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2. Kinderseelen schützen - Gewalt und Trauma in der Kita
Kriegs- und Fluchterfahrungen, Missbrauch, Armut, Krankheit - pädagogische Fachkräfte haben die schwierige Aufgabe, traumatisierte und risikobelastete Kinder zu schützen. Doch nicht immer kommt die Gewalt von außen. Auch die Institution Kita ist vielerorts von struktureller Gewalt geprägt, die zu direkter Gewalt gegenüber Kindern führen kann, sei es verbal oder physisch. Dies hat Gründe, über die wir uns klar werden müssen. Denn nur so sind wir in der Lage, die dahinterliegende Dynamik zu erkennen, zu reflektieren und zu ändern.
2.1 Generationenübergreifende Traumata
Dass Kinder in der Kita oder zu Hause - von Eltern oder pädagogischen Fachkräften - Gewalt erfahren, kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Oft sind die Täter und Täterinnen jedoch in der Vergangenheit selbst Opfer von Traumata oder Gewalterfahrungen geworden, die sie nun weitergeben. Das kann sich über Generationen hinziehen.
Die europäische Geschichte ist von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt, wie bereits die oben erwähnte Bedeutungsverschiebung des Wortes Frieden sichtbar macht. Insbesondere die beiden Weltkriege haben ihre Spuren in den Seelen der Menschen in ganz Europa hinterlassen. Traumasymptome, individuelle und kollektive, wurden dabei zu großen Teilen nicht aufgearbeitet und stattdessen unbewusst an die Folgegenerationen weitergegeben. Sie beeinflussen unser Handeln bis heute, etwa in Form von Übererregbarkeit, Verlustängsten, Depressionen, Trauergefühlen, Schuld oder Hilflosigkeit, ohne dass wir wissen, woher diese Symptome stammen. Sie können sich aber auch durch Lebensgefühle, Glaubenssätze oder Weltbilder bemerkbar machen, die nicht so richtig zur eigenen Lebensgeschichte passen wollen. Aber "nur was wir kennen, können wir erkennen. Und nur was wir erkennen, können wir auch heilen. Vererbte Wunden verursachen heutiges Leid, und es ist kein Luxus, uns diesen vererbten Wunden zuzuwenden" (Katharina Drexler, in Kriechel 2019). Ererbte Traumafolgen bei sich zu erkennen und aufzuarbeiten, um sie nicht unbewusst an die nächsten Generationen weiterzugeben, liegt in der Verantwortung von uns Erwachsenen.
Die Mechanismen transgenerationaler Weitergabe von Traumata, ihre Folgen und Heilungsmöglichkeiten sind erst in den letzten Jahren in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Dieses Thema ist deshalb so wichtig, da es die meisten von uns betrifft und wir uns des lodernden Unfriedens im Inneren bewusst sein müssen, um Frieden in uns selbst zu schaffen. Dieser Frieden in uns dient als Basis für die Vermittlung von Friedensfertigkeit an nachfolgende Generationen im Allgemeinen und die Kinder, mit denen wir täglich zu tun haben, im Besonderen (vgl. für das Kapitel Drexler 2021).
2.2 Klima emotionaler Gewalt in der Kita
Wenn ein Kind ein anderes zur Seite schubst oder es schlägt, ist die Gewalt für alle offenbar. Auch wenn eine Fachkraft ein Kind unbeherrscht anschreit oder es grob am Arm packt, nehmen die meisten das als grenzüberschreitendes Verhalten wahr und problematisieren es im Team. Doch ein friedensförderliches Klima setzt schon früher an. Vielmehr kommt es in der Friedenserziehung darauf an, auch strukturelle und emotionale Gewalt vonseiten der Erwachsenen in der Einrichtung zu erkennen und zu vermeiden.
Buchtipp
Katharina Drexler (2022): Ererbte Wunden erkennen. Wie Traumata der Eltern und Großeltern unser Leben prägen. Stuttgart: Klett-Cotta
Oft hat diese ihre Wurzel darin, dass Fachkräfte selbst nicht mit ihren eigenen, negativ konnotierten Emotionen umgehen können. Wenn sie "von eigenen Impulsen und Gefühlen abgespalten sind, werden sie auf emotionale Ausdrucksformen mit Ablehnung oder sogar Zorn reagieren, wenn Kinder diese ausdrücken - sie kommen sozusagen in Resonanz mit Gefühlen, zu denen sie selber eine negative Erfahrung assoziieren" (Hunziker 2015). In der Folge reagieren Fachkräfte ablehnend auf Kinder und ihren Gefühlsausdruck. Das ist keine bewusste Entscheidung. Vielmehr haben viele Erwachsene aus ihrer eigenen Kindheit moralisierende Glaubenssätze und Benimmregeln verinnerlicht wie "Das gehört sich nicht!", die darauf abzielen, negative Emotionen wie Wut, Trauer oder Angst zu unterdrücken (vgl. ebd.). Da Kinder vom Wohlwollen Erwachsener abhängig sind, richten sie ihre feinen Antennen früh darauf aus zu erspüren, welches Verhalten ihre Bezugspersonen von ihnen erwarten. Bemerken sie nun, dass ihre Emotionen unerwünscht sind, beginnen sie diese ebenfalls zu unterdrücken oder abzuspalten. Denn die Ablehnungserfahrung der geschätzten Bezugsperson führt dazu, dass das Kind sich selbst falsch zu finden beginnt (vgl. ebd.). In der Schule kann die Außenorientierung dann durch die kühle Leistungsbewertung weiter strukturell verfestigt werden - als Ausdruck und zugrunde liegende Form struktureller Gewalt.
