Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer begibt sich in diesem Roman auf die Suche nach Schuld und dem politischen Erbe Südafrikas nach der Apartheid.
Ein junger Mann betritt das Haus einer Wohngemeinschaft, wechselt ein paar Worte mit einem auf der Couch liegenden Freund, ergreift die "Hauswaffe", die in Johannesburg zum Schutz gegen Einbrecher in fast jedem Haushalt anzutreffen ist, und erschießt ihn. In diesem enorm spannenden und meisterhaft komponierten Roman geht Nadine Gordimer den Spuren einer Gewalttat und ihren Motiven nach, um die Gewalt selbst zu entschlüsseln.
»In »Die Hauswaffe« verband Gordimer die wachsende Gewalt in der südafrikanischen Gesellschaft mit einem psychologisch vielschichtigen Familienroman.« Spiegel
Es ist anzunehmen, daß keiner der Lindgards je in einem Gerichtsgebäude gewesen war. Während des Wochenendes, der achtundvierzig Stunden des Wartens, waren sie alle möglichen Erklärungen durchgegangen. Sie konnten ja nicht mit ihm, ihrem Sohn, selbst sprechen. Gerade aufgrund der Unvorstellbarkeit des Vorwurfs gegen ihn hatten sie das Gefühl, seine Anweisung, ihn nicht zu besuchen, respektieren zu müssen. Das mußte ein Hinweis darauf sein, daß die ganze Sache lächerlich war, das war's, entsetzlich lächerlich, seine eigene lächerliche Angelegenheit, die sich bald aufklären würde und die man am besten nicht dadurch noch bekräftigte, daß Mutter und Vater sie besorgt aufnahmen, in Begleitung ihres Anwalts im Gefängnis erschienen, die Gefühle in Aufruhr und so weiter. Das war die Lesart, die sie für seine Bitte, ihn nicht zu besuchen, fanden; eine Mischung aus Rücksichtnahme ihnen gegenüber - nicht nötig, die Eltern in die Angelegenheit zu verwickeln - und der Unabhängigkeit der Jugend, die ihm seit seiner Pubertät in beidseitigem Einverständnis gewährt und zugesichert worden war.
Aber das Unbekannte zieht immer Angst nach sich. Angst war eine Droge, die nicht aus ihrem Arzneimittelkoffer kam. Ruhig, ohne sich etwas zu sagen zu haben, gingen sie durch die Flure des Gerichtsgebäudes, und Harald trat mit der Höflichkeit eines Fremden für seine Frau Claudia zur Seite, als sie die richtige Tür fanden, eintraten und sich unbeholfen seitlich durch die Reihe zwängten, um auf einer der Bänke Platz zu nehmen.
Schon der Geruch war der eines fremden Landes, in das sie deportiert worden waren. Der Geruch von polierten Holzschranken und gebohnertem Fußboden. Die Fenster über Kopfhöhe, die nach unten gerichteten Scheinwerfer. Die Uniformen, in denen Männer mit der Unpersönlichkeit von Anhängern eines Kultes steckten, alle austauschbar. Die Anwesenheit von ein paar Gestalten, die in ihrer Nähe saßen, Leute, wie sie einen von Parkbänken anstarren oder mit dem Gesicht nach unten in öffentlichen Anlagen liegen. Der Verstand flieht die Dinge, die sich ihm entgegenstellen, wie ein Vogel, der in einen geschlossenen Raum hineinfliegt, es muß einen Weg ins Freie geben. Harald prallte mit einem Eindruck aus der Schulzeit zusammen, der so weit zurücklag, daß er sich nicht bewußt erinnern konnte. Es war der Geruch von öffentlichen Gebäuden zusammen mit dem harten Holz unter seinem Hintern. Selbst über den Namen eines Lehrers stolperte er; nichts aus der Vergangenheit konnte ferner sein als diese Gegenwart. Mit einem Aufblicken registrierte er, daß Claudia sich aus ihrer Starrheit löste, um den Pieper, der sie mit ihrer Praxis verband, abzuschalten. Sie spürte die Ablenkung und wandte den Kopf, um in seinem Blick zu lesen: nichts. Sie lächelte steif, wie man einen begrüßt, von dem man nicht genau weiß, ob man ihn kennt.
