Schweitzer Fachinformationen
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Ada trieb das Auto durch die Stadt, schnitt Kurven und wich nur um Haaresbreite entgegenkommenden Straßenbahnen und Fußgängern aus. Wir sahen vielleicht zwei Dutzend andere Autos und kein einziges Taxi. Thomas wirkte unbeeindruckt, aber ich sah, wie er sich mit seiner rechten Hand fest an den Türgriff klammerte, und fragte mich, ob er nur so lässig tat, um mich zu beeindrucken. War Ada tatsächlich die Sorte Frau, die ihre eigene Nichte auf den Rücksitz verbannte, damit ein Mann mit einer anderen Hautfarbe vorne sitzen konnte? Oder wollte sie mich bloß in meine Schranken weisen? Ich tippte auf Letzteres, wegen der fest verwurzelten Fremdenfeindlichkeit, die ich bei den älteren Leuten bei mir zu Hause erlebt hatte. Aber keine der Siebzigjährigen, die ich kannte, sah so aus oder verhielt sich wie Ada. Also war ihre Weltoffenheit vielleicht echt.
Schließlich bremste sie abrupt vor einem großen Reihenhaus in einem Viertel voller Nullachtfünfzehngebäude.
»Ich habe es doch gesagt: Das Seil hat gehalten.«
»Ich nehme alles zurück«, sagte Ada und lächelte Thomas an. Und kurz hätte ich schwören können, dass sie mit ihm flirtete. »Wärst du so lieb und bringst das Gepäck nach oben ins Gästezimmer, ja, Darling?«
Darling. So so.
»Sehr gerne, Ma'am.«
Sie bedankte sich bei ihm, dann wandte sie sich an mich. »Wir müssen einige Regeln aufstellen, bevor du dich hier zu heimisch fühlst.«
Jetzt fing es also an. Meine Mutter hatte mich vor ihrer Strenge gewarnt.
»Nummer eins: Du tust, was dir gesagt wird. Ich habe keine Zeit, unerzogene Kinder zu disziplinieren.«
»Ich bin kein Ki.« Sie reckte einen Finger in die Höhe und brachte mich zum Schweigen.
»Wie gesagt, ich habe keine Zeit, dich zu disziplinieren. Also benimm dich, sonst sitzt du ganz schnell wieder im Zug. Und wie ich gehört habe, willst du das ebenso wenig wie deine Eltern.«
Ich verschränkte mürrisch die Arme, ließ sie aber weitersprechen.
»Nummer zwei: keine Männer. Ich lebe von meinem Ruf in dieser Gemeinde, und den werde ich mir nicht von deinem Buntglasvorfall ruinieren lassen. Hast du mich verstanden?«
Ich nickte. In mir drin brodelte es, aber das würde ich dieser Hexe auf keinen Fall zeigen.
»Nummer drei: Niemand kommt ohne meine Erlaubnis in mein Haus. Es ist mir egal, mit wem du befreundet bist. Aber ich will diese Leute nicht bei mir zu Hause haben. Nummer vier: Du fasst nichts ohne meine Erlaubnis an. Du >leihst< dir nichts ohne meine Erlaubnis aus. Und ich werde dir diese Erlaubnis nicht erteilen.«
»Du darfst also meinen Lippenstift klauen, und wenn ich mir etwas von dir nehme, werde ich rausgeschmissen?«
Sie lächelte. »Jetzt hast du es verstanden.«
Mama, was hast du mir da angetan?
»Und Nummer fünf: keine Lügen. Mir ist egal, wie hässlich die Wahrheit ist. Und ich sehe diese Unterlippe, Missy. Ich weiß, dass du denkst, du könntest mich austricksen. Das kannst du nicht. Ich durchschaue dich, Kleine. Vergiss das nie.« Thomas kam zurück, nachdem er den Koffer ins Haus gebracht hatte, und nun nahm er meine Reisetasche und die Hutschachtel. »Er ist tabu«, sagte sie, als sie meinen Blick sah.
»Warum? Willst du mit ihm ausgehen?«, fragte ich säuerlich.
»Sei nicht frech«, sagte sie.
»Gibt es noch weitere Regeln?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete sie. »Aber für heute reicht es.« Thomas ging zurück zum Auto. »Spring rein, ich fahr dich nach Hause.«
»Vielen Dank, aber es macht mir nichts aus, die Straßenbahn zu nehmen. Ich muss beim Laden meines Vaters vorbeischauen.«
»Ich kann dich hinbringen.«
Er machte eine Kopfbewegung in meine Richtung. »Ich glaube, Sie haben schon genug zu tun.«
»Habe ich jemals nichts zu tun?«, fragte sie. »Ich weiß auch nicht, warum meine Familie denkt, ich würde ein Heim für diese ganzen missratenen Mädchen leiten.« Sie zog ihre Autohandschuhe aus und reichte Thomas eine Hand, die er liebevoll schüttelte. »Richte deiner Familie liebe Grüße aus.«
»Mach ich, Ma'am.«
»Und zum millionsten Mal: Hör auf, immer Ma'am zu sagen. Nenn mich Ada. Ada reicht.«
Er lächelte und entblößte perfekte weiße Zähne. »Yes, Ma'am«, entgegnete er, dann drehte er sich zu mir und nickte. »Miss Kleinman.«
Ada schüttelte den Kopf, während er wegging, dann stellte sie den Motor aus und kletterte aus dem Auto. »Komm schon«, sagte sie. »Mit Langsamkeit hat es noch nie jemand weit gebracht.«
Ich kletterte auf der Beifahrerseite aus dem Wagen und wollte anmerken, dass ich wohl kaum ein »missratenes Mädchen« war, als mir etwas dämmerte. »Ada - wen hat dir die Familie sonst noch geschickt?«
»Wie geschickt?«
»Du meintest, du seist kein Heim für missratene Mädchen. Wer ist sonst noch hierhergeschickt worden?«
Sie drehte sich auf dem untersten Treppenabsatz vor der Tür der rechten Doppelhaushälfte um. Ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Du glaubst, du wärst die Einzige, die über die Stränge schlägt? Deine Mutter hat auch einen Sommer bei mir verbracht, junge Dame. Und schau dir an, was aus ihr geworden ist.«
Ich riss die Augen auf, aber sie war schon die halbe Treppe hochgegangen. Mama - hier? Sie meinte, sie hätte einen Sommer an der Küste verbracht, und sie hatte gesagt, Ada wäre streng, aber so etwas hatte sie nicht einmal andeutungsweise erwähnt. Ich war nicht naiv genug zu glauben, dass sie von Geburt an überkorrekt gewesen war und sich bis zur Heirat mit meinem öden Vater nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Aber mir war auch noch nicht in den Sinn kommen, dass sie vielleicht deswegen so oft auf meiner Seite war, weil sie früher auch einmal Schwierigkeiten gemacht hatte.
