Schweitzer Fachinformationen
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Agnes weinte jämmerlich. Allein mit ihrem Unglück, lag sie auf dem Bett in ihrer Schlafkammer. Das Gesicht tief im Kopfkissen verborgen, saugte der Stoff ihre Tränen auf. Ihr Schluchzen wurde zwar gedämpft von dem mit feinsten Daunen gefüllten Kissen. Trotzdem konnte Elsbeth, die Magd und erste Dienerin im Haus, wieder einmal vor der Tür ihre ganze Pein mit anhören. Die gnädige Frau litt seit fast drei Jahren. Das Leiden hatte von Monat zu Monat zugenommen. Seit etwa einem Jahr kam es wiederholt zu den Wutanfällen ihres Ehemannes, der zunehmend ungeduldig auf den sehnlichst erwünschten Nachwuchs wartete, der sich auch im fünften Jahr ihrer Ehe nicht einstellen wollte. Über das große Haus, das in dem besseren Stadtviertel Stuttgarts, der Turniervorstadt, lag, hatte sich schon lang eine belastende, zutiefst deprimierende Stimmung gelegt, die nicht nur das Ehepaar niederdrückte, sondern auch alle Hausangestellten in Mitleidenschaft zog. Elsbeth, die Agnes seit ihrer Kindheit kannte und ihr nach deren Eheschließung in von Haydens Haus gefolgt war, litt kaum weniger als die gnädige Frau, die sie seit annähernd 24 Jahren liebte wie eine eigene Tochter. Sie hatte sie aufwachsen sehen, sich liebevoll um sie gekümmert und ihr mit Rat und Tat beigestanden. Es waren zumeist gute, ja fröhliche Jahre gewesen. Agnes wuchs in ihrem Elternhaus in Schwieberdingen behütet und glücklich auf. Sie war das einzige Kind von Richard und Wilhelmine Stellrecht, die ihre Tochter wie ihren Augapfel hüteten. Die Familie war nicht vermögend, doch konnten ihre Eltern ihr im Rahmen bescheidener Möglichkeiten mehr bieten als die Landwirtsfamilien in dem kleinen Dorf, die in manchen Jahren hart um ihre Existenz kämpfen mussten. Richard Stellrecht besaß ein Geschick als Kaufmann im Textilhandel. Die Geschäfte florierten zwar nicht immer. Aber immerhin erwirtschaftete er damit ein Auskommen, das seiner Familie ein vergleichsweise sorgenfreies Leben sicherte. Für ihre Agnes taten sie alles. Das Mädchen wuchs zu einer Schönheit heran, die nicht nur den Schwieberdingern auffiel. Agnes’ zierlicher Körper, ihr fein geschnittenes Gesicht, umrahmt von hellblonden Haaren, machten sie sehr begehrenswert. ›Die schöne Kaufmannstocher‹ oder gar ›Engel auf Gottes Erdboden‹ nannte man sie. Ihr Ruf sprach sich in weitem Umkreis herum. Selbst junge Burschen aus dem nahe gelegenen Ludwigsburg, aber auch aus Stuttgart oder gar Heilbronn zeigten Interesse an ihr. Bereits viermal hatten Väter dieser verliebten Freier bei Richard Stellrecht vorgesprochen, um die Chancen auf eine mögliche Heirat auszuloten. Es wären allesamt gute Partien gewesen. Doch Agnes zeigte nicht ein einziges Mal Interesse. Und obwohl ihr Vater zuletzt vor allem die Vorteile einer Heirat mit dem Sohn des vermögenden Ludwigsburger Kürschnermeisters Erwin Michelbach in höchsten Tönen pries, musste er letztlich aufgeben. Agnes verspürte nicht die geringste Lust auf eine Heirat und keiner der Männer konnte ihr Herz gewinnen. Jedenfalls nicht bis zu dem Tag, an dem Rüdiger von Hayden auf sie aufmerksam wurde. Als der Hofkavalier und Stallmeister um ihre Hand anhielt, schien das Glück vollkommen. Er stand in freundschaftlicher Beziehung zu Prinz Friedrich, den er seit Jahren kannte und dem er als enger Vertrauter diente. Prinz Friedrich lebte und wohnte vor allem in den Sommermonaten auf einem 1791 erworbenen Gut in dem kleinen Ort Schwieberdingen, das ihm schön wie