Kapitel 2
Faith parkte den Wagen und betrat das Police Department. Endlich Feierabend und Wochenende! Eigentlich hätte sie schon vor einer Weile Schluss gehabt, aber dann musste ihr noch dieser Kanadier in die Quere kommen. Sheldon Farley ... ein umwerfend gut aussehender Mann, der genau wusste, wie er auf Frauen wirkte. Obwohl sie ihn attraktiv fand mit seinen dunklen Haaren, den bernsteinfarbenen Augen und der sportlichen Figur, brodelte es in ihr. Diese Typen waren alle gleich. Sie verließen sich auf ihren Charme und ihre flachen Sprüche. Bei ihr bissen sie damit allerdings auf Granit. Immerhin hatte er sie nicht Püppchen genannt wie der unverschämte Trucker, den sie gestern kontrolliert hatte.
»Hey Faith«, riss Gavin sie aus ihren finsteren Gedanken, als sie an der Bistroecke vorbeilief. Er lehnte an der Anrichte und hielt einen Kaffeebecher in der Hand. »Du bist aber spät dran.«
Faith blieb stehen. »Wie war dein Tag?«
»Ruhig. Und deiner?«
»Ebenfalls. Mein Highlight war der Verkehrssünder, den ich kurz vor Dienstende erwischt habe.«
»Deswegen die Verspätung?«
»Ja.«
»Hast du Lust, mit zu Holly zu gehen? Ich sterbe gleich vor Hunger.«
»Gute Idee, gib mir fünf Minuten.« Faith mochte Hollys Grill. Das Restaurant lag in der Nähe der Polizeistation und war ein beliebter Treffpunkt bei ihren Kollegen.
»Ich warte draußen.«
Sie rollte mit den Augen, sparte sich jedoch einen Kommentar. Gavins Raucherei war seit Jahren ein Reizthema zwischen ihnen.
Faith betrat ihr Büro, wo sie den Durchschlag des Strafzettels in einem Ordner abheftete. Leichter Frust stieg in ihr auf. Das war heute ihre einzige Amtshandlung gewesen. In Kalispell passierte relativ wenig, von Ladendiebstählen und Einbrüchen abgesehen. Einerseits war sie froh darüber, andererseits wünschte sie sich manchmal etwas mehr Action. Eine Verfolgungsjagd oder eine Ermittlung, bei der sie nicht nur die Bilder der Überwachungskamera mit der Verbrecherkartei abgleichen musste. Die interessantesten Fälle wurden ohnehin in der Kriminalabteilung bearbeitet, in die sie liebend gern gewechselt hätte. Leider gab es keine freie Stelle. Schweren Herzens hatte sie sich bei anderen Departments beworben, obwohl sie wegen ihrer Familie nur ungern aus Kalispell wegziehen wollte.
Seufzend schob Faith diese Gedanken beiseite. Sie schloss Waffe und Dienstmarke ein, anschließend ging sie in den Umkleideraum und tauschte die Uniform gegen ihre Zivilkleidung.
Gavin wartete vor dem Eingang. Als er sie durch die Tür kommen sah, zog er noch einmal an seiner Zigarette und drückte sie in dem Sandkübel aus.
»Schönes Wochenende«, wünschte er Detective Baker, der neben ihm stand und rauchte.
»Wir gehen zu Holly«, sagte Faith zu Baker. »Komm doch mit.«
»Ein anderes Mal, ich bin zu einem Barbecue eingeladen.«
»Dann viel Spaß.« Faith sah Gavin an. »Wollen wir?«
Minuten später betraten sie Hollys Grill und steuerten auf die Ecke zu, die für das Police Department reserviert war.
Faith wollte sich gerade setzen, als sie Sheldon Farley bemerkte. Er saß zwei Tische weiter, ein voller Teller und ein großes Glas Bier standen vor ihm. Er aß jedoch nicht, sondern sah sie direkt an. Knapp nickte sie ihm zu, bevor sie auf die mit dunkelgrünem Kunstleder bezogene Bank glitt. Gavin setzte sich ihr gegenüber.
Holly kam zu ihnen. »Hey Faith, hey Gavin. Was kann ich euch bringen?«
Sie warf einen Blick auf die Tafel über der Theke, auf der die Tagesgerichte standen. »Ich nehme den Burger, dazu eine Coke.«
»Und ich die Spareribs und ein Bier«, sagte Gavin.
»Was machst du am Wochenende?«, fragte Faith, sobald Holly gegangen war.
Er verzog das Gesicht. »Am Samstag bin ich bei meinen Eltern. Dad besteht darauf, dass ich an dieser dämlichen Charity Party teilnehme.«
»Nun, immerhin veranstaltet Charles sie zugunsten des Police Departments.«
»Das könnte er auch ohne mich.«
»Die paar Stunden bekommst du doch rum.«
»Du weißt, wie sehr ich diese Veranstaltungen hasse. Dad gibt den spendablen Gönner, und die halbe Stadt jubelt ihm zu.« Verärgert lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Sohn ist bei der Polizei, um die Welt ein wenig besser zu machen«, äffte er die Stimme seines Vaters nach.
