Schweitzer Fachinformationen
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Wir fühlten uns unbehaglich,
weil das Gespräch eine Wendung zu nehmen schien,
die uns nicht paßte.
Oss Kröher, Das Morgenland ist eine Welt.
Die erste Motorradreise vom Rhein zum Ganges
1. Kapitel
»Du sollst zum Rust.«
Kriminalkommissar Friedemann Behütuns, genannt Friedo, hatte die Klinke noch in der Hand und stand in der Tür. War noch nicht einmal richtig in den Raum gekommen, da schlug ihm dieser Satz schon entgegen. Von Dick, Peter Dick, einem seiner Mitarbeiter und Kollegen. Der hatte das gesagt, ohne dabei aufzuschauen. Eigenartig.
Kommissar Behütuns stockte. War was? Hatte er irgendetwas verpasst? Vergessen? Versaut? In Kaskaden arbeitete sich sein Gehirn nach hinten. Heute früh? Heute Nacht? Gestern? Vorgestern? Es fiel ihm nichts ein. Einen Termin vielleicht? Eine Sitzung? Einen Bericht? Irgendetwas zu einem Fall? Kein Anhaltspunkt. Trotzdem: Die Stimmung im Raum war komisch, das hatte er sofort bemerkt. Für so was hat man Antennen. Aber er konnte es noch nicht greifen, es war nur so ein Gefühl. Er atmete durch.
Zum Rust. Das konnte alles heißen. Gutes, Schlechtes, Belangloses, Blödes. Rust war der Chef des Präsidiums, der alleroberste. Aber meistens hieß das nichts Gutes, wenn man zu dem musste – und so, wie Dick das gesagt hatte …
Behütuns sah Dick fragend an.
Der zuckte nur mit den Schultern, schwieg und blickte wieder auf seinen Bildschirm.
Behütuns sah zu P. A., Peter Abend, dem nächsten Kollegen im Team.
Das gleiche schweigende Schulterzucken mit der entsprechenden Mundbewegung. Ratlosigkeit.
Der Kommissar warf seine Tasche auf den Stuhl und zog seine Jacke aus. Blieb im Raum stehen.
»Klaus?«, rief er hinüber ins Vorzimmer, wo der Assistent, der von allen freundschaftlich meistens »Frau Klaus« genannt wurde, mit Papieren raschelte.
»Hast du eine Ahnung …?«
Wenn einer eine Ahnung hatte, dann der.
»Nein«, kam es leise herüber. Klang das womöglich bedrückt? Vielsagend? Oder lag das an der angelehnten Tür …?
Irgendwie war sich Behütuns schon sicher.
Jaczek war noch nicht da, der Letzte im Team. Den konnte er noch nicht fragen. Peter Jaczek kam meistens zu spät. Acht Uhr hieß für ihn halb neun. Oder noch später. Sie hatten es einmal mit halb acht probiert, damit er um acht da wäre, aber es hatte nichts geholfen. Jaczek war wie immer erst nach halb neun gekommen, da war einfach nichts zu machen. Keine Ahnung, warum der so war. Übergenau und korrekt in allem, was er tat, aber immer zu spät.
»Du sollst gleich kommen«, fügte Dick an, »sofort.«
Gut, dachte Behütuns, da braut sich was zusammen. Kein Zweifel mehr.
»Na denn«, sagte er ergeben und ging zur Tür.
»Good luck«, schallte es ihm hinterher, aber freundschaftlich, ernst gemeint. Auf seine Leute konnte er sich verlassen.
*
Rust war total angefressen, das sagte ein einziger Blick. Keine Fehldeutung möglich. Er schaute Behütuns nur an. Saß hinter seinem Schreibtisch und funkelte. So hatte er ihn noch nicht erlebt. Dann warf er ihm eine Zeitung hin, wortlos, die NZ, Nürnberger Zeitung, Donnerstag, erste Augusthälfte 2011, schwieg weiter, verschränkte die Arme.
»Ausrutscher bei der Polizei« stand dort getitelt und »Fragwürdige Äußerungen in der Öffentlichkeit. Irritierende Aussagen eines Polizisten«.
Behütuns überflog den Artikel. Namen wurden keine genannt, aber damit war er gemeint, keine Frage. Der Artikel wurde dabei auch ganz deutlich. »Gott, behüt’ uns vor ›Ordnungshütern‹, die, wenn sie so denken, vielleicht auch so handeln«, schloss der Artikel, der über eine halbe Seite ging. »Dann ist es mit Recht und Gesetz nicht weit her, dann können wir uns auf etwas gefasst machen.« Behütuns schaute, wer das geschrieben hatte. »Reichfrid Nerst« stand unter den Zeilen. Der Name sagte ihm nichts.
