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Meine Mutter war eine thrakische Sklavin, die bei meiner Geburt starb, daher erinnere ich mich nicht an sie. Zweifellos wäre ich ebenfalls gestorben, wie es ungewollten Kindern eben ergeht, wäre Iras' Mutter nicht eingeschritten. Asetnefer stammte aus Elephantine, wo der Nil bei den großen Schluchten aus Nubien heraus- und nach Ägypten hineinströmt. Ihre eigene Tochter war fünf Monate alt, und sie legte mich an ihre Brust, ein blasser Winzling von einem Neugeborenen neben meiner Ziehschwester. Sie war bei der Geburt dabei gewesen, und es traf sie sehr, als meine Mutter starb.
Ich weiß nicht, ob sie richtig befreundet waren. Später hörte ich Gerede, dass der Pharao sie oft zusammen zu sich gerufen hatte, weil ihm der Kontrast zwischen ihnen gefiel; die Schönheit des goldenen Haares meiner Mutter im Gegensatz zu Asetnefers ebenholzschwarzer Haut. Vielleicht stimmte es, und vielleicht auch nicht. Nicht jede Geschichte, die bei Hofe erzählt wird, ist wahr.
Was immer sie auch für Gründe gehabt hatte, Asetnefer stillte mich, als wäre ich ihr zweites eigenes Kind, und sie ist die Mutter, an die ich mich erinnere, und Iras meine Zwillingsschwester. Einige Jahre vor Iras hatte sie einen Sohn geboren, doch er war mit drei Jahren ertrunken, bevor meine Schwester und ich zur Welt kamen. Diese Tragödie prägte unser junges Leben mehr als alles andere, glaube ich, obgleich wir nicht um ihn trauerten, da wir ihn ja nicht gekannt hatten. Asetnefer gab sehr auf uns acht. Wir sollten nicht außer Sichtweite anderer Leute spielen, wir sollten uns nicht von ihr entfernen, während sie arbeitete. Sie trug uns beide, jede in einer Stoffschlinge, eine auf jeder Hüfte, Iras links und mich rechts, bis wir zu schwer wurden und wie große Kinder auf unseren eigenen Füßen laufen mussten. Asetnefer war frei geboren, und ohne Zweifel gab es eine Geschichte dazu, wie es gekommen war, dass sie eine Sklavin in Alexandria am Meer war, doch ich in meiner Unschuld fragte nie danach.
Und so ist dies das Erste, woran ich mich erinnere: die Höfe des großen Palasts von Alexandria, die Sklavenunterkünfte und die Küchen, der Hafen und der Markt und der Hof der Vögel, wo ich zur Welt gekommen war. Im Palast, wie an allen zivilisierten Orten, war Koine die Sprache der Wahl - jene Form des Griechischen, in der sich gebildete Menschen von einem Ende der Welt bis zum anderen miteinander unterhalten - , in den Sklavenunterkünften jedoch wurde Ägyptisch gesprochen. Meine Augen hatten die Farbe von Lapislazuli, und mein Haar mochte in der Sonne wie Bronze leuchten, doch das Amulett, das ich um den Hals trug, war nicht das der Artemis, sondern eine irdene blaue Katze der Bastet.
Das war wahrlich nichts Seltsames. Hier gab es goldhaarige Sklaven aus Epirus und vom Schwarzen Meer, schroffe Nubier und Sardinier, Männer aus Griechenland, die in Not geraten waren, Söldner aus Parthien und Italien. Die ganze Welt traf sich in Alexandria, und jede Sprache, die auf der Erde gesprochen wird, war auf den Straßen und in den Sklavenunterkünften der Stadt zu hören. Ein Viertel der Stadtbevölkerung waren Juden, und es hieß, in Alexandria gäbe es mehr Juden als in Jerusalem. Sie hatten ihr eigenes Viertel mit Läden und Theatern und ihren eigenen Tempeln, doch man konnte die Juden gar nicht zählen, die im Museum oder in der Bibliothek studierten oder dort lehrten. Ein Mann konnte einen griechischen Namen und blondes Haar haben und doch den jüdischen Sabbat begehen, wenn ihm der Sinn danach stand. Es war also nicht weiter wichtig, dass ich griechisch aussah und mich wie eine Ägypterin benahm.
Iras dagegen sah so ägyptisch aus, wie es nur möglich war, und besaß den Verstand eines skeptischen Philosophen. Von frühesten Kindertagen an hörte sie nie auf, Warum? zu fragen. Warum wogt die See gegen die Hafenmole? Warum leuchten die Sterne? Was verhindert, dass wir vom Boden emporfliegen? Ihr schwarzes Haar schmiegte sich glatt in die schweren Zöpfe, aus denen meins immer herausrutschte, und ihre Haut war Honig, während die meine Milch war. Wir waren uns so ähnlich wie Nacht und Tag, Teile ein und desselben Dings, Seiten ein und derselben Münze.
Die Wogen drängen gegen die Hafenmole, weil Isis sie schickt, und die Sterne sind die fernen Lagerfeuer von Menschen, die am Himmel im Freien übernachten. Wir konnten nicht fliegen, weil wir es, genau wie junge Vögel, noch nicht gelernt hatten, und sollten wir es doch tun, so würden wir unsere Körper abstreifen, und unsere geflügelten Seelen würden durch die Luft tollen, würden spielen und sich jagen wie Schwalben. Die Welt war Magie, und ihr Zauber sollte kein Ende haben, so wie all die Dinge kein Ende hatten, die Iras' Neugier erregten. Und so waren wir, als wir zum ersten Mal Prinzessin Kleopatra begegneten.