das Paradies vorkam. Er wartete dort voller Ungeduld auf die Übernahme der Regentschaft, sah er das Herzogtum doch arg gebeutelt durch österreichische und französische Truppen. Württemberg war längst zum Spielball der großen Mächte geworden. Mit seinem Onkel, dem jahrelang herrschenden Herzog Carl Eugen, hatte er sich nicht verstanden. Oft genug war es zwischen beiden zum Streit gekommen. Mit den Carl Eugen nachfolgenden Herzögen Ludwig Eugen und Friedrich Eugen, die jeweils nur kurz regierten und ebenfalls seine Onkels waren, verstand er sich zwar besser. Doch besaß Erbprinz Friedrich Willensstärke und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Er wollte Württemberg ein stärkeres politisches Gewicht verschaffen. So litt er daran, dass württembergische Truppen in erfolglose Kriege entsandt wurden. Die wirtschaftliche Lage bot vielen Untertanen kaum das notwendige Auskommen. Armut und Existenzsorgen griffen um sich. Er wollte Verantwortung übernehmen und zum Wohl der Untertanen und des Landes handeln. Doch musste er sich noch einige Jahre gedulden. Jedenfalls hielt sich sein Stallmeister von Hayden oft bei ihm in Schwieberdingen auf. Als er dort erstmals beim Erntedankfest auf die 18-jährige Agnes traf, stand für ihn fest, sie würde die Frau seines Lebens werden. Ihm waren in der Vergangenheit die Herzen etlicher Damen zugeflogen. Seine stattliche Erscheinung, seine Nähe zum Prinzen, sein Einfluss bei Hofe und nicht zuletzt sein Vermögen machten ihn zu einer besonders interessanten Partie. Jede junge Frau hätte er haben können, doch er warb um Agnes und bat alsbald bei ihrem Vater um deren Hand. Dieser erkannte die große Chance, die sich mit dieser Vermählung für seine ganze Familie bot. Vor allem hatte seine Agnes auf das Werben des Adligen angesprochen. Ihre Tochter war zweifellos verliebt. Die Eltern sprachen mehrfach mit ihr. Sie schwärmte von diesem gut aussehenden Herrn, der sich vorzüglich zu benehmen wusste. Nur der Form halber hatte Stellrecht einen Moment gezögert, dann aber doch seine Zustimmung rasch gegeben. Seine über alles geliebte Tochter würde mit dieser Heirat in den Adelsstand aufsteigen! Ein unglaubliches Glück! Das Schicksal meinte es besonders gut mit ihnen. Welchem Mädchen aus bürgerlichem Hause bot sich schon eine solche Chance? Mehr konnten er und seine Frau wahrlich nicht erwarten. Als am Hochzeitstag im Spätsommer 1794 bei strahlendem Sonnenschein die Glocken der kleinen Schwieberdinger Kirche läuteten, war er überaus zufrieden. Diese Heirat beförderte in den Folgejahren sein gesellschaftliches Ansehen enorm. Endlich fand er Zugang zu höheren Kreisen, was nicht nur wegen der besonderen Stellung, die er fortan innehatte, von Bedeutung, sondern auch für seine Geschäfte außerordentlich förderlich war. Schon zwei Monate nach Friedrichs Thronbesteigung wurde er Anfang des Jahres 1798 vom neuen Herzog zum Hoflieferanten ernannt. Diese für ihn und seine Familie ganz und gar außergewöhnliche Geste empfand er als den größten Gunsterweis, den er jemals in seinem Leben erhalten hatte. Das wichtige Schriftstück mit dem Namen des Herzogs hing wie ein begehrtes Diplom eingerahmt an der Wand in seinem Arbeitszimmer. Und es gab keinen Besucher, mit dem er nicht vor dieses Schreiben trat, um ausführlich über dieses Zeichen der Verbundenheit zum Stuttgarter Hof zu berichten. Nun lag die prachtvolle Hochzeitsfeier, die er sich mehr hatte kosten lassen, als es an und für sich seinen Verhältnissen entsprochen hätte, schon einige Jahre zurück.