Faith lächelte gezwungen. Sie mochte Gavins Dad. Charles Henney war ein erfolgreicher Unternehmer, der einen Teil seines Vermögens für gemeinnützige Zwecke spendete. Eigentlich hätte Gavin bei Henney Med Inc. als Juniorchef einsteigen sollen, er war jedoch lieber Polizist geworden. Seine Berufswahl hatte das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen ihm und Charles verstärkt.
»Willst du mich begleiten?«, bot Gavin ihr an.
»Würde ich gern, aber ich treffe mich mit Mom. Sie hat mich zum Essen eingeladen und dabei ziemlich geheimnisvoll getan. Es hörte sich an, als gäbe es was zu feiern.«
»Mhm ... schade.« Gavins Schultern sackten nach vorn, und plötzlich wirkte er wie ein Häufchen Elend.
Er tat Faith leid. Für eine Sekunde spielte sie mit dem Gedanken, ihrer Mutter abzusagen, um ihm den Rücken zu stärken. Obwohl er mit seinen neunundzwanzig ein Jahr älter war als sie, kam sich Faith vor wie seine große Schwester. Schon als Kind hatte sie so empfunden. Sie war immer die Mutigere gewesen und traf auch heute noch oft Entscheidungen für sie beide.
»Sorry, aber ich sehe Ajana selten genug«, sagte sie. »Wie wär's, wenn wir am Sonntag zusammen ausreiten?«
»Ich überleg's mir.«
Holly brachte die Getränke, und Faith nutzte die Unterbrechung für einen Blick auf Sheldon Farley. Er sah aus dem Fenster, was ihr Gelegenheit gab, sein markantes Profil ausgiebig zu mustern. Es kam ihr vage bekannt vor. Abgelenkt von seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen, verfolgte sie den Gedanken nicht weiter. Er hatte in der Lederjacke und mit den vom Fahrtwind zerzausten Haaren schon verdammt gut ausgesehen, doch in dem eng anliegenden schwarzen Shirt bot er einen wirklich heißen Anblick. In diesem Moment drehte er den Kopf, kurz hielten sie Blickkontakt, dann schaute Faith weg. Verlegen griff sie nach ihrem Glas und prostete Gavin zu. Normalerweise waren ihr attraktive Männer egal, Sheldon jedoch strahlte etwas aus, das sie nicht kaltließ.
»Wie viele Verkehrssünder hast du denn erwischt heute?«, fragte Gavin, nachdem er einen Schluck von seinem Bier getrunken hatte.
»Nur den einen. Immerhin hat sich die Arbeit gelohnt. Der Typ war fünfzehn Meilen drüber.«
»Gab's eine wilde Verfolgungsjagd?«
»Leider nicht, das hätte mir Spaß gemacht.« Sie grinste. »Tatsache ist, dass mich das Röhren seines Motorrads aus meiner Lethargie gerissen hat. Zum Glück. Ich hätte sonst glatt den Feierabend verpasst.«
»Die Weiterbildung hätten wir uns echt sparen können.« Gavin griff erneut nach seinem Glas.
Insgeheim stimmte Faith ihm zu. »Unsere Chance wird kommen. Ich habe nicht vor, ein Leben lang Streife zu fahren oder Tickets auszustellen.«
»Also wirst du doch wegziehen?«
»Vorerst nicht. Ich hoffe auf diese Planstelle im Ermittlungsteam, von der kürzlich die Rede war. Der Chief weiß, dass ich dorthin wechseln will.«
»Wenn jemand befördert wird, dann du.«
»Wir haben alle dieselben Chancen«, versuchte Faith ihn aufzumuntern. »Außerdem muss diese Stelle erst mal genehmigt werden.« Gavin träumte ebenfalls von einer Laufbahn als Detective, doch sie wussten beide, dass er kaum Aufstiegschancen hatte. Ihm fehlten die Charakterstärke und die Durchsetzungskraft, um einen solchen Job auszufüllen.
***
Sheldon schob den letzten Bissen in den Mund. Auf der Suche nach einem Restaurant war er hier gelandet, und es hatte ihn kaum überrascht, als Officer Lankford zur Tür hereingekommen war, denn das Police Department befand sich praktisch um die Ecke.
Seit sie den Raum betreten hatte, versuchte er vergeblich, sie zu ignorieren. Wie magnetisch angezogen wanderten seine Blicke immer wieder zu ihr. Ihre Figur in dem engen Shirt war ein Traum, und der zarte Goldton ihrer Haut, die hohen Wangenknochen und die dunklen, lebhaften Augen untermauerten seine Vermutung, dass sie von Native Americans abstammte. Ob sie und ihr Begleiter ein Paar waren? Die Vorstellung fiel Sheldon schwer. Officer Lankford war voller Lebensenergie, während der Mann keinen Funken Ausstrahlung besaß. Sie schienen sich auf jeden Fall gut zu verstehen. Wie beste Freunde ...
Sheldon überlegte, ob er sie ansprechen sollte. Eigentlich war er ja sauer auf sie, andererseits hatte ihre spröde Art seinen Jagdinstinkt geweckt. Er mochte willensstarke, selbstbewusste Frauen und fand einen besonderen Reiz darin, sie zu erobern.
Verwirrt von seinen merkwürdigen Anwandlungen riss er den Blick von ihr los und sah aus dem Fenster. Er würde in ein...