Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der Tod war im Sekundenbruchteil eingetreten.
Linda Roloff sah das Loch in seiner Stirn, trotzdem kniete sie neben dem Mann nieder und tastete nach dem Puls an seinem Hals. Sie spürte keinen Atem, als sie ihr Gesicht über seine Nase und seinen Mund schob. Er lag auf dem Rücken, so wie ihn der Schuss niedergestreckt hatte, sie kauerte neben ihm.
Über ihnen ragte die geschwungene Geometrie der Mercedes-Benz-Arena wie eine künstliche Felswand senkrecht in den schwarzen Nachthimmel. Nur die großen weißen Leuchtbuchstaben auf halber Höhe der futuristischen Front sorgten hier am Tor 3 für ein diffuses Licht, ringsum herrschte Dunkelheit. In einem der Büros des benachbarten Business Centers brannte eine Schreibtischlampe, doch es schien niemand mehr in dem Raum zu arbeiten. Der Grillpoint, dessen überragendes Dach zusätzlich Licht abschottete, hatte geschlossen und die Stelle, wo sie die Leiche gefunden hatte, war in den Schatten der düster und bedrohlich wirkenden Platanen getaucht. Weder die gelben Lampen der leer gefegten Mercedesstraße noch das grelle Leuchten der Neonröhren im Parkhaus auf der anderen Straßenseite reichten bis hierher.
Das Lüftungsgeräusch, das aus dem Bereich des Tors 2 zu ihr herüberdrang, mischte sich mit dem Knistern des Asphalts unter ihren Schuhen, als sie sich vorsichtig bewegte. Sie suchte nach ihrem Handy, das ihr heruntergefallen war, weil sie sich nach dem Schuss zu Boden geworfen hatte.
Ihre Hand ertastete dankbar die kleine Taschenlampe, die ihr Alan an den Schlüsselbund gehängt hatte. Der Lichtschein, den sie abgab, reichte zwar nicht weit, war aber so grell, dass sie alle Unebenheiten in ihrer näheren Umgebung erkennen konnte. Nach einer halben Minute hatte sie das Handy gefunden. Sie drückte auf >Kontakte<, die Nummer ihrer Kollegin Babs kam als zweiter Eintrag. Babs hatte Bereitschaft und würde die Meldung über einen Mord in der Landeshauptstadt sofort absetzen können. Wieder einmal wäre das Radio das schnellste Medium, wie es ihr Redaktionsleiter immer wieder einforderte.
Doch Linda Roloff wählte stattdessen die Notrufnummer und gab der Dienstleitstelle alle nötigen Angaben durch. Ein Toter, erschossen vor dem Tor 3 der Mercedes-Benz-Arena. Dann erst informierte sie Babs Wagner.
Als sie das Gespräch beendet hatte, rief sie noch einmal die SMS auf, die sie von dem Erschossenen vor einem halben Tag erhalten hatte und derentwegen sie an diesem Donnerstag im Mai nachts allein nach Bad Cannstatt gefahren war. Den Treffpunkt hatte der Mann selbst vorgeschlagen, als sie am Mittag miteinander telefoniert hatten. Alles Weitere direkt. Mercedes-Benz-Arena um Mitternacht. Das waren die letzten Worte gewesen, die sie von ihm gehört hatte. Als Journalistin hatte sie die Angewohnheit, sich Dinge, die ihr wichtig schienen, sofort zu notieren. Und so hatte sie auch diesen Wortlaut auf ein Blatt in ihrem Kalenderblock geschrieben: Mercedes-Benz-Arena um Mitternacht.
Sie sah zu dem Toten, der mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Boden lag. Das Einschussloch in seiner Stirn glänzte schwarz. Der Mörder musste ein genialer Schütze gewesen sein. Oder aus kurzer Distanz abgedrückt haben. Die Augen starrten ausdruckslos zum Himmel. Was hatte der Tote ihr Wichtiges mitteilen wollen? Welches Geheimnis hatte er mitgenommen?
Jetzt lag er hier vor ihr. Erschossen von einem Unbekannten.
Werden sie dir das glauben?, durchfuhr es Linda plötzlich. Würde nicht der Verdacht naheliegen, dass sie es war, die ihn erschossen hatte? Sie waren schließlich befreundet gewesen. Vor Jahren. Zwei Jahre lang. Immerhin.
Warum hatten sie sich hier getroffen? Was wollte er von ihr? Mercedes-Benz-Arena um Mitternacht. Oder sie von ihm? Wo war die Tatwaffe? Fragen, die man ihr stellen würde. Gab es Zeugen für ihre Version der Geschichte? Nein. Dann konnte ebenso gut sie die Schützin gewesen sein. Und was war mit der SMS? Diese Botschaft, derentwegen sie überhaupt auf dieses geheimnisvolle Treffen eingegangen war. Klangen die wenigen Zeilen nicht wie die Einladung zu einem Date, ein Abschied für immer? Man konnte daraus - wenn man wollte - eine bevorstehende Trennung herauslesen. Und somit ein Motiv für einen Mord. Sie nestelte an ihrer Umhängetasche, fand das kleine Notizheft und einen Kugelschreiber. Sie kritzelte die Botschaft auf einen Zettel und löschte die SMS.
Was musste sie noch tun? Wie viel Zeit blieb ihr, bis die Polizei eintraf?
