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Was hätte das für ein entspannter Sonntag werden können. Bis in den Mittag hinein schlafen, dann mit Vroni im Café Neuhausen ein labbriges Croissant und eine lauwarme Latte macchiato genießen und den letzten Abend nachbesprechen. Wer mit wem, wer nicht mit wem und warum keiner mit Birgit. Später vielleicht bei Paul vorbeischauen und sich einig sein, dass man unbedingt mal wieder laufen gehen sollte. Dann statt sportlicher Betätigung doch lieber bei offener Terrassentür auf dem roten Sofa knutschen. Es nicht lange nur beim Knutschen belassen können, sondern nach einer Viertelstunde ins ungemachte, noch von vorletzter Nacht zerwühlte Bett wechseln. Hinterher im warmen Gras des Gartens liegen, in den schleierbewölkten Julihimmel blicken und über Reisen, Essen, unsere Kindheiten, Freunde, Politik und Moral reden. Über alles sprechen, nur nicht über die Zeit nach dem ersten Oktober.
Stattdessen klemme ich zwischen approximativ zweitausend Kelly-Osbourne-Klonen, die nervös herumhibbeln, sich auf ihren High-Tech-MMS-Handys die neuesten polyphonen Klingeltöne vorspielen («Guck mal, ich hab Rock DJ!») und sich gegenseitig fotografieren. Menno. Welcher Teufel hat mich geritten, im November letzten Jahres zu entscheiden, dass ich acht Monate später Lust auf ein Konzert haben würde?
Ich stupse Vroni an und flüstere ihr etwas ins Ohr. Sie grinst, nickt und gibt die Information an Marlene und deren Schwester Sandra weiter. Kurz darauf wende ich dem Eingangstor des Olympiastadions, auf dessen Öffnung die Klone und wir seit einer Stunde in dicht gedrängter Schlange warten, den Rücken zu. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, fokussiere eine Würstelbude am Horizont und kneife die Augen zusammen. Dann reiße ich die Augen wieder auf, fange wild an zu hüpfen und kreische mit sich überschlagender Stimme: «Robbie! Da drüben ist Robbiiiiiiiiiiie!» Vroni, Marlene und Sandra kieksen hysterisch mit. Die Wirkung ist famos. Die Klone beenden augenblicklich den Austausch von Handylogos, marschieren geschlossen Richtung Würstelbude und skandieren «Robbie, Robbie!». Der Würstelverkäufer zuckt zusammen wie ein Bundesliga-Stürmer, dem beim Alleingang auf das Bayern-Tor kurz hinter der Mittellinie unerwartet ein zähnefletschender Olli Kahn entgegengespurtet kommt, und lässt erschrocken die Brühpolnische fallen.
«Schnell, nach vorne!», zische ich meinen Freundinnen zu, und bevor die Meute erkannt hat, dass es sich um einen bedauerlichen Irrtum handelt und Robbie Williams was Besseres zu tun hat, als sich sechs Stunden vor seinem großen Auftritt an der Würstelbude Pommes rot-weiß zu holen, haben wir uns bis direkt ans Tor vorgemogelt. Tschakka. Wir sind hier zwar altersmäßig die absoluten Dinosaurier, dafür aber mit wesentlich mehr Erfahrung im aktiven Anstehen ausgestattet. Merke: In breiten Schlangen nie in der Mitte anstellen. Sonst wird man von den schlaueren An-der-Seite-Anstellern nach hinten rausgedrückt und tritt auf der Stelle. Außerdem erlaubt: Heftiges Drängeln, kombiniert mit empörtem Schimpfen Richtung Hintermann. So ähnlich wie beim Fußball, wenn der Spieler, der gerade ein schmutziges Foul begeht, die Hände nach oben reißt und unschuldig zum Schiedsrichter blickt, noch während die Stollen seiner Schuhe sich in die Wade seines Gegners graben.
Mir geht es jetzt ein wenig besser. Aber richtig gut ist es immer noch nicht. Immer noch würde ich mich lieber an Pauls wohlgeformten Körper schmiegen als an die harten, kalten Gitterstäbe dieses Tores, das vor allem immer noch eines ist - verdammt zu. Direkt dahinter steht ein überheblich grinsender Security-Mann mit Oberlippenbart und fiesem Rasurbrand am Hals. Macht ihm wohl Spaß, die Menge zu beherrschen. Aber wehe, wenn sie losgelassen wird. Dann muss er zusehen, dass er schnell wegkommt, wenn er keinen Wert auf den ein oder anderen Nike-Sohlenabdruck auf der Wange legt. Die meisten Mädels haben nämlich sprinttaugliches Material an den Füßen, habe ich gesehen. Na warte, du.
Eine halbe Stunde später lässt sich die Security-Mannschaft dazu herab, die Tore zu öffnen. «Bitte nicht alle auf einmal, die Damen», sagt der Oberlippenbart mit einer erstaunlich autoritären Stimme, und brav lasse ich ihn in meine Tasche gucken und zeige meine Eintrittskarte vor. Dann trete ich zu Vroni, Marlene und Sandra und genieße den Anblick des leeren Olympiastadions in der Nachmittagssonne. Nicht lang indes.
«Marie, na endlich!», ruft Marlene aufgeregt, und hektische rote Flecken zieren ihren Schneewittchen-Teint. «Komm, los!» Und da laufen sie schon. Ich hinterher. Wir galoppieren die vielen Stufen zur Arena hinunter. Unten angekommen, schlage ich vor, erst einmal gemütlich eine Apfelschorle kaufen zu gehen und vielleicht eine Brühpolnische. Doch meine konzerterfahrenen Freundinnen haben andere Pläne. «Schnell, laufen wir nach vorne!», ruft Vroni und verfällt in einen ziemlich flotten Arbeitstrab. Mann, ist das anstrengend.
