Schweitzer Fachinformationen
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Als Edie Strang aus dem Atelierfenster schaute, erblickte sie in ihrem Staudenbeet eine Ziege, die genüsslich Blumen verspeiste. Mit einem Aufschrei ließ Edie den Druck fallen, den sie gerade in der Hand hielt, und stürzte hinaus in den Regen.
»Hau ab!«, schrie sie.
Die Ziege, die sich an den gefüllten orangen Tulpen gütlich tat, störte das allerdings nicht im Mindesten.
»Verschwinde, du altes Biest!« Edie schnappte sich eine leere Gießkanne und begann erbost mit der Faust auf den Boden zu hämmern. Der Krach übertönte sogar das Trommeln der Regentropfen auf den Steinguttöpfen. Die Ziege erschrak, schlug aus und wich zurück auf Edies sorgsam gepflegtes Rasenstück.
»Wage es bloß nicht!«, zischte Edie, als die Ziege auf den schmalen Steinplattenweg galoppierte, der das Gemüsebeet von den Rabatten trennte. »Wenn du meinen Palmkohl auch nur anschaust, dann .« Sie schlug noch wilder auf die Gießkanne ein, worauf die Ziege vor Schreck einen Luftsprung machte.
Edie jagte dem Eindringling nach, bis es ihr schließlich gelang, das Tier zwischen Zaun und Schuppen im hinteren Garten in die Enge zu treiben. Dann ließ Edie die Gießkanne fallen und packte die Ziege fest am Nackenfell. Durch ein Tor im Zaun kam man direkten Wegs auf den Hügel hinter dem Haus, und einen Moment lang erwog Edie, das Tier einfach hinauszujagen, damit es anderswo Gärten verwüsten konnte. Der nichtsnutzige Ziegenbesitzer hatte weiß Gott nichts anderes verdient.
Doch stattdessen zerrte Edie das meckernde, störrische Tier, das in alle Richtungen ausschlug, zu einem anderen Tor im Zaun, durch das man in den benachbarten Garten gelangte.
»Ezra!«, brüllte Edie, während sie die zeternde Ziege durch das Tor bugsierte und es rasch wieder zuknallte. »Ezra Jones, hörst du mich? Komm sofort raus, du Vollidiot!«
Von ihrem Nachbarn war weit und breit nichts zu sehen. Entweder er war nicht zu Hause, oder er hatte beschlossen, Edie keine Beachtung zu schenken. Beides war denkbar.
»Wenn dieses Vieh noch mal in meinem Garten auftaucht, kommt es auf den Grill, das schwöre ich dir!«, schrie Edie, bevor sie wutentbrannt ins Atelier zurückstapfte. Dort säuberte sie ihre Hände am Waschbecken und rubbelte sich mit einem Handtuch die regennassen Haare trocken, immer noch schäumend vor Wut.
Vor zwanzig Jahren hatte Edie ihr Reihenhäuschen, das Corner Cottage, gekauft. Damals hatte sie es noch als Glückstreffer erachtet. Sie hätte zwar lieber ein einzeln stehendes Haus gehabt, aber der Anbau eignete sich perfekt als Atelier, und ein großartigeres Motiv als den kuriosen Leuchtturm, der auf dem kahlen Hügel aufragte, konnte es für eine Künstlerin kaum geben. Nie wäre Edie auf die Idee gekommen, dass sie nun Tür an Tür mit einem Mann leben musste, den sie wahrhaftig noch weniger leiden konnte als den Mistkerl, mit dem sie früher verheiratet gewesen war.