Da man weiß, was alles aus ihr wurde, wird oft angenommen, dass sie in diesem Alter eigenwillig und herrisch war. Nichts ist ferner von der Wahrheit. Zuerst einmal war sie das fünfte Kind und die dritte Tochter, und man maß ihr keine große Bedeutung bei. Auch ihre Mutter war tot, und die neue Gemahlin des Pharao hatte bereits eine vierte Prinzessin zur Welt gebracht. Es gab wenig Grund, sie zur Kenntnis zu nehmen, eine Kleopatra mehr in einer Dynastie voller Kleopatras. Mir fiel sie nur auf, weil sie in meinem Alter war.
Genau gesagt stand sie vom Alter her exakt zwischen mir und Iras, geboren unter den Sternen des Winters im selben Jahr wie wir, und als ich sie kennenlernte, wusste ich nicht, wer sie war.
Iras und ich waren fünf Jahre alt und genossen einen seltenen Moment der Freiheit. Jemand hatte Asetnefer von uns fortgerufen, und Iras und ich waren zurückgeblieben und spielten unter der Aufsicht der Hälfte aller anderen Sklavinnen im Hof der Vögel. Dort gab es einen Brunnen mit verwitterten Vogelmosaiken rund um das Fundament, und wir spielten ein Spritzspiel. Eine sprang in den Brunnen und spritzte Wasser nach der anderen, die versuchte, nicht nass zu werden, und darauf wartete, dass sie mit Spritzen an der Reihe war. Als ich gerade vor einer Handvoll kaltem Wasser floh, fiel mir ein Mädchen auf, das uns mit sehnsüchtiger Miene zusah. Sie hatte weiches braunes Haar, das ihr bis über den Rücken fiel und große braune Augen, die fast rund wirkten, gesäumt von rußschwarzen Wimpern. Gekleidet war sie in einen schlichten weißen Chiton und einen Gürtel, und sie war genauso groß wie ich. Ich lächelte sie an.
Daraufhin kam sie aus dem Schatten des Balkons über ihr heraus und fragte, ob sie mitspielen dürfe.
»Wenn du schnell genug rennen kannst«, meinte Iras.
»Ich kann rennen«, versicherte sie, und ihr Kinn hob sich, schneller als eine Schlange schöpfte sie eine Handvoll Wasser und schleuderte es auf Iras.
Iras quietschte, und das Spiel war sogleich wieder in vollem Gange, ein »Spritzen im Dreieck«-Spiel ohne Regeln.
So ging es, bis Asetnefer zurückkam. Sofort rief sie uns zur Ordnung und schalt uns, weil unsere Kleider nass waren. Und dann erblickte sie das andere Mädchen, und ihre Miene veränderte sich.
»Prinzessin«, sagte sie ernst, »Ihr sollte nicht hier sein, sondern in den königlichen Kindergemächern. Bestimmt sucht man nach Euch und fürchtet, dass Ihr zu Schaden gekommen sein könntet.«
Kleopatra zuckte die Schultern. »Die merken es nie, wenn ich weg bin«, sagte sie. »Da sind doch Arsinoe und das neue Geschwisterchen; was aus mir wird, kümmert niemanden.« Wie eine Erwachsene sah sie Asetnefer unverwandt in die Augen, und in ihrer Stimme lag keinerlei Selbstmitleid. »Warum kann ich nicht hierbleiben und spielen? Hier passiert mir doch nichts Schlimmes.«
»Euren Vater, den Pharao, wird es kümmern, wenn Euch etwas zustößt«, erwiderte Asetnefer. »Obwohl es ja stimmt, dass Ihr hier sicher seid.« Eine Falte bildete sich zwischen ihren Brauen, und sie schaute von der Prinzessin zu Iras, die Kleopatra um eine halbe Haupteslänge überragte, und dann zu mir, die mit schief gelegtem Kopf dastand.
Eine Prinzessin, dachte ich. Sie sieht gar nicht aus wie eine Göttin auf Erden. Zumindest nicht so, wie ich mir eine Göttin vorstelle.
»Hat er denn keinen Tutor für Euch bestellt?«, erkundigte sich Asetnefer. »Ihr seid doch zu alt für die Kinderstube.«
Wieder zuckte Kleopatra die Schultern. »Das hat er wohl vergessen.«
»Vielleicht fällt es ihm ja wieder ein«, meinte Asetnefer. »Ich bringe Euch jetzt zurück, bevor sich noch jemand Sorgen macht. Mädchen! Iras! Charmian! Zieht euch etwas Trockenes an und benehmt euch, bis ich wiederkomme.«
Sie kam erst zurück, als aus dem Nachmittag die kühlen Schatten des Abends geworden waren und die Vögel in den Zitronenbäumen sangen. Als Iras und ich uns in unserer Kammer in ein und dasselbe Bett kuschelten, wurde es schon Nacht; der Duft von mit Koriander gebratenem Fleisch drang durch den Türvorhang. Iras schlief wie so oft sofort ein, doch ich fand keine Ruhe. Ich löste mich von Iras' schläfriger Last und ging hinaus, um mit den Frauen in der kühlen Nachtluft zu sitzen. Asetnefer saß allein am Brunnen, den hübschen Kopf zum Wasser geneigt, als bedrücke sie etwas.
Wortlos trat ich neben sie.
»Hier bist du geboren worden«, sagte sie leise, »in einer Nacht wie dieser. Eine Frühlingsnacht, als die Ernte eingebracht wurde und das ganze Land grün war; das ist das Geschenk des Nils, das Geschenk der Isis.«
»Ich weiß«, antwortete ich, denn ich hatte diese Geschichte schon öfter gehört, doch sie machte mich nicht...
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