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Wie der Davos Man die Spielregeln der Weltwirtschaft zu seinen Gunsten beeinflusst
Für die meisten von uns war das Jahr 2020 eine endlose Quälerei. Es war ein Jahr, das wahrscheinlich auch in Zukunft als Sinnbild für die schlimmste Pandemie seit einem Jahrhundert, für den Tod unzähliger Menschen, für Angst, Isolation, geschlossene Schulen, Einkommensverluste und eine Vielzahl kleinerer Nöte stehen wird. Aber eine kleine Elite - eine Spezies, die wir hier »Davos Man«[1] nennen wollen - erlebte einen nie gesehenen Boom. Dank ihres Vermögens und ihres Einflusses gelang es den reichsten Menschen der Erde, sich von der Pandemie abzuschotten und sie in ihren Strandvillen, Skihütten und auf ihren Jachten auszusitzen. Sie profitierten von der Not der anderen, kauften zum Schnäppchenpreis Immobilien, Aktien und Unternehmensanteile auf und setzten geschickt ihre Lobbymacht ein, um gewaltige, steuerfinanzierte Rettungspakete auf ihre Konten umzulenken. Sie nutzten die Pandemie - eine Katastrophe, die sie selbst verschärften, indem sie die Gesundheitssysteme ausplünderten und den Regierungen Ressourcen entzogen - als Gelegenheit, um sich als Retter der Menschheit aufzuspielen. In eben jenem Jahr, wo die fatalen Folgen jahrzehntelanger Steuerflucht durch die Superreichen offenbar wurden, wollten sich die Steuertrickser dieser Welt auch noch für ihre Großzügigkeit preisen lassen.
So erklärte etwa Marc Benioff, der Gründer des Software-Giganten Salesforce: »Während der Pandemie erwiesen sich die CEOs in vielen, vielen Fällen weltweit als die wahren Helden. Mit ihren finanziellen Ressourcen und den Ressourcen ihrer Konzerne sprangen sie in die Bresche und reagierten mit ihren Angestellten und ihren Fabriken - nicht, um Profit zu machen, sondern um die Welt zu retten.« Dies sagte Benioff auf einer Rede Ende Januar 2021 auf dem jährlichen Treffen des Weltwirtschaftsforums, dem ultimativen Sammelbecken der Reichen und Mächtigen. Die Pandemie hatte verhindert, dass man sich wie gewohnt persönlich in Davos traf, in den Schweizer Bergen. Statt sich unter der weißen geodätischen Kuppel zu sehen, wo Benioff schon ein Mittagessen abgehalten hatte, an dem Popstars wie Bono und Will.i.am teilnahmen, traf man sich per Videokonferenz. Hinter ihnen sah man nun nicht mehr schneebedeckte Berge, sondern Bücherwände und andere Homeoffice-Hintergründe. Statt sich locker auszutauschen, diskutierte man eher stockend, nicht zuletzt aufgrund von Verbindungsproblemen.
Eines blieb aber unverändert: die Forderungen, die Welt müsse sich ändern - erhoben ausgerechnet von denjenigen, die am meisten vom Status quo profitierten. In der Diskussionsrunde zum sogenannten Stakeholder-Kapitalismus (eine Wirtschaftsform, in der Unternehmen nicht mehr allein ihren Aktionären verpflichtet sind, sondern der ganzen Gesellschaft, etwa ihren Mitarbeitern, der Umwelt, ihren Heimatgemeinden) lobte Benioff sich und seine Kollegen: Mission erfüllt. Er und seine Mit-CEOs hatten sich zusammengeschlossen, um Schutzausrüstung wie Gesichtsmasken und Schutzanzüge für Krankenhauspersonal bereitzustellen. Pharmabetriebe hatten in Rekordzeit Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt, Banker hatten großzügig Kredite gewährt, um Bankrotte zu verhindern. »CEOs haben sich dieses Jahr hervorgetan«, sagte Benioff. »Die Menschheit stünde heute nicht dort, wo sie steht, ohne die herausragenden Führungsqualitäten unzähliger CEOs, die in aller Welt heroische Arbeit leisteten und de facto ganze Gesellschaften retteten.«
Angesichts des erbärmlichen Zustands der Welt in jenem Augenblick konnte einem Benioffs Selbstbeweihräucherung schier den Atem rauben. Selbstlob, verkleidet als Selbstlosigkeit. Solche Kommentare verdeutlichen, wie sehr die Milliardärsklasse inzwischen abgehoben ist vom Rest der Menschheit. Nicht nur in der Dimension ihres Vermögens unterscheidet sie sich von uns Normalsterblichen, sondern auch in ihrem Denken. Benioff und seine Konzernlenker-Kollegen bewohnen inzwischen eine andere Wirklichkeit - sie leben im Reich des Davos Man.
Weltweit hatte die Pandemie mehr als zwei Millionen Menschen getötet und Hunderte Millionen in Armut und Hunger gestürzt. Schuld war natürlich das Coronavirus, doch der Davos Man trug seinen Teil dazu bei, die wirtschaftlichen Verwüstungen zu verschlimmern und die Zahl der Todesopfer zu erhöhen.
