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Der weiße Mann hielt den Atem an und bewegte sich nicht. Ein Moskito saugte gierig an seinem Hals, doch er biss die Zähne zusammen. Für einen Moment dachte er an die fünfstellige Summe, die das große Doppelhorn auf dem Schwarzmarkt in Ostasien leicht einbringen könnte. Bis zu fünfzehntausend Dollar für ein Kilogramm! Der Lauf des Gewehrs richtete sich auf den Körper des Bullen, der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Ruhig äsend stand ihm das imposante Tier gegenüber.
Doch dann drehte sich der Wind und das Schwarze Nashorn hob schnaubend den massigen Kopf, nahm die Witterung auf und ein leichtes Zittern ging durch den grauen, von Striemen und Narben überzogenen Körper. Das Mahlen der gewaltigen Backenzähne hörte auf, die spitze Oberlippe, mit der es geschickt die kleinsten saftigen Blätter aus dem dornigen Akaziengestrüpp pflücken konnte, verzog sich zu einem Flehmen und für einen kurzen Augenblick wurde das rosige Fleisch der Innenseite sichtbar. Auf diese Weise kontrollierte das Tier unter normalen Umständen das Geschlecht und die Paarungsbereitschaft eines anderen Nashorns. Doch jetzt war es verunsichert und bediente sich aller Sinne, um die Gefahr zu orten. Es blähte seine Nüstern und gleichzeitig hatten seine Ohren den warnenden Go-away-Ruf des Graulärmvogels wahrgenommen.
Es gab keine natürlichen Feinde, die dem alten Nashornbullen gefährlich werden konnten. Er war mit seinen eineinhalb Tonnen Gewicht und einer Widerristhöhe von fast zwei Metern selbst für ein Rudel ausgewachsener hungriger Löwinnen ein zu großer Brocken. Schon in seiner Jugend hatte er gelernt, sich gegen die listigen Angriffe der Rudeljäger zu verteidigen und sein Horn war eine gefürchtete und todbringende Waffe. Nur zwei Kämpfe in seinem Leben hatte er verloren.
Instinktiv war er damals, vor vielen Jahren, geflohen, nach diesem ohrenbetäubenden Knall, das kreischende Schnauben seiner sterbenden Mutter in den Ohren, die ihn auf diese Weise warnte, nicht zu ihr zurück zu kommen. Erst im Schutz der Nacht hatte er sich aus seinem Versteck im Dornbuschdickicht hervor gewagt und neben dem Kadaver gewacht, den beißenden Geruch des Todes in seiner feinen Nase. Fliegenschwärme umschwirrten, schwarzen Unheil bringenden Wolken gleich, den blutigen Fleischklumpen, den die Äxte der Männer im Schädel seiner Mutter zurück gelassen hatten. Er verteidigte sie gegen die herumstreifenden Hyänen und Schakale, die in immer größeren Rudeln kamen, angelockt vom Modergestank des Kadavers, enger und enger zogen die nächtlichen Jäger ihre Kreise, feige winselnd und jaulend, kläffend und gefährlich knurrend.
Am nächsten Morgen, kurz nachdem die Sonne ihre ersten Strahlen auf die schaurige Szenerie sandte, erschienen die Löwen und verbündeten sich, was ungewöhnlich war, mit den krummbuckligen Hyänen. Es war eine einfache Taktik, mit der sie von nun an gemeinsam gegen den jungen Bullen vorgingen: nachts, wenn der Mond mit seiner fahlen Sichel durch die Regenwolken gedrungen war, funkelten die Augen der Hyänen wie rote Blitze aus allen Himmelsrichtungen, überall ertönte ihr gackerndes Kichern und es gelang ihnen zweimal, blutige Fleischfetzen aus dem Kadaver zu reißen. Kaum war die Sonne aufgegangen, zogen sich die Hyänen zurück und überließen den Löwen das Feld. Vier, fünf Weibchen näherten sich von verschiedenen Seiten, und während der junge Bulle sich den einen zuwandte, griffen die nächsten von hinten an und schlitzten der Nashornkuh den Bauch auf. Geschwächt von der langen Wache, während der er kaum Nahrung zu sich genommen hatte, überließ er seine Mutter schließlich der Übermacht der Feinde. Es war sein erster Kampf gewesen, und er war besiegt worden.
Vier Jahre war er damals alt gewesen, gerade alt genug, um seine eigenen Wege zu gehen, doch noch zu jung, um sich den Artgenossen gegenüber zu behaupten. Der Kampf gegen einen älteren Bullen kostete ihn fast das Leben. Die tiefe Wunde an seiner Schulter war zwar bald verheilt, doch die klaffende Narbe blieb das eindrucksvollste Mal an seinem ganzen geschundenen Körper.
Doch mit der Zeit, hatte er gelernt, die Kämpfe zu gewinnen. Sein Revier wuchs, bald war es größer als das seiner Konkurrenten. Überall in der Savanne markierten seine Dunghaufen die Grenzen seines Hoheitsgebiets. Mit seinen Hinterbeinen nahm er den eigenen Duft auf, indem er die breiten Sohlen in den Exkrementen rieb. So verteilte er seine Markierungen auf Schritt und Tritt und hielt sich die wenigen anderen Bullen vom Leib, die es in den weiten Savannen noch gab. Eigentlich hatte er niemand mehr zu fürchten. Niemand außer den Mördern seiner Mutter.
Sein mächtiges, fast meterlanges Horn zeigte senkrecht zum wolkenlosen Himmel über den grünen Hügeln der Masai Mara. Die kleinen schwarzen Augen suchten nach der vermeintlichen Gefahr, die beweglichen Ohren lauschten in Richtung der Akazie, in deren Schatten der weiße Mann mit dem Gewehr im Anschlag lauerte.
