Schweitzer Fachinformationen
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Sollte sie nicht doch lieber das etwas jugendlichere Kleid anziehen? Kritisch betrachtete Magda ihr Spiegelbild. Blohm schwärmte, das Kostüm habe Klasse und stehe ihr ausgezeichnet. Für ihren Geschmack war es ein wenig bieder, Chanel hin oder her. Dazu auch noch der Hut. Damenhüte fand sie meistens nur albern und diesen ganz besonders. Hier in den States begegnete man dem Kostüm allerdings öfter, zumindest in gewissen Kreisen. Kreisen, zu denen Blohm Anschluss suchte und zunehmend auch fand. Geld öffnete Türen.
Magda schaute auf die Uhr. Kurz vor halb fünf. Sie musste sich beeilen, wenn sie rechtzeitig am Times Square sein wollte. Zu dumm, dass Simon nicht eher Zeit gehabt hatte. Blohm würde sie um halb acht zum Dinner mit neuen Freunden abholen. Bis dahin musste sie zurück im Hotel sein, damit er keinen Verdacht schöpfte. Und das durfte er auf keinen Fall. Auch wenn es fünf Jahre her war und er all die Zeit kein Wort mehr darüber verloren hatte, wusste Magda, dass Simons Verrat weder verziehen noch vergessen war. Denn Verrat verzieh Blohm niemals. Wobei sie nicht einmal wusste, worin Simons Verrat genau bestand. Weil es zeitlich knapp werden konnte, behielt sie das Kostüm an und setzte sogar den dämlichen Damenhut auf. Im Gehen nahm sie noch die lederne Kameratasche mit ihrer Agfa Silette vom Garderobentischchen, hängte sie sich um und verließ das Zimmer.
Elegant, mit maßvollem Hüftschwung, schritt sie den Hotelflur hinab zum Fahrstuhl, sagte zum Liftboy ihr übliches »reception, please«, woraufhin dieser sein übliches »yes, ma'am« hören ließ. Am Empfang gab sie den Schlüssel ab und sagte zu dem Herrn auf der anderen Seite des blank polierten Tresens in fast makelloser Aussprache: »If Mr. Blohm returns early, please tell him, that I'm out for a walk. I will be back on time for dinner.«
»Very well, Mrs. Blohm. Have a nice walk.«
Magda drehte sich um und bemerkte nur noch aus dem Augenwinkel, wie sich ein Gentleman in einem schwarzen Anzug abrupt von ihr wegdrehte und so tat, als studiere er die riesige Uhr in der Mitte des Foyers, die freilich eine Sehenswürdigkeit war. Mit erhobenem Kinn marschierte sie an ihm vorbei zum Ausgang Lexington Avenue.
Magda genoss nichts so sehr wie den Moment, wenn sie durch die breiten Türen aus der europäisch anmutenden Gediegenheit des Waldorf Astoria hinaustrat und beinahe schlagartig erfasst wurde von der energiegeladenen, schrillen Gegenwart der Stadt. Einer Gegenwart ohne Vergangenheit, dafür bis zum Platzen gefüllt mit Zukunft. Autos groß wie Schiffe auf mehrspurigen Avenues, in denen es nach Asphalt, Abgasen und Meer roch. Menschen, immer in Eile, ohne Zeit für Rücksichten und Höflichkeiten. Ein an- und abschwellender, aber niemals endender Strom, in dem man entweder mitschwamm oder ertrank.
Als ein Hotelboy ein Taxi heranwinken wollte, lehnte sie dankend ab. Der kleine Fußweg zum Times Square würde ihr guttun. Und vielleicht würde sie auf das eine oder andere lohnende Fotomotiv stoßen. Es war ja leicht zu finden. Nur eine Straße überqueren, in die nächste - die siebenundvierzigste - rechts einbiegen und dann immer geradeaus bis zur Seventh Avenue. Dort an der Ecke wartete Simon auf sie. Ob er sie in diesem Aufzug überhaupt erkannte?
Nach wenigen Schritten kam ihr der Verdacht, dass jemand ihr folgte, und ein vorsichtiger Blick über die Schulter ergab, dass es der Gentleman im schwarzen Anzug war, der ihr schon im Foyer aufgefallen war. Sie blieb stehen, öffnete die Objektivabdeckung ihrer Kameratasche und tat so, als wolle sie etwas fotografieren. Der Mann blieb auch stehen und zündete sich eine Zigarette an, wobei er ihr den Rücken zudrehte. Mist, dachte sie. Vielleicht ein Aufpasser, den Blohm für sie engagiert hatte. Was sollte sie jetzt machen? Wie konnte sie ihn abschütteln?
Der Mann hatte seine Zigarette angezündet und ging nun zügig weiter. An ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Magda wartete noch ein wenig, dann setzte sie ihren Weg fort, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Obwohl das eigentlich unnötig war, denn wie sollte der Mann sie beschatten, wenn er vor ihr herlief? Immerhin, sie schienen fürs Erste denselben Weg zu haben, denn er bog ebenfalls in die siebenundvierzigste Straße ein. Vielleicht musste er auch zum Times Square. Dachte sie. Doch dann war er plötzlich weg. Zumindest sah sie ihn nicht mehr. Und war fast ein wenig traurig darüber, so als habe sich ein neuer Bekannter gerade in dem Moment verabschiedet, in dem er interessant zu werden begann.
Magda beschleunigte nun ihre Schritte. In ein paar Minuten würde sie am Treffpunkt sein. Mit einer Verspätung, die einer Frau in einem sündhaft teuren Chanel-Kostüm allerdings auch zustand.
