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Sie freute sich für ihre Freundinnen.
Wirklich.
Sie freute sich, weil Nadia jetzt glücklich verheiratet war und es tatsächlich noch eingefädelt hatte, dass das Brautstraußwerfen mit einem Heiratsantrag für Siobhan gekürt worden war. Und sie war überglücklich, dass Audie endlich mit ihren zwei Männern wiedervereint war.
Und doch .
Sie war übrig geblieben. Sie, die alle beneideten, weil sie immer alles im Griff zu haben schien. Sie, die Klasse, Erfolg und Gelassenheit ausstrahlte, was schon immer ihr Schutzschild gewesen war. Nur mit dessen Hilfe hatte sie die Enttäuschung ihres Vaters und die Vernachlässigung durch ihre Mutter wegstecken können. Sie, die der Fels in der Brandung für die anderen war und auf die man sich stets verlassen konnte. Sie war all das und noch viel mehr. Und zugleich weniger.
Die vier waren Freundinnen geworden. Jede von ihnen hatte sich von einem Laster befreien müssen - bei Nadia waren es Tabletten gewesen, bei Siobhan Schmerzmittel, bei Audie bedeutungsloser Sex und bei ihr selbst der Alkohol. Seit einigen Jahren waren sie nun schon miteinander befreundet und