Und dann auch noch diese Ziege. Dieses Vieh gab Edie endgültig den Rest. Seit es sich in Ezras Besitz befand - »Ich habe ihr das Leben gerettet, Edie, jetzt sei doch nur ein einziges Mal nicht so kaltherzig!« -, hielt sich dieses gescheckte Ungeheuer mehr in ihrem Garten auf als nebenan. Ezra weigerte sich hartnäckig, die Ziege anzubinden oder in einen Pferch zu stecken, weil er ihre »natürlichen Instinkte« nicht beschränken wollte. Edies natürliche Instinkte dagegen hätten sie gerne dazu verleitet, der Ziege ebenso wie ihrem Besitzer mit einem Baseballschläger auf den Kopf zu hauen. Was auch immer noch irgendwann passieren konnte .
Sie seufzte und machte sich wieder ans Verpacken der Holzschnitte. Es hatte zwar eine Weile gedauert, bis Edie sich mit Instagram vertraut gemacht hatte, aber es war den Einsatz wert gewesen, denn sie hatte damit ein neues Publikum gewonnen. Zwei Jahre nach Beginn ihres Ruhestands hatte Edie alle Hände voll zu tun.
Der Leuchtturm war seit zwei Jahrzehnten ihre Muse und ein Hauptmotiv ihrer Arbeit. Beim letzten Projekt hatte sie etwas Neues ausprobiert: eine Serie von vier Holzschnitten in fünf Farben, auf denen der James-MacDonald-Turm in allen vier Jahreszeiten dargestellt war. Die nuancierten Unterschiede von Licht und Schatten stellten eine Herausforderung dar, die Edie sehr inspirierend fand. Monatelange Vorbereitung und Arbeit hatten schließlich fünfundneunzig Holzschnitte ergeben, neunzehn Sets, die allesamt verkauft worden waren. Nun war Edie dabei, jedes einzelne Blatt sorgfältig zu verpacken, um es in so weit entfernte Orte wie Neuseeland und Malta zu verschicken. Ein dreifaches Hoch auf das Internet, dachte sie, als sie nach dem nächsten Blatt griff.
Im letzten Moment sah sie das Blut an ihrem Daumen und riss fluchend die Hand zurück. Das fehlte gerade noch - eines der Originale auf teurem, zarten Daphnepapier mit einem Blutfleck zu ruinieren.
Edie ging zum Waschbecken zurück, hielt den Finger unters Wasser und tupfte ihn verärgert mit Haushaltspapier ab. Am Tag zuvor war sie beim Schnitzen abgeglitten und hatte sich einen kleinen, aber tiefen Schnitt am Daumen zugezogen. Ein Anfängerfehler, der wegen der feinen Winkel bei der Arbeit für ihren nächsten Druckstock entstanden war. Und beim Gerangel mit der abscheulichen Ziege war die Wunde wohl wieder aufgegangen.
Edie warf das Papier in den Abfalleimer und klebte ein Pflaster auf den Daumen. Sie brauchte frische Luft und musste sich die Beine vertreten, bevor sie sich die letzten dreißig Sendungen vornahm. Außerdem musste sie ohnehin beim Buchladen vorbeischauen; letzte Woche schon hatte sie Rachel einen Satz neuer Postkarten versprochen, aber noch keine Zeit gefunden, sie abzuliefern. Edie schlüpfte in ihre Jacke, griff nach ihrem Regenschirm und der Box mit den Karten und schloss die Tür hinter sich ab.
Vom Gartentor aus war der Weg zum Leuchtturm nicht mehr weit. Corner Cottage war das Eckhaus von vier Reihenhäusern, am anderen Ende stand das Pförtnerhaus, in dem inzwischen Cullen wohnte. Edie hatte ihn einmal nach der Geschichte dieser Häuserzeile gefragt, und Cullen hatte erklärt, dass sie ursprünglich für Bedienstete des Anwesens gebaut worden war. Vielleicht hatte in ihrem Haus sogar einer der Arbeiter gewohnt, sagte sich Edie, der am Bau des Leuchtturms beteiligt gewesen war. Ein späterer Mieter hatte dem Haus mit vier Zimmern den Anbau hinzugefügt, der so hell und geräumig war, dass sich Edie dort ihr Atelier eingerichtet hatte.