Rob Roloff wusste, dass ihn das Nashorn mit seinen schlechten, von Hautfalten fast versteckten Augen nicht entdecken konnte, aber der warme Wind der Savanne hatte dem Tier seinen Schweißgeruch zugetragen und es war auf der Hut. Nervös scharrte es mit seinem rechten Vorderfuß, wie ein gereizter Stier während der Corrida, unruhig schnaubend versuchte es, seine Umgebung mit all seinen Sinnen zu erfassen, den unsichtbaren Feind zu entdecken.
Das Schwarze Nashorn schwankte zwischen Angriff und Flucht.
Auf dem Zeigefinger des Jägers ließ sich ein Moskito nieder. Vorsichtig versuchte er, das lästige Insekt wegzublasen. Es misslang. Er nahm den Finger langsam vom Abzug und streifte den Moskito an seiner Hose ab. Alsbald zierte Blut den hellen, schmutzigen Stoff.
Die sengende Hitze Ostafrikas ließ die Luft am Horizont flimmern. Rob schwitzte und hätte sich gerne den breitkrempigen Hut weiter in die Stirn geschoben. Vor den grünen Hügeln im Osten glaubte er, einen See zu erkennen, das Wasser einer Fata Morgana. Seine Augen brannten, Schweiß bedeckte sein glatt rasiertes Gesicht und der feine graue Sand der Marasteppe knirschte zwischen seinen Zähnen.
Er hatte über eine Stunde benötigt, um sich zu Fuß gegen den Wind an das Nashorn heranzupirschen. Zwei Tage lang hatte er die Spuren des Tieres verfolgt. Es gab nur noch wenige Schwarze Nashörner in diesem Teil Kenias. Und nur eines mit so prächtigem Horn. Jetzt kauerte er seit einer Viertelstunde hier im Gras zwischen Dornbüschen, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten. Ringsum war es still. Der Schuss musste absolut sicher sein!
Mit dem Nachlassen des Windes hatte sich die Witterung des Feindes verflüchtigt und das Nashorn begann wieder zu äsen. Verspielt fummelte es mit seiner spitzen Greiflippe zwischen den dornigen Akazienzweigen. Der rotschnabelige, drosselgroße Madenhacker auf seinem gewölbten Rücken, Parasitenjäger und Wächter zugleich, pickte wie ein Specht unbekümmert nach den Plagegeistern auf der rauen Haut. Das Nashorn drehte Rob jetzt seine Breitseite zu. >Schieß!< befahl ihm eine innere Stimme. >Wenn du das Tier willst, dann schieß! Jetzt!<
Erneut glitt sein Finger zum Abzug. Rob zielte genau. Wieder hörte er den Warnruf des grauen Go-away-Vogels und im selben Augenblick knackten hinter ihm trockene Äste am Boden. Das Nashorn hob den Kopf, Rob hatte keine Zeit, sich nach dem Geräusch umzusehen. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf: ein Löwe? Ein Leopard? Nein! Kein Raubtier schlich bei dieser sengenden Hitze durch den Busch. Außerdem, Raubkatzen kamen leise, unhörbar, heimlich. Das Geräusch wiederholte sich. Das muss Lebosso sein, dachte Rob. Er hatte den Massai beim Jeep zurückgelassen, dort sollte er auf ihn warten. Verdammt! Was trieb den Kerl ausgerechnet jetzt hierher?
Rob konzentrierte sich auf sein Ziel, hielt den Atem an und drückte ab. Der Schuss klang wie ein harter Trommelschlag. Lärmend erhoben sich die Vögel aus den umliegenden Bäumen, der Madenhacker flüchtete und die Paviane stoben kreischend auf eine Akazie. Im selben Moment bemerkte Rob den Schatten neben sich. Er wandte sich um, hörte ein Rauschen und sah etwas durch die Luft auf sich niederfahren. Dann spürte er nur noch einen rasenden Schmerz im Kopf und fiel in einen gähnenden Abgrund, eine Tiefe, ein Nichts.
Dreißig Meter vor ihm unterbrach der getroffene Nashornbulle schnaubend seinen kurzen Fluchttrab. Er fühlte sich geschwächt und müde, doch sammelte er seine letzten Kräfte für einen Angriff, denn seine Nase signalisierte ihm, dass es die Mörder seiner Mutter waren, die er undeutlich und verschwommen vor sich im Gebüsch sah. Wieder zeterte der Graulärmvögel sein »Go away«, als der zweite Schuss krachte. Diesmal glich er einer Detonation. Das Nashorn ging in die Knie, dann fiel der massige graue Körper mit einem dumpfen Geräusch in das Gras.
Die Hitze war mit einem Mal unerträglich geworden. Rob fühlte, dass sein Kopf glühte. Das Nashorn stand mit weit geöffnetem Rachen über ihm und schnaubte. Es roch entsetzlich nach einer Mischung aus verfaultem Fleisch und ausgelaufenem Benzin. Das Schnauben dröhnte in Robs Kopf und wurde ständig lauter, knatterte wie die nicht enden wollende Salve eines Maschinengewehrs. Das Nashorn senkte langsam seinen Kopf und Rob spürte das spitze Horn auf seiner Brust. Gleich würde es ihn durchbohren und aufspießen. An seinem eigenen Schrei wachte er auf.
Was er sah, verschwamm sofort wieder vor seinen Augen. Sein Kopf tat höllisch weh. Albtraum und Realität...
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