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Nicht verstehen kann man so oder so
Verschdehsd?
In Franken muss man mit dem Fränkischen halbwegs vertraut sein, sonst sitzt man schnell einmal einem Missverständnis auf, und manchmal ist man auch der Depp.
Grob geschätzt hat man es hier mit mindestens drei Arten des Nicht- oder Falschverstehens zu tun. Aus diesen muss nicht immer ein Missverständnis erwachsen, man kann ja, wenn man etwas nicht verstanden hat, ganz einfach mit einem dezenten »Hä?« noch einmal nachfragen. Dieses kleine »Hä?«, fragend und nicht aggressiv ausgesprochen, bedeutet so viel wie »Oh Verzeihung, das habe ich jetzt gerade nicht verstanden. Könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen?« In solchen Dingen ist das Fränkische erfrischend kurz.
Man muss dieses »Hä?« allerdings gut beherrschen und treffsicher setzen können, denn etwas länger gezogen mit zum Ende hin ansteigender Tonkurve und dadurch einem kaum hörbar aggressiven Unterton heißt dieses »Hä?« so viel wie: »Hey, habe ich gerade richtig gehört? Sag das noch einmal! Ich glaube, du tickst nicht ganz richtig! Bei dir hackt's doch!« Es kann also bei Einsatz dieses »Hä?« aus dem Nichtverstehen sehr schnell ein Missverstandenwerden resultieren. Deshalb sollte man im Umgang mit und beim Einsatz des »Hä« sehr vorsichtig sein.
Doch zurück zu den drei eingangs erwähnten Arten des Nichtverstehens. Die erste ist die des rein akustischen Nichtverstehens. Dann hat man das Gesagte halt einfach nicht richtig gehört und fragt, wie gerade beschrieben, nach.
Dann gibt es die Art des Nichtverstehens, bei der man den Sinn nicht verstanden hat. Akustisch alles okay, aber aus der Lautfolge erschließt sich einem die Bedeutung nicht. Beispiele dafür, die gern und immer wieder genannt werden, gibt es wie Sand am Meer. Es sind Wendungen wie das berühmte »Amamalaadamala hamaadahamm«, »a ohdsullds Buddlersbah«, »Mohlodirolohroh« oder »douamolldoudi Rowäannahär, Doldi«. Aber wenn man zum Beispiel weiß, dass eine »Rowäanna« eine Rollwanne, also eine Schubkarre ist, ist der Hauptgrund des Nichtverstehens schon ausgeschaltet, und man begreift plötzlich, was der andere sagt und dass er dich einen Doldi geschimpft hat. Dann kann man entsprechend darauf reagieren, und was das für eine Reaktion ist, bleibt jedem selbst überlassen.
Oft kommt das Nichtverstehen, gerade bei Fremden, ja gar nicht vom Nichtverstehen der dialektspezifischen Eigenheiten und Ausdrucksweisen, sondern vielmehr daher, dass man schlicht abgelenkt ist - abgelenkt von der Faszination, mit der man den Mund des fränkisch Sprechenden beobachtet, im Speziellen die Zunge. Weil man immer das Gefühl hat, jetzt!, nein jetzt!, aber jetzt wirklich! verschluckt sich der Sprecher an dem dicken Lappen, der ihm im Mund beim Sprechen ständig irgendwie im Weg zu sein scheint, er gleichzeitig dieses Handicap aber mit erstaunlicher Leichtigkeit völlig unbeeindruckt meistert. Besonders tritt dies beim L zutage. Für diesen Buchstaben gibt es - ähnlich wie bei dem fast spanisch derb gerollten R - diverse gutturale Laute, für die unser Alphabet keinerlei Möglichkeiten der Notation bzw. Transskription bereitstellt.
Schon als Jugendlicher hatte Hans zusammen mit Freunden einmal begonnen, einen Sprachkurs fürs Fränkische zu entwerfen. Lektion eins umfasste, um den Einstieg nicht gleich zu schwer zu gestalten und die Kursteilnehmer nicht zu entmutigen, lediglich drei kurze Sätze. Zu Lektion zwei kam es dann nie.
Die drei Sätze von Lektion eins?
Ein wenig Gurke.
Ein bisschen Gelbwurst.
Ein wenig Möbelpolitur.
Aber auf Fränkisch.
Awengan Gurgne - das lässt sich nicht notieren. Brutalstmöglich gerolltes »r«, und das »gngne« nahtlos im Übergang vom »r« leicht guttural hinten am Gaumen oben hauchartig angeschnalzt - man muss das hören, es lässt sich nicht beschreiben.
Egal.
Awenga Gellbwoschd - der Franke weiß, wo beim »ll« die Zunge zu sein hat und wie zart und liebevoll-locker das »woschd« daherkommen muss.
Awengan Gurgne.
Awenga Gellbwoschd.
Und dann: Awenga Möhblbolliduhr - das ist dann schon sehr hohe Kunst für die Zunge. Vom ersten »b«, gesprochen am äußersten Rand der Lippen nahtlos nach vorne aufs »l« beinahe schon jenseits der Lippen, fast im freien Raum, aber trotzdem ganz leicht, wie aufblubbernd, gesprochen, die Zunge am Rand der Kontrolle, und sofort wieder zurück zum »b«. Und mit den tiefen Umlauten bzw. Vokalen »ö«, »o« und »u« dabei immer schön unterkühlt im Keller bleiben - daran müssen manche über Jahre üben. Der Franke kann das sogar schon mit dem Schnuller im Mund. Aber es kommt nicht von der Muttermilch.
