Schweitzer Fachinformationen
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Mein Uber-Fahrer wirft mir im Rückspiegel einen resignierten Blick zu. In den letzten zehn Minuten haben wir uns kaum vom Fleck bewegt. Er deutet auf die durchgehende rote Linie auf seinem Navi, die Stau auf den nächsten zwei Meilen anzeigt. Der Verkehr am Fluss entlang ist zum Erliegen gekommen. In diesem Tempo brauche ich mehr als eine Stunde von Richmond bis zu meinem Haus im Londoner Bezirk Haddley.
Ich schaue durch das Fenster in den dunklen Oktoberabend. »Wahrscheinlich ist es schneller, wenn ich hier rausspringe«, sage ich. »Den restlichen Weg kann ich am Fluss entlanglaufen.« Mein Fahrer hebt die Hände und zuckt mit den Schultern. »Hoffentlich können Sie in die andere Richtung dann noch einen Fahrgast mitnehmen«, entschuldige ich mich halbherzig, bevor ich die Beifahrertür öffne und aussteige.
»Na ja, mal sehen«, meint er müde. Vom Fußweg aus sehe ich ihm nach, wie er wendet, beschleunigt und den stehenden Verkehr in West London hinter sich lässt.
Es ist so kalt, dass mein Atem weiße Wölkchen bildet. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch und schiebe die Hände tief in die Taschen. Laub knirscht unter meinen Füßen. Ich folge dem Trampelpfad bis nach St. Marnham, um dann über den Sportplatz an der Nordseite des Dorfs Richtung Haddley Common weiterzugehen.
Mein Handy vibriert, eine Nachricht leuchtet auf dem Display. Sie ist von Madeline Wilson, meiner Chefin beim landesweit größten Online-Nachrichtenmagazin. Die letzten sechs Stunden habe ich mit ihr in ihrer Wohnung mit Ausblick über den Richmond Park verbracht und dem Skript für einen True-Crime-Podcast den letzten Schliff verpasst, mit dessen Aufnahmen ich in einer Woche anfangen werde. Jetzt schreibt sie mir noch mehr Vorschläge. Typisch Madeline - sie ist unerbittlich und unermüdlich, hat ständig neue Ideen. Journalismus liegt ihr im Blut, die Leidenschaft hat sie von ihrem Vater Sam geerbt, einem Reporter alter Schule. Sie wollte es nie zugeben, aber ich weiß, dass sie ihre wilde Entschlossenheit, die großen Storys als Erste zu entdecken, von ihrem Dad hat. Und ich habe sie von ihr.
In den letzten Wochen vor der Aufzeichnung des Podcasts hat Madeline mir felsenfest zur Seite gestanden. Vor sechs Monaten habe ich mithilfe von PC Dani Cash, einer Polizistin aus dem Bezirk, die Wahrheit über den Tod meiner Mutter und den brutalen Mord an meinem Bruder Nick aufgedeckt. Fast ein Vierteljahrhundert übte sein Tod im Alter von vierzehn Jahren eine morbide Faszination auf weite Teile des Landes aus. Der Podcast wird Nicks Geschichte erzählen.
Ich war acht, als mein Bruder umgebracht wurde, und der Verlust wird mich bis zu meinem eigenen Lebensende begleiten. Viele Jahre konnte ich ihn gar nicht begreifen. Wegen der schrecklichen Umstände seiner Ermordung erlangte auch mein Name, Ben Harper, nationale und internationale Bekanntheit, und einen Großteil meines Lebens verbrachte ich im Schatten seines Todes und der Trauer meiner Familie. Nach dem Tod meiner Mutter, einem scheinbaren Selbstmord, war mein einziger Weg nach vorne, nicht zurückzuschauen. Doch vor einigen Monaten kamen neue Informationen über meine Familiengeschichte ans Licht. Nachdem ich endlich die Wahrheit herausgefunden hatte, sollten sie auch alle anderen erfahren. Ich veröffentlichte die Story auf unserer Nachrichtenseite, wo sie internationales Interesse erregte und - zu Madelines Entzücken - die Zugriffszahlen in bisher unerreichte Höhen schnellen ließ. Ich weiß, dass der Podcast noch mehr schmerzliche Aufmerksamkeit auf meine Familie lenken wird, doch mein Wunsch, dass die Wahrheit bekannt wird, ist stärker. Nick war mein Held, und das ist meine einzige Möglichkeit, dass ihm Gerechtigkeit für das Leben widerfährt, das ihm so brutal genommen wurde. Ich vermisse ihn und meine Mum immer noch jeden Tag.
St. Marnham ist hell von Straßenlaternen erleuchtet, doch sobald ich den Sportplatz am anderen Dorfende erreiche, stehe ich wieder im Dunkeln. Die Kälte dringt durch meine Schuhsohlen. Vor mir in der Ferne sehe ich blinkende Lichter, die sich rasch auf dem Weg nähern. Ich trete zur Seite, als zwei Fahrradfahrer auf dem Nachhauseweg an mir vorbeirasen. Ich komme an einem beleuchteten Joggingpfad vorbei, auf dem eine einsame Sportlerin mit schnellen Schritten dem arktischen Wind trotzt. Aus dem neu gebauten Sportcenter aus Backstein dringen die Rufe eines beunruhigend energiegeladenen Fitnesskurses.
