Schweitzer Fachinformationen
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Er sitzt auf dem Bürostuhl, der mit braunem Leder bespannt ist, seine besten Zeiten aber längst hinter sich hat. Auf den stählernen Schwingen schaukelt Sven hin und her, um seine Nervosität zu kanalisieren. Er trägt, wie immer in der Werkstatt, seinen Blaumann, darüber den abgewetzten grauen Kapuzenpullover. Seine Lederjacke hängt lässig über der Stuhllehne. Svens Blick wandert aus dem Fenster. Regen prasselt laut gegen die Scheiben. Sven fährt sich durch seine blonden Haare, während er zusieht, wie der Meister das Büro betritt, sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches setzt und mit der Handkante Zigarettenasche von der Tischplatte in einen Aschenbecher fegt. Die Miene des Meisters sieht gar nicht gut aus.
»Machen wir es kurz .« Malewski atmet schwer aus, lehnt sich zurück. Sven schwant Übles. »Ich kann dich nicht übernehmen.«
Sven bleibt ruhig. Nickt langsam. »Dann war das alles nur Scheiße, was Sie mir erzählt haben.«
Malewski schüttelt leicht den Kopf. Er ist schon so lange in dem Geschäft, hat seine Kfz-Werkstatt seit 1981 hier im Kiez, sodass er schon alles gesehen hat. Typen wie Sven kennt er zuhauf und müsste lügen, wenn er behaupten würde, er käme mit denen nicht klar. Und ausgerechnet Sven mag er extrem gerne. Der Kerl ist in Ordnung. Er ist schlau, aber faul.
»Siehst du die hier?«, der Meister zeigt auf einen Stapel von Dokumentenhüllen, »das sind alles Bewerbungen, die über das Jobcenter gekommen sind.« Er nimmt die oberste vom Stapel und öffnet sie. Von einem Passbild schaut Sven ein Milchbubi mit Migrationshintergrund an - Afghanistan oder Nordafrika. »Murat hier will Mechatroniker werden. Er hat seinen Realschulabschluss in der Tasche. Vielleicht solltest du deinen auch .«
»N' Scheiß sollte ich.« Sven stößt eine Winkekatze an ihrem Arm. Dieses hübsche Modell winkt allerdings nicht wie die meisten seiner Artgenossen freundlich Kundschaft herein, sondern hebt unentwegt seinen Mittelfinger. »Sie haben gesagt, ich hab was drauf. Sie haben gesagt, ich kann übernommen werden.«
»Ich habe aber auch gesagt, hol erst mal deinen Realschulabschluss nach. Wie alt bist du? 27?«
Sven wird laut: »Ich bin besser als die meisten hier. Guck dir doch mal Erik an, der kann nicht mal bis vier zählen. Soll der nur Motorradreifen wechseln oder was? Und wenn er doch bis vier zählen kann, bleibt er bei zwei steck-, steck-, stecken.«
Der Meister schmunzelt. Ja, der Typ hat was drauf.
»Hör zu, bring mir einen Abschluss, und du kannst hier anfangen.«
»Sie haben gesagt, Sie übernehmen mich. Aber das war nur Scheiße dahergelabert, damit ich hier die Drecksarbeit mache.« Sven deutet mit einem Kopfnicken auf den Stapel mit den Bewerbungen. »Aber da finden Sie bestimmt 'n neuen Idioten, der Ihnen das abnimmt.« Sven hält es nicht mehr auf dem Stuhl aus. Er geht ans Fenster, schaut in den Regen. Er denkt an Nadja. Er holt aus und schlägt mit der Faust gegen die Wand. »Fuck!«
»Bist du fertig?« Malewski lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Weißt du was, fick dich doch in deinen fetten Arsch.« Sven tritt gegen den Bürostuhl, der scheppernd umkippt, verlässt das Büro, schlägt die Tür laut hinter sich zu. Erik steht in seinem verschmierten »Malewski Autowerkstatt«-Blaumann an einem aufgebockten Toyota Corolla, schaut zu Sven und dreht einen Schraubenzieher zwischen seinen Fingern.
»Ich fin-, fin-, finde es schade, dass du immer so l-, l-, laut .«, sein Stottern bricht nicht seinen Stolz.
Sven stürmt auf ihn zu. Seinen drohenden Zeigefinger hält er direkt vor Eriks Nase. Erik spricht nicht weiter, die beiden Männer starren sich an. Dann lässt Sven seinen Arm sinken.
»Komm her.« Sven umarmt Erik, und der lässt es zu.
»Ich werd dich v-, v-, v-.«
»Ich dich auch. Ich komm wieder.« Sie klopfen sich auf die Schultern. Als er sich von seinem Kollegen löst, sieht er den Meister in der Bürotür stehen.