Und dann gibt es noch die Art des Miss- bzw. Nichtverstehens, die eigentlich ein komplettes Falschverstehen ist. Das Beispiel, das Hans hierzu schon seit Jahren immer und immer wieder anführt, ist folgendes - und bedient, kaum vermeidbar, auch gleich wieder ein altes Klischee. Doch der Reihe nach.
Hans war, wie so oft, doch die Begebenheit ist jetzt auch schon wieder Jahre her, es war im späten Herbst, in der Fränkischen Schweiz unterwegs. Auf der Nordseite des Berges Hetzles. Von Gaiganz aus war er losgelaufen und kam nach Ermreus, ein kleines Kaff auf dem Weg hinüber nach Weingarts. Eines der wohl knapp zwanzig Häuser von Ermreus ist das Gasthaus Zum Bernd von Bernhard Distler. Seit Langem schon hatte Hans vor, dieses Gasthaus einmal zu besuchen. Doch jedes Mal, wenn er daran vorbeikam, war es entweder Sonntagmittag, und es standen schon so viele Autos davor, dass es sich von selbst erübrigte, überhaupt hineinzusehen.
Oder aber das Gasthaus war zu.
Diesmal aber standen dort lediglich zwei, drei Autos, es war an einem Wochentag, und er vernahm, noch draußen vor dem Gasthaus stehend, diverse Stimmen aus der Gaststube; auch klapperten Bestecke, Teller, Gläser. Auf jeden Fall: Es klang sehr einladend. Also beschloss Hans umgehend, einzutreten. Er klopfte sich die Schuhe draußen ab, denn er wusste, wie gerne es die Wirte sahen, wenn man mit Lehmklumpen an den Füßen in die Gaststube kam, ergriff die Klinke, drückte sie herunter, öffnete die Tür und setzte gerade den Fuß auf die Türschwelle, da ging am anderen Ende des Ganges hinten die Türe - die Tür ins Allerheiligste, die Gaststube - auf, eine Person, mit Sicherheit der Wirt, trat in den Rahmen, sah ihn kurz an und sagte: »Zeann Essn hammer fei niggs.«
Peng.
Kein Lächeln, kein »Grüß Godd«, im Gegenteil: Abweisung pur.
Fränkische Grantigkeit? Typisches Wirtsverhalten, wie es in Klischees immer und immer wieder bemüht wird? Klassisch mufflerde Unfreundlichkeit von Wirten, die den Gast nur als Belästigung empfinden - und das dem Gast gegenüber auch ungebremst, ja beinahe wollüstig, zeigen?
Weit gefehlt.
Sehr weit gefehlt!
Und das ist genau die dritte Art des Miss- bzw. Nichtverstehens. Wenn man den Wirt bei Ton und Wortbedeutung nimmt, dann hat man unweigerlich das Gefühl: »Der schmeißt mich raus«, er gibt mir ohne jede Blume zu verstehen: »Hau du bloß ab!«
»Zeann Essn hammer fei niggs.«
Was kann man hier denn missverstehen?
Das ist genau der Punkt, an dem Fränkische Kunst beginnt. Nur einmal ganz einfach und logisch gedacht:
Hier ist ein Wirt.
Wovon lebt der?
Von seinen Gästen.
Und die beißt er weg?
Wo ist da der Sinn?
Es gibt keinen - es macht keinen.
Jeder Wirt, der seine Gäste so behandelte, wäre ein Depp. Und binnen Monatsfrist auch pleite. Das ist logisch.
Was aber sagt einem der Wirt dann mit seinem »Zeann Essn hammer fei niggs«?
Im Grunde ist es ganz einfach, denn dieser Wirt ist ja nicht dumm. Keiner der Wirte im Fränkischen ist das.
Dieses direkte »Zeann Essn hammer fei niggs« ist, bei Licht betrachtet, Bedienung und Service in Reinkultur. Es ist zuvorkommend, zu hundert Prozent im Interesse des Gastes und macht dem Gast das Leben leicht. Oder leichter, zumindest für diesen Moment.
Denn der Hans war nicht der erste Gast, der im Leben dieses Wirtes das Wirtshaus betrat.
Und was macht ein Gast, wenn er im Spätherbst oder Winter in ein Wirtshaus kommt?
Er kommt herein.
Er sieht sich um.
Er nickt vielleicht den Männern zu, die am Stammtisch sitzen - und dann beschlägt schon seine Brille.
Er zieht die Handschuhe aus und stopft sie umständlich in die Jackentasche. Wo sie nicht richtig hineinpassen wollen. Vielleicht fällt sogar einer zu Boden.
Er nimmt die Brille ab und sucht nach einem Tuch.
Tastet umständlich mit seinen durchgefrorenen Fingern danach.
Er wischt die Brille ab, putzt sie und setzt sie wieder auf.
Er sieht sich wieder um und sucht nach einem Platz.
Schaut, wer so alles da ist.
Er nimmt die Mütze ab.
Er öffnet seine Jacke und pellt sich aus ihr heraus.
Er rollt den Schal, der noch um seinen Hals liegt, ab.
Er stopft die Mütze und den Schal in einen Ärmel seiner Jacke, halb blind, denn inzwischen ist die Brille längst wieder beschlagen.
Er putzt sie wieder.
Umständlich, unbeholfen, die Finger kalt.
Dann endlich - .
Nein, erst sucht er noch die Garderobe und hängt seine Jacke auf. Dann endlich nimmt er Platz.
Und wartet.
Die Brille beschlägt schon wieder .
Am Stammtisch schweigen die Männer.
Er wartet...
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