Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein traumhafter Sommerabend, begleitet von dem Konzert der Vögel in den Baumkronen. Sigi Kamm trat aus dem Haus, dicht hinter ihm folgten Alicia Behrens und Traute Wandlitz.
Sigi wies gerade einen der Uniformierten an, Marks Mutter ins Krankenhaus zu fahren, als sich die Köpfe aller anwesenden Polizisten und Nachbarn der Straße zudrehten. Ein dunkler Geländewagen mit Berliner Kennzeichen schoss durch die Spielstraße, bremste mit quietschenden Reifen und kam erst auf der zaunlosen Rasenfläche vor dem Reihenhaus zum Stehen, nachdem er das Vogelhäuschen von Frau Wandlitz und zwei Gartenzwerge platt gewalzt hatte.
»Franziska .« Traute Wandlitz brach wieder in Tränen aus.Aus dem Auto sprang eine Frau mit derart blonder Mähne, dass die Haare nur gefärbt sein konnten. Frau Rudolf war so gekleidet, wie man es von Frauen erwartete, die diese deutschen Oberklassegeländewagen fuhren: teuer und gediegen. Obwohl man ihre weibliche Figur schon als mollig bezeichnen konnte, war ihr Kleid figurbetont und zeigte jede Menge Haut.
»Wo ist meine Tochter?«, schrie sie und rannte auf Traute Wandlitz zu. »Zwölf Anrufe auf dem Handy, aber keiner sagt, was los ist! Traute, was wollen die ganzen Polizisten hier, und wer verdammt sind Sie eigentlich?«
Dabei meinte sie ganz offensichtlich Sigi und Alicia, wobei sich ihre Empörung hauptsächlich gegen ihn richtete.
Sigi wies sich aus und in ihm kämpfte ehrliches Mitgefühl mit spontaner Abneigung gegen die Berlinerin. Er bat sie, mit in das Haus ihrer Freundin Traute zu kommen, doch Frau Rudolf war es ganz offensichtlich nicht gewohnt, sich etwas sagen zu lassen.
»Wo ist Cleo?«, keifte sie.
Sigi glaubte, eine gewisse Feindseligkeit bei Frau Rudolf ausmachen zu können, kaum hatte Alicia Behrens sich als Kriseninterventionsspezialistin vorgestellt.
Die dralle Blondine sah sich um. Nachbarn und Polizisten blickten betreten zur Seite.
»Es tut mir so leid«, schluchzte Traute Wandlitz. »Es ist etwas Schreckliches passiert .«
Alicia Behrens unterbrach sie schnell. »Wir haben leider eine traurige Nachricht für Sie und würden gerne mit Ihnen im Haus darüber sprechen.«
Sigi wusste, dass Menschen völlig unterschiedlich auf Todesnachrichten reagierten - sie weinten, schrien, brachen zusammen, erstarrten, widersprachen vehement, wollten die Überbringer der Nachricht überzeugen, dass es ein Irrtum sein müsse . Aber die Reaktion von Frau Rudolf hatte er bislang noch nicht erlebt. Als Alicia Behrens ihr sagte, was vorgefallen war, erstarrte sie zunächst und brach dann in einen schrillen Lachanfall aus, der so gequält klang, dass die umstehenden Nachbarn schockiert das Weite suchten.
Alicia Behrens versuchte, die kreischende Frau zu beruhigen, was dazu führte, dass Cleos Mutter auf den vertrockneten Rasen sank und sich ihr Lachanfall in einen schmerzvollen Weinkrampf verwandelte.
Sigi konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihm Bilder seines eigenen Sohnes in den Kopf schossen. Wie würde es ihm gehen, wenn er so eine Nachricht erhielte? Bestimmt stellte sich jede Mutter und jeder Vater in dieser Siedlung die gleiche Frage. Sigi wischte die Gedanken verärgert beiseite. Die Gefahr war zu groß, dass sich eine Schwere breitmachte, ein Gefühl von Verlust und Versagen.
Sigi war dankbar, Alicia Behrens hier zu haben. Sie reagierte deutlich professioneller als er und ging neben Frau Rudolf in die Knie. Plötzlich begann die schluchzende Mutter mit den Fäusten auf Alicia Behrens einzuschlagen.
Sigi war so perplex, dass er nicht gleich reagieren konnte. Schon hatte seine Kriseninterventionsspezialistin drei saftige Faustschläge abbekommen.
Scheinbar aus dem Nichts schoss ein Mann in einem lachsfarbenen, langärmligen Hemd dazwischen, drückte Frau Rudolf mit unerbittlichem Griff an sich und nahm die Schläge auf sich.
Sigi löste sich aus der Starre, half Alicia Behrens hoch, die das Gesicht verzog und die blutende Lippe abtastete, und er kam sich so dämlich vor wie seit Langem nicht mehr. Er hatte die Reaktionsschnelle einer toten Schildkröte bewiesen und brachte nichts anderes heraus als eine gestammelte Entschuldigung. Über ein Jahr hatten sie sich nicht gesehen und jetzt benahm er sich schon am ersten Tag wie ein Volltrottel.
Kurz darauf fanden sie sich im Haus des lachsfarbenen Hemdes wieder. Gerd Steiner wohnte in der gleichen Siedlung wie Traute Wandlitz und nur eine Straße weiter. Der geschiedene Kinderarzt besaß eine gut ausgestattete Hausapotheke, in der sich auch ein Beruhigungsmittel für Cleos Mutter fand. Und er hatte Alicia Behrens einen Beutel mit Eiswürfeln für ihre Lippe angeboten.
