Schweitzer Fachinformationen
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2009
1. Januar 2009
Bevor ich wie Jutta ins Bett gehe, will ich doch noch das neue Journal beginnen. Irgendwo in der Nacht rumpeln die letzten Böllerschüsse des Feuerwerks, um dem Einzug des neuen Jahres hinterher zu knallen. Wir waren bis halb drei Uhr auf, nachdem wir schön gegessen hatten, dabei im Radio dem Otto Meier mit der Sendung »Kopfhörer« nebenher gefolgt waren und am Ende, nach den ersten zwanzig Minuten des Feuerwerks, mit den Schwiegereltern telefonierten.
2. Januar 2009
Gestern erst gegen Mittag auf. Jutta ging es nicht gut, da der Wein doch wohl etwas zu reichlich für sie gewesen war. Wir frühstückten lange und fuhren dann auf meinen Vorschlag hin nach Frankfurt, um in der Schirn die Ausstellungen von René Magritte und Peter Doig zu sehen.
Heute nun Fahrt nach Domburg, wo wir bis zum 10. bleiben wollen. Werde den Text des »Schattenbruder« Manuskriptes mitnehmen, um eventuell daran weiter zu schreiben.
3. Januar 2009 / Domburg
Heute hat also tatsächlich mein sechzigstes Jahr begonnen. Im Grunde wäre es jetzt einmal an der Zeit, dass die Aufmerksamkeit auf das Alter aufhört. Aber das ist wohl eine unerfüllbare Hoffnung.
Wir kamen gestern nach problemlos verlaufener Fahrt gegen 17:45 Uhr in Domburg an. Das Hotel Bommeljé, in dem wir ein Appartement gemietet haben, befindet sich in der Herenstraat und liegt zumindest in dieser Jahreszeit sehr ruhig. Obwohl der Ort einigermaßen voll ist, kommt uns alles recht angenehm vor, was daher rührt, dass jetzt im Januar hauptsächlich ältere Leute hier Urlaub machen und die Winterkälte abends nicht sonderlich viele dazu veranlasst, besoffen durch die Straßen zu grölen, wie es in den Sommermonaten passiert.
Nach unserer Ankunft waren wir trotz des Windes noch am Strand und aßen dort auch, hernach noch kurzer Rundgang zur Carmen Silva und zum Badpaviljoen, der völlig renoviert ist und nun luxuriöse Appartementwohnungen beherbergt. Heute dann nach dem Frühstück ein etwa vierstündiger Strandgang bei Sonnenschein und eisblauem Himmel. Es war sicher die richtige Entscheidung, wieder hierher zu fahren, nachdem wir den Ort seit fast neun Jahren gemieden hatten. Jutta meinte, sie habe ein Gefühl, als sei sie nach Hause gekommen.
Meinen Geburtstag feierten wir schon um Mitternacht mit einer Flasche Winzersekt, den wir uns aus dem Kaiserstuhl mitgebracht hatten. Wobei Jutta freilich etwas gedrückt war und es immer noch ist, denn sie hat es fertiggebracht, alle Geschenke, die sie für mich bereitgelegt hatte, in ihrem Schreibtisch in der unteren Wohnung zu vergessen. Ich finde das nicht so arg, aber es ist ihr doch sichtlich peinlich.
Über Tag kamen viele Geburtstagsgrüße über Telefon, SMS und Mail. Und zum Schluss schrieben auch meine Kinder (Eva und Bert) noch aus Lappland, wo sie wohl gerade von einer Hundeschlittentour zurückgekehrt sind.
Meine Pläne für das neue Jahr sind einfach und doch im Grunde ambitioniert. Ich will zuerst den Roman »Der Schattenbruder« abschließen. Wenn ich mich ranhalte, so sollte das in den nächsten drei bis vier Monaten zu schaffen sein. Und danach möchte ich das Buch schreiben, das ich begonnen habe, meinen »Salter« oder auch meine »Lichtjahre« zu nennen. Ein Buch, das etwa vierzig Jahre umfassen und das Leben zweier Freunde und der mit ihnen verbundenen Menschen verfolgen sollte. Ein Lebensbuch also, von dem ich mir wünsche, dass es dem Leser den Eindruck vermittelt, es schwebe gewissermaßen über der Zeit, womit ich den Effekt meine, dass etwas zwar ganz real einen großen Zeitraum umfasst bzw. überspannt, aber in jedem Detail der Handlung immer jetzt geschieht. Das Geschehen des Buches sollte gewissermaßen in einer permanenten Gegenwart stattfinden und dabei trotzdem zugleich vierzig Jahre Vergangenheit umfassen. Weiß nicht, ob ich wirklich auszudrücken vermag, um was es mir da geht.
4. Januar 2009
Am Nachmittag erfuhren wir durch eine holländische Zeitung im Ort vom gestrigen Einmarsch der Israelischen Bodentruppen in den Gaza-Streifen. Was wird daraus folgen? Wird es möglich sein, die Hamas auszuschalten? Oder wird sie am Ende ebenso gestärkt daraus hervorgehen wie vor zwei Jahren die Hisbollah im Libanon?
Ich lese zurzeit Ilan Pappes »Die ethnische Säuberung Palästinas« und sehe deshalb mehr als genau, wo die heutigen Probleme letztlich ihren Ursprung haben. Allerdings teile ich nicht Pappes Ansicht, dass eine Versöhnung möglich sein wird, wenn in einem ersten Schritt die Tatsache der ethnischen Säuberung Palästinas zugegeben wird. Das wäre es nur gegenüber gemäßigten Palästinensern, nicht aber gegenüber der Hamas, die eindeutig eine Auslöschung des Israelischen Staates und seiner gesamten Bevölkerung zu ihrem Ziel erklärt hat.