Was hatte Mama damals angestellt? Ich war felsenfest entschlossen, Ada die dazugehörige Geschichte zu entlocken - und wenn ich den ganzen Sommer dafür brauchen würde.
Ada öffnete die schwere Eichentür, und ein kleines, graues Wollknäuel sprang sie an und kläffte schrill. »Mein Baby«, gurrte Ada und nahm den Terrier auf den Arm. »Ich habe dich auch vermisst, mein Engel. Mummy ist jetzt zu Hause.« Sie schaute mich an. »Mach die Tür zu. Du willst doch nicht, dass Sally wegläuft.«
»Sally?«
Sie streckte mir den Hund entgegen, und die kleine Kreatur bleckte die Zähne und knurrte. »Sie verfügt über eine exzellente Menschenkenntnis«, sagte Ada und drückte die Hündin fest an die Brust. »Du hast einfach das richtige Näschen für Probleme, nicht wahr, Süße?«
»Ganz reizende Kreatur«, murmelte ich. Ich streckte eine Hand in Richtung des Hundegesichts und hoffte, dass sie nicht abgebissen wurde. »Ich bin ganz lieb«, erklärte ich Sally. »Das verspreche ich.« Sally schnappte in die Luft, als wäre sie nicht bloß eine halbe Portion, die auch im klitschnassen Zustand kaum mehr als fünfzehn Pfund auf die Waage brachte.
»Sie stammt aus einer Champions-Linie.« Sie setzte Sally ab, und der Hund flitzte zu seinem Bettchen im Wohnzimmer unter einem Fenster, wo er sich hinlegte und mich misstrauisch beäugte. Ada nahm ihr Tuch ab und hängte es an die Garderobe neben der Tür, dann richtete sie ihr Haar im Spiegel daneben. Dabei schürzte sie leicht die Lippen, um meinen Lippenstift zu bewundern.
Ich blickte mich in meinem neuen Zuhause um. Es war geschmackvoll modern eingerichtet, überwiegend im skandinavisch minimalistischen Stil, trotz des Hartholzbodens, der ganz eindeutig noch aus der Zeit vor dem Krieg stammte, und der kunstvollen Holzarbeiten an den Treppengeländern. So hatte ich mir das Zuhause eines alternden, alleinstehenden Schadchens nicht vorgestellt. Ich hatte erwartet, dass das Haus aussah und roch wie der Geldbeutel einer Großmutter. Mit diesen ganzen klaren Linien, die von leuchtenden Farbsprenkeln akzentuiert wurden, hätte ich niemals gerechnet. Ada hatte ganz offensichtlich Geld und legte - wenn man aus ihrem Auto und Schal Rückschlüsse ziehen konnte - Wert auf Mode und Aussehen. »Partnervermittlung muss lukrativ sein«, sagte ich.
»Über Geld spricht man nicht«, sagte Ada. »Ich zeige dir dein Zimmer. Abendessen gibt es um Punkt sechs. Um sieben machen wir unseren Abendspaziergang.«
»Und um acht geht's ins Bett, nehme ich an.«
»Quatsch. Ed Sullivan läuft um acht.«
»Ach natürlich. Ich Dummchen.«
Sie blickte mich giftig an, als ich hinter ihr die Treppe hochging. »Unverschämtheiten werden auch nicht geduldet.«
»Zur Kenntnis genommen.« Schweigend lief ich einen langen, engen Flur entlang. Am Ende befand sich eine kleine Treppe, von der ich annahm, dass sie zum Dienstmädchenzimmer führte. Da würde ich vermutlich einquartiert werden - bei meinem Glück.
Stattdessen blieb sie vor der letzten Tür auf der rechten Seite stehen und drehte den Knauf. Das Zimmer war karg: ein Messingbett mit einer weißen Decke mit Lochmuster, ein Frisiertisch, ein Nachttisch und ein frei stehender Schrank anstelle eines Wandschranks. Ein Hauch Mottenkugeln und Muffigkeit hingen in der Luft. »Home, sweet home«, sagte ich mit so viel gespielter Fröhlichkeit, wie ich aufbringen konnte.
»Das Bad ist nebenan. Mein Zimmer liegt am anderen Ende des Flurs. Lillians Zimmer befindet sich neben meinem. Du darfst keine geschlossenen Türen öffnen.«
»Lillian?«
»Meine Gesellschafterin.«
»Ah. Mama hat erzählt, sie musste nach Hause fahren -...
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