Schweitzer Fachinformationen
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Der Mensch kann auf die Natur nicht einwirken sich keine ihrer Kräfte aneignen, wenn er nicht die Naturgesetze nach Maß- und Zahlverhältnissen kennt.
Alexander von Humboldt1
Good Roads, canals, navigable rivers . are the greatest of all improvement.
Adam Smith2
Der Himmel war der Erde mächtig auf den Leib gerückt. Die Landschaft zeigte sich ohne Horizont, reduziert auf das graue Band des Kanals, das Blick und Gedanken hinter sich herzog. Ich war im Calder Valley in West Yorkshire unterwegs. Das Tal ist wie ein Mikrokosmos, in dem sich die Geschichte der Industrialisierung nachvollziehen lässt.
Nach etwa einem Kilometer auf dem Treidelweg von Hebden Richtung Halifax entdeckte ich das Boot. Wie für die Ewigkeit vertäut lag es da. Nichts und niemand bewegte sich. Die Bullaugen und das Kombüsenfenster waren verhangen.
Der Rumpf ein Rot, das sich als verwischter Pinselstrich im Wasser fortsetzte.
Glänzendes Schwarz hob die weißen Lettern des Namens auf dem Boot hervor:
ORINOCO.
Orinoco ist einer der vier Flüsse aus den Sagen vom Paradies. So erschien der über 2000 Kilometer lange Strom dem Weltentdecker Colón, besser bekannt als Columbus. Das war im 15. Jahrhundert. Dreihundert Jahre später erkunden die Naturforscher Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland den Orinoco und seine Nebenflüsse auf der Suche nach einer Verbindung zum Rio Negro, der sich wiederum mit dem Amazonasfluss verbindet. Und das ist nur eines der vielen Forschungsziele auf ihrer Expedition in die Neue Welt, wie die Europäer sie nannten. Alexander von Humboldt, charismatisch, penibel, ehrgeizig und davon besessen, alles verfügbare Wissen der Welt zu sammeln. Universal sind auch seine Kenntnisse. Die Liste seiner Forschungsgebiete, für die andere mehrere Leben benötigt hätten, umfasst Vulkanologie, Kartographie, Erdmagnetismus, Botanik, Zoologie, Ethnologie, Wirtschaft, Landwirtschaft und Bergbau bis hin zu Meteorologie und Meereskunde. Humboldt ist von den Ideen der Aufklärung geprägt und von der Gleichheit der Ethnien überzeugt. Alle Menschen hätten unabhängig von Nationalität, Hautfarbe oder Religion denselben Ursprung. Er kritisiert den Kolonialismus, freundet sich mit Simon Bolívar an und lehnt die Sklaverei ab, deren Zeuge er auf seiner südamerikanischen Expedition wird.
An seiner Seite Aimé Bonpland, ein junger französischer Wissenschaftler und leidenschaftlicher Botaniker, den der Aufbruch ins Neuland und eine unbekannte Pflanzenwelt mehr interessieren als eine gesicherte Existenz. Er wird nach dem Sturz Napoleons nach Südamerika zurückkehren.
Die südliche Halbkugel war lange Zeit von fabelhaften Spekulationen umwoben. Sofern die Erde tatsächlich eine Kugelgestalt habe, stellte man sich die Rückseite als Ort der Gegenfüßer vor, der Antipoden. Als Kinder wäre uns das glaubhaft erschienen, als sei es ein von uns gemaltes Bild: Menschen kehren uns ihre Füße zu - und umgekehrt wir ihnen -, Schnee fällt von oben nach unten, Bäume wachsen in die andere Richtung. Alles steht Kopf.
Das wollten wir sehen und wären losgestürmt. Na ja, nicht alle von uns.
Ich war schon früh besorgt, nicht genug Zeit für die Entdeckung der Welt zu haben. Im Alter von etwa fünf Jahren, so die Überlieferung, habe ich nach einem beeindruckenden Bericht meiner Mutter über die Größe der Erde, die Vielzahl an Ländern und Orten erschrocken, wenn auch in kindlicherem Wortlaut, ausgerufen: »Aber dann stirbt man ja, ohne alles gesehen zu haben!« Es galt also, keine Zeit zu verlieren.
Wir heuerten auf den modernen, schnellen Karavellen an und entdeckten, wenn auch mehr zufällig, die Mündung des Orinoco, Beweis für die Existenz einer großen Landmasse auf der Rückseite der Erde, die man jahrhundertelang für unmöglich gehalten hatte. Tausende Seemeilen südwärts erblickten wir eine graue, unwirtliche Landzunge und nannten sie Tierra del Fuego, Feuerland, weil wir aus der Ferne unzählige Lagerfeuer ausmachten. Wie die Indigenen ihr Land nannten, wussten wir nicht. Wir segelten westwärts und fanden nach schwieriger Fahrt und großem Freudengeheul eine Passage zwischen zwei Meeren. Wir waren es auch, die Kap Horn zum ersten Mal umschifften, die südliche Spitze der Antipoden.
Wir segelten mit Columbus, Magellan und vielen anderen, mit Spaniern, Portugiesen, Holländern und Engländern. Auf der Beagle waren wir in der Gesellschaft eines Charles Darwin, von dem man lernen konnte, was Neugier bewirken kann. Der Kapitän war jähzornig, die Matrosen versoffen; wir schliefen in Hängematten und waren umgeben von unzähligen Behältern mit Meereswarzen und anderen Beweisen für eine Theorie, welche die biblische Schöpfungsgeschichte ins Märchenhafte verwies.