»Hey, Sie, schöne Lady«, rief plötzlich jemand hinter ihr, »nicht so schnell! Und vielleicht kaufen Sie sich mal eine Brille!«
Magda drehte sich um. Erst mit einer gewissen Verzögerung fiel ihr auf, dass sie auf Deutsch angesprochen worden war. Sie erschrak. Es war der Mann aus der Hotelhalle. Und noch einmal brauchte sie ein wenig, bis der Groschen fiel: »Simon!«
»Ja, verdammt, ich dachte schon, du kennst mich nicht mehr!«
So, wie er vor ihr stand, in seinem blitzsauberen Anzug mit Krawatte und dem akkurat gescheitelten Haar, war er ja auch kaum wiederzuerkennen, der Münchner Bursche von früher, mit dem sie das eine oder andere Schwarzmarktgeschäft abgewickelt hatte. Ein richtiger Gentleman war aus ihm geworden, ein Amerikaner wie aus dem Bilderbuch. Nur die Augen, die waren noch genauso frisch und frech wie früher.
Sie boxte ihn in die Schulter. »Depp! Was soll der Unfug! Schleichst um mich rum wie ein Taschendieb.« Dann schlang sie ihm beide Arme um den Hals. »Wie schön, dich zu sehen. Gut schaust du aus. Wie ein richtiger Mann!«
»Hast du mich deshalb nicht erkannt?«
Sie blinzelte. »Schon möglich. Warum hast du nicht wie verabredet am Times Square gewartet?«
»War mir zu fad.«
»Ach, du! Und auch noch ins Hotel kommen. Hast du keine Angst vor Blohm? Er bringt dich um, wenn er dich erwischt.«
»Du nennst ihn wirklich Blohm? Deinen Ehemann?«
»Hat sich so eingebürgert.«
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du seine Frau bist. Und ein Kind von ihm hast.«
»Musst du ja auch nicht glauben, wenn du nicht willst.«
»Was soll das denn heißen?«
»Gar nichts. Wo gehen wir hin?«
Sie fanden nur einen Platz am Fenster des Diners. Eigentlich hätte Magda lieber einen Tisch im hinteren Bereich gehabt, aus Sorge, Blohm könne ihr jemanden nachgeschickt haben. Doch in dem Fall hätte derjenige sie und Simon längst gesehen, also war es auch egal.
»Hast du solche Angst vor deinem Mann?«, fragte Simon.
»Angst?« Sie winkte ab. »I wo. Einen besseren Ehemann als Blohm könnte ich mir nicht wünschen.«
»Aber einen anderen schon.«
Magda ignorierte die Bemerkung. »Ich habe eher Angst um dich. Mit dir hat Blohm schließlich noch eine Rechnung offen, nicht mit mir. Was war da eigentlich los? Warum bist du so überstürzt fort aus München? Ohne ein Wort. Und deine paar Briefe . also, ich will ja nicht rummeckern, aber .«
Simon packte sie am Handgelenk und drückte es so fest, dass es fast weh tat. »Schluss jetzt!« Er sah ihr tief und ernst, ja beinahe bedrohlich in die Augen. »Wir können gern über alte Zeiten plaudern. Nur nicht über diese Sache. Verstanden?«
»Okay«, sagte Magda auf gut Amerikanisch.
Simon entspannte sich wieder, ließ sich gegen die gepolsterte, mit rotem Leder überzogene Lehne der Sitzbank fallen und nahm Magdas Fotoapparat. »Ist das die Kamera, die ich dir damals in der Möhlstraße besorgt hab?«, fragte er.
»Nein, das ist eine Agfa Silette, die gibt's erst seit letztem Jahr. Klein und handlich, recht praktisch für unterwegs. Aber die Kine-Exakta von dir hab ich natürlich noch.«
Simon legte die Kamera wieder hin. »Gibt's die gute alte Möhlstraße noch?«
»Wenn du damit den Schwarzhandel meinst, nein, den gibt es nicht mehr. Noch im Herbst des Jahres, in dem du weg bist, hat die Polizei alle Händler hochgenommen und die Läden aufgelöst.«
Eine Bedienung kam an den Tisch, Simon bestellte einen Erdbeershake für Magda und für sich selbst einen Kaffee.
»Und wovon lebt ihr dann, Blohm und du?«
»Baugeschäft. Immobilien. Blohm ist ehrlich geworden.«
Simon lachte auf. »Im Baugeschäft? Kann ich mir schwer vorstellen. Nirgends geht's korrupter zu. Aber dumm ist es nicht. Zu bauen gibt's bei euch genug.«
»Da sagst du was. München ist eine einzige Baugrube. Und wie schnell alles geht. Bis du schaust, steht schon wieder ein Mietshaus fertig da.«
»Und du? Was machst du?«
»Bilder. Ich fotografiere viel.«
»Soso. Immer noch für deinen Onkel?«
Die Erwähnung Karls genügte schon, um ihr den wohlvertrauten feinen Stich zu versetzen. »Kaum«, sagte sie. »Ich mache eigene Sachen. Porträts hauptsächlich. Mich interessieren Menschen.«
»Wie geht's ihm denn, deinem Onkel? Schreibt er immer noch für diese . was war das noch mal? Eine Zeitung? Ein Magazin?«
»Er schreibt für unterschiedliche Abnehmer Beiträge. Vor allem aber Romane und Drehbücher. Ist wieder ganz gut im Geschäft. Stell dir vor, für einen Roman hat er Anleihen aus meinem Leben genommen. Trümmermädchen. Hat sich wohl ganz gut verkauft. Drum will er jetzt, dass es verfilmt wird. Ob daraus was wird .« Sie lachte in verlegenem Stolz.
»Seh schon, es hat sich alles wieder eingespielt. Good old Germany läuft...
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