Hedgefonds-Milliardäre wie Stephen Schwarzman, der einmal den Vorschlag einer Steuererhöhung für Reiche zum kriegerischen Akt erklärt hatte - »wie Hitlers Einmarsch in Polen« -, hatten kräftig in Krankenhäuser investiert, diese finanziell ausgequetscht und so zu einer Schwächung des amerikanischen Gesundheitssystems beigetragen. Jamie Dimon, der Chef der größten Bank Amerikas, hatte geholfen, Steuersenkungen für die reichen Bewohner von Penthouses an der Park Avenue durchzusetzen - finanziert durch einen Abbau staatlicher Leistungen. Larry Fink, der größte Vermögensverwalter der Welt, schwadronierte von seinem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit, während er gleichzeitig bettelarme Länder dazu zwang, mitten in der Pandemie ihre Schulden weiter zu bedienen. Der zu diesem Zeitpunkt reichste Mensch der Welt, Jeff Bezos, profitierte vom Boom des E-Commerce, weigerte sich aber, seinen Lagerarbeitern Schutzkleidung zu stellen. Er pries ihre Leistung als »unerlässlich für die Aufrechterhaltung des täglichen Lebens« - was übersetzt hieß: »Leider seid ihr systemrelevant und könnt wegen eines kleinen Virus nicht einfach zu Hause bleiben.«
Nein, die Reichen mussten nicht besonders leiden im Jahr 2020, ganz im Gegenteil gelang es ihnen, vom Leid der anderen zu profitieren. Zum Ende des Jahres war das kollektive Vermögen der Milliardäre weltweit auf 3,9 Billionen Dollar gestiegen, während die Summe ihrer Spenden auf das niedrigste Niveau seit fast zehn Jahren gefallen war.1 Im gleichen Jahr rutschten 500 Millionen Menschen in Armut ab, und wahrscheinlich wird es mehr als ein Jahrzehnt brauchen, bis das wieder aufgeholt ist.
Die Pharmaunternehmen haben tatsächlich ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, Covid-19-Impfstoffe zu entwickeln. Allerdings machten sie die lebensrettenden Vakzine so teuer, dass ein Großteil der Menschheit sie sich nicht leisten konnte.
In seiner Strandvilla auf Hawaii sitzend, zog Benioff es aber vor, in seinen Triumphen zu schwelgen, und nahm die Pandemie zum Anlass, über die Unfähigkeit von Regierungen herzuziehen und sich für einen Stakeholder-Kapitalismus auszusprechen. Das Kalkül dahinter: Wenn Unternehmen sich freiwillig um das Wohl der Gesellschaft kümmern, verliert die Regierung das Recht, ihnen Auflagen zu machen. Das Konzept vom Stakeholder-Kapitalismus soll also verhindern, dass das Volk die Mittel der Demokratie nutzt, um die Gewinne des Kapitalismus gerecht zu verteilen. Mit seinem Lob für die Spitzenmanager suggerierte Benioff implizit, dass Regierungen Milliardäre gar nicht besteuern müssten, da diese ja aus eigener Großherzigkeit die Übel der Welt bekämpften. »Jede Woche treffen sich CEOs, um gemeinsam zu erörtern, wie sich die Welt verbessern und die Pandemie überwinden lässt«, erklärte er und zog gleichzeitig über die »Dysfunktionalität von Regierungen« und gemeinnützigen Organisationen her. »Nicht sie haben uns gerettet«, sagte Benioff. »Deswegen zählt die Öffentlichkeit auf uns Spitzenmanager.«
Mit seinen Äußerungen bietet Benioff ein Musterbeispiel für eine Spezies, die wir verstehen müssen, um durchschauen zu können, was der Menschheit im vergangenen halben Jahrhundert widerfahren ist. Die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit, der wachsende öffentliche Zorn und die Bedrohung der demokratischen Ordnung sind allesamt das Ergebnis des Raubzugs des Davos Man - ein Raubtier, das seine Macht zum Teil aus seiner Fähigkeit bezieht, die Gestalt eines Verbündeten anzunehmen.
Über die letzten Jahrzehnte hat die Klasse der Milliardäre Regierungen ausgeplündert, indem sie sich der Besteuerung entzog. Damit stahlen sie ganzen Nationen diejenigen Ressourcen, die sie zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme gebraucht hätten. Schon vor der Pandemie waren die Gesundheitssysteme vieler Länder ausgeblutet - und jetzt deutete der Verursacher der Ressourcenknappheit, der Davos Man, anklagend auf vermeintlich inkompetente Regierungen und erklärte, man dürfe sich nicht länger auf sie verlassen, sondern solle lieber auf seine Großzügigkeit hoffen. »Sprechen wir es ruhig laut aus«, sagte Benioff. »CEOs sind eindeutig die Helden des Jahres 2020.«
Der Ausdruck Davos Man wurde 2004 vom Politikwissenschaftler Samuel Huntington populär gemacht. Er beschrieb damit Menschen, die durch die Globalisierung so reich wurden und sich so sehr an...
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