Schweitzer Fachinformationen
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Das Abendessen wurde in dem von Kronleuchtern erhellten Thronsaal gereicht. Wir hatten jetzt livrierte Diener mit weißen Handschuhen, die uns Suppe, gebratenen Lachs, saftigen Salat, frisch gebackenen Kuchen und roten Bordeauxwein in Karaffen auftrugen - ein Festmahl, von dem unsere ganze Familie eine Woche lange hätte leben können. Ich beobachtete Mama dabei, wie sie den Dienern von ihrem Stuhl aus mit einer Selbstverständlichkeit Anweisungen erteilte, als hätte sie ihr Leben lang ganze Legionen herumkommandiert. Meine jüngeren Geschwister, Valdemar und Thyra, beide frisch geschrubbt nach dem Herumtollen im Garten, saßen ungewöhnlich still auf vergoldeten Stühlen vor dem riesigen, mit einem Leinentuch bedeckten Tisch, als hätte es ihnen angesichts der penibel um ihre Teller gruppierten silbernen Gabeln, Löffel und Messer die Sprache verschlagen.
»Die kleine Gabel hier ist für den Salat«, wisperte ich Thyra ins Ohr und wies auf das Besteck. »Die große nimmst du dann für das Fleisch und den Fisch. Man geht von außen nach innen, verstehst du?«
Meine Schwester nickte, wobei sich eine zwischen ihre dunklen Locken geflochtene Schleife anmutig bewegte. Wie ich hatte Thyra große, ausdrucksstarke dunkle Augen und eine Stupsnase. Damit kam sie nach unserem Vater, wohingegen Valdemar wie Alix das blonde Haar, die graublauen Augen und den hellen Teint unserer Mutter hatte.
Während wir aßen, sprach Mutter leise mit Vater. Ohne Zweifel ging es um die Brautausstattung und die Vorbereitung der Reise nach England. Ich konnte kaum etwas verstehen, und das war etwas völlig Neues, denn in unserem alten gelben Palast hatten wir beim Essen immer wild durcheinandergeredet. Ein weiteres Zeichen dafür, dass unser Leben nicht mehr dasselbe war. Und als der vierjährige Valdemar unvermittelt verkündete: »Ich will mit nach England!«, herrschte schlagartig völlige Stille.
Ich presste mir die Serviette auf den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken.
»Kinder werden nicht zu Hochzeiten eingeladen«, erklärte Mama ihm. »Du bleibst mit Thyra und eurer Gouvernante hier, bis .«
»Nein!« Valdemar schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich will mitfahren!«
Mama warf Papa einen Blick zu, der aussah, als würde gleich ein dröhnendes Gelächter aus ihm herausplatzen. »Christian, bitte teile unserem Sohn mit, dass solche Ausbrüche nicht geduldet werden können.«
Papa nahm sich zusammen. »Valdemar«, sagte er, um einen strengen Ton bemüht, »hör auf deine Mutter.«
Valdemar zog einen Schmollmund. Tröstend tätschelte Alix ihm die Hand und murmelte etwas. Unsicher blickte er zu ihr auf. »Eine neue Lokomotive?«
Alix nickte. »Versprochen. Ich habe gehört, dass sie in England wunderschöne Spielzeugeisenbahnen bauen.«
Ich verbiss mir gerade noch die Bemerkung, dass es das auch in Dänemark gab. Außerdem besaßen wir schon eine herrliche Modelleisenbahn, die meine Brüder beim Umzug zurückgelassen hatten. Sie hatte immer wunderbar funktioniert, bis Valdemar sie eines Tages in einem Wutanfall zertrampelte.
Dann wandte sich Alix unvermittelt an unsere Eltern. »Ich verstehe nicht, warum er nicht mitkommen sollte. Schließlich handelt es sich um meine Hochzeit. Und ich würde gern meine ganze Familie dabeihaben.«
Wer hätte das gedacht? Noch nie hatte ich sie ihre Meinung mit solchem Nachdruck vortragen hören. Ich saß steif auf meinem Stuhl und sah, wie Mama nach Luft schnappte.
»Aber wir haben uns um so vieles zu kümmern. Königin Victorias Familie wird vollzählig erscheinen; dazu viele andere wichtige Gäste. Da kann ich mich unmöglich auch noch um die Kinder kümmern.«
»Das kann doch Minnie tun.« Alix richtete den Blick auf mich.
Ohne darüber nachzudenken, nickte ich. »Natürlich kann ich das.«
»Schön, dann ist das geregelt!«, rief Papa erleichtert, woraufhin Mama ihn mit verkniffener Miene anstarrte.
Valdemar wäre vielleicht in Jubelgeheul ausgebrochen, hätte er nicht Mamas warnenden Blick bemerkt. So widmete er sich seinem Teller und veranstaltete mit dem gebackenen Fisch ein heilloses Durcheinander, bis Alix ihm die Gabel aus der Hand nahm und ihm half. Zwischendurch schenkte sie mir ein schnelles, dankbares Lächeln, das mir Gewissheit verschaffte. Wenn sie uns alle bei sich in England haben wollte, musste sie schwere Zweifel hegen. Ich beschloss, baldmöglichst ein Gespräch mit ihr zu führen.
