Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Es geht um Leben und Tod!«
Romana war schon immer die Königin aller Dramen. Martin hält sein Handy ein Stück weit weg, während sie mit erhobener Stimme weiterspricht.
»Michael - Mike - Hansen. Er war Fitnesstrainer in Velden. Und wir waren . Ist schon länger her. Später ging er nach Mallorca. Lebt jetzt in Ischl. Jedenfalls haben wir uns letzte Woche zufällig in Salzburg getroffen. Und er hat mir von den Drohbriefen erzählt. Und dass er Angst hat. Da habe ich ihm gesagt, dass ich einen Chefinspektor kenne, der sich um die Sache kümmern wird.«
»Du spinnst wohl«, sagt Martin. »Erstens bin ich kein Privatdetektiv, sondern Polizist, und zweitens kann er sich, wenn es wirklich ernst sein sollte, an die örtliche Behörde wenden.«
Romana Petuschnigg zündet sich mit der freien Hand eine Zigarette an, lässt anschließend das Feuerzeug fallen und flucht.
Martin: »Kein Grund, obszön zu werden. Droht man denn, ihn umzubringen?«
Romana hustet ins Telefon. Ein richtiges Gerät, nicht eins von den kleinen Dingern, die sie ständig verlegt und sucht, was einen wirklich den letzten Nerv kosten kann. »Aber ja. Es sind sehr bedrohliche Briefe. Wer schreibt denn heutzutage noch Briefe?«
»Mit Absender?«
»Haha«, krächzt Romana in den Hörer. »Du könntest dir ein paar Tage Urlaub nehmen und nach Bad Ischl fahren. Ist ein idyllisches Städtchen. Michael hat ein feines Hotel dort, das Sisi. Nein, sag nichts, ist benannt nach seiner Frau, die übrigens die Marie hat. Sie kommt aus dem Finkmeier-Clan, denen gehört die Pharmafirma in Linz. Haben auch ein paar Kliniken. Und Grundbesitz, wohin du schaust. Wenn du den Fall lösen kannst, werden sich die beiden bestimmt revanchieren. Du brauchst doch sicher Geld für deine Flitterwochen! Mit einer wie Rosie kannst ja wohl nicht zelten gehen.«
Nun hustet Martin. Mehr ein nervöses Hüsteln. Jetzt kennt er Romana, seit er ein Bub war - und sie die Schönheit vom Wörthersee. Aber immer noch bringt sie es fertig, ihre inzwischen gichtigen Finger in seine offenen Wunden zu bohren. »Noch sind wir nicht verheiratet«, sagt er, und sie kichert: »Kalte Füße, Martin? Das ist ganz normal für einen Endvierziger, der schon eine Scheidung hinter sich hat. Alle Männer sind Feiglinge, das wissen wir doch. Vielleicht kannst in Bad Ischl ein bisserl den Kopf freikriegen. Dich mental auf die Ehe vorbereiten. Überleg es dir. Ich mail dir jedenfalls Mikes Kontaktdaten. Und bestell schöne Grüße an die Verlobte.«
Sie hat aufgelegt. Eine ihrer zahlreichen Marotten: Romana muss immer das letzte Wort haben. Warum er sie trotzdem mag und schätzt, weiß der Himmel. Vielleicht, weil die attraktive Rothaarige sein erster Schwarm war. Jedes Jahr freute Martin sich auf die Sommerfrische in der Villa am Wörthersee, deren Besitzerin ihn beinahe wie einen Großen behandelte. Als Martins Vater verschwand, fuhren sie nie wieder hin, was seine Mutter mit »schmerzlichen Erinnerungen« begründete. Aber da war Martin schon fast erwachsen und interessierte sich mehr für gleichaltrige weibliche Wesen. Und so entglitt Romana seinem Leben, bis er drei Jahrzehnte später wieder Urlaub am Wörthersee machte. Und beim Schwimmen mit einer Leiche kollidierte. Und Lily traf. Aber das ist eine andere Geschichte.
*
Sein freier Tag zieht sich hin wie Strudelteig. Martin holt sich eine Flasche Bier und schaut in den fast leeren Kühlschrank. Bier und Milch. Er müsste einkaufen gehen. Und joggen war er auch schon länger nicht. Der Bart ist drei Tage alt, und ein Friseurbesuch wär ebenfalls nicht schlecht. Es ist, als hätte ihn eine Art mentaler Lähmung befallen. Und im Polizeipräsidium studiert er derzeit alte Akten. Vermisstenfälle, ungelöste Morde. Der eine oder andere aktuelle Totschlag im Milieu. Nichts, was ihn elektrisieren und aus seinem seltsamen Dämmerschlaf holen würde. Und weil derzeit wenig los ist, hat man ihm auch noch nahegelegt, seinen Resturlaub abzubauen. Aber was soll er damit?
Er wählt die Nummer von Franz, seinem alten Freund und Kollegen, der von Wien zur Salzburger Polizei gewechselt ist. Besetzt. Wahrscheinlich führt der eines seiner Endlosgespräche mit der künftigen Braut, denkt Martin. Franz Fassbinder, nicht zu Unrecht »Fassl« genannt, ist so überglücklich, bald in den Hafen der Ehe einzulaufen, dass er kaum auszuhalten ist. Valerie hier und Valerie dort. Und ja, natürlich wird Martin zur Hochzeit kommen, zwei Wochen, bevor er selbst die Gefängnistür öffnet. Auf eine Heirat mehr oder weniger kommt es ja nicht an .
