Schweitzer Fachinformationen
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»Hast du keine Lust, für mich heute Abend den Termin in der Neuen Aula zu übernehmen?«
Linda Roloffs Frage hatte etwas Flehendes, aber ihre Kollegin schüttelte den Kopf.
»Tut mir echt leid, aber wenn ich Steffen versetze, habe ich wirklich ein Problem. Wir sehen uns viel zu selten in letzter Zeit. Und ich hab noch genügend anderes zu tun!« Babs seufzte und deutete mit einer saloppen Handbewegung auf den Schreibtisch, wo sich zwischen Bildschirm und Stereoanlage zahlreiche Papiere stapelten.
»Nimm ihn doch einfach mit«, schlug Linda vor. »Als Rechtsanwalt müsste ihn eine akademische Feierstunde für einen Juristen doch interessieren?«
»Ich glaube, er hat sogar eine Einladung bekommen.«
»Na also!«
»Aber er hat gleich gesagt, dass er keine Lust hat, hinzugehen.«
»Ok.« Linda gab auf. »Verstehe ich ja irgendwie. Wenn man die ganze Zeit nur mit Recht und Ordnung zu tun hat…«
»…und als Alternative mit einer hübschen Frau ausgehen kann!«, unterbrach sie Babs und die Freundinnen lachten. Sie kannten sich aus der Studentenzeit und verbrachten, vor allem seit Linda geschieden war, viel Zeit miteinander. Babs war wie Linda freie Journalistin und sie teilten sich ein Redaktionsbüro in dem Sender, der vor allem für die Berichterstattung aus Baden-Württemberg und der Region zuständig war. Beide hatten Spaß an ihrer Arbeit, liebten die Abwechslung von Reportage, Redaktion und Moderation und schoben sich auch immer wieder Themen und Aufträge zu.
»Dann werde ich wohl in den sauren Apfel beißen müssen«, stöhnte Linda, nachdem sich Babs durch kein Argument zu dem Termin überreden ließ.
»Na komm, du kannst dich doch nicht beklagen!« Babs Stimme klang gespielt vorwurfsvoll. »In ein paar Tagen hast du Urlaub, fährst nach Elba! Und morgen noch die Zeppelinreportage! Moment mal…« - schelmisch lächelte die blonde Kollegin und die Sommersprossen auf ihrer Nase schienen zu tanzen, – »… wir können einen Deal machen: Ich geh für dich zur Uni und darf dann in den Zeppelin!«
Linda wusste für einen Augenblick nicht, ob der Vorschlag ihrer Freundin ernst zu nehmen war. Dann, mit einem Blick auf Babs’ übervollen Schreibtisch, sagte sie: »Lass mal gut sein, ich möchte dir nicht noch mehr Arbeit aufhalsen. Mach dir einen gemütlichen Abend mit Steffen, ich krieg das schon irgendwie gebacken.«
»Gut, wie du willst. Womöglich wirst du noch zu einem Flug im Luftschiff eingeladen und mir wird schlecht beim Fliegen. Du liebst ja das große Abenteuer. Was ist eigentlich mit Afrika? Ich dachte, du wolltest bald mal wieder hin?«
Linda schüttelte den Kopf. Sie hatte ihre langen, schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre dunkelbraunen Augen, von denen einige ihrer Freunde behaupteten, sie seien ebenso schwarz wie ihre Haare, blickten abwesend zum Fenster hinaus. Babs kannte diesen Ausdruck im Gesicht ihrer Freundin und sie hatte mit der Zeit gelernt, dass er intensive Sehnsucht und Heimweh nach einem Land widerspiegelte, das sie noch vor zwei Jahren gehasst hatte. Und Verlangen nach einem Mann, der dort lebte und den sie liebte.
Babs wusste, dass Linda dieser großen Liebe schon längst nach Afrika gefolgt wäre, wenn nicht ihre kleine Tochter Sarah in Deutschland zur Schule gehen würde. Linda hätte mit Leichtigkeit alle Zelte abgebrochen, ihren Job aufgegeben, ihre Wohnung in der Tübinger Altstadt verkauft, um zu Alan Scott nach Afrika zu ziehen. Das hatte sie ihr an einem gemeinsamen Abend nach dem dritten Divers Dream in der gemütlichen Altstadtbar erzählt. Sie hatten zusammen die Weiße Massai im Kino gesehen und waren als einzige bis zum Ende des Abspanns sitzen geblieben.
»Ich kann diese Frau verstehen«, hatte Linda geflüstert und sich die Tränen weggewischt. Babs hatte ihre Freundin in den Arm genommen und sie auf einen Cocktail eingeladen. An jenem Abend hatte ihr Linda alles erzählt, ausführlicher denn je zuvor und sie hatte ihr einen Edelstein gezeigt, einen Opal, den sie einst von einer lieben Bekannten in Kenya erhalten hatte. »Du musst ihn dir genau ansehen«, hatte sie gesagt, »hier, siehst du die Kristalle, wie sie funkeln und blitzen? Die Frau, die ihn mir schenkte, hat zu mir gesagt: Dein Leben ist wie dieser Opal. Es kann in allen Farben leuchten oder matt und grau sein. Die Kristalle in diesem Stein leuchten bei jeder kleinen Bewegung anders. Und es ist doch ein- und derselbe Stein. Ich soll mein Leben selbst in die Hand nehmen, hat sie gesagt und es in allen Farben leuchten lassen.«
Linda hatte eine Pause gemacht und an dem türkisblauen Cocktail aus Ananassaft, Kokosmilch, Gin und Blue Cura?ao genippt.