Er kommt zwischen zwei Polizisten die Treppe herauf. Duncan. Kann das sein? Es ist eine Rolle, die nicht zu ihm gehört, nicht so, wie sie ihn kennen, immer gekannt haben. Er trägt schwarze Jeans und ein schwarzes Baumwoll-T-Shirt. Das gleiche, was er sonst auch trägt, aber der Kragen eines weißen Hemdes ist ordentlich über den Halsausschnitt des T-Shirts heruntergeklappt. Beide bemerken das, es ist der unausgesprochene Brennpunkt der Aufmerksamkeit zwischen ihnen; es ist das Detail, die von einem Gericht erwartete symbolische Unterwerfung unter die Konventionen, wodurch eine Verbindung zwischen dem, den sie kannten, ihm, und diesem anderen, dem zwischen zwei Polizisten, hergestellt wird.
Eine Hitzewoge überlief Harald, eine Verwirrung wie Angst oder Wut, aber keins von beiden. Eine Reaktion, die wachzurufen es nie zuvor Veranlassung gab.
Duncan, ja. Er sah sie an und gab sich zu erkennen. Claudia lächelte ihm mit erhobenem Kopf zu, so daß alle es sehen konnten. Und er neigte den Kopf in ihre Richtung. Aber während der Verhandlung sah er seine Eltern nicht mehr direkt an. Nur einmal streifte sein kontrollierter, fast nachdenklicher Blick sie, als er über die Besuchergalerie wanderte, über die zwei schwarzen jungen Männer, die die Beine entspannt ausgestreckt hatten, über den alten weißen Mann, der nach vorn gebeugt dasaß, den Kopf in die Hände gestützt, und die Mitglieder einer Familie, die wahrscheinlich nur in den Saal gekommen waren, um die Zeit bis zu der sie betreffenden Verhandlung zu überbrücken, und im Flüsterton über ihre eigenen Angelegenheiten sprachen.
Der Richter hatte seinen Auftritt, alle rappelten sich hoch und sanken wieder auf die Bänke. Er war groß oder klein, kahlköpfig oder nicht - egal, man sah die hochgezogenen Schultern unter dem Stoff der Robe, den Oberkörper, der sich über die Akten beugte, die ihm gereicht wurden. Im Frageton machte er ein paar knappe Bemerkungen in Richtung der Tische im Zentrum des Saals, wo sich die Rücken derjenigen, die vermutlich Staatsanwalt und Verteidiger waren, der Besuchergalerie präsentierten. Unter den schräg nach unten gerichteten Lichtbahnen gingen Polizisten mit irgendwelchen Aufträgen geschäftig hin und her und konferierten in heiserem Flüsterton, nachdem die Formalitäten abgeschlossen waren. Die Verhandlung wurde auf einen Termin zwei Wochen später vertagt. Ein zweiter Antrag auf Kaution wurde abgelehnt.
Vorbei. Aber der Anfang. Die Eltern näherten sich der Schranke zwischen Besuchergalerie und dem Bereich der Anwälte und wurden nicht daran gehindert, Kontakt mit ihrem Sohn aufzunehmen. Beide umarmten ihn, während er den Kopf von ihren Gesichtern abgewandt hielt.
»Brauchst du was?«
»So geht das nicht«, sagte der junge Anwalt, »ich lege sofort Einspruch gegen die Ablehnung ein, Duncan. Damit kommt der Staatsanwalt nicht durch. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Das letzte war an sie gerichtet, die Ärztin, in exakt dem gleichen beruhigenden Ton, den sie bei Patienten anschlug, wenn sie sich über die Diagnose nicht klar war.
