Schweitzer Fachinformationen
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Der Erzähler in Constantin Göttferts erstem Roman lernt in einem Wiener Café eine junge Schauspielerin, Nora, kennen, die auf mysteriöse Weise etwas mit den jüngst zurückliegenden, dramatischen Erlebnissen in Finnlands Norden zu tun hat, von denen er ihr berichtet. Er war als Stipendiat nach Oulu gekommen und dort von einer Professorin betreut worden, die ihn zu einem Ausflug mit auf eine einsame Insel im Winter nimmt und ihm das Manuskript eines jungen finnischen Autors zu lesen gibt. Auf unheimliche Weise wirken die in diesem Manuskript, "Satus Katze", beschriebenen Ereignisse auch auf das Geschehen auf dieser Insel ein. Immer geht es dabei auch um Katzen, um ihre Symbolik in der finnischen Mythologie, um Unglück und familiäre Verstrickungen. Nora aber hat gerade in der Theaterfassung eben jenes Textes "Satus Katze" mitgespielt ... Die Liebe und das Böse, Abhängigkeit und Ambivalenz sind Themen in diesem raffiniert gebauten, spannenden und wirklich unheimlichen Debütroman eines neuen begabten Erzählers.
Das Plakat der Freien Bühne zeigte eine hässliche schwarze Katze, deren Fell mehrere kahle Stellen aufwies. Ich beugte mich weiter vor, Schweiß hatte den Rücken meines Hemdes mit der Sessellehne verklebt. Von meinem Klapptisch im gegenüberliegenden Gastgarten des Café Wortner konnte ich den Namen des Stückes nicht erkennen. Der Springbrunnen in der Mitte des Platzes warf Feuchtigkeit auf die Zeitungen der Gäste, bei jedem Windstoß segelten winzige weiße Blütenblätter aus den Kirschbaumzweigen auf meine Unterarme herab. Mit einer Hand schirmte ich die Augen gegen die tief stehende Sonne ab, aber die Buchstaben auf dem Plakat blieben unleserlich.
Es war Mitte Mai. Nach längerer Abwesenheit war ich wieder nach Wien zurückgekehrt. Durch ein Stipendium einer Kulturstiftung der Universität Oulu hatte ich einige Monate in Finnland verbracht. Per Vertrag war ich dazu verpflichtet, über den Fortschritt des eingereichten Arbeitsprojektes Auskunft zu geben, und seit meiner Ankunft in Wien Schwechat überlegte ich nun, wie ich der Universität klarmachen konnte, dass ich schon seit Stipendienbeginn nichts mehr geschrieben hatte.
Ich blätterte durch die Seiten meines Notizbuches, überflog einige Einträge, blätterte weiter, die Blütenblätter klebten an meinen Unterarmen. Nichts von dem, was ich in Finnland erlebt hatte, hatte ich niedergeschrieben, nicht einen Satz, nicht ein Wort, doch nun nahm ich den Stift, blickte auf das Plakat an der gegenüberliegenden Straßenseite, in die halb geschlossenen Augenlider der Katze, und mit rasender Geschwindigkeit schrieb ich die Worte: die Katzen meiner Nachbarin nieder. Eine Straßenbahn zog ratternd über die Wiedner Hauptstraße, gefolgt von einer Kolonne Autos, aus deren offen stehenden Seitenscheiben Musik kam.
Ich schlug das Notizbuch zu und bückte mich nach dem Stift, der über die Tischkante in den Kies gerollt war, als ich auf die Stimme einer jungen Frau aufmerksam wurde, die an einem der Nachbartische telefonierte.
Sie sprach Englisch in ein Mobiltelefon, das Gespräch schien bereits am Ende angelangt. Mehrmals sagte sie: Ja, ich verstehe, ja, wie du willst, du kannst machen, was du willst. Ich will nicht dabei sein.
Sie saß hinter dem Brunnen. Nur eine graue Tasche, die an ihren gebräunten Beinen lehnte, konnte ich sehen. Mit ihren weißen Sandalen zog sie Furchen in den Kies, die sie später wieder verwischte.