Als sie die umlaufende Veranda am Leuchtturm erreicht hatte und die Tür öffnete, hörte sie Ron triumphierend posaunen: »Schachmatt!«
»Du hast gemogelt!«, protestierte Cullen, wie jedes Mal, wenn Ron gewonnen hatte.
Edie, vertraut mit dem freundschaftlichen Gezänk der beiden, ging zur Theke.
»Hallo, ihr zwei«, begrüßte sie die beiden Männer im Vorbeigehen. »Belagern die Barbaren mal wieder die Pforten?«
»Sie hatten keine Chance«, antwortete Ron grinsend. »Ich habe die heidnischen Horden vertrieben, es ist wieder Frieden eingekehrt.«
»Ein Frieden, der mit unrechten Mitteln gewonnen wird, ist keiner«, beschwerte sich Cullen, »weshalb ich eine sofortige Revanche verlange.«
»Na, dann leg los«, versetzte sein Freund.
Die beiden begannen das Schachbrett vorzubereiten, und Edie wandte sich Rachel zu, die sie bereits lächelnd erwartete.
»Tut mir leid, dass ich sie dir nicht schon früher vorbeigebracht habe«, erklärte Edie, als sie die Schachtel mit den Postkarten auf die Theke stellte. »Hab gerade viel um die Ohren.«
»Vielen Dank, dass du neue gemacht hast«, erwiderte Rachel und nahm einen Stapel Karten aus der Box. »Wir haben fast keine mehr. Möchtest du einen Kaffee?«
»Das wäre herrlich, danke.« Sie wollte sich gerade einen Sitzplatz suchen, als Edie etwas Außergewöhnliches hinter dem Tresen bemerkte und verblüfft fragte: »Wer ist das denn?«
Neben dem Ofen saß eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Sie hatte nasse zerzauste Haare, trug ein verwaschenes Sweatshirt und schmutzige Jeans und war barfuß. Abgetragene Sneakers waren an den Ofen gelehnt, fadenscheinige Strümpfe lagen daneben. Neben einem abgewetzten Rucksack stand ein Teller mit Toast. Das Mädchen hielt einen dampfenden Becher Kaffee in einer Hand und streichelte mit der anderen Bukowski, der schmachtend zu ihr aufblickte.
»Das ist Gilly«, sagte Rachel leise, während sie Edie Kaffee eingoss und ihr den Becher reichte. »Ich glaube, sie braucht ein trockenes Plätzchen, bis der Regen vorbei ist.«
»Hm«, machte Edie stirnrunzelnd. Rachel, die begonnen hatte, den drehbaren Kartenständer aufzufüllen, warf ihrer Freundin einen Blick zu. »Was ist?«
»Sei lieber vorsichtig. Gestern war Jean vom Supermarkt beunruhigt, weil sich jemand dort herumdrückte und offenbar etwas stehlen wollte. War ein Mädchen . sie hier wahrscheinlich .«
»Edie«, sagte Rachel mit mahnendem Unterton.
»Was denn?«
Bevor Rachel sich äußern konnte, tauchte eine wuchtige Gestalt neben Edie auf. Sie wusste auch ohne hinzuschauen, um wen es sich handelte. Finster blickte sie ihren Nachbarn an. Ezra Jones hatte wieder etliche von diesen lächerlichen historischen Liebesromanen in der Hand, offenbar die einzige Lektüre, die er sich jemals zu Gemüte führte.
»Ich hab ein Hühnchen mit dir zu rupfen«, begann Edie.
»Was für eine Überraschung«, erwiderte Ezra in diesem betont nachsichtigen Tonfall, der Edie regelmäßig in Rage versetzte. »Was meinst du denn, was ich schon wieder verbrochen habe, Edie? Erzähl's mir.«
»Ich meine nicht, dass du etwas verbrochen hast, ich weiß es«, fauchte Edie aufgebracht. »Und zwar, dass deine verdammte Ziege...
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