1. Kapitel
»Na, das ist ja großartig«, grummelte Sophia, als sie hinter dem Wagen stand und die Bescherung betrachtete. Denise hatte beim Zurücksetzen in die Parklücke einen Pfosten übersehen, der im Gegensatz zur Stoßstange und zur Heckklappe von Sophias Wagen beim Kontakt kein bisschen nachgegeben hatte.
»Da lasse ich dich einmal in meinem Pacer ans Lenkrad, und prompt fährst du ihn mir zu Schrott!«
»Tut mir leid«, erwiderte Denise betrübt, während sie nach einer Erklärung suchte, wie das hatte passieren können. »Ich weiß auch nicht, Sophia, aber dieses Auto ist total unübersichtlich. Und außerdem gibt's hier nicht mal eine Einparkhilfe.«
»Ja, ja, und ein Navi hat mein Wagen auch nicht, und trotzdem haben wir den ganzen Weg bis nach Florida geschafft, ohne uns ein einziges Mal zu verfahren«, zischte sie. »Ich liebe dieses Auto, und das weißt du. Seit mein Onkel ...«
»Dir das kleine rote Modellauto geschenkt hat, als du fünf warst«, fiel Denise ihr ein wenig ungehalten ins Wort, »wolltest du einen Pacer haben. Ich weiß, ich weiß. Warum konnte dir dein Onkel nicht einen kleinen Rolls-Royce schenken? Dann würden wir heute wenigstens wie die Scheichs auftreten. Oder einen Mercedes. Dann wären wir so wie die Ewing-Frauen aus >Dallas<. Pam und ... Hey, wie hieß die andere noch mal?«
Sophia schüttelte den Kopf. »Meinst du, das interessiert mich im Moment?«
Denise hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, schon gut. Ich wollte nur für ein bisschen bessere Laune sorgen.«
»Denkst du, mir ist im Moment nach besserer Laune?«, fuhr Sophia sie an und fuhr sich mit der Hand durch ihre langen rotblonden Haare, die ihr der vom Golf kommende Wind immer wieder ins Gesicht wehte. »Hast du eine Ahnung, was das kostet, diese Beule rauszukriegen?«
»Nö«, meinte Denise mit einem Schulterzucken. »Aber ich werd's bezahlen, keine Panik.«
Schnaubend drehte sich Sophia zu ihr um und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Also weißt du ...«
»Ach, komm schon, Sophia«, fiel Denise ihrer Freundin abermals ins Wort. »Wenn du jetzt für den Rest unseres Urlaubs wegen einer dämlichen Beule auf mich sauer sein willst, dann sag es mir lieber jetzt sofort. Dann nehme ich mir nämlich ein Taxi und lasse mich zum Flughafen fahren, damit ich nach Hause fliegen kann. Lieber sitze ich zu Hause rum, als mir deine Vorwürfe anhören zu müssen.« Sie sah sie abwartend an. »Also?«
»Also was?«
»Willst du weiter sauer auf mich sein?«
Sophia verzog den Mund, da sie sich ein Lächeln nur schwer verkneifen konnte. Denise war einfach eine unverbesserliche Optimistin. »Aber du setzt dich nicht noch mal ans Steuer, damit das klar ist«, murmelte sie und ging in die Hocke, um sich das Kofferraumschloss anzusehen. »Oh weh.«
»Was heißt >oh weh<?«, wollte Denise wissen und hockte sich ebenfalls hin.
»Der Poller hat das Schloss nach innen gedrückt. Keine Ahnung, ob die Heckklappe noch aufgeht.«
»Oje«, stimmte Denise ihr zu. »Das ist allerdings übel.«
Mit einer Hand schob Sophia den Schlüssel ins Schloss und bewegte ihn vorsichtig hin und her, mit der anderen versuchte sie die Klappe anzuheben - jedoch ohne Erfolg. »Zu dumm, dass die Rückbank nur vom Kofferraum aus umgeklappt werden kann, sonst könnten wir wenigstens von drinnen an unser Gepäck.«
»Dann müssen wir wohl eine Werkstatt suchen«, überlegte ihre Freundin. »Hoffentlich kennen die sich mit dem Wagen aus und können uns helfen.«
»Notfalls müssen die eben die Rückbank rausreißen, wenn gar nichts anderes hilft.«
»Oh Mann, das wird aber ein teures Vergn...«, begann Denise, bemerkte aber Sophias unmissverständlichen Blick und verstummte mitten im Satz. Sie schluckte und dachte mit Grausen daran, welche Kosten damit auf sie zukamen. Wahrscheinlich hätte sich Sophia für das gleiche Geld auch einen anderen Wagen kaufen können ... einen übersichtlicheren ... einen mit Einparkhilfe ...
»Pass auf«, sagte Sophia und richtete sich auf. »Du versuchst von hier, die Klappe zu öffnen, ich klettere auf die Rückbank und drücke von innen gegen die Heckscheibe.«
»Alles klar.« Sie ging in Position, während ihre Freundin in den Wagen stieg und die Hände gegen die Scheibe legte.
