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Freitag, 3. April 2015, irgendwo in Deutschland
Noch 505 Tage
Er zog einsam seine Kreise.
Einsam wie der Wolf, der ihm seinen Kampfnamen gegeben hatte. Doch den kannten außer ihm nur wenige, denn er hatte keine Freunde.
Nicht in diesem Land.
Nicht in diesem Leben.
Er war ein Jäger. Ein einsamer Jäger auf Menschenjagd.
Die er jagte, starben ohne Gnade.
Die, für die er kämpfte, würden ihn eines Tages lieben.
Verehren.
Sein Name würde unsterblich sein.
In Brüssel, Rotterdam, Hamburg, Paris, Kairo hatte er sich blutige Denkmäler gesetzt.
In Ägypten hatte er vor Jahren die Fährte aufgenommen. Eine Urlaubsreise. Ein bisschen Arabisch lernen.
Noch einmal war er nach Deutschland zurückgekehrt, um schon bald als muhajirun, als Auswanderer, nach Kilis an der türkisch-syrischen Grenze zu ziehen. In der Provinz Aleppo hatte er sich den Kämpfern der Unterstützungsfront angeschlossen und sich militärisch ausbilden lassen. Doch für die anderen blieb er der ungläubige >Kuffar<, und er ging fortan seinen Weg allein.
Seine Fährte zog sich bald wie eine blutige Spur durch Europa und über den Balkan bis nach Tunesien. Man hatte ihn als einen gefährlichen Fanatiker bezeichnet. Dabei tat er nur, was er tun musste. Und sie machten es ihm leicht. Nirgendwo war es leichter an Waffen zu kommen als mitten in Europa.
Er hatte Kontakte.
Ein ganzes Netzwerk.
Schmuggler, Dealer, Schleuser, Menschen- und Waffenhändler. Für eine Kalaschnikow zahlte er nicht einmal 500 Euro. Ein Geschäft unter Freunden.
In 500 Tagen würde die Welt wieder von adh-Dh'ib, dem Wolf hören.
Er verschlüsselte seine Botschaften. Was er befahl, klang für Unbeteiligte wie die Beschreibung eines Schottischen Single Malt Whiskys. Doch die Männer, denen er seine Befehle per SMS schickte, lasen aus dem Namen des Whiskys die getarnten Initialen der Opfer. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, dass der Deutsche, der sich mit hochwertigen Whiskys auskannte, in Wirklichkeit ein muhajirun mit dem Namen adh-Dh'ib war. Seine Tarnung war perfekt.
»Abgang« war gleichbedeutend mit Tod.
Rottenburg - Tübingen
Noch 502 Tage
Der Nebelmorgen hatte die Wurmlinger Kapelle in einen dichten Schleier gehüllt und verbarg das Wahrzeichen der Region vor den Menschen, die sich in langen Autoschlangen durch den morgendlichen Berufsverkehr Richtung Tübingen quälten. Dabei war es ganz gleich, ob man sich durch das Ammertal über Unterjesingen oder von Rottenburg über Wurmlingen und Hirschau der Universitätsstadt am Neckar näherte, der Stau war um diese Zeit vorprogrammiert.
Linda Roloff fügte sich in das Unvermeidliche, denn an diesem Morgen hatte sie nicht, wie sonst so oft, auf das Fahrrad zurückgreifen können, um zum Sender zu fahren. Sie musste am späten Vormittag noch weiter nach Stuttgart, um Alan Scott am Flughafen abzuholen. Dieser Gedanke versöhnte sie mit der Verkehrslage am Fuß des Kapellenbergs, und sie nutzte das langsame Tempo, um den Anblick der Landschaft zu ihrer Linken zu genießen.
Satt grün zogen sich die Weinberge von der im Nebel verschwundenen Kapelle ins Tal, am kommenden Wochenende war dort oben wieder das alljährliche Weinbergfest - in diesem Jahr zum 25. Mal -, bei dem die Winzer, die am sonnenexponierten Südhang zum Neckartal hin ihren Müller-Thurgau und Schwarzriesling anbauten, Kostproben ausschenkten und man seinen Hunger mit Spanferkel, Garnelenspießen und Willis legendären Flammkuchen stillen konnte.
Vielleicht würde sie mit Alan in den nächsten Tagen hinauf zur Kapelle spazieren und den Blick in die Ferne schweifen lassen, hinüber zum Neckar und auf die Landschaft jenseits des Flusstals, die in der Abendstimmung wie aus einem Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios wirken konnte: die bewaldeten Hänge der Schwäbischen Alb, von denen sich einer vor den anderen zu schieben schien, im Vordergrund fast schwarz und dann bis zu den hauchdünnen Blautönen am Horizont in der Farbe verblassend, davor die gelb blühenden Rapsfelder und die verblühten Bäume der Streuobsthänge am Rande des Rammert, jenes großen Waldgebiets zwischen Rottenburg und Derendingen Richtung Süden. Wie eine träge Python glitt der Neckar durch sein Tal, verborgen und getarnt zwischen den Weiden und Pappeln an seinen Ufern.
Und aus den waldigen Hängen der Schwäbischen Alb wurden die sattgrünen Hügel der Massai Mara, aus dem Neckar der Uaso Nyiro und aus dem Raps die gelben Flocken der Akazien im Okavangodelta. Rote Elefanten überquerten die sandige Piste in Tsavo, und die ewig schönen Impalas mit ihren sanften schwarzen Knopfaugen grasten friedlich in der Savanne. Ganz weit entfernt hörte sie das Lachen einer Hyäne.