Jutta und ich waren wieder über Tag viel spazieren und aßen zu Mittag und zu Abend auf dem Hotelzimmer. Die Kälte hat etwas nachgelassen, doch nahm heute der Wind zu, sodass der Aufenthalt im Freien durchaus schwierig war.
5. Januar 2009
Trotz äußerst steifem Wind waren wir mehrfach für einige Zeit am Strand, wenn auch nicht so lange wie am ersten Tag, und fuhren nachmittags nach Middelburg. Ich kaufte 10 CDs mit frühen Aufnahmen von Miles Davis und die CD »About Time« von Paul Bley; schöne Stücke zur Vervollständigung meiner Sammlung. Außerdem fand Jutta einige Kleinigkeiten, so einen wunderbaren Holzkasten mit 50 Buntstiften, einen frühen Druck von Domburg aus dem Jahre 1905, auf dem an der Strandlinie entlang, ausgehend von der Carmen Silva, noch alle heute nicht mehr existierenden alten Villen zu sehen sind. Zudem einen Band über die Ausstellungen von Mondrian und seinen Malerkollegen.
In Middelburg gab es zum Glück auch noch deutsche Zeitungen, sodass ich die Süddeutsche und die FAZ kaufte. Wir saßen dann später, als wir in Domburg zurück waren und uns eine schnelle zweite Mahlzeit gemacht hatten, bis nach Sonnenuntergang im Strandcafé bei »Coffie verkeert« und lasen die Berichte über den Einmarsch in den Gaza-Streifen, sowie die Artikel zum Tod von Johannes Mario Simmel und Gert Jonke, außerdem über die Sebald-Ausstellung in Marbach.
Übrigens fiel uns am gestrigen Abend kurz vor dem Zubettgehen noch der Titel für den neuen Roman ein, über den ich seit einiger Zeit nachdenke. Er soll »Der Buchhalter des Meeres« heißen. Ich hatte diesen Titel spontan am Nachmittag zuvor geprägt, weil wir hier in einer der Seitenstraßen zu unserem Hotel an einem Haus vorbeigingen, in dessen Fenster im Erdgeschoss zur Straße hin das ganze Fensterbrett mit großen Gläsern voller Muscheln vollgestellt war. Das Ungewöhnliche daran war freilich, dass der Sammler all diese Muscheln fein säuberlich sortiert hatte und so nun Gläser präsentierte, die jeweils nur mit Muscheln einer Art gefüllt waren. Der Titel ist bezüglich des Romans aber natürlich als Metapher gemeint. Als Sinnbild für die Art und Weise, in der wir mit unserem Leben umgehen, wobei das Meer für das Leben steht, das ebenso ungeregelt ist, wie das Meer, auch wenn wir davon immer glauben, es durch unsere kleinliche Planung befrieden und zurechtbiegen zu können. Der Held des Romans könnte sich an dieses Bild spät als an eine Zeit aus seiner Jugend erinnern, die ihn nachträglich verstehen lässt, dass all die Anstrengungen, sich abzusichern und durch kluge Planung das Leben in einen sicheren Hafen zu lenken, unsinnig und im Grunde lächerlich gewesen sind. Dieser Titel könnte sehr gut wirken, weil man ihn nicht wieder vergisst und er zugleich einen sehr bildhaften und dabei paradoxen Eindruck vermittelt, denn jeder Leser spürt natürlich, dass ein Buchhalter und das Meer nicht zusammenpassen.
7. Januar 2009
Gestern keine Eintragungen gemacht. Es war ein strahlend schöner Tag, kalt, doch nicht mehr so arg windig, dazu ein dünner, hellblauer Himmel. Wir sind sicher insgesamt fast fünf Stunden am Strand und in der Stadt herumgelaufen. Jutta war auch in der letzten Stunde vor Sonnenuntergang noch etwas mit dem Zeichenblock draußen, um schnelle Skizzen zu machen. Wir trafen uns hernach im Strandpavillon auf einen Milchkaffee und lasen noch etwas. Später am Abend waren wir am Strand in der Oase essen. Ich war zwischendurch, nachdem wir nach dem Frühstück vier Stunden zu Fuß unterwegs gewesen waren, so müde, dass ich mich im Hotel für eine Stunde hinlegen musste, sodass Jutta allein ihre Exkursion mit dem Zeichenblock unternahm.
Heute war das Wetter bereits beim Aufstehen schlecht, bewölkt, nieselig und viel wärmer geworden, sodass wir gleich beim Frühstück beschlossen, von einem Strandgang Abstand zu nehmen und stattdessen erneut nach Middelburg zu fahren. Diesmal hatte auch der Antiquar geöffnet, den wir seit Jahren, wenn wir in Middelburg sind, stets aufsuchen, und wir fanden beide einige wichtige Bücher zu sehr moderaten Preisen. Bei mir war es Norbert Elias' Band »Über die Zeit«, sowie Richard Sennetts »Verfall und Ende des öffentlichen Lebens«.
Wir aßen abends auf dem Zimmer, hatten zuvor noch etwas im Ort eingekauft, sodass ich einen kleinen Tomatensalat bereiten konnte. Außerdem fand sich im Supermarkt ein schöner Primitivo aus Apulien.
Jutta las später noch weiter in »Das Meer, das Meer« von Iris Murdoch, und ich recherchierte auf der Seite der Yad Vashem Database noch die verzeichneten Daten der fünf Gogolins, die im Mai und Juni 1942 von Gleiwitz und Berlin aus deportiert worden sind. Vorerst habe ich mich zumindest entschlossen, ihnen meinen Essay zur Frage der Singularität der Shoah zu widmen.
In den Nachrichten sahen wir die Berichte über die extreme Kältewelle in Deutschland, der...
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