlos. Die hellen blauen Augen unter den ergrauten geschwungenen Brauen glitzerten hart wie polierter Stahl.
Carl bat um einen Whisky, weil er ihn nötig hatte. Edgar schenkte ihn ein, doch er verzichtete auf ein zweites Glas für sich selbst.
»Es ist noch zu früh für mich, alter Freund. Soda? Oder vielleicht Wasser? Ein furchtbar geschmackloser Kerl hat mich mal gefragt, ob ich vielleicht Ginger Ale hätte. Ich habe nie wieder Geschäfte mit ihm gemacht!«
Carl bedankte sich und erwiderte, er wolle seinen Whisky pur. Edgar schüttelte leicht den Kopf, doch er gab keine Einwände von sich. Während Carl ihn beobachtete, überlegte er missmutig, dass sein Gastgeber ein Meister darin war, Menschen und Situationen zu kontrollieren. Carl musste jedes Mal nach Oxford fahren, wenn er mit ihm über Geschäfte sprechen wollte, ganz gleich wie dringend, weil Edgar, der selbst kein Auto fuhr, darauf bestand, dass Fahrten mit dem Zug »ungesund« wären. Abgesehen von Zügen verabscheute Edgar Katzen. Das hatte zu der einen und einzigen Gelegenheit geführt, bei der Carl zugegen gewesen war, als Edgar die Kontrolle verloren hatte. Ein freundlicher Kater hatte es gewagt, sich auf Edgars niedriger Gartenmauer niederzulassen. Carl hatte das Tier gestreichelt, als Edgar in Rage aus dem Haus geplatzt war, das Gesicht hochrot und mit hervorquellenden Augen, und das Tier angeschrien hatte, es solle verschwinden. Der Kater war dieser Aufforderung klugerweise unverzüglich nachgekommen. Der Zwischenfall hatte nur wenige Sekunden gedauert, und gleich danach war Edgar wieder ganz sein unerschütterliches altes Selbst gewesen.
»Es sind so widerlich unhygienische Geschöpfe!«, hatte er zu Carl gesagt, während er seinen Besucher ins Haus geführt hatte.
Nachdem Edgar das Glas an Carl weitergereicht hatte, setzte er sich in einen gestreiften viktorianischen Lehnsessel, schlug die Beine übereinander, verschränkte die sehr weißen Hände im Schoß und sah Carl fragend an. »Nun? Haben Sie gute Nachrichten für mich? Oder besser noch, vorzeigbare Erfolge? Ich hoffe es doch sehr. Es war so ein trüber, dunkler Tag, und ich brauche unbedingt etwas, um mich aufzumuntern.«
»Ich habe kein Geld mitgebracht, Edgar, bitte verzeihen Sie. Es war einfach unmöglich, eine so große Summe zu besorgen. Ich habe alles versucht.«
Edgar seufzte. »Ich hatte solches Vertrauen in Sie, und doch haben Sie mich im Stich gelassen. Das ist unverzeihlich, mein Freund. Was um alles in der Welt ist schiefgelaufen?«
Hätte Carl ehrlich geantwortet, er hätte »So gut wie alles« sagen müssen. Doch es war wichtig, dass er nach außen hin zuversichtlich wirkte. »Sie bekommen Ihr Geld, Edgar. Aber es dauert länger, als wir zunächst angenommen haben. Die Firma hat nicht mit einer einheimischen Opposition gerechnet. Doch sie arbeitet an dem Problem, und wenn Sie sich vielleicht noch ein klein wenig gedulden .«
»War ich nicht lange genug geduldig?«, fragte Edgar in jenem sanften Tonfall, der Carl immer einen Schauer über den Rücken jagte. Er errötete und atmete tief durch. Er musste ruhig und selbstbewusst klingen. Sein Whiskyglas war leer, und er hätte dringend noch einen zweiten benötigt. Doch Edgar machte keine Anstalten, das Glas wieder aufzufüllen. »Ich habe ebenfalls Geld verloren, Edgar«, fuhr Carl fort. »Bitte verstehen Sie, dass ich im Moment einfach kein Geld .«
»Genug ist genug, Carl!«, unterbrach ihn Edgar. »Ich brauche mein Geld wirklich schnell, wissen Sie? Ich bin ein Geschäftsmann und kein Wohltätigkeitsinstitut. Ich bin nicht unvernünftig. Sie können es mir in zwei Raten zahlen. Allerdings möchte ich die erste noch vor Ende des Monats sehen.«
»Hören Sie«, sprudelte Carl verzweifelt hervor. »Ich vereinbare ein Treffen mit meiner Schwester .«
»Sie haben Ihre Stiefschwester bereits erwähnt. Wird sie Ihnen das Geld vorschießen?« Edgars Augen glitzerten wie Eiszapfen in einem winterlichen Sonnenstrahl - die Betonung war eine Erinnerung, dass der Sprecher Akkuratesse liebte.
Carl errötete. »Nein, nicht sogleich. Tatsache ist, es gibt ein Anwesen, das Old Nunnery. Ich habe es schon einmal erwähnt. Es wird zu einer Belastung für Harriet, und ich glaube, sie wird auf einen, wie ich meine, sehr vernünftigen Vorschlag von meiner Seite hören. Das ganze Anwesen verkaufen, Haus und Land. Es ist schließlich naheliegend. Wir werden den Erlös teilen. Ich bin sicher. Es wäre genug, um uns...
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