Toll, da sitzen wir nun auf grauem Plastik, das den Rasen des Olympiastadions abdeckt. Gut, wir sind wirklich fast ganz vorne an der Bühne. Aber das freut mich momentan nicht. Es ist vier Uhr nachmittags. Gegen sieben wird Kelly Osbourne auftreten und ihre Klone zum Kreischen bringen. Ab neun können wir mit Robbie rechnen. Noch fünf Stunden! Fünf Stunden, die von meinem Sommer mit Paul abgehen. 300 Minuten weniger Pauls blonde Haare, Pauls grüne Augen und Pauls tiefe Stimme. Viele, viele Sekunden weniger mit Paul reden, schweigen und schlafen. Hmmmm. Mit Paul schlafen. Das könnte ich jetzt gerade tun, hätte ich nur meine Eintrittskarte bei eBay vertickt. Sicherlich hätte ich über 100 Euro dafür bekommen. Davon hätten Paul und ich uns einen richtig schönen dekadenten Sonntag machen können .
«Andersrum!», sagt Vroni.
«Wie, andersrum?», frage ich und drehe mich im Schneidersitz zu ihr hin.
«Die Kippe!»
«Welche . O. Ja klar.»
Da sitzen wir nun also, rauchen, mampfen Brühpolnische mit Gummibärchen und trinken Apfelschorle aus Olympiapark-Plastikbechern. Vor mir sitzt eine Studentin und verzehrt ihre selbst mitgebrachten, vollkörnigen, vermutlich glutenfreien Reformhaus-Kekse. Sie ist ein eher natürlicher Typ. Fröhlicher Wildwuchs unter den Achseln hält sie nicht davon ab, ein ärmelloses Batiktop zu tragen und ab und zu unmotiviert die Arme gen Himmel zu strecken. Hach, ist das Leben schön. Im 4you-Rucksack befinden sich sicher noch viele leckere gluten- und zuckerfreie Kekse und vielleicht sogar eine Thermoskanne mit grünem Tee. Und das Sommersemester im Soz-Päd-Studium ist auch bald vorbei, dann bleibt mehr Zeit für Yogakurse und Ashrams im Schwarzwald oder an der Ostsee. Ich frage mich nur, wo ihre WG-Genossen stecken und was zum Teufel sie auf dem Robbie-Williams-Konzert macht. Wahrscheinlich ein bedauerlicher Irrtum. Element of Crime spielen heute in der Muffathalle, glaube ich.
Langsam wird es heiß hier unten. Um uns bei Laune zu halten, plaudern Vroni, Marlene, Sandra und ich ein wenig über das Übliche. Es geht um die neue Wimperntusche von Clinique, auf die Marlene leider total allergisch ist. Darum, ob man diesen Sommer eines der limitierten Louis-Vuitton-Handtäschchen im Pastell-Design haben muss, ob es ein Original zu sein hat oder ob es eventuell auch das Fake vom Taschen-Neger in Desenzano am «Lago» (di Garda) tut. Wir diskutieren darüber, warum Robbie Williams so sexy ist und Alexander «Superstar» so erotisch wie Pumpernickel. Irgendwie vergehen die Stunden. Und auf einmal steht ein kleines, pummeliges Mädchen in zitronengelber Regenjacke, mit einer Puck-die-Scheißhaus-Fliege-Brille und zerzauster Wischmop-Frisur auf der Bühne. Die Kelly-Osbourne-Klone kreischen ekstatisch.
Als es Stunden später endlich 21 Uhr ist, ist meine Laune auf einer Skala von eins bis zehn irgendwo bei minus siebzehn. Robbie kommt bestimmt eine Stunde zu spät, schließlich ist er ein Superstar. Und auch wenn er wirklich gleich auftritt - ich überlege, ob ich nicht einfach gehe. Wäre doch irgendwie cool, oder? Stundenlanges Warten, um dann beim Haupt-Act souverän den Schauplatz zu verlassen. Robbie fände das bestimmt wahnsinnig lässig.
O mein Gott. Ich glaube, da ist er.
Sechzigtausend andere glauben das auch. Ein lustvoller Aufschrei aus unzähligen weiblichen, 16- bis 25-jährigen Kehlen wogt durch das Olympiastadion. «Let me-he-he . entertain you!», singt Robbie, und ich kreische aus voller Lunge mit. Ekstase pur. Ich bin wieder sechzehn und diesem jungen Engländer verfallen, der dort oben so wahnsinnig erotisch in schwarzer Hose und schwarzem Hemd auf der Bühne herumspringt. Vroni und die anderen habe ich bei den ersten Takten des Konzerts in der aufgeregten Menge verloren, aber das ist mir egal. Neben mir mache ich die Soz-Päd-Studentin mit dem Batiktop aus. Auch sie stiert mit glasigen Augen Richtung Bühne, Richtung Robbie, und präsentiert ihm hingebungsvoll ihren Achselhaardschungel. «Geil, oder?», frage ich sie atemlos, und sie wirft mir einen verklärten Blick zu. Ja, Schwester, wir verstehen uns. Nein, danke, ich möchte im Moment keinen glutenfreien Keks.
Zwei Stunden später treffe ich Vroni, Marlene und Sandra in der Schlange vor den Damenklos wieder. Ich stelle ihnen Svenja vor, die selbständige Immobilienmaklerin in München ist, spezialisiert auf Objekte in Bogenhausen ab einem Wert von zwei Millionen...
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