Schweitzer Fachinformationen
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PAUL HEYSE
Vom Thurm der Frauenkirche hatte es eben erst Fünf geschlagen. Aber ein Schneesturm tobte durch die Gassen der Stadt und löschte den letzten bleichen Tagesschimmer so völlig aus, als wäre die Nacht schon hereingebrochen. Auch brannten schon seit einer Stunde in dem Atelier des jungen Malers Ralph die drei Gasflammen, die ihm zu einer eiligen Arbeit hatten leuchten müssen. Es galt, an einer großen Landschaft die letzten Striche zu thun, um sie »Punkt Heiligabend«, wie der Besteller sich ausgedrückt hatte, seiner Frau ins Weihnachtszimmer hängen zu können. Er war Vormittags selbst gekommen, um den Meister an sein Wort zu mahnen, hatte die ansehnliche Summe, die ausgemacht war, in blanken Doppelkronen auf den Tisch gezählt und Nachmittags zwei handfeste Packträger geschickt, das Werk wie es gehe und stehe von der Staffelei zu holen. Die Leute hatten sich noch eine Weile gedulden müssen; immer noch konnte die letzte Hand sich nicht genugthun. Endlich hatte der Künstler, von seiner eigenen Erschöpfung bezwungen, da er seit dem ersten Tagesschein nicht von der Staffelei gewichen war, das Bild den Boten ausgeliefert und war dann wohl eine halbe Stunde auf dem Stuhl vor dem leeren Gestelle sitzen geblieben, mit geschlossenen Augen in sich hineinstarrend. Es war ihm jedesmal eine peinliche Empfindung, eine seiner Arbeiten in fremde Hände geben zu müssen. Wenn er seinem Werk dann am dritten Ort in schlechtem Licht, unter gemüthlosem Luxus von seelenlosen Augen begafft, wiederbegegnete, beschlich ihn eine peinliche Reue und Scham, als hätte er ein eigenes Kind in die Sclaverei verkauft und müßte mitansehen, wie es mißhandelt würde.
Nun vollends dieses Bild, an das er sechs Wochen lang all seine Liebe gewendet hatte. Die Skizze dazu, nach der Natur gemalt und unter anderen Entwürfen an die Wand geheftet, hatte dem reichen Kunstfreund in die Augen gestochen, und als Ralph äußerte, er könne sich nicht von diesem Stücke trennen, hatte Jener nicht nachgelassen und einen so hohen Preis geboten, daß der Maler in einem Augenblick der Schwäche auf den Antrag eingegangen war, ein großes Bild darnach zu malen. Hundert Mal hatte er seine Nachgiebigkeit, seinen Geiz verwünscht. Was für Erinnerungen an dieser Waldscenerie hingen, warum jeder Blick auf die sanft ansteigende grüne Halde, von hohen Fichten abgeschlossen, auf das schlanke Stämmchen vorn neben dem Wildbach und die kleine Bank im Schatten darunter ihm das Herz in süßen und bitteren Gefühlen aufwallen machte, hatte er dem Besteller freilich nicht verrathen. Und doch war es ihm wie eine Entweihung, daß er dieses Fleckchen Erde, wo ihm so wohl und weh geworden war, wie nie in seinem Leben, den gleichgültigen Blicken wildfremder Menschen Preis geben sollte.
Es war nun geschehen. Er gelobte sich im Stillen, keinen Fuß je in das Haus des Mannes zu setzen, dem er für schnödes Geld ein Stück seiner Seele verhandelt hatte. Und hätte ihn noch die Noth dazu getrieben! Aber so jung er war, sein Ruf hatte sich schon dergestalt verbreitet, daß ihm jede Leinwand zu jedem Preise, den er machen wollte, frisch von der Staffelei weggekauft wurde.
Ein heftiger Windstoß, der an dem großen Fenster rüttelte, riß ihn endlich aus seinem Brüten. Er stand mühsam, wie aus einem schweren Schlaf sich ermunternd, auf, trug die Staffelei in einen dunklen Winkel seines Studio und begann überhaupt ein wenig aufzuräumen. Es war ja Heiligabend, er erwartete seinen einzigen vertrauten Freund, um unter vier Augen mit ihm sich über die Stunden hinwegzuhelfen, die schwersten des ganzen Jahrs für einsam Lebende, zumal in der Jugend. Dennoch hatte er verschiedene Einladungen in töchtergesegnete Familien höflich abgelehnt und sich ebenso wenig entschließen können, an den lustigen Veranstaltungen Theil zu nehmen, welche die jüngeren Künstler in ihrer Kneipe vorbereitet hatten. Er wußte, daß sich unter den Fröhlichen und Ausgelassenen die Schwermuth nur drückender ihm auf die Seele legen würde.
Denn freilich, im Sommer hatte es so ausgesehen, als ob er diesen heiligen Abend froher als je feiern würde. Daß er das verscherzt hatte - wenn auch ohne seine Schuld, wie er meinte, - mußte ihm jede andere Festfreude vergällen.
Er war es aber sehr zufrieden, daß auch sein langer Freund, den sie wegen seiner ungeschlachten Glieder Enak nannten, die gleiche Abneigung gegen eine lärmende Weihnachtsfeier empfand und versprochen hatte, auf ein Glas Punsch und einen stillen Schwatz bei ihm vorzusprechen. Dem guten Menschen, der übrigens auch ein guter Maler war und eine besondere Virtuosität in Jagdstücken nach Snyder's Vorbild besaß, sollte es heute Abend so heimlich und behaglich werden, wie ein paar einsame Menschen sich's irgend zu bereiten vermöchten.
