5 Kennzahlen und ihre Bedeutung
Eines der ersten großen Lernfelder einer typischen Krankenhausorganisation sehe ich darin, Kennzahlen als Orientierungsgrößen zu nutzen. Auch wenn die Controllingabteilung und die Führungsetagen seit Jahren von einem gewaltigen Kennzahlendschungel überwältigt werden, so ist dessen Nutzung und sein Wert längst noch nicht in den Tiefen der Organisation angekommen.
Die Bedeutung von Kennzahlen
Die Bedeutung von Kennzahlen wird massiv unterschätzt. Das Arbeiten mit ihnen ist ungewohnt bis abstoßend. Schließlich repräsentieren Kennzahlen eine konkrete Leistung. Oder Nicht-Leistung. Oder ein Ergebnis. Oder ein Nicht-Ergebnis. Kennzahlen verströmen irgendwie den verstörenden Geruch von Ökonomisierung. Und sie produzieren Transparenz. Die mag auch nicht jeder.
Dabei übernehmen Kennzahlen gleich drei wichtige Funktionen: Sie produzieren Konkretheit, verpflichten zur Objektivierung und geben Orientierung.
Konkretheit produzieren sie, weil sie sich erst dann generieren lassen, wenn die Beteiligten sehr genau darüber nachdenken, was wirklich gewollt ist. Was das wirkliche Problem ist. Was das wirkliche Ziel ist. Solche Fragen werden aber bislang weder präzise gestellt noch beantwortet. Das ist neu.
Das Boardsegment Visualisierung enthält eben diese Kennzahlen.
Teamboard Visualisierung © Jörg Gottschalk
Sie geben den jeweiligen Status einer Verbesserungsmaßnahme wieder. Denn jede Maßnahme folgt einem definierten Ziel. Etwas soll besser, schneller, einfacher, wirtschaftlicher oder innovativer werden. Das Spektrum der Fragestellungen ist naturgemäß groß. Weil im allgemeinen Trubel jedoch stets die Gefahr besteht, genau dieses Ziel aus den Augen zu verlieren, oder der erreichte Fortschritt nicht oder nur schwer zu erkennen ist, visualisiert jedes Team seine Ziele mit einer Kennzahl am Board. So kann es selbst und jeder andere erkennen, ob eingeleitete Verbesserungsmaßnahmen in die richtige Richtung weisen und die angestrebten Ziele erreicht werden. Eine solche Kennzahl entwickelt ein Team selbstständig, weil es das Team ist, das sein Ergebnis verfolgen möchte. Es ermittelt die Daten und ergänzt täglich die Kurve am Board.
Kennzahlen verschaffen die notwendige Orientierung im Dschungel des Alltags. Wo wollen wir eigentlich hin? Wie ist der aktuelle Status unserer Verbesserungsmaßnahmen? Wirken sie überhaupt?
Kennzahlen sorgen außerdem für Orientierung. Sie lassen sich messen. Die Realität wird damit quantitativ belegt und objektiviert. Man kann über Fakten sprechen und muss nicht mehr spekulieren. Meinungen und Gefühle treten in den Hintergrund. Ich glaube, dass (.) gilt dann nicht mehr. Stattdessen heißt es: Es ist, wie es ist. Aber warum eigentlich?
Wenn ich Ihnen gleich einige Beispiele vorstelle, werden Sie darüber hinaus eine weitere Funktion erkennen: den Zwang zum Nachdenken und zur Präzision. Ziele lassen sich leicht dahersagen. Sobald man sie aber in eine Kennzahl gießen möchte, die zweifelsfrei gemessen werden kann, besteht der Zwang zur Präzision. Man muss sehr genau darüber nachdenken, was wirklich gewollt ist und was wirklich gemessen werden soll. Präzision führt am Ende dazu, dass es keine Ausreden mehr gibt. Ziele können nicht mehr infrage gestellt werden. Wenn eine Kennzahl exakt ist und genau das widerspiegelt, was wirklich gewollt ist, dann erübrigt sich jede Art der Diskussion über die aktuelle Lage.
In der gelebten Verbesserungslogik folgen Kennzahlen stets exakt den Zielzuständen, die das Team aktuell bearbeitet. Ob solche Zielzustände von der Geschäftsführung, einer Chefärztin, dem Pflegedirektor oder dem Team selbst in den Verbesserungsprozess eingebracht worden sind, spielt für die Anwendung und Methodik keine Rolle.
Im Grunde stellen sich die immer gleichen zwei Fragen:
Woran können wir erkennen, dass wir das, was wir erreichen wollen, auch tatsächlich erreichen?
Wird es besser? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Kennzahlenarbeit
Die Kennzahlenlogik lässt sich am leichtesten an einem konkreten Fall darstellen. In diesem Beispiel möchten die OP-Verantwortlichen eines Krankenhauses die Vorbereitung ihrer OP-Patienten verbessern. Aktuell kommen weniger als 60 Prozent aller Patienten perfekt vorbereitet an der Schleuse an. Diese Fehlerquote ist inakzeptabel, denn die Folgen sind Nacharbeiten und Verzögerungen bei der Einschleusung der Patienten und Verschiebungen der OP-Pläne. Die geltende Vereinbarung lautet, dass Stationen ihre Patienten perfekt vorbereiten und pünktlich zur Schleuse transportieren sollen. Dieser gewollte Zustand wird offensichtlich und objektiv nicht erreicht.