Um die Abkürzung zu meinem Haus am Haddley Common, dem alten Dorfanger, zu nehmen und mir dadurch die Meile an der Straße entlang zu sparen, gehe ich zu dem Wäldchen am anderen Ende des Sportplatzes. Dort klettere ich die Böschung hinunter, die über die Rückseite des Friedhofs von St. Stephen's führt. Unten angekommen sehe ich das Eisengitter, über das ich in den letzten dreißig Jahren sicher tausend Mal geklettert bin, wie so viele Anwohner des Haddley Common und von St. Marnham, die diese unorthodoxe Abkürzung zur Lower Haddley Road nehmen. Ich schlinge meine Tasche über die Schultern und packe das dünne Gitter. Es ist überfroren und glitzert, und als meine Hände kalt werden, höre ich die Stimme meiner Mutter, die mich fragt, warum ich mir keine Handschuhe kaufe. Ich ziehe mich hoch und über das Gitter, rutsche dabei jedoch mit der Hand ab. Vergeblich versuche ich, mich festzuhalten, und stürze nach unten in den alten Friedhof.
Ich wappne mich gegen den Aufprall, der allerdings ausbleibt. Der Taschengurt hat sich am Gitter verhakt. Fluchend greife ich nach oben und versuche, ihn zu lösen, was mir aber nicht gelingt. Ich werfe mich nach vorn, um den Gurt abzureißen, und komme hart auf dem Boden auf. Dabei verdrehe ich mir den Knöchel und schreie vor Schmerz auf, während ich in die dunkelste Ecke des Friedhofs rolle.
Einen Moment bleibe ich benommen liegen. Meine Kleidung ist verdreckt, mein Knöchel pocht. Als ich wieder klarer im Kopf bin, sehe ich, dass der Laptop aus der Tasche gerutscht ist. Vorsichtig stütze ich mich auf das rechte Knie, bevor ich den linken Fuß belaste. Zischend atme ich die kalte Luft ein und halte den Atem an, lehne mich gegen einen moosbewachsenen Grabstein und schiebe den Laptop zurück in die Tasche. Plötzlich bemerke ich ein helles orangefarbenes Licht zwischen den Bäumen auf der anderen Seite des Friedhofs.
Ich humpele von einem Grabstein zum nächsten bis zu dem Schotterweg, der an der Rückseite des Friedhofs verläuft. Mit jedem Schritt wird das Licht heller, irgendwo brennt es, doch St. Stephen's, die aus dem 16. Jahrhundert stammende Kirche, wird nur von der Laterne über der schweren Eichentür beleuchtet. Den Schmerz in meinem Knöchel ignorierend, eile ich daran vorbei, bis ich geblendet stehen bleibe: Das leer stehende alte Gemeindezentrum brennt lichterloh.
Rauch quillt durch das Dach mit den schmutzigen roten Ziegeln, Flammen lecken an den von Efeu bewachsenen Mauern. Ich lasse die Tasche fallen und suche hektisch nach meinem Handy. Da zerplatzt ein Fenster vor mir, Funken sprühen über den Weg. Der Friedhof ist hell erleuchtet und die Hitze so stark, dass ich zurückweichen muss. Als ich endlich das Handy aus der Hosentasche gezogen habe und die Feuerwehr rufen will, sehe ich eine flüchtige Bewegung in dem Gebäude.
Ich zucke zusammen.
Da, noch eine Bewegung, ein schwarzer Schatten in den lodernden Flammen.
Dann sehe ich durch das geborstene Fenster einen Menschen.
Adrenalin pumpt durch meinen Körper, und ohne nachzudenken renne ich auf die mit Graffiti verschmierte Tür zu. Sie ist verschlossen. Ich brülle der eingesperrten Person zu, sie soll einen anderen Weg nach draußen finden. Die Gestalt zieht sich zurück, tiefer in das Inferno hinein.
Mit der Schulter werfe ich mich gegen die Tür, die sich allerdings nicht bewegt. Ich weiche zurück, hole aus und trete mit voller Kraft dagegen.
Die Tür fliegt auf, und ich stolpere nach vorn in die brüllende Hitze.
Der Rauch ist so dicht, dass ich nur eine schlanke Gestalt ausmachen kann, die auf dem Boden kauert und hektisch nach etwas zu suchen scheint.
»Was tust du da?«, rufe ich und bedecke den Mund gegen den beißenden Rauch. »Raus hier, sofort!«
Doch die Person zieht nur die Kapuze übers Gesicht und kriecht weiter über den Boden, ignoriert den von mir geschaffenen Fluchtweg.
»Raus hier, oder das Feuer bringt dich um!«, brülle ich.
Plötzlich springt die Person auf und wirbelt zu mir herum. Einen Moment wirkt sie unentschlossen, dann stürzt sie an mir vorbei und rennt aus dem Gebäude. Flammen schlagen hoch, die Hitze ist unerträglich. Ich eile nach draußen auf den Friedhof.
Nach Luft schnappend, sinke ich auf dem Weg auf die Knie, blicke hinüber zur Lower Haddley Road, über die die flüchtende Gestalt gerade rennt. Ein Auto muss abrupt abbremsen, seine Hupe schrillt laut durch die stille Nacht. Die Person schlägt mit der Handfläche auf die Motorhaube, und im Scheinwerferlicht sehe ich deutlich den schlaksigen Körperbau. Verzweifelt versuche ich, meine Lunge mit der kalten Nachtluft zu füllen, und sehe den auffallend orangefarbenen Sneakers der flüchtenden Gestalt nach, die im dunklen Wald hinter dem Haddley Common verschwindet.
PC Dani Cash stockte der Atem, als sie die Räume des Criminal Investigation Departments auf der Rückseite des Polizeireviers von Haddley betrat. Ein Blick auf die Uhr an der Wand sagte ihr, dass sie immer noch zehn Minuten zu früh für ihren Termin um acht mit Chief Inspector Bridget Freeman war. Seit sie am Nachmittag die Termineinladung bekommen hatte, war die Zeit...
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