Im eisernen Ofen summten und glühten noch die Kohlen, und das hohe Gemach war trotz des wüthenden Decembersturmes leidlich durchwärmt. Ralph aber entfachte noch zum Ueberfluß ein Feuerchen im Kamin, den er neben dem Ofen eigens hatte anbringen lassen, da er nichts lieber that, als in Zwielichtstunden in das helle Feuer schauen und dem Flug der springenden Funken folgen. Er schob das breite Ruhebett, über das ein persischer Teppich geschlagen war, in die Nähe der Feuerstätte, breitete das Bärenfell davor aus und trug ein Tischchen herbei, auf dem etwas kalte Küche und alles zum Punsch Erforderliche einladend beisammen stand. Daneben stellte er den großen Schaukelstuhl, in welchem Enak seine gewaltige Figur lang auszustrecken liebte, und nachdem er einen zufriedenen Blick über diese Zurüstung geworfen, wandte er sich dem Fenster zu, wo in den Winkel gepflanzt die dritte Hauptperson des heutigen Heiligabendfestes stand: ein herrlich gewachsenes, frischgrünes Fichtenbäumchen, das mit seinem obersten, kerzengerade aufstrebenden Wipfelzweig bis genau an die Decke des hohen Raumes reichte.
Schon gestern, als er nach der hastigen Arbeit durch die Stadt geschlendert war, um sich ein wenig zu erfrischen, war ihm auf einem der Plätze, wo Weihnachtsbäume feilgeboten wurden, der stolze Wuchs dieses jungen Stämmchens aufgefallen, das seine ansehnlichsten Genossen um etliche Haupteslängen überragte. Er hatte dann die Nacht davon geträumt und war in grauer Morgenfrühe wieder hingegangen, besorgt, Andere möchten ihm zuvorgekommen sein. Damit habe es keine Gefahr, versicherte ihm der Händler. So hohe Bäume würden nur selten begehrt, und er wisse selbst nicht, warum er diesen mitgenommen; er habe es ihm aber gleichsam angethan, weil er so schön gewachsen sei und die Zweige so regelmäßig um den Stamm herumständen. Aber weil er ihn sonst doch schwerlich loswerden würde, gebe er ihn dem Herrn Kunstmaler billig und fordere für das Prachtstück nur so und so viel.
Ralph hatte trotz des unverschämten Preises nicht daran gedacht, zu handeln. Auch ihm schien das Bäumchen es angethan zu haben. Und freilich, so ungefähr hob auch jenes, das die kleine Bank an dem Waldbach überschattete, sein kräftiges Haupt - oder war es nur der Trug seines schwermüthigen Herzens, daß ihn heute so Vieles an die schöne verschwundene Sommerszeit erinnern mußte?
Er hatte den Transport des Fichtchens die drei steilen Treppen zu seinem Atelier hinauf selbst geleitet und darüber gewacht, daß keiner der weit ausladenden Zweige geknickt wurde. Ueber Tag, in jenem Winkel am Fenster, hatte sein Weihnachtsbaum ihm dann Modell gestanden, und die Arbeit nach der lebensgroßen Natur war dem Bilde noch sichtbar zu Gute gekommen.
Nun trat der Maler zu dem stillen Gefährten seines Fleißes und sog mit vollen Zügen den kräftigen Harzgeruch und die Waldfrische ein, die aus dem Labyrinth des Nadeldickichts ihm entgegenströmte. Nachdenklich vertiefte sich sein Blick in das geheimnißvolle Innere des Astwerks, und seine Hand strich liebkosend an einem der Zweige entlang, ohne auch nur eine der kleinen derben, glatten Nadeln abzustreifen. Du bist schön, sagte er vor sich hin, und hast so jung dein bischen Leben hingeben müssen, armer Geselle! Dir wäre jetzt wohler draußen in deinem Wald, trotz der Schneelasten, die du tragen müßtest, als hier in der dumpfen Ofenluft. Aber auch Anderen geht es nicht besser, denen es noch schärfer in Mark und Bein fährt, wenn sie losgerissen werden, wo sie Wurzel geschlagen zu haben glaubten. Komm, wir Beide wollen den Kopf nicht hängen lassen, sondern uns putzen und gute Miene zum bösen Spiel machen!
Wenn er vom Putzen sprach, so hatte er durchaus nicht im Sinn, den schönen dunklen Baum mit allerlei Zierwerk, vergoldeten Nüssen, Gold- und Silberketten zu behängen. Sein Künstlerauge hatte, seitdem er die Knabenschuhe ausgetreten, diesen kindlichen Schmuck der Weihnachtsbäumchen abscheulich gefunden, als eine Entstellung der edlen natürlichen Gestalt, in welcher die Kinder des Waldes aufwachsen. Aber der Glanz des heiligen Abends sollte denn doch auch in dieser Künstlerwerkstatt von dem Baume ausstrahlen. Aus einem hohen geschnitzten Schrank nahm der Maler einen wohl zwei Fuß im Umkreis sich ausbreitenden Stern, dessen gläserne Strahlen in bunten Farben leuchteten. Hinter dem Kern, einer kreisrunden Kapsel aus Rubinglas, war ein Lämpchen angebracht, das theilte sein Licht den farbigen Strahlen mit, die alle davon wie in einem sanften Feuer zu entbrennen schienen. Behutsam stieg der Maler auf einem Leiterchen bis zur Gipfelhöhe des Baumes hinan und befestigte dort das magische Leuchtwerk, das schon bei manchem Künstlerweihnachtsfest eine Rolle gespielt hatte. Auch heute goß es seinen Schimmer so freundlich herab, daß die oberen Zweige wie in Korallen oder Smaragden verwandelt schienen und Ralph sich eine...
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