»Ich bin 26. Und sorry für den fetten Arsch.«
Der Meister zuckt mit den Schultern. »Wo du recht hast, hast du recht.«
Sven setzt sein Winner-Smile auf. »Ich habe immer recht.«
Sven zieht die Kapuze ins Gesicht und weiß nicht, was er tun soll. Das Gefühl, ein Verlierer zu sein, sitzt tief in seiner Brust. Er kann es förmlich spüren. Es ist rund, schwarz und hinterlässt einen Abdruck von Machtlosigkeit. Sein Leben ist im Arsch, denkt er. Nadja hält es jetzt schon den dritten Tag durch, er hat keine Lust mehr, auf der Couch zu schlafen. Eigentlich will sie, dass er heute auszieht. Das Wochenende war nur noch eine Gnadenfrist. Aber zurück zu seiner Mutter will er natürlich auf keinen Fall. Sie hat genug Sorgen, ist seit Kurzem Filialleiterin. Zwar verdient sie unwesentlich mehr Geld, bekommt aber wesentlich mehr Ärger, wenn etwas schiefgeht.
»Schade, dass wir kein Auto haben«, meinte sie müde lächelnd, als Sven ihr von seinem Job in der Werkstatt erzählt hat, »sonst könntest du es uns reparieren.«
»Nicht mehr lange, und dann werde ich dir ein Auto kaufen, Mama.« Sven war ganz euphorisch. Ihm war klar, dieses Mal durfte er seine Mutter nicht wieder enttäuschen.
»Ach, was soll ich denn mit einem Auto?«
»Mal rausfahren oder ans Meer.« Seine Mutter hat ein Leben lang hart für sie beide gearbeitet. Sven will ihr etwas zurückzahlen, will, dass es ihr gut geht. Aber tief in sich drin weiß er, dass er ihr die größte Freude mit einem ordentlichen Job und einem geregelten Leben machen würde.
»Ich bin eigentlich gerne hier bei uns zu Haus«, hat sie geantwortet.
Seit sie seinen Vater beerdigt hatten, als Sven noch ein Kind war, gab es keinen anderen Mann mehr an der Seite seiner Mutter. Der Kampf gegen den Krebs ihres Mannes hatte sie ermüdet. Als Svens Vater schließlich starb, war mit ihm auch etwas in seiner Mutter gestorben. Sven hätte es niemals zugegeben, aber seine Mutter war seitdem nur noch eine leere Hülle. Ein Roboter, der zur Arbeit ging, kochte; Dinge sagte, welche vom Leben müde Mütter sagen.
In seiner Jugend hatten sich die wenigen deutschstämmigen Jungs in Svens Heimatkiez bald zu einer Gang zusammengeschlossen - seine Mutter nannte sie immer »Bande«. Es war nie wirklich gefährlich auf der Straße, sie kamen sogar ganz gut mit den nicht deutschen Clans aus - Polen oder Albaner. Bis auf ein paar wenige Prügeleien glich es eher einer Zweckgemeinschaft. Sie deckten sich gegenseitig vor der Polizei, tauschten »Güter« aus - wahlweise zum Rauchen oder zum Durch-die-Nase-Ziehen. Die Gründe, die zu handfesten Auseinandersetzungen führten, waren die Mädels, die nicht selten die kleinen Schwestern der Gegenseite waren. Sven machte da immer alles richtig. Mit dreizehn Jahren verlor er seine Jungfräulichkeit an eine vermutlich nymphomane Fünfzehnjährige aus Cz?estochowa, die schon aussah wie achtzehn. Seitdem war er kein Kind von Traurigkeit. Und er schaffte es dabei immer, seine Affären so zu führen, dass sich die Mädchen nicht zu sehr in ihn verliebten, ihn aber am Ende auch nicht hassten. Irgendwann verstand er es, die perfekte Mischung aus Charme, Sex-Appeal und Unverbindlichkeit an den Tag zu legen. Ihm ging es doch nie um den »reinen Vollzug«, wie es sein Kumpel Pavel immer nannte: Cover the face and fuck the base. Nein, er interessierte sich für den Menschen, hatte ein echtes, ungeheucheltes Interesse an den Mädchen, unterhielt sich gern mit ihnen. Und zwischen den Gesprächen besorgte er es ihnen aufs Feinste.
Den wenigen Geschichten und noch rareren Andeutungen seiner Mutter zufolge mochte er diesen Charakterzug durchaus von seinem Vater haben: ein Händchen fürs andere Geschlecht.
Und dann lernte er Nadja kennen. Er gerade mal 21, sie 24, der perfekte Altersunterschied. So gab es auf einmal neben seiner Mutter noch eine weitere Frau in seinem Leben, für die er sich anstrengen wollte.
Sven zündet sich eine Zigarette an. Der Regen hat nicht nachgelassen, er stellt sich an einer Bushaltestelle unter. Nadja ist einfach die perfekte Frau für ihn. Sie ist verantwortungsbewusst, intelligent, zielstrebig; weiß, was sie will. Auch im Bett. Wenn es normalerweise so läuft, dass er die Mädels überrascht - einfach mit der Art, wie er ist, wie er sie beim Sex komplett erfasst -, hat es Nadja nun ihrerseits geschafft, ihn zu überraschen. Sie ist nicht satt zu kriegen, holt sich, was sie braucht. Ist alles andere als ein Opfer. Opfer kann er im Bett nicht ausstehen. Einfach nur daliegen und es ihm überlassen.
In Svens Tasche vibriert es, er schaut auf sein Handy. Mona schreibt.
»Zeit?«
Die Gedanken haben Sven horny gemacht.
»Klar. Jetzt?«
»
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