Und du bist sicher, hörte ich ihre Stimme wieder, dass du die Katze nicht mit zurück nach Finnland nehmen willst?
Kurze Zeit später stand ich an ihrem Tisch. Sie war eine Frau Anfang dreißig, ihre Haare sahen aus, als wären sie absichtlich mit Haarspray zu groben Strähnen verklebt worden: hellbraun und gelockt, Wangen und Stirn waren bleich geschminkt, als wollte sie hässlich und verwahrlost erscheinen.
Sie las eine SMS von ihrem aufgeklappten Handy, schüttelte den Kopf. An der Innenseite ihres Oberarms waren mehrere Kratzer.
Du starrst mich an, sagte sie plötzlich.
Sie legte das Mobiltelefon auf den Tisch zurück, ohne den Blick von mir abzuwenden. Auf dem Display ihres Mobiltelefons las ich die Worte: Kurzmitteilung gelöscht.
Die ganze Zeit über, sagte sie, starrst du mich an.
Ich deutete auf ihr Mobiltelefon auf dem Tisch. Ein blinkendes Symbol deutete an, dass eine neue Nachricht eingetroffen war.
Finnland, sagte ich.
Das Plakat vom Theater gegenüber sprang mir wieder ins Auge, ich bildete mir ein zu sehen, wie die Katze plötzlich den Kopf hob.
Was ist?, fragte die Frau vor mir.
Als sie nach dem Mobiltelefon griff, bemerkte ich, dass auch ihre Finger durch kleine Risse entstellt waren.
Du hast von einer Katze in Finnland gesprochen, sagte ich.
Die Sonne war zur Hälfte hinter die Fassade gesunken, die Frau fragte mich nicht, ob ich mich setzen wollte, sie legte das Mobiltelefon wieder hin. Das Symbol blinkte nicht mehr.
Was ist mit Finnland?, fragte sie.
Sie schob sich den Löffel aus der Kaffeetasse in den Mund. Etwas Milchschaum blieb an ihren breiten Lippen kleben.
Es ist die Katze, sagte ich, du hast von der Katze gesprochen.
Ich setzte mich. Bei einem vorbeikommenden Kellner bestellte ich Kaffee.
Sie hob ihr Mobiltelefon wieder kurz an, als wollte sie nur die Uhr ablesen, aber in ihrem Blick registrierte ich eine plötzliche Wachsamkeit. Ich deutete auf die Kratzspuren an ihren Armen. Sie winkte dem Kellner.
Ich hatte Angst, sie würde ihn um Hilfe bitten. Er würde mich abweisen, ich müsste aufstehen und an meinen Platz zurückkehren.
Sie verwischte die Wassertropfen, die der Brunnen auf ihre verkrusteten Wunden gesprüht hatte.
Es ist ja kein Zufall, sagte ich.
Was meinst du?, fragte sie.
Dass ich dich treffe, sagte ich. Ich kenne deine Stimme. Du hast neben ihm gesessen, und auch seine Stimme habe ich erkannt.
Ich deutete auf ihr Telefon.
Ich starrte auf die Katze auf dem Plakat des Theaters gegenüber und hatte Angst.
Bitte, lass mich erzählen, sagte ich.
Als ich Anfang Jänner am Flughafen Oulu aus dem Flugzeug stieg, fegte der Wind im gleißenden Licht riesiger Scheinwerfer die Schneeflocken über die Betonfläche.
Pro Tag landeten nicht mehr als zwei Flugzeuge aus Helsinki hier, eines vormittags, eines nachmittags. Der Terminal war kaum größer als der Bahnhof einer Kleinstadt: keine Autovermietung, kein McDonald's, kein Duty-free-Shop. In den Ecken einer kleinen Wartehalle blinkten einsame Spielautomaten, ein Zeitungshändler langweilte sich hinter seinem Tresen und ein Putztrupp zog mit seinem Wagen über den Boden der Wartehalle. Nach wenigen Schritten stand ich mit meinem Koffer auf der Straße. Es war vier Uhr nachmittags. In der Dunkelheit leuchtete das Licht eines einzigen Taxis, das man für mich bestellt hatte.