Eine der ersten Maßnahmen besteht darin, dass für jede OP-Art/-Indikation eine detaillierte Checkliste ausgearbeitet und auf jeder Station ausführlich geschult werden soll. Die Checkliste dient als Handlungsleitfaden bzw. Gedankenstütze und sorgt dafür, dass die vereinbarte Regelung kontrollierbar wird.
Im Zusammenhang mit der Definition einer Kennzahl lautet die Fragestellung: Woran können wir erkennen, dass sich die OP-Vorbereitung gemäß Standard tatsächlich verbessert?
Die Antwort des Teams: Wir kontrollieren und messen bei Ankunft an der Schleuse, ob die richtigen Checklisten vollständig ausgefüllt worden sind und die dort bestätigten Aktivitäten tatsächlich korrekt durchgeführt wurden. Man könnte diese Kontrolle auch vor dem Verlassen der Quellstation durchführen. Dann könnte kein fehlerhaft vorbereiteter Patient die Station überhaupt verlassen. Das Team hat sich jedoch anders entschieden.
Das gewünschte Ergebnis wird in der folgenden Kennzahl Vollständigkeit OP-Checkliste Schleuse dargestellt.
Kennzahl Vollständigkeit OP-Checkliste Schleuse © Jörg Gottschalk
Die Kriterien wurden stringent formuliert. Als vollständig vorbereitet gilt derjenige Patient, dessen richtige Checkliste zu 100 Prozent korrekt erledigt wurde. Fehlt auch nur eine einzige Position oder wurde auch nur eine Leistung fehlerhaft erbracht, dann gilt die Vorbereitung als unvollständig. Man könnte selbstverständlich auch unterschiedliche Erfüllungsgrade definieren, was allerdings die Übersichtlichkeit und Anwendbarkeit erschweren und damit beeinträchtigen würde. Meine klare Meinung dazu: Wir wollen Perfektion, also sollten wir auch Perfektion messen.
Kennzahlen müssen möglichst eindeutig und zweifelsfrei sein. Sie müssen leicht generierbar sein und weitgehend frei von Interpretationsmöglichkeiten bleiben. Die beste Kennzahl ist die, die eine einzige Frage beantwortet. Hier lautet die Frage: Ist die Vorbereitung perfekt oder ist sie nicht perfekt? Ganz schlicht.
Oft wird die Kraft des Auges unterschätzt. Doch es denkt mit. Deshalb sollte die grafische Darstellung einfach, selbsterklärend und mit einer starken Signalbildung versehen sein. Grün, Gelb, Rot kennt jeder und sobald man aus der Entfernung auf eine solche Kennzahl schaut, wird klar, was die Stunde geschlagen hat. Eine Kennzahl dient nicht nur dem Zweck, uns Fakten zu vermitteln. Sie soll in unser Bewusstsein vordringen, uns erreichen und unsere Aufmerksamkeit erzielen.
Unterhalb der grafischen Darstellung können Kennzahlen ergänzende Tabellen erhalten. Auf diese Weise lassen sich Details wiedergeben, die in der aggregierten, grafischen Darstellung verloren gehen. In unserem Beispiel werden die an die Schleuse verbrachten Patienten gezählt, die Menge der vollständig vorbereiteten Patienten erhoben und die Daten in Prozent umgerechnet.
Bis auf wenige Ausnahmen wird eine Kennzahl täglich aktualisiert. Als Verbesserer wollen wir immer nahe an der Realität agieren, wir wollen sofort handeln oder direkt nachfragen können. Verfügt man über den Status des gestrigen Tages, dann bietet sich die Gelegenheit, nachzufragen, warum die gestrige Entwicklung gut oder weniger gut war. Der gestrige Tag bleibt den Akteuren noch in Erinnerung. Die letzte Woche oder gar der letzte Monat sind längst verblasst.
Jede neue Information lässt sich im laufenden Verbesserungsprozess nutzen. Außerdem - und dieser Moment ist nicht zu unterschätzen - wird die Aufmerksamkeit aller Beteiligten jeden Tag und immer wieder neu auf das jeweilige Verbesserungsthema gelenkt. Das Auge denkt schließlich mit.
Vermutlich werden Sie die Erfahrung machen, dass die allermeisten Prozesskennzahlen heute nicht aus dem Controllingsystem generiert werden. Also werden diese Daten von Hand erfasst, was entgegen der landläufigen Meinung meist nicht besonders aufwendig ist. In unserem OP-Beispiel kontrollieren Mitarbeitende an der Schleuse die Checkliste und führen eine einfache Strichliste. Die Werte werden in der Tabelle am Board eingetragen, der Punkt wird in die Grafik übertragen und dann mit dem Punkt des Vortages per Stift verbunden. Damit wäre die Aufgabe erledigt.{2}
Jeder Kennzahl wird ein verantwortlicher Kennzahlenkümmerer zugewiesen, sodass sich auch diese Aufgabe auf mehrere Schultern verteilen lässt.
Am Board hängen selten mehr als drei bis sechs Kennzahlen. Erstens steht nicht mehr Platz zur Verfügung, zweitens kann und soll ein Team nicht mehr zu viele Themen parallel bearbeiten. Mehr geht ohnehin nicht gleichzeitig.
Eine Bemerkung zum Schluss: Das Board ersetzt nicht das Controllingsystem. Es werden hier keine Kennzahlen (nur) zur allgemeinen Übersicht geführt. Am Teamboard befinden sich ausschließlich Informationen/Kennzahlen im Zusammenhang mit laufenden...