Schweitzer Fachinformationen
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Das Gras raschelte unter seinen Pfoten, als er durch den Wald hetzte. Hinter sich hörte er sie schon, die Stimmen und Schritte der Jäger, die jetzt noch achtlos durch den Wald stapften. Bald würden sie schleichen und lautlos aus dem Hinterhalt angreifen, dann würde er sie nicht mehr so leicht entdecken und sich vor ihnen verstecken können. Er hatte Glück gehabt. Er hatte nicht mit ihnen gerechnet und sie nur durch Zufall gesehen, bevor sie ihn hatten aufspüren können.
Jetzt rannte er vor ihnen davon, während er immer wieder leise Warnschreie ausstieß. Hirsche, Wildschweine, Hasen, Fasane und andere Bewohner des Waldes schreckten bei seinen Rufen auf und stoben in alle Richtungen davon, fort von der Gefahr. Er hätte Erleichterung empfinden sollen, doch das tat er nicht. Unwillkürlich begann er sie zu zählen, seine Freunde, von denen es täglich weniger gab. Kummer und Zorn erfüllten sein Herz und ließen seinen kurzen, buschigen Schwanz kräftig hin und her peitschen. Und schuld daran waren allein die Jäger, mit ihrer abscheulichen Lust aufs Töten.
Wenn es ihnen darum gegangen wäre, Nahrung zu finden, um nicht zu verhungern, dann hätte er es verstehen können. Das war der Kreislauf des Lebens: fressen und gefressen werden. Doch die Jäger waren alle wohlgenährt, bei einigen spannten sich die Wämser über kleinere oder größere Bierbäuche. Keiner von ihnen verschwendete auch nur einen Gedanken daran, wie es wäre, abends mit grummelndem Magen ins Bett gehen zu müssen. Sie hatten Nahrung und Reichtümer im Überfluss und bemerkten es nicht einmal.
Ein Knurren entfuhr ihm und seine Ohren zuckten wütend, als er daran dachte. Ein Wildgehege hatte es Herzog Orsio genannt, aber im Grunde war es nichts anderes als ein weitläufiges Schlachthaus, eingezäunt von Magie statt von Mauern, und die Menschen machten gnadenlos Jagd auf alles, was im Innern lebte. Nur ihnen war es möglich, die magischen Barrieren zu passieren. Alle anderen waren in ihnen gefangen, den Bestien in Menschengestalt gnadenlos ausgeliefert.
Ich hasse sie!
Grenzenloser Zorn überkam ihn, als er an Herzog Orsio und seine Familie dachte. Sie waren die Schlimmsten von allen. Einst hatten sie vorgegeben, die Tiere schützen zu wollen vor Eindringlingen und Wilderern. Doch der magische Zaun zum Schutz der Waldbewohner war eine List gewesen, eine Täuschung, die ihn und die anderen Wildhüter in die Irre hatte führen sollen.
Verfluchte Lügner! Eidbrecher!
Aber dann hatten sie ihr wahres Gesicht gezeigt, als sie vor sechs Jahren Jagdmeister Kudonio eingestellt hatten, mit seiner Gier nach Blut und Trophäen. Er hasste ihn mit jeder Faser seines Herzens. Schon oft hatte er sich vorgestellt, dem Mann mit seinen langen, scharfen Krallen das Gesicht zu zerfetzen, bis Kudonio vor derselben Todesangst schrie, die er den Tieren des Waldes jeden Tag zufügte. Doch es war nicht mehr als ein willkommenes Gedankenspiel, er hatte es nie getan und würde es nie tun. Denn er war nicht wie sie.
Über sich hörte er jetzt die kehligen Schreie der Falken. Diese Verräter! Er konnte nicht verstehen, wie sie sich mit den Menschen verbünden konnten, um Jagd auf andere Tiere zu machen.
Ein Keuchen erfüllte die Luft, als er noch schneller rannte. Seine Pfoten klatschten jetzt hörbar auf den Boden und seine Bewegungen drückten das Gras hinab, sodass es sich nicht länger hinter ihm aufrichtete. Er hinterließ klar erkennbare Spuren für die Jäger, aber das war ihm in diesem Moment egal.
Ich muss sie warnen!
Hinter sich hörte er jetzt die Jagdhunde, aber noch waren sie weit genug entfernt, als dass er sich Sorgen um sich selbst hätte machen müssen. Und sollte sich das ändern, nun, so hatte er eine Möglichkeit, um sie von seiner Spur abzulenken, nicht wahr?
Doch sein Selbstbewusstsein wurde ihm im nächsten Moment zum Verhängnis. Seine linke Vorderpfote krachte in den Bau eines Hasen und knickte um. Er konnte nicht rechtzeitig abbremsen und stürzte schmerzhaft zu Boden. Unwillkürlich entfuhr ihm ein Schmerzenslaut. Dann stieß er wieder seinen Warnruf aus, als ihm der Bewohner des Baus zur Hilfe kommen wollte.
»Bring dich in Sicherheit und warne die anderen! Die Jäger kommen!«
Der Hase schoss davon und seine Anspannung ließ ein wenig nach. Nun musste er nur noch seine Pfote aus dem Erdloch befreien. Behutsam hob er sein Vorderbein an und zog sie heraus. Dann belastete er die verletzte Gliedmaße vorsichtig und zuckte zusammen. Verdammt! Es fühlte sich an, als hätte er sie sich bei seinem Sturz verstaucht.
Er humpelte dennoch los, biss die Zähne zusammen und wurde schneller. Dann jedoch gab das verletzte Vorderbein überraschend unter ihm nach und einen Atemzug später schoss ein Pfeil dicht über ihn hinweg.
Dort, wo sein Kopf gewesen wäre, wäre er nicht gestolpert.