Die Gegenfüßer sahen wir nicht, aber die Großfüßer, die Patagones, nach denen das Land Patagonien genannt wurde. Wieder einmal mussten wir einsehen, dass vieles Legende war: Riesen waren sie nicht.
Mir wurden die Schreibarbeiten zugewiesen. Ich führte das Logbuch, war Chronistin, schrieb über unsere Abenteuer und übernahm die Aufgabe, die Welt darüber aufzuklären, wie es auf der anderen Erdkugel aussah.
Später mussten wir einsehen, dass Entdeckungen und Eroberungen miteinander einhergingen. Wir verloren unsere Naivität. Auch die Freibeuterei war uns verdorben. Mit Captain Drake wollten wir nicht noch einmal auf die Reise gehen. Wir legten die Augenklappen ab, räumten Kopftücher und Ohrringe fort, nahmen Abschied von Holzbeinen und anderen Prothesen, von Dolchen und Schwertern.
Ohnehin hatte die Elsa-Brändström-Schule für Mädchen anderes mit uns im Sinn.
Humboldt und Bonpland konnten bezeugen, dass Bäume und Pflanzen auch auf der südlichen Hemisphäre in die gewohnte Richtung wachsen. Nur derart viele, dass Bonpland glaubt, von Sinnen zu kommen, wenn die Wunder nicht bald aufhören. Tausende Pflanzen, für die erst Namen gefunden werden müssen.
Macht Euch die Erde untertan gehörte nicht zu Humboldts Leitsätzen, ebenso wenig wie die anthropozentrische Sicht eines René Descartes, der die Menschen als Herren und Besitzer der Natur begreift. Humboldt sah und beschrieb die Eingriffe des Menschen durch Abholzungen, die Zerstörung von Lebensräumen für die Tierwelt, die Klimaveränderungen, und er warnte vor den ökologischen Kettenreaktionen und Gefahren. Für viele gilt Humboldt daher als Vater der Umweltbewegung.
Nach mehreren Monaten, 2000 Kilometern und dank seiner Messgeräte konnte Humboldt beweisen, was bisher nur eine Vermutung war: Der Rio Casiquiare ist die Verbindung der Flüsse Orinoco und Río Negro. Auf ihren Flussfahrten begegneten die Forscher auch der rätselhaften Erscheinung der schwarzen Wasser. Fasziniert schreibt Humboldt: »Diese Farbe geht im Schatten der Palmengebüsche fast in Tintenschwärze über. Mit wunderbarer Klarheit spiegelt sich in diesen schwarzen Strömen das Bild der südlichen Gestirne, ein vortrefflicher künstlicher Horizont.«3
War der Besitzer des Kanalboots namens Orinoco je dort gewesen? Oder hatte er sich fortgeträumt, im Glauben, das Leben sei leichter unter dem Kreuz des Südens?
Vielleicht war die Namensgebung ein ironischer Verweis auf die Verschiedenheit der Hemisphären, auf den Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dem britischen Humor wäre es zuzutrauen. Unwillkürlich sah ich mich genauer um. Der Kanal, schmal, wie mit dem Lineal gezogen, eine künstliche Wasserstraße, unbestimmbar die Fließrichtung, flach und grau. Ebenfalls vom Regen begünstigt, wenn auch gezähmter, war das Grün der Eschen, Pappeln und Sykomoren, zwischen denen lichtes Weidengrün lungert.
Abenteuer suchten auch wir. Wie jedes Kind. Unsere Abenteuer umfassten unsere Straße, deren Länge und Breite wir gut erkundet hatten. Kinderzimmer kannten die meisten von uns in den 1950er-Jahren nicht.
Und da war diese Villa, die es noch zu erobern galt. Im Stil der Gründerjahre gebaut, mit kleinen Jugendstil-Kapriolen. Und ein Sinnbild für den Aufstieg und Reichtum der neuen Klasse, des Bürgertums. Aber das sagte uns damals nichts. Die Besitzer kamen aus einer Familie von Textilunternehmern, die seit 1868 Litzen und Textilbänder herstellten, in den 1930er-Jahren die Marke Gold-Zack kreierten und sagenhafte Gewinne machten. Wir stellten uns Wortwörtliches vor. Es waren aber nur Gummibänder, wenn auch mit einem goldfarbenen Muster, Pfennig-Artikel, mit denen Wuppertaler Unternehmer seinerzeit Millionäre wurden. Ich habe den Widerspruch zwischen Pfennig und Millionär lange nicht verstanden.
Wir sahen ein prächtiges, weißes Haus mit Säulen, Verzierungen, und ganz obenauf war ein Sims, einem breiten Spitzenband ähnlich. Wie ein Verweis auf die Bänder, Spitzen, Litzen und Kordeln, deren Herstellung ins 18. Jahrhundert zurückgeht und die als Barmer Artikel weltweit bekannt wurden.
Im Jahre 1800 marschieren Napoleons Truppen ins Rheinland. Charles Beugnot wird zum Grafen und kaiserlichen Kommissar des Großherzogtums Berg erhoben. In einem Bericht aus dem Jahre 1810 würdigt er den Fabrikationszweig der Barmer Artikel. Er sei der erste und älteste, Barmen und Elberfeld verdankten ihm ihre Entstehung. Die Fabrikation dieser Artikel sei zu höchster Vollkommenheit entwickelt, die Arbeitsteilung beachtlich, ebenso wie die Ordnung in den Werkstätten, und die Fabriken fänden überall Abnehmer, deren...
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