»Und irgendwann werde ich es tun!«
Als im Universitäts-Festsaal der Neuen Aula pünktlich um Viertel nach acht die akademische Feier anlässlich des 80. Geburtstags von Marius Steyn, emeritierter Professor für Strafrecht und Prozessrecht, begann, saß der Mörder nur fünf Reihen hinter seinem ahnungslosen Opfer. Zäh, ja fast endlos zogen sich die Grußworte und Würdigungen der Redner dahin, gelangweilt ließ er seinen Blick über die Wände und die Decke des altehrwürdigen Saals gleiten, lauschte nur halbherzig den Lobeshymnen auf den Jubilar.
Nachdem der Festredner, ein Professor für Öffentliches Recht aus Karlsruhe, seine Ausführungen beendet hatte, und schließlich der Rektor der Universität, der Dekan der juristischen Fakultät, ein Vertreter des Bundesgerichtshofs und die Oberbürgermeisterin der Stadt Tübingen ihre Grußworte überbracht hatten, trat der Jubilar selbst ans Mikrofon.
Der Mann in der sechsten Reihe ließ auch diese Rede regungslos über sich ergehen, bis zu dem Punkt, als Professor Steyn von seinen Zukunftsplänen sprach.
»Es gibt Dinge im Leben, die schiebt man einfach viel zu lange auf«, hörte er da, »Dinge, die einem wichtig sind, die man aber aus Zeitmangel nicht umsetzt. Auch in meinem Leben, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt es diese Schublade, auf der das Etikett unerledigt klebt und die ich dringend leeren muss. Sie alle wissen, dass meine Wurzeln in Südafrika liegen und dass ich in meiner Laufbahn als Jurist das Regime der Apartheid in seiner konsequentesten Ausprägung hautnah erlebt habe. Diese Zeit in Pretoria hat mich stark geprägt, vor allem mein Streben nach Gerechtigkeit und internationalem Recht, wie ich es schließlich hier in dieser wunderschönen Universitätsstadt Tübingen in den vergangenen Jahren lehren und den angehenden Juristen dieser Fakultät weitergeben durfte.«
Der Professor machte eine bedeutungsvolle Pause und registrierte das zustimmende Nicken seiner ehemaligen Studenten, die wie einst in seinen Seminaren der sonoren Stimme gebannt lauschten. Sein Blick blieb eine Sekunde an einem bärtigen Mann in der sechsten Reihe hängen, dessen Gesichtszüge ihm seltsam bekannt vorkamen, jedoch nur weit entfernt, wie aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben. Rasch griff er seinen Faden wieder auf, nicht ohne jedoch den Fremden immer wieder anzublicken, ja anzustarren.
»Ich habe damals diesem Land den Rücken gekehrt, bin emigriert, geflohen vor einer Welle des Terrors und der Ungerechtigkeit, gegen die ich als junger Richter weder Handhabe noch Chance hatte. Ich habe in Deutschland meine neue Heimat gefunden und eine Aufgabe, die meinem Leben einen wahren Sinn gegeben hat. Dafür möchte ich Ihnen danken, Ihnen allen, egal ob Sie für kurze oder lange Strecken, meinen Weg begleitet haben.«
Wieder blieb sein Blick in der sechsten Reihe haften und er glaubte in den Augen des Mannes ein kurzes Aufflackern zu bemerken. Woher kannte er dieses Gesicht?
»Das klingt nach Abschied, und ich gebe offen zu, ich weiß nicht, ob es einer ist. Ich habe Südafrika gerade erst kurz besucht, ein Streifzug, ein Urlaub an der Gartenroute. Doch ich habe mir vorgenommen, noch einmal zurückzukehren in dieses Land, das heute ein freies, ein offenes und ein gerechtes Land ist. Gewiss, ein Land mit Problemen, mit Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Ein Land mit Krankheiten und einer der höchsten Aidsraten weltweit, aber ein Land, in dem die Hoffnung wieder einen Weg hat, ein Land, aus dem ich heute, wenn ich noch einmal die Wahl hätte, nicht mehr weggehen würde.«
Beifälliges Nicken im Publikum, ein starrer Blick des Fremden, fast finster und bedrohlich.
»Ich werde zurückkehren, denn ich habe, das kann ich heute ruhig zugeben, damals systembedingte Fehler begangen, ja Fehler begehen müssen, von denen die meisten leider nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Aber ich weiß auch, dass es Dinge gibt, die noch umzusetzen sind, denn Wiedergutmachung verjährt nicht. Und so werde ich jetzt zurückkehren nach Südafrika, um dort das wieder gutzumachen, was ich damals, bedingt durch das mir als Richter aufgezwungene Recht, falsch gemacht habe. Ich danke Ihnen.«
Beifall brandete auf. Der Universitätsmusikdirektor ging zum Dirigentenpult und das Collegium Musicum intonierte die acht feierlichen Bläserakkorde, die den letzten Satz der e-Moll-Sinfonie von Johannes Brahms einleiten, das Musikstück, das sich der Jubilar ausdrücklich als krönenden Abschluss der Feierstunde gewünscht hatte. Kraftvoll und schwer zugleich durchdrangen die Harmonien seine Gedanken, düstere Assoziationen riefen sie bei dem Gast in der sechsten Reihe hervor. Requiem für Professor Steyn, dachte er und ließ den Mann, der wieder in der ersten Reihe Platz genommen hatte, nicht...
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