Ihr Sohn wirkte ungeduldig, er hatte den unruhigen Blick eines Patienten, der wünscht, die Wohlmeinenden würden gehen; ein dringendes Bedürfnis, sich ganz seiner eigenen Angelegenheit widmen zu können. Sie konnten das als Selbstbewußtsein deuten; aufgrund seiner Unschuld - natürlich; oder es konnte auch eine Tarnung der Angst sein, verwandt der Angst, die sie gespürt hatten. Vielleicht verbarg er seine aus Stolz, weil er mit ihrer Angst nichts zu tun haben wollte. Er war jetzt offiziell Angeklagter, aktenkundig. Und der Angeklagte hat schließlich seine eigene Angst, mit der er sich auseinandersetzen muß.
»Nichts?«
»Ich kümmer mich um alles, was Duncan braucht« - der Anwalt drückte seinem Klienten die Schulter, schwang seinen Aktenkoffer herum und verschwand.
Wenn sie nichts tun konnten, dann .
Nichts. Nichts, was sie fragen konnten. Nicht: Was soll das denn alles, was hast du getan oder angeblich getan?
Sein Vater faßte sich ein Herz: »Ist der Anwalt wirklich gut? Wir könnten einen anderen besorgen. Egal wen.«
»Er ist ein guter Freund von mir.«
»Ich setz mich später mit ihm in Verbindung, ich will wissen, was er beim Staatsanwalt erreicht hat.«
Der Sohn weiß, daß der Vater Geld meint, er ist bereit, eine Sicherheit zu leisten für dieses unvorhergesehene Ereignis, das, für ihn unglaublich, zwischen sie getreten ist, Geld für die Kaution.
Er wendet sich ab - der Häftling, denn das ist er jetzt -, er wartet nicht auf die Aufforderung der Polizisten, er will nicht, daß sie ihn anfassen, er hat seinen eigenen Willen, und die Hände seiner Mutter bekommen nur seine Fingerspitzen zu fassen, als er schon geht.
Sie sehen, wie er die Treppe hinuntergeführt wird zu dem, was immer sich unter dem Gerichtssaal befinden mag. Als sie im Begriff sind, Saal B 17 zu verlassen, bemerken sie, daß der andere Freund, der Bote Julian, hinter ihnen gestanden hat, um Duncan seiner Anwesenheit zu versichern, aber ohne sich aufzudrängen. Er gehört nicht zur Familie. Sie begrüßen ihn und verlassen mit ihm den Saal, aber ohne zu sprechen. Er fühlt sich immer noch unbehaglich wegen seiner Mission in jener Nacht und eilt vor ihnen davon.
Als das Paar wieder das Foyer des Gerichtsgebäudes erreicht, die hohen Gewölbe, in denen das Flüstern der hier versammelten unterschiedlichen Bittsteller widerhallt, bricht Claudia plötzlich aus und verschwindet in Richtung der Schilder, die zu den Toiletten weisen. Harald wartet inmitten der Menschen, denen angesichts ihres Unglücks nur die Geduld bleibt. Für sie ist er einer von ihnen, einer unter den Ehefrauen, Ehemännern, Vätern, Geliebten, Kindern von Fälschern, Dieben und Mördern. Er sieht auf die Uhr. Die ganze Angelegenheit hat genau eine Stunde und sieben Minuten gedauert.
Sie kommt zurück, gemeinsam gehen sie hinaus.
Laß uns noch einen Kaffee trinken.
Oh . in der Praxis warten Patienten auf mich.
Laß sie warten.
Sie hatte es nicht bis zur Toilette geschafft und sich in ein Waschbecken im Vorraum übergeben. Es gab keine Vorwarnung; als sie mit all den anderen unglücklichen Menschen nach draußen strebte, mit dem gleichen besorgten und niedergedrückten Gang, spürte sie plötzlich den Krampf im Magen und wußte, was passieren würde. Als sie zurückkam, sagte sie nichts, und er mußte annehmen, daß sie den Ort zum üblichen Zweck aufgesucht hatte. Medizinisch gesehen gab es eine Erklärung für eine solche Attacke ohne vorherige Übelkeit. Äußerste Anspannung konnte einen muskulären Krampf...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.