Das lautstarke Hupen ihres Hintermanns holte sie aus ihren Tagträumen. Sie unterdrückte einen Fluch, warf ihm im Rückspiegel einen »Arschlochblick« zu und fuhr an. Der Stau bewegte sich zäh fließend wieder ein paar Meter weiter. Sie schaltete das Radio ein und wechselte in den CD-Modus. Johnny Clegg & Savuka sangen »Scatterlings of Africa«, sie drehte laut, sang mit und dachte an das Wiedersehen mit Alan.
»Fernbeziehung mit Hindernissen«, hatte es Babs mal genannt. Und in der Tat, bis auf die wenigen Tage, die er sie in Deutschland besuchte, und die Wochen, die sie zusammen in Afrika verbrachten, sahen sie sich nie. Der afrikanische Naturbursche hatte sich - trotz mehrerer Versuche - nie für ein Leben in Deutschland begeistern können und sie sich immer vor der Entscheidung gedrückt, zu ihm nach Afrika zu ziehen.
Das hatte sich erst ein wenig geändert, als er vor drei Jahren nach Namibia gezogen war. Der Tod eines entfernten Verwandten hatte ihn dorthin verschlagen, und er hatte die alte heruntergewirtschaftete Farm des Verstorbenen übernommen. Für Alan war sein neuer Besitz im Norden Namibias, zwischen dem Waterberg und Etosha, das schönste Land, das er je in Afrika gesehen hatte.
Wie hatte er ihr vorgeschwärmt von den gelben Savannen und der roten Erde des Velds, von den grünen Hügeln, in deren Mopanewäldern er sogar Elefanten angesiedelt hatte. In den weiten Ebenen grasten Elanantilopen, Oryx und die seltenen Weißschwanzgnus, und sein besonderer Stolz waren die Breitmaulnashörner, von denen einige schon seit Urzeiten auf dem Gelände der Farm lebten.
Linda sah auf die Uhr. Seine Maschine musste inzwischen längst in Frankfurt gelandet sein, doch er hatte sich noch nicht bei ihr gemeldet. Das war typisch. Solange sie nichts hörte, war alles okay.
Wie damals in der Klinik in Lagos. Eine Zeit, an die sie ungern zurückdachte. Alan hatte darauf bestanden, sobald er transportfähig war, nach Namibia zu fliegen. Dort war seine Genesung rasch fortgeschritten, die Verletzungen waren geheilt, und außer einem leichten Hinken war nichts zurückgeblieben. Wie es ihm gelungen war, die beiden Anschläge zu überlegen, war ihr ein Rätsel.
Auch Sarah freute sich auf Alan. Ihre Tochter wurde demnächst 16, eine junge Frau. Wenn sie mit ihr in Afrika gewesen war, hatte sie zu Alan wie zu einem Vater aufgesehen. Linda dachte zurück an die Reise nach Südafrika, zu der sie die damals noch kleine Sarah mitgenommen hatte.
Ihre Tochter hatte sich mit einem afrikanischen Jungen in der Savanne verirrt, und Alan Scott hatte sich mit Linda im Zeppelin auf die Suche nach den beiden gemacht. Unter Lebensgefahr war es ihm gelungen, die Kinder aus einer Schlucht zu retten.3
Schon damals war ihr seine innige Beziehung zu ihrer Tochter aufgefallen. Und auch bei seinen Besuchen hier hatte er sich um Sarah wie um seine leibliche Tochter gekümmert. Wenn es nach Sarah gegangen wäre, wären sie schon vor Jahren zu ihm nach Afrika gezogen. Linda wusste, dass es für Sarah in Windhoek deutsche Schulen gab, und kannte auch einen Kollegen, der mehrere Jahre bei einem deutschsprachigen Radiosender in Namibia gearbeitet hatte. Doch inzwischen hatte sich viel verändert.
Sarah machte in drei Jahren ihr Abitur und hatte keine Lust, jetzt noch die Schule zu wechseln. Und später? Wirklich geplant hatte Linda in puncto Afrika nichts, zumal sie nach ihrem Umzug von Tübingen nach Wurmlingen gerade begonnen hatte, sich in der neuen Umgebung richtig wohlzufühlen.
Seit fast drei Jahren wohnte sie jetzt in dem kleinen Dorf, das zu Rottenburg gehörte, und genoss es in vollen Zügen. Gewiss, die Jahre in ihrer kleinen Altstadtwohnung bei der Tübinger Stiftskirche waren auch schön gewesen, aber sie hatte in ihrem Leben - immerhin war sie im vergangenen September 40 geworden - noch einmal etwas ändern müssen. Und als ihre Kollegin Babs erzählt hatte, dass im Haus ihrer ehemaligen Schwiegereltern eine hübsche Wohnung mit Gartenbenutzung frei würde, hatte sie zugeschlagen und Stadtluft mit Landluft getauscht.
Sie hatte es bis heute keinen Augenblick bereut, zumal es in Wurmlingen nicht schwer war, Anschluss zu finden. Zahlreiche Vereine und Feste dienten der Geselligkeit, als Radiofrau kannten viele ihre Stimme und ihren Namen, und wohin sie im Dorf kam, ob in die Besenwirtschaft an Fronleichnam, den Fasnetsumzug der »Wurmlinger Knöpfle« oder zum traditionellen Wurmlinger Pfingstritt, überall wurde sie wie eine alte Bekannte freudig begrüßt. Sogar an ihren »Jahrgang« hatte sie Anschluss gefunden, eine Tradition, die die...
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