Um ein friedensförderliches Klima zu schaffen, ist es darum unabdingbar, dass sich Fachkräfte mit ihren eigenen Gefühlen auseinandersetzen und Selbstliebe entwickeln. "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", steht in der Bibel. Die goldene Regel "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu" hat diesen Grundsatz aufgegriffen. Aber lieben wir Erwachsenen uns selbst? Nehmen wir uns an mit allen unseren Eigenschaften, auch denen, die wir lieber nicht hätten? Menschen, die nicht in der Lage sind, mit ihren "negativen" Gefühlen in Kontakt zu treten, können keinen inneren Frieden entwickeln, da sie einen als unerwünscht erlebten Teil ihres Selbst unterdrücken. Sie können ihren Nächsten bzw. ihre Nächste nur so weit lieben, wie sie sich lieben. Ohne Selbstannahme ist auch keine Wertschätzung für andere möglich. Das heißt, wir können Kindern Frieden nur so weit glaubhaft, authentisch und überzeugend vermitteln, wie auch in uns Frieden herrscht (vgl. Hunziker 2015).
Adultismus
Der sogenannte Adultismus (engl. "adult" = Erwachsener) ist eine Diskriminierungsform, die auf der Machtungleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen basiert. In ihm schreiben sich Erwachsene aufgrund ihrer Lebenserfahrung automatisch mehr Kompetenzen zu und sprechen beispielsweise der Meinung von Kindern weniger Wert zu. Auch Formen physischer und psychischer Grenzüberschreitung sind Merkmale des Adultismus.
Um Gewalt oder Diskriminierungsformen wie Adultismus (siehe Kasten) in der Kita zu verhindern, reicht es nicht aus, sich mit den eigenen biografisch gewonnenen Wertehaltungen und Einstellungen auseinanderzusetzen und diese nur (intellektuell) zu verstehen. Die Selbstreflexion muss auch Empathie mit dem eigenen inneren Kind und seinen erlittenen Verletzungen beinhalten. Obwohl strukturelle Gewalt sich durch die Entpersonalisierung (keine Täterschaft) und Internalisierung (Verinnerlichung) von Gewalt kennzeichnet, ist jede pädagogische Fachkraft dazu aufgerufen, Verantwortung für das Durchschauen und Überkommen struktureller Gewalt in der Kita zu übernehmen. "Die Ziele, die Lerninhalte und die Lernmethoden müssen sich entsprechen. Dies bedeutet u. a., dass im Erziehungs- und Bildungsprozess weder in der konkreten Situation, noch in der Organisation von Lernprozessen Gewalt angewendet oder produziert werden darf, um nicht in Widerspruch zu dem erstrebten Ziel der gewaltfreien Bearbeitung von individuellen, gesellschaftlichen oder internationalen Konflikten zu geraten" (Gugel/Jäger 1997). Aus diesem Grund sollten sich alle Akteure und Akteurinnen bewusst macht, inwiefern sie selbst Teil dieser Strukturen sind und sie verinnerlicht haben (vgl. Draht 2017).
2.3 Kita als traumasensible Umgebung
Pädagogische Fachkräfte können und sollen nicht die Aufgaben von Therapeuten und Therapeutinnen übernehmen. Dennoch sollte das Team darauf achten, die Kita zu einer traumasensiblen Umgebung zu machen, denn Traumafolgen stehen der friedlichen Entwicklung von Kindern entgegen, verhindern sie oft sogar und können zu lebenslangen sozialen und gesundheitlichen Problemen führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich weiterzubilden, um typische Anzeichen für Stress zu erkennen und den Kindern die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie brauchen. Traumata können nicht nur durch Krieg, Vertreibung oder Tod entstehen. Es reichen auch sogenannte ungünstige Ereignisse in der Kindheit bzw. Kindheitserfahrungen, die einmalig oder über längere Zeiträume stattfinden. Dazu gehören beispielsweise häusliche Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch, Scheidung, extreme Armut, Drogenmissbrauch, psychische Erkrankung eines Elternteils usw. Sie alle können schwerwiegende Auswirkungen auf die weitere physische, psychische und emotionale Entwicklung eines Menschen bis ins Erwachsenenalter haben. "Ein Trauma kann als eine tatsächliche oder wahrgenommene Gefahr definiert werden, die das Gefühl der körperlichen oder emotionalen Sicherheit eines Kindes untergräbt oder eine Bedrohung für die Sicherheit der Eltern oder Betreuungspersonen des Kindes...
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