Nach dem Essen wurden Valdemar und Thyra trotz heftiger Proteste ins Bett geschickt, während wir Größeren uns mit den Erwachsenen im Salon versammelten. Papa schenkte sich einen Cognac ein, und Mama nahm ihre Stickerei wieder auf. Während sie einfädelte, sagte sie: »Minnie, spiel doch bitte etwas für uns.« Wir hatten in diesem Palast einen mächtigen Flügel, der schon etwas anderes darstellte als das klapprige Pianoforte in unserem gelben Haus, doch als ich auf dem Hocker Platz nahm und zu spielen begann, schienen meine Finger förmlich auf den Tasten zu kleben. Ich machte einen Fehler nach dem anderen, wohl weil ich in Gedanken bei Alix war, die am Fenster saß und auf die ins Zwielicht der Dämmerung getauchte Landschaft hinausschaute.
»Minnie, ist das Händel, den du da verstümmelst?«, schnappte Mama. Sofort erstarrten meine Hände.
Seufzend wandte sich Alix zum Zimmer um. »Es war ein langer Tag. Ich ziehe mich wohl am besten zurück.«
»So früh?«, fragte Mama. »Es ist noch nicht einmal dunkel.«
Doch schon war Alix bei ihr und Papa und drückte beiden einen Kuss auf die Wange. Als sie sich der Schwingtür näherte, sprang ich auf. »Ich gehe mit«, verkündete ich, und bevor Mama mich zurückrufen konnte, folgte ich Alix auf den Flur hinaus.
Sie schien mich erst wahrzunehmen, als ich sie am Ärmel zupfte. Kurz zuckte sie zusammen, dann blieb sie stehen. Ihr argwöhnischer Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie bereits ahnte, was ich sagen wollte.
»Bist du zu müde, um mit mir zu reden?«, fragte ich.
Sie lächelte. »Ich habe mich schon gefragt, wann du mich darauf ansprichst.«
»Du hättest ja mich fragen können.« Ich biss mir auf die Lippe. Auf keinen Fall wollte ich einen feindseligen Ton anschlagen. »Aber wahrscheinlich hattest du zu viel zu tun.«
»Allerdings. Ich hatte ja keinen Begriff davon, was für einen Aufwand eine Hochzeit erfordert! Wenn ich noch ein einziges Kleid oder einen Hut anprobieren muss .« Ihr Blick begegnete dem meinen. »Sollen wir nach oben in mein Zimmer gehen?«
»Nein«, erwiderte ich impulsiv, denn ich wollte nicht die Stapel von Sachen sehen, die für England verpackt werden mussten. »Lass uns in die Galerie gehen.«
Die Galerie war eine luftige, schwarz-weiß geflieste Passage, die an der dem Garten zugewandten Seite des Palasts entlang verlief. Sie empfing uns mit einer düsteren Atmosphäre; die Pflanzen in ihren Porzellanvasen kauerten gefiederten wilden Tieren gleich auf weißen Bastmöbeln, die ich schon deshalb verabscheute, weil immer etwas vorstand, an dem mein Kleid hängen blieb, und .
Alix riss mich aus meiner Unschlüssigkeit. »Du kannst dich getrost setzen. Wenn du dir eine Naht zerreißt, kannst du sie ausbessern lassen. Kein Nähen mehr bei Kerzenschein. Jetzt haben wir andere, die das für uns machen.«
Herausfordernd ließ ich mich auf den nächsten Stuhl plumpsen. Mir war nicht klar, ob sie mich nur neckte. »Ich vermute, es behagt dir, jetzt Diener zu haben.«
»Warum auch nicht?« Sie nahm mir gegenüber Platz. »Es ist angenehm, nicht mehr mit abgebrochenen Fingernägeln oder zerstochenen Daumen herumzulaufen. Siehst du das nicht auch so?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Diener reden. Sie haben überall Augen und Ohren. Ich möchte lieber nicht ständig der Gegenstand von Klatschgeschichten sein.«
Sie senkte den Blick und nestelte an der Bordüre ihrer Manschette herum. »Du klingst wütend, Minnie.«
»Wirklich?« Es ärgerte mich, dass ich ein Echo der Worte meines Vaters zu hören bekam. »Vielleicht habe ich ja guten Grund dazu.«
Sie hob die Augen, die im düsteren Licht der Galerie übergroß wirkten. »Was sollte das sein?«
Ich wollte ihr vorhalten, dass ich wütend war, weil sie einen Mann heiratete, für den sie gar keine Zuneigung empfinden konnte; Mama hatte sie gezwungen, ihre Pflicht zu erfüllen. Das Ganze war nur Mamas Schuld. Doch während ich noch überlegte, wie ich anfangen sollte, hörte ich mich schlicht sagen: »Warum hast du Ja gesagt?«
Sie gab keine Antwort. Zwar schaute sie nicht weg, doch jetzt hatte ihr Gesicht wieder diesen verschlossenen Ausdruck. Das ermutigte mich zu der Ergänzung: »Du kannst ihn unmöglich lieben. Du kennst ihn ja kaum.«
In gemessenem Ton erwiderte sie: »Glaubst du, ich hätte in diese Ehe eingewilligt, wenn ich ihn für unpassend gehalten hätte? Nein, ich kenne ihn nicht, noch weiß ich, ob er mich glücklich machen wird. Aber er hat um meine Hand angehalten und wird mich zur Prinzessin von Wales machen. Ich habe alles sorgfältig durchdacht, bevor ich mein Jawort gegeben habe.«
»Dein Jawort? Oder Mamas Jawort? Alix, ich habe immer geglaubt .«
»Was?«, fragte sie. »Was hast du immer geglaubt?«
Ich rang um Worte. Ihr Ernst hatte mir den Wind aus den Segeln genommen. »Ich . ich weiß nicht. Ich dachte nur, wir beide würden erst dann heiraten, wenn wir uns richtig verlieben - so wie Papa und Mama.«
Sie lächelte. Und die feinen Fältchen, die sich dabei...
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