Die Handybotschaft beschäftigte sie. Er hatte sie ihr geschickt, aber warum? - Er hatte sie ihr geschickt! Der Gedanke durchfuhr sie - sein Handy! Wenn er die Botschaft nicht gelöscht hatte, würde die Polizei sie auf seinem Handy finden. Dort war sie ebenso missverständlich zu lesen.
Linda überwand ihre Scheu und durchsuchte die Kleidung des Toten. In der rechten Hosentasche fand sie sein Handy. Es blinkte und zeigte eine ungelesene Mitteilung an. Sie drückte auf die grüne Taste und las. Die SMS kam von einer Nummer, mit deren Ländercode 0027 sie zunächst nichts anfangen konnte, obwohl er ihr bekannt vorkam. Ein Name erschien nicht. Und was sie las, bestand aus vier Worten, mit denen sie nichts anfangen konnte: Hoffnung = Sub Africa. Oel.
Was steckte hinter dieser Nachricht? Wer hatte das abgesendet?
Sie folgte ihrer Intuition, notierte sich auch diese Zeilen auf der Rückseite des Zettels, hackte eine Botschaft als Antwort in das Handy des Toten, verschickte sie und löschte anschließend beides.
Von irgendwo her glaubte sie den Klang eines Martinshorns zu vernehmen. Jetzt musste das Handy verschwinden. Sie sah sich nach einem Versteck um. Der Müllbehälter, der neben dem Grillpoint stand. Sie würde das Gerät dort morgen abholen. Vielleicht fand sie dann Hinweise auf das, was der Tote ihr zu sagen gehabt hatte? Und eine Antwort des Unbekannten? Falls die Müllabfuhr nicht schneller war. Gab es denn kein besseres Versteck? Das Martinshorn dröhnte in ihren Ohren. Es schien sich auf der Mercedesstraße aus Richtung Porsche-Arena und Wilhelma zu nähern.
Die Wilhelma . ihre Gedanken wanderten zurück. Das Blaulicht vor dem Tigergehege. Wie lange war das her?
Der Krankenwagen war langsam und ohne Martinshorn durch die Menschenmenge in Richtung Elefantenanlage gefahren. Vielleicht war ja nur jemand ohnmächtig geworden, hatte sie noch gedacht und im selben Moment die Absperrgitter, das rotweiße Band und die zahlreichen Polizeibeamten erkannt, die sich bemüht hatten, das Publikum auf Distanz zu halten. Sie hatte in ihre Handtasche gegriffen und den Journalistenausweis herausgezogen.
Das großräumig gestaltete und nur durch eine Mauer und einen Wassergraben von den Zuschauern getrennte Freigehege der Sumatratiger, Kernstück der Raubtieranlage, war ringsum abgesperrt worden, ein Mann mit der olivgrünen Latzhose der Wilhelmamitarbeiter, zwei Polizisten und offensichtlich Beamte der Spurensicherung hatten sich dort aufgehalten.
Dann hatte sie den Pressesprecher der Wilhelma entdeckt und war ihm ins Innere der Absperrung gefolgt. Ihr Blick war über das halbinselartige Gelände des Tigerdomizils geglitten, das im Hintergrund von den Fassaden des Raubtierhauses und nach vorne von einem breiten Wassergraben eingerahmt wurde, und schließlich bei einem grauhaarigen Mittfünfziger hängen geblieben, der sich Gummihandschuhe übergestreift hatte und einen Gegenstand am Boden zu untersuchen schien. Erst auf den zweiten Blick hatte sie den Toten entdeckt. Dort, wo von der Insel große Steinbrocken eine Art ausgetrockneten Wasserlauf formten, hatten, im tarnenden Dickicht des Pflanzenwuchses fast nicht zu erkennen, zwei Beine unter den Bambusstauden ins Freie geragt.
»Man hat die Leiche erst vor einer Stunde entdeckt«, hatte der Pressesprecher erklärt, »als die Pfleger die Tiger rauslassen wollten. Die Tiger oder auch irgendwelche anderen Tiere haben damit nicht das Geringste zu tun. Fest steht, dass keine Tiger in der Außenanlage waren, seit der unbekannte Tote wie auch immer in das Gehege gelangte.«
»Aber wie ist er dann ums Leben gekommen?«, hatte sie gefragt.
»Der Mann ist erschossen worden.«
Das Martinshorn riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging zur Straße.
Die Spur hatte damals nach Afrika geführt, auf die Simba King Lodge.
Das Blaulicht reflektierte in den Scheiben der wenigen geparkten Autos.
Simba King. Dort hatte sie Alan Scott wiedergetroffen.
Das Blaulicht kam näher. Tauchte unter den weißen Leuchtbuchstaben auf. Die Brücke zur Schleyerhalle.
Jetzt war er weiter von ihr entfernt denn je.
100 Meter noch. Dann waren sie da.
Die Hochzeit war geplatzt.
Sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Autotüren, die zuschlugen. Schritte auf dem Asphalt. Blendende Lampen. Zwei Polizisten.
»Haben Sie den Notruf abgesetzt? Ihr Name?«
»Linda Roloff. Journalistin.«
»Und was ist passiert?«
Sie berichtete in knappen Sätzen. Von einem kurzen Anruf des Toten, der sie um das Treffen gebeten hatte, um ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Von dem Schuss, der die nächtliche Stille zerrissen hatte, gerade als sie auf die Arena zugegangen war. Davon, wie sie sich auf den Boden geworfen hatte, um kein sichtbares Ziel für einen weiteren Schuss zu bieten. Von dem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.