»Drei ... zwei ... eins ... jetzt!«, rief Sophia von drinnen, und dann versuchten sie gleichzeitig, die Heckklappe zu öffnen, doch es rührte sich nichts.
»Noch mal«, forderte Sophia sie auf und setzte zum nächsten Anlauf an. Abermals passierte nichts, und sie schüttelte frustriert den Kopf. »Das bringt nichts.«
»Komm, lass es uns wenigstens noch einmal versuchen«, gab Denise zurück. »Wie heißt das Sprichwort? Aller guten Dinge sind drei?«
Ihre Freundin verzog den Mund, stemmte sich aber erneut mit aller Kraft gegen die Scheibe, während sie von außen die Kante der Heckklappe ergriff und mit dem Daumen das Schloss eindrückte. Sie zog so kräftig sie konnte, aber die Klappe bewegte sich nicht einen Millimeter ... bis sie auf einmal förmlich hochgerissen wurde und Denises Gesicht nur knapp verfehlte.
Sie machte einen Satz nach hinten, um nicht von der Blechkante getroffen zu werden, stieß gegen den hinter ihnen geparkten Wagen und fiel rücklings auf dessen Motorhaube. Gleichzeitig verlor Sophia auf der Rückbank den Halt, kippte auf die dünne Kunststoffabdeckung über dem Kofferraum und riss die Plastikstifte aus den Scharnieren, sodass die Abdeckung auf dem Gepäck landete und dann durch die Wucht von Sophias Aufprall nach draußen gedrückt wurde.
Dass dabei mit der Abdeckung etwas aus dem Kofferraum rutschte, konnte keine von ihnen sehen, dafür hörten sie den anschließenden Knall nur zu deutlich. Es klang danach, dass etwas Schweres in einer Plastikhülle auf dem Asphalt aufschlug.
Sophia riss vor Schreck die Augen auf. Etwas Schweres in einer Plastikhülle, das im Kofferraum ganz zuoberst gelegen hatte ... das konnte eigentlich nur eines bedeuten ...
»Mein Laptop!«, rief sie panisch und versuchte, aus dem Zweitürer auszusteigen, verhedderte sich aber im Sicherheitsgurt, sodass sie fast aus dem Wagen gefallen wäre.
Denise lag auf der Motorhaube des Wagens hinter ihnen und hielt sich den Kopf.
»Hast du dir wehgetan?«, fragte Sophia besorgt und vergaß für einen Moment den Grund für ihr Entsetzen.
»Nein, nein, geht schon«, beteuerte Denise und stützte sich auf, damit sie sich umdrehen konnte. »Sieh mal, die Haube hat keine Beule abbekommen, also kann's nicht so schlimm gewesen sein.«
»Oh, gut, dann bin ich ja beruhigt«, sagte Sophia, nachdem sie tief durchgeatmet hatte, und half ihrer Freundin vom Wagen herunter. »Lass mich trotzdem mal nachsehen. Dreh den Kopf ... nein, immerhin blutest du nicht«, stellte sie einigermaßen beruhigt fest, nachdem sie ihre Haare an verschiedenen Stellen geteilt und die Kopfhaut gesehen hatte. Als sie sich dann umwandte, sah sie die Bescherung.
Es war tatsächlich ihr Laptop, der aus dem Kofferraum gefallen und auf der Straße gelandet war - und das so unglücklich, dass ein Teil des Gehäuses zersplittert war. Sie bückte sich und wollte den Computer hochnehmen, da sah sie, wie eine Handvoll Tasten aus dem leicht geöffneten Gerät rutschten und zu Boden fielen. Mit zitternden Fingern öffnete sie den Laptop und ließ entmutigt die Schultern sinken, als sie sah, dass der Monitor einen Riss abbekommen hatte. »Das darf doch nicht wahr sein. Ich muss mein Blog schreiben, ich brauche meinen Laptop! Und dabei soll der einen Fall aus zwei Metern Höhe unbeschadet überstehen«, murmelte sie ungläubig.
»Vermutlich nur, wenn er auf einer Luftmatratze landet«, konterte Denise, dann fügte sie leiser hinzu: »Entschuldige, dass ich deinen Laptop nicht aufgefangen habe.«
Sophia winkte abwehrend. »Dafür kannst du doch nichts, das kommt doch nur dadurch, dass ich die Abdeckung versehentlich aus dem Wagen befördert habe - und mit ihr den Rechner.« Sie verzog missmutig den Mund. »Ich muss unbedingt irgendwo Ersatz herbekommen. Meine Zeitung will heute Abend die neuen Fotos von mir geliefert bekommen.«
»Hast du keine Telefonnummer vom Hersteller?«, fragte Denise. »Vielleicht können die dir ja sagen, wo sich deren nächste Filiale befindet.«
»Die haben keine Filialen, das ist ja das Besondere«, machte Sophia ihr klar. »Das Händlernetz verschlingt unglaublich viel Geld, und wenn alles online geregelt wird, dann hat man immer günstigere Preise als die Konkurrenz.«
»Ich habe das Prinzip noch nie begriffen«, entgegnete sie, »dass dein PC sich bei einem Problem selbstständig mit dem Hersteller in Verbindung setzen soll, um nach einer Lösung zu...