Schweitzer Fachinformationen
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Manche Menschen behaupten, wenn man kurz davor ist zu sterben, sieht man sein Leben noch einmal wie in einem Film vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen. Bei mir war das anders. Als ich zu Boden fiel, verschwendete ich keinen Gedanken an meine Vergangenheit. Ich bereute weder Fehler noch getroffene Entscheidungen. Denn ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen, und daher lohnte es nicht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Was mir wirklich Sorgen bereitete, war eher die Zukunft. Falls ich überhaupt eine haben sollte. Im Moment sah es ganz und gar nicht danach aus.
Aber eine Sache gab es dann doch, die ich von Herzen bedauerte, nämlich, dass ich es zeit meines Lebens nicht geschafft hatte, ein guter Vater für meine Tochter Roxy zu sein. Das war wirklich das Einzige, das mir unendlich leidtat. Allem Anschein nach würde ich gleich vor meinen Schöpfer treten, und ich hatte nicht besonders viel Gutes vorzuweisen, was ich der Welt hinterlassen würde. Den meisten Menschen, denen ich in meinem bisherigen Leben begegnet war, hatte ich nichts außer Kummer und Sorgen bereitet.
In den letzten fünf Jahren hatte ich eine Menge Jobs angenommen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auf einer Bohrinsel mitten im tosenden Atlantik zu arbeiten, war mir gefährlicher erschienen als in London mit meinen Kollegen auf einem Gerüst zu stehen, um die verspiegelten Fenster in ein neu gebautes Hochhaus einzusetzen. Zumindest bis gerade eben und diesem ohrenbetäubenden Knall, als Gott weiß was explodierte und der Boden unter mir schwankte, das Gerüst, auf dem ich stand, schließlich wegsackte und ich den Halt unter den Füßen verlor. Ich wurde meterweit durch die Luft geschleudert und stürzte dann einfach in die Tiefe.
Der Knall war so furchtbar laut, dass ich für ein paar Sekunden wie erstarrt war, bevor sich die Schockstarre auflöste und ich mich panisch umsah. Londons Bürgersteige waren wie jeden Morgen voller Menschen. Autos, die sich hupend durch die verstopften Straßen schoben. Passanten, die zur Arbeit eilten, zum Einkaufen gingen oder sonstigen Aktivitäten nachgingen, bevölkerten die Gehwege. Ich selbst war gerade die Stufen der U-Bahn-Station nach oben gestiegen, die Aprilsonne schien mir warm ins Gesicht, und während ich lächelte und mich einfach auf den heutigen Tag freute, war da dieser schrecklich laute Knall gewesen. Ich spürte, wie der Boden unter meinen Füßen zitterte, und dann folgte ich einfach meinem Instinkt, wie so ziemlich alle Menschen, die gerade unterwegs waren. Ich warf mich schreiend auf den Boden. Mein Becher Kaffee to go, den ich mir vorhin auf dem Weg zur Arbeit gekauft hatte, rutschte mir aus der Hand, und der Kaffee spritzte beim Aufprall auf den Asphalt gegen meine Beine. Für einen Moment fühlte ich die heiße Flüssigkeit durch meine Strumpfhose hindurch. Ich kümmerte mich aber nicht weiter um den Schmerz, auch nicht darum, dass ich mir mit Sicherheit gerade meine Knie auf der Straße aufgeschlagen hatte. Ich lag einfach nur da, zitterte vor Angst am ganzen Körper und hielt mir schützend die Hände über den Kopf. Ich wusste nicht, was die Explosion gerade eben ausgelöst hatte oder was eigentlich genau passiert war, aber unweigerlich kamen mir die Bombenanschläge aus dem Jahr 2005 in den Sinn. Die Menschen um mich herum schrien und kreischten panisch. Ein schreckliches Durcheinander war losgebrochen, und ich schaute vorsichtig unter meinen Händen hervor. Die Straße war mit Trümmerteilen übersät. Alles war voller Staub, Schutt und Glassplittern. Die Angst schnürte mir die Kehle zu, und mein Herz klopfte mir heftig gegen die Rippen. Dann folgte ich meinem zweiten Impuls. Ich rappelte mich auf, und dann sprintete ich einfach los und versuchte mich irgendwo in Sicherheit zu bringen. Während ich rannte, wich ich, so gut es ging, Trümmerteilen aus, trotzdem strauchelte ich zweimal und wäre um Haaresbreite hingefallen, aber jedes Mal schaffte ich es, mich auf den Beinen zu halten. Getrieben von der Angst, dass gleich eine weitere Explosion folgen könnte, rannte ich weiter, so lange, bis ich über etwas fiel, beziehungsweise jemanden.