Bereits einige Tage nach meiner Ankunft hatte man eine Lesung an der Universität vereinbart. Sie war schlecht besucht, einige Germanistikstudenten, die lachend versuchten, meinen Namen richtig auszusprechen, saßen in den hinteren Reihen. Sie raschelten mit den Einladungen, auf denen mein Porträt abgebildet war. Einer faltete das Papier zusammen und schluckte es unter dem Gelächter seiner Kollegen. In der ersten Reihe direkt vor mir saß eine etwa vierzigjährige blonde Frau mit Kurzhaarschnitt. Als Einzige blätterte sie durch eines meiner Bücher, legte es dann verkehrt auf ihren Schoß. Während der Lesung schüttelte sie einige Male den Kopf; sie hatte auffallend breite Wangenknochen, eine Nase, von der man mir später erklären würde, dass sie typisch finnisch sei: klein und im letzten Abschnitt etwas nach oben gebogen.
Als sie nach der Lesung zu mir ans Pult trat, gab sie mir die Hand, die feucht und klein war wie die eines Kindes.
Dr. Karjalainen, sagte sie.
Innerhalb weniger Minuten war der Raum leer, ich hörte, wie hinter ihr die Türen zuschlugen.
Ich arbeite hier an der Universität, sagte sie in fast akzentfreiem Deutsch. Ich bin diejenige, die sich dafür eingesetzt hat, dass Sie das Stipendium erhalten.
Wenig später saßen wir in der leeren Cafeteria der Universität. Sie aß Heidelbeerkuchen, den sie mit einer Gabel in winzige Stücke zerteilte, beide hielten wir ein Weinglas, tranken wenig - es war einer der übelsten Rotweine, die ich je probiert habe. Mit der Spitze ihres Schuhs streifte Dr. Karjalainen immer wieder über mein Schienbein unter dem Tisch.
Ich habe Ihr Buch gelesen, sagte sie.
Eben hatte sie wieder mein Bein berührt, das Cover meines letzten Buches, das sie nach der Lesung in ihrer Handtasche verstaut hatte, fiel mir auf. Ich fragte mich, wie sie es überhaupt erstehen hatte können, mein Verlag hatte nur wenige hundert Exemplare drucken lassen, viele davon hatte ich verschenkt, die meisten lagerten nun in meiner Wohnung, nachdem der Vertrag ausgelaufen war und mein Verlag sich dazu entschieden hatte, mir die restlichen Exemplare zu schenken.
Dr. Karjalainen zog die Augenbrauen hoch, befeuchtete einen Finger im Mund, bevor sie umblätterte.
Und ich finde, sagte sie, Sie machen es sich zu leicht.
Sie verlor kein Wort über die eben gehörte Lesung, fragte nicht, wie ich zurechtkäme, kein einziges Mal lachte sie, und auch ich war erschöpft. Auf ihre Fragen antwortete ich nur kurz. Sie wollte auf etwas anderes hinaus. Mit zwei Fingern strich sie über die Musterung am Tisch der Cafeteria, immer mehr Lichter waren ausgegangen. Mit schlurfenden Schritten trat der Angestellte einer Security-Firma auf uns zu: Was wir hier machten, fragte er. Dr. Karjalainens Ausweis drehte er lange in seiner behaarten Hand hin und her, bevor er von uns abließ und mit denselben schlurfenden Schritten den Gang zurückschlenderte.
Sind Sie verheiratet?, fragte Dr. Karjalainen mich.
Sie schob das letzte Stück Kuchen in ihren zierlichen Mund. Vor Ihnen muss man ja keine Angst haben, sagte sie. Ohne zu zwinkern oder auf andere Art ihre Gedanken zu offenbaren, sah sie mich an. Ich nickte. Auch die Ganglichter erloschen, Dr. Karjalainen leckte Rotweintropfen von ihren dicken Fingern. Sie aß noch ein weiteres Stück, das sie sich - nachdem der Cafeteriaangestellte bereits nach Hause gegangen war - selbst vom Regal hinter der Theke holte. Auf...
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