Das Hochgefühl des ersten und zweiten Ehejahres hatte sich nach und nach verflüchtigt. Anfangs waren die Stellrechts jedes Mal zuvorkommend und freundlich bei ihren Besuchen im Hause von Haydens behandelt worden. Das junge Paar war einige Monate nach dem Ende 1797 erfolgten Regierungsantritt von Herzog Friedrich II. in eines der besten Häuser in der Turnierackervorstadt gezogen. Von Hayden erfreute sich mehr denn je der Gunst seines fürstlichen Freundes. Seine Treue zu ihm in all den Prinzenjahren sollte sich vielfältig auszahlen. Hatte er zunächst noch seine Funktionen als Hofkavalier und Stallmeister weiter ausgeübt, wurde er vom Herzog später zuerst zum Mitglied der Polizeideputation ernannt und kaum ein Jahr später – es war bereits Ende Dezember 1799 – zum Stellvertreter des Geheimen Ratspräsidenten Graf von Zeppelin. Von Haydens Einfluss war damit größer denn je. So sehr ihm beruflich alles gelingen wollte und sein gesellschaftliches Ansehen wuchs, desto trauriger gestaltete sich im Lauf der Zeit seine Ehe mit Agnes. Natürlich wartete von Haydens Familie auf Nachwuchs. Vor allem seine Mutter drängte auf einen Stammhalter. Sie wurde böse und intrigant, als sich bei Agnes auch nach dreijähriger Ehe immer noch keine Schwangerschaft einstellen wollte. Nicht nur Agnes, sondern auch ihre Eltern bekamen die Vorwürfe zu spüren. Mehr und mehr waren die freundlichen Gesten ausgeblieben. In letzter Zeit schien es dem alten Stellrecht, er wäre gar nicht mehr willkommen im Hause seines Schwiegersohnes. Natürlich wusste er um das Problem des ausbleibenden Kindersegens. Es berührte ihn und seine Frau tief. Aber was sollte, was konnte er tun? Zweimal hatte er mit seiner Tochter sogar wider besseres Wissen geschimpft. Und nachdem mehrere Ärzte, die er hinzugezogen hatte, auch keinen Rat wussten, verstieg er sich weiter in unberechtigte Vorwürfe. Diese waren aber im Vergleich zu denen seines Schwiegersohnes fast harmlos. Rüdiger von Hayden, angetrieben von seiner giftigen und seit Jahren verwitweten Mutter, setzte seiner Frau Monat für Monat zu. Agnes fürchtete mittlerweile nicht nur das Einsetzen ihrer Monatsblutung, mit der wieder alle Hoffnung genommen wurde. Sie fürchtete sich schon längstens vor dem Vollzug der Ehe, die für ihren Mann nur mehr ein mechanischer Akt war. Ihm ging es lediglich noch um die Zeugung von Nachwuchs. Keine Spur mehr von Zärtlichkeit und Liebe! Roh und schnell erledigte er den Akt und geriet kurze Zeit später erneut außer sich, wenn sich herausstellte, dass Agnes wiederum nicht empfangen hatte. Auch an diesem Morgen hatte Rüdigers Mutter Agnes mit Fragen malträtiert. Nachdem ihre Schwiegertochter mit zittriger Stimme und in Tränen aufgelöst deren Verdacht bestätigen musste, hetzte sie am Mittagstisch...
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