Mit meinem rechten Arm schlug ich ungebremst auf der Straße auf, während der Rest meines Körpers auf einem Fremden zum Liegen kam. Während ich vor Schmerz einen Schrei ausstieß, gab er keinen Mucks von sich. Ich kämpfte das Bedürfnis, meine Flucht fortzusetzen, nieder. Stattdessen kniete ich mich heftig atmend neben ihm auf die Straße und versuchte, meine eigenen Schmerzen zu ignorieren und mich an den Erste-Hilfe-Kurs zu erinnern, den ich vor einer gefühlten Ewigkeit einmal besucht hatte. Aber mir wollte einfach nichts einfallen. Mein Kopf war wie leer gefegt. Der Mann war schmutzig, sein Körper, seine Kleidung, sein Gesicht, einfach alles war mit einer Staubschicht bedeckt. Er war so verdreckt, dass ich nicht einmal hätte sagen können, welche Haarfarbe er hatte. Mit heftig klopfendem Herzen checkte ich seine Atmung. Hoffentlich war er nicht tot, dachte ich angstvoll. Als ich den schwachen Puls an seinem Hals fühlte, stieß ich erleichtert die Luft aus. Seine Augen waren zwar geschlossen. Aber er lebte, allerdings schien er auch schlimm verletzt zu sein. Aus einer Kopfwunde sickerte Blut. Ein dunkles Rinnsal in der grauen Staubschicht. Einer seiner Hemdsärmel war zerfetzt, und ich erkannte eine Schnittwunde, aus der ebenfalls Blut sickerte. Sie schien mir ziemlich tief zu sein. Seine Fingerknöchel waren aufgeschürft, seine Jeans wiesen einen langen, längs über seinen Oberschenkel verlaufenden Riss auf. Sein anderes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Mir wurde ganz anders zumute. Ich überlegte, was ich tun könnte, und blickte Hilfe suchend auf. Das Chaos war nicht abgeebbt. Aber mittlerweile heulten die Sirenen der Kranken- und Polizeiwagen. Ich erblickte bereits Notärzte und Sanitäter, die alle Hände voll zu tun hatten, und wusste, dass der Mann sofort ärztliche Hilfe benötigte. Gerade, als ich aufstehen und ihm diese Hilfe besorgen wollte, hielt er mich am Arm fest. Ich zuckte erschrocken zusammen, sah auf ihn hinab und blickte einen Moment später in die blauesten Augen, die ich jemals gesehen hatte.
Seine Lider flatterten, als er mit rauer, trockener Stimme hervorstieß: »Bin ich tot?«
Angesichts der Erleichterung, die ich über sein Aufwachen empfand, schossen mir sogar die Tränen in die Augen. Ich schüttelte schniefend den Kopf. »Nein, sind Sie nicht. Sie leben. Aber ich glaube, Sie sind schwer verletzt. Ich hole Hilfe. Ich bin gleich wieder da.«
Er brachte ein schwaches Nicken zustande. »Danke«, wisperte er, und dann fügte er leise hinzu: »Ich gehe nicht weg.«
Nur ungern ließ ich den Fremden allein auf der Straße liegen. Aber ich musste es tun, um Hilfe zu holen. Es dauerte viel zu lange, bis ich mit einem Sanitäter im Schlepptau zurückkam. Der Fremde hatte seine Augen wieder geschlossen, und ich befürchtete schon das Schlimmste. Aber dann öffnete er sie wieder, und der Sanitäter begann sofort mit der Erstversorgung. Das Einzige, das mich daran hinderte zusammenzubrechen, war das Adrenalin, das in meinem Körper pulsierte. Gleich darauf kamen zwei weitere Helfer dazu, und schließlich hievten sie den Fremden auf eine Trage. Während sie den Mann zu einem Krankenwagen schleppten, der in einiger Entfernung quer auf der Straße geparkt war, sagte der Sanitäter zu mir: »Kommen Sie mit. Sie brauchen ebenfalls einen Arzt.« Mit einem hastigen Nicken deutete er auf die Wunde, die unter meinen zerrissenen Jackenärmel zum Vorschein kam, und meine aufgeschürften Knie. Aber meine Verletzungen kamen mir so banal vor, dass ich den Kopf schüttelte.
»Ich komme schon klar«, behauptete ich und blieb einfach auf der Straße stehen, während er ein gemurmeltes »Wenn Sie meinen« von sich gab und bereits zum nächsten Verletzten eilte.
Es gab so viele, die Hilfe brauchten. Meine Knie zitterten, als der Krankenwagen mit dem Fremden darin abfuhr. Ich ging ein paar Schritte, blieb dann aber stehen und ließ mich kurzerhand auf den Bürgersteig sinken. Niemand schien von mir Notiz zu nehmen. Erleichtert begriff ich, dass eine zweite Explosion bis jetzt ausgeblieben war. Ich atmete tief durch und besah dann meinen Arm. Erst jetzt nahm ich den Schmerz bewusst wahr. Das Blut ließ den Jackenstoff an meiner Haut kleben. Während ich mir meine Verletzung näher ansah, spürte ich, wie mir plötzlich schwarz vor Augen wurde, und der letzte Gedanke, der in mein Bewusstsein drang, war der, dass ich doch hätte Hilfe annehmen sollen.
»In ein paar Tagen werden Sie von der Verletzung nichts mehr spüren«, sagte Donna, eine wirklich nette Krankenschwester, zu mir, als sie meine Wunde am Arm versorgte.
Auf dem Bürgersteig war ich ohnmächtig geworden und erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Mittlerweile ging es mir allerdings schon besser. Donna richtete sich auf, als sie fertig war, und packte dann das nicht benötigte Verbandsmaterial zusammen. Den Rest entsorgte sie im Müll.
»Hatten Sie schon Gelegenheit, die Nachrichten zu verfolgen?«, fragte sie, und ich schüttelte den Kopf.
»Nein, leider nicht. Ist denn schon bekannt, was der Grund für die Explosion war?«
»Vorhin wurde in den...
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