Er erstarrte vor Schreck. Unwillkürlich sah er sich um, dorthin, woher der Pfeil gekommen sein musste.
Ein Mann von etwa zwanzig Jahren stand wenige Dutzend Schritte hinter ihm und runzelte die Stirn. Noch immer hielt er den Bogen in der schlanken, aber dennoch kräftigen Hand, während er mit der anderen in den Köcher auf seinem Rücken griff, um einen weiteren Pfeil hervorzuholen. Dabei spannten sich seine Muskeln, die geöffnete Lederweste klaffte auseinander und bot einen Blick auf die wohlgeformte Brust, die dank seines schweißnassen Hemdes gut zu erkennen war. Er musste gerannt und seiner Spur gefolgt sein, aber abgesehen vom Schweiß deutete nichts darauf hin, dass die Strapazen ihren Tribut gefordert hätten. Der Mann keuchte nicht einmal vor Anstrengung. Im Gegenteil, er war in körperlicher Höchstform.
Natürlich erkannte er den Jäger, aber er hatte Akurio, den jüngeren Sohn von Herzog Orsio, noch nie aus der Nähe betrachtet, geschweige denn in ihm etwas anderes gesehen als ein Mitglied der verhassten Eidbrecherfamilie. Er erinnerte sich noch zu gut an den heranwachsenden Akurio, der dem Jagdmeister wie ein Hündchen gefolgt war und gebannt gelauscht hatte, wenn Kudonio ihm erklärte, wie man mit Pfeil und Bogen schoss, Fallen stellte und der Beute das Fell abzog. Er hatte in ihm nie den attraktiven Mann gesehen, zu dem Akurio geworden war.
Erst als sein Hinterbein überraschend zu brennen begann, löste sich sein Blick vom Herzogssohn und er wirbelte herum. Ein leises Winseln entwich seiner Kehle, als die Bewegung den Schmerz seiner Verletzung noch verstärkte und er ihn ein ganzes Stück hinter Akurio erblickte.
Kudonio, den Schlachtmeister. Seinen Feind. Den Mann, der ihm mit einem Pfeil einen qualvoll brennenden Streifschuss am Hinterbein verpasst hatte.
Du Trottel! Was stehst du auch hier herum und gaffst? Renn weg!
Nur leider war das nicht so einfach. Ein Rascheln verriet sie, als die anderen Mitglieder des Jagdtrupps jetzt von zwei verschiedenen Seiten durch das Unterholz brachen und ihm den Fluchtweg abzuschneiden begannen. Sein Herz setzte bei ihrem Anblick einen kurzen Moment aus und fing dann an schneller zu schlagen, als ihm voller Schreck klar wurde, dass er mit seiner verstauchten Vorderpfote und dem verletzten Hinterbein keine Möglichkeit hatte, der Meute zu entkommen. Es war vorbei.
Dennoch zögerte er, das einzige ihm jetzt noch Mögliche zu tun.
»Halt! Nicht schießen!«, rief plötzlich einer der Gehilfen des Jagdmeisters laut. »Das ist ein Gestaltwandler!«
Die übrigen Mitglieder der Jagdgesellschaft fingen an zu murmeln. Er sah, wie sie abwechselnd ihn, Kudonio und Akurio anstarrten. Doch der Jagdmeister ließ sich von ihrer Verunsicherung nicht erschüttern, sondern kam langsam auf ihn zu. Der Herzogssohn jedoch wirkte genauso verdutzt wie der Rest der Jagdgesellschaft.
»Ein Gestaltwandler? Ist das wahr? Wer bist du? Sprich!«, forderte Akurio.
Der Blick Kudonios wanderte über das Muster seines Fells, erfasste jedes Detail und mit einem mulmigen Gefühl im Magen ahnte er, was jetzt kommen würde.
»Das ist Lerio. Der Hässliche«, verkündete der Jagdmeister laut und das Gewisper der anderen verstummte für einen kurzen Moment, bevor es zu aufgeregtem Geraune wurde. Dann begannen die Ersten zu lachen.
Hätte Lerio in seiner Luchsgestalt erröten können, so hätte er es in diesem Augenblick getan. Scham breitete sich in ihm aus, als die Menschen ihn schadenfroh anblickten und grinsten.
»Die Frage ist nur, was der Hässliche hier macht.« Kudonio kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. »Ich habe ihn nämlich nicht hierhergeschickt, Eure Durchlaucht. Er dürfte sich überhaupt nicht im Wildgehege aufhalten. Sehr verdächtig. Sprich! Warst du etwa auf der Jagd und hast versucht, einen Hasen, ein Eichhörnchen oder ein anderes kleines Tier zu erlegen? Zu mehr bist du Winzling ja nicht in der Lage. Dabei weißt du ganz genau, dass dies das private Jagdgebiet der Herzogsfamilie ist, du Dieb!«
Schock ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben und Kudonio anstarren. Dass sein Vorgesetzter ihm nicht vertraute, weil er vor zehn Jahren von Herzog Orsio als Wildhüter angestellt worden war und seine Aufgabe immer noch als solcher sah und nicht als Jagdgehilfe von Kudonio und der Herzogsfamilie, wusste er längst. Auch Kudonios persönliche Abneigung gegen alle Gestaltwandler hatte er viel zu oft zu spüren bekommen, als dass sie ihn noch überraschen konnte.
Doch ein Dieb? Wie konnte ihm Kudonio vorwerfen, ein Wilderer zu sein? Allein die Vorstellung, seine tierischen Freunde zu jagen, brachte ihn dazu, sich heftig vor Abscheu zu schütteln. Niemals könnte er einen von ihnen mit seinen Krallen zerreißen und fressen! Und das nicht nur, weil sie seine Freunde waren, nein! Wie seine gesamte Familie...
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