Traute Wandlitz war inzwischen auf dem Weg ins Krankenhaus zu ihrem Sohn, und Sigis Hoffnung, etwas Ermittlungsförderndes von Frau Rudolf zu erfahren, war enttäuscht worden. Sie schrie jetzt nicht mehr und schlug auch nicht mehr um sich, aber sie lag wie im Halbschlaf auf dem Sofa. Sie hatte nicht glauben können, dass es sich bei dem toten Mädchen um Cleo handelte, und »dieses Kind« sofort sehen wollen. Sigi hatte Cleos Foto erst auf sein Handydisplay geholt, nachdem ihre Mutter das Beruhigungsmittel eingenommen hatte.
Danach war Frau Rudolf zu keiner Auskunft mehr fähig. Gerd Steiner trat mit Sigi in den kleinen Garten.
»Franziska wohnt in Berlin. Sie hat sich für den Sommer eine Ferienwohnung gemietet, hier in der alten russischen Kaserne.«
»Sind hier in der Siedlung viele Touristen?«, fragte Sigi und hoffte, dass dem nicht so war. Ein ständiges Kommen und Gehen möglicher Zeugen - oder Täter - würde ihm die Ermittlungen nicht gerade erleichtern.
Steiner legte den Kopf schief und machte eine vage Handbewegung. »In den meisten Häusern und Apartments wohnen die Eigentümer. Ich glaube, es werden nur drei oder vier Einheiten als Ferienwohnungen vermietet. Franziska hatte sich schon erkundigt, ob sie die Wohnung dauerhaft mieten könne.«
»Dauerhaft?«
»Sie will nach Potsdam ziehen. Also mit Cleo. Sie wollte .« Dann verstummte Steiner und blickte dumpf auf die Blumenrabatten.
Alicia Behrens kam zu den beiden hinaus auf die Terrasse. Sie sah ernst und angestrengt aus, wirkte jedoch zugleich immer noch beeindruckend professionell. Sie besprach mit Gerd Steiner, was zu tun sei, sollte Cleos Mutter wieder einen dieser Nervenzusammenbrüche bekommen.
Sigi trat ins Haus, durchquerte das penibel aufgeräumte Wohnzimmer, fragte sich, wie das mit Kindern möglich war, und trat in den Flur. Er betrachtete die ordentlich aufgereihten Kinderturnschuhe, von denen es jedes Paar in doppelter Ausführung gab, und telefonierte kurz mit dem Krankenhaus. Mark Wandlitz war noch nicht ansprechbar.
Als er das Telefonat beendet hatte, nahm er eine Gestalt am oberen Ende der Treppe wahr. Dort stand in einem Batman-Pyjama ein etwa zwölfjähriger Junge. Rotblondes Haar, und auf seinem Gesicht sah der Kommissar sogar aus dieser Entfernung einen Haufen Sommersprossen.
Es war schon nach neun, aber für Sommerferien war das dennoch eine frühe Zeit für einen Schlafanzug.
»Wer bist du denn?«, fragte er freundlich.
»Flo.«
»Wie geht es dir, Flo?«
»Wer bist du?« Der Junge lehnte sich gegen den Treppenpfeiler und malte mit dem Fuß Kreise auf den Boden.
»Sigi. Ich bin von der Polizei.«
»Wieso bist du hier?«
»Ich möchte dir und deinem Bruder ein paar Fragen stellen.«
Flo stieß sich vom Treppenpfeiler ab und verschwand im oberen Stockwerk. Sigi war irritiert. Hatte der Junge ihn gerade stehen lassen? Er wollte schon die Treppe hochlaufen - das würde er sich nicht bieten lassen -, da kam der Junge zurück. Oder besser gesagt: Er kam in doppelter Ausführung zurück. Flo und ein anderer Flo, der ihm aufs Haar glich. Die gleichen rotblonden Haare, die gleiche Frisur, das rötliche Gesicht voller Sommersprossen. Der gleiche Batman-Pyjama.
Einer der beiden Zwillinge fragte: »Was ist mit Cleo passiert?«
Sigi wünschte sich für diesen Moment Alicia Behrens hinzu.
»Schau her, Flo .«, begann Sigi, doch der Junge unterbrach ihn.
»Ich bin Max.«
»Gut, Max. Ich versuche herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Habt ihr viel mit Cleo unternommen?«
»Nein«, sagte der andere Zwilling. »Sie war mit Mark befreundet.«
»Seid ihr in letzter Zeit von Erwachsenen angesprochen worden? Von Männern?«
»Nein«, kam es unisono zurück.
»Wir dürfen nicht mit Fremden reden.«
»Habt ihr gesehen, dass Cleo und Mark von Fremden angesprochen worden sind?«
»Mark redet mit jedem, der Hunde hat.« Sigi glaubte, dass es Flo war, der das gesagt hatte, aber schon jetzt brachte er die beiden durcheinander. Ein Superman-Pyjama unter den Nachwuchshelden hätte ihm die Sache leichter gemacht.
Die Wohnzimmertür öffnete sich.
Einer der Zwillinge verschwand sofort im oberen Stockwerk. Der andere flüsterte:
»Wir müssen um neun schlafen, sonst haben wir Abwaschdienst.«
Sigi sah Gerd Steiner und Alicia Behrens in den Flur treten. Als er sich wieder umdrehte, waren beide Jungen verschwunden.
Es war weit nach der Schlafenszeit für die Zwillinge, als Sigi mit der Therapeutin aus dem Haus trat....
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