Selbstmitleid ist ein blödes Gefühl, das Martin mit einem lauten »Jetzt reiß dich z'samm, Alter« zu beenden versucht. Er kann sich ja wohl nicht darüber beklagen, dass Rosie ihm einen Heiratsantrag machte, den er aus freien Stücken angenommen hat. Nicht mehr ganz nüchtern, das ist wahr. Aber auch weit entfernt von geistigen Aussetzern. Genau genommen hat sie ihn überrumpelt mit ihrem Vorschlag, es noch einmal, jetzt aber richtig zu versuchen. Nach der verrückten Affäre, die sie in ihrer Jugend in Wien hatten. Rosie, die Anarchistin und Kommunistin, und Martin, der linke Student. Ihre Aktionen gingen ihm aber zu weit, und als sie Polizeiautos abfackeln wollte, distanzierte er sich. Und Rosie verschwand türknallend aus seinem Leben. Wie er später erfuhr, musste sie auch aus Wien verschwinden, weil ein Verfahren gegen sie lief, und landete in Sankt Petersburg. Martin dachte, dass er Rosie nie wiedersehen würde. Bis er sie in Kitzbühel traf. Eine zufällige Begegnung am Rande eines Klassentreffens, bei dem unter anderem sein Gastgeber ums Leben kam. Tod in Kitz und Sex mit einer alten Liebe, der durch einen Hexenschuss unterbrochen wurde. Und damit hätte es enden können. Doch als Martin nach Wien zurückkehrte, war Rosie schon da: in seinem Schrebergartenhäusl am Küniglberg. Zusammen mit seiner Mutter, die den Schlüssel hatte, während er weg war. Lotte Glück, mehr als beeindruckt von der Oligarchenwitwe mit ihrem dicken Auto, das direkt hinter dem Halteverbotsschild geparkt war.
Geld verleiht Flügel, und Rosie hat es wahrlich weit gebracht. Ein Anwesen in Kitz und eine Villa in Hietzing, nur zwei von unzähligen Immobilien, die ihr Mann ihr hinterlassen hat. Rosie, die Anti-Anarchistin, jetzt rotblond, immer noch kurvig und kaum gealtert, was mit ärztlicher Kunst zu tun haben könnte. Aber wurscht. Martin kann nur nicht begreifen, warum sie sich so auf ihn kapriziert hat. Guter Sex ab und zu, das hätt's ja auch getan, oder? Doch je mehr er auf Distanz ging, desto heftiger umwarb sie ihn. Bis hin zum Heiratsantrag. Und der Wahnsinnsaussage, dass sie noch ein Kind von ihm wollte - und auch bekommen würde, weil es noch nicht zu spät sei.
Vielleicht war das der Grund! Martin denkt seit fünf Wochen darüber nach, warum er Ja gesagt hat. Oder vielmehr »Warum nicht?«, das waren wohl seine Worte gewesen. Und Rosie hatte gelacht und gesagt, dass er noch nie ein großer Romantiker war. Was nicht stimmt. Gebranntes Kind halt. Eine kurze Liebe, die in eine schlechte Ehe mündete, zumindest war die Scheidung friedlich, wohl weil sie beide froh waren, einander los zu sein. Und was zum Teufel bringt ihn auf den Gedanken, mit Rosie könnte es anders sein? Das Projekt Kind? Rosie war schon in Paris bei ihrem Wunderarzt aus St. Petersburg, der ihr bestätigte, dass ihrer späten Mutterschaft nichts im Wege stünde. Sie war viel unterwegs nach dem Heiratsantrag, und irgendwie hatte Martin gehofft, dass sie es nur aus einer Laune heraus gesagt hat. Aber dann war Rosie plötzlich wieder in Wien. Und begann, über die Hochzeit zu reden. Stephansdom? »Spinnst, wir sind beide Atheisten«, entgegnete Martin. Aber dann doch zumindest ein Ort, der als Standesamt und Festsaal dienen könnte: der Apothekertrakt oder die Orangerie von Schloss Schönbrunn? Das Palais Ferstel oder die Wiener Börsensäle? Maximal vierhundert Gäste. Alles in rot-weißrot, die Blumen und Dekoration. Champagnerbrunnen. Eine Wodka-Bar und ein nachgebauter Heuriger. Österreichische Bands: Wanda oder Bilderbuch - und die Netrebko vielleicht. Seit man sie mit Putin in Verbindung bringe, sei ihre Gage gesunken, sagt Rosie. Und man kennt sich. Was Martin von einem Sternekoch halte? Kaviar natürlich, gegen diese Art von Russisch hätten die Leute ja wohl auch derzeit nichts einzuwenden.
Nichts. Er hält von alledem nichts. Auch nicht von Friedenstauben, die aufsteigen. Und Rosies älterer Sohn, der seine Mutter zum Altar führt. Boris, der Martin ganz offensichtlich verabscheut und für einen armen Schlucker hält, der es auf Rosies Geld abgesehen hat. Wenn Martin nur an die Hochzeit denkt, bricht ihm der Schweiß aus. So wie jetzt.
Er geht zum Fenster und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.