»Tja«, sagte Behütuns nur und legte die Zeitung zurück. Was jetzt wohl kommen mochte? Im Kopf ging er die letzten Tage durch. Ja, das, was dort stand, war richtig, er hatte das alles gesagt. So und keinen Deut anders, eher noch heftiger. Am letzten Wochenende. Am Reifenbergkeller hatte er gesessen, mit Freunden, und ziemlich gelötet, er musste ja nicht fahren. Und auf so einem Keller wie dem – da muss man ja gegen das Heulen antrinken, so schön ist es da. Wie viel hatte er wohl gehabt? Vier oder fünf Seidla? Wahrscheinlich eher fünf. Da sitzt man auf Bänken unter Bäumen am Hang, die nackte Erde unter sich, der Grill glüht und qualmt an der Felswand entlang, das Licht bricht sich im Laub und in den Bratwurstgrillschwaden, das Wiesenttal liegt einem zu Füßen, drüben das Walberla, grüne Wiesen, mäandernder Fluss, und das Bier kommt direkt aus dem Felsenkeller. So kühl, dass man gar nicht mehr aufhören kann. Mit Freunden hatte er da gesessen – aber ein Reichfrid Nerst? War nicht dabei, den kannte er nicht. Dass einer von den Freunden etwas erzählt hatte? Nein, auf so etwas kamen die nicht, da konnte er sich absolut drauf verlassen. Behütuns überlegte. Wer hatte da an den Nebentischen gesessen? Ihm fiel kein Gesicht mehr ein. Aber auf so etwas achtest du nicht, wenn du mit Freunden trinkst, zumal so weit weg von Nürnberg. Eine Tour hatten sie gemacht, nicht weit, nur eine Runde über Neuses, Poxstall und Weilersbach, waren bei der Vexierkapelle gewesen, zwei Stunden hatte die Tour gedauert, und hatten sich dann auf den Keller gesetzt, der liegt ja gleich unterhalb der Kapelle. Sich einen schönen Abend gemacht, es war ja auch ewig hell. Vorteil der Sommerzeit.
Ja, das stimmt schon, er hatte ein wenig abgeledert. Zwei Themen hatten sie gehabt, wenn er sich recht erinnerte, zu denen hatte er etwas gesagt. Geschwindigkeitsbegrenzung und Reiche. Dass es schon organisierte Reisen gibt aus England und den USA, wo die Leute in Hamburg landen, ’nen fetten Wagen kriegen, Porsche oder so, und damit dann nach München heizen, mal so richtig Gummi geben, was sie weltweit nirgendwo dürfen. In München geben sie den Wagen wieder ab, und das war’s schon, dann fliegen sie zurück. Warum? Weil Deutschland das einzige Land ist, wo man heizen darf. Geschwindigkeit ohne Begrenzung, ist das nicht krank? Und das hatte er auch noch gesagt: Dass Spanien mehrere Milliarden eingespart hatte, nur weil sie ein paar Monate das Tempolimit auf 110 km/h gesenkt hatten – und 90 Verkehrstote weniger verbuchten in dieser Zeit. Wenn das keine Argumente für ein Tempolimit sind! Aber in Deutschland? Regiert nur die Automobilindustrie und baut SUVs für Selbstwertverminderte. Hält die freiwillige Selbstbeschränkung von 160 km/h für Fahrzeuge nicht ein, das ist ihr scheißegal, die macht, was sie will. Weil’s »der Markt« fordere und lauter so Quatsch. Das hatte er gesagt, zu laut wahrscheinlich und mit zu deftigen Worten. Er war ganz schön in Fahrt gewesen zwischendurch. Aber es hatte Spaß gemacht, und keiner war anderer Meinung. Es macht überhaupt Spaß zu fluchen und zu schimpfen. Außerdem reinigt’s.
Und dazu hatte er auch etwas gesagt, erinnerte er sich – weil er da erst einen Fall gehabt hatte in diesen Kreisen: zu den Reichen. Zu denen, die ihren Hals nie vollkriegten und immer nur noch mehr und mehr und mehr wollten. Und dass es wissenschaftlich erwiesen ist, dass Reiche viel unmoralischer sind als Ärmere, dass die viel mehr bescheißen, lügen und betrügen, und das auch noch richtig finden. Oder wenigstens nicht falsch. Diese kohlegetriggerte Arroganz, nein: Ignoranz, diese asoziale. Dass die endlich mal richtig besteuert gehören, die arbeiten ja nicht für ihr Geld, die lassen das Geld arbeiten – und zahlen dafür weniger Steuern als Arbeitende. Viel weniger, im Verhältnis. Ihr Schwarzgeld in der Schweiz wird jetzt auch noch straffrei legalisiert! Da konnte er sich drüber aufregen! Mannomannomann! Und dass die Politik, die für die Reichen immer nur die Steuern senkt, sich alles nur bei den Kleinen holt, die richtig bluten lässt. Allein in den letzten zehn Jahren hat der Staat dadurch über 300 Milliarden Euro verschenkt! Die sollten jetzt mal zahlen, jawohl! Aber der Staat … Die Politik machten die Reichen und die Industrie, ja, so war’s! Wie viel hatte er gehabt? Es waren wohl doch eher fünf. Sicher, besonders qualifiziert hatte er sich bestimmt nicht ausgedrückt. Aber das stimmte ja trotzdem alles – und jetzt stand es hier in der Zeitung! Als Aussage eines Polizisten. Da hatte wohl ein Journalist an einem der Nebentische gesessen, alles mitgehört und es dann brühwarm aufgeschrieben. Die Geschichte seines Lebens gerochen. So ein Schnellschreiber, der nicht lange denkt. Und jetzt, am Donnerstag, stand es in der Zeitung …
Was nun?
Rust saß ihm gegenüber und klopfte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Er wartete auf eine Erklärung.
Aber Kommissar Behütuns sagte nichts. Was sollte er auch sagen? Warf das ein schlechtes Licht auf die Polizei, was da stand? Bei den Politikern vielleicht und bei den Reichen, aber sonst? Bei der Mehrheit sicher nicht. Die werden doch alle nur verarscht. Für ihn gab es da nichts zu entschuldigen. Wenn gesunder Menschenverstand und eine sachliche Lageeinschätzung, auch wenn sie vielleicht emotional vorgetragen worden war, für den Beruf schon hinderlich sind, was sollte er dann noch sagen?
Kommissar Behütuns blieb stumm, sah Rust nur fragend an. Der aber hatte schon eine Lösung, hatte sie sich bereits überlegt.
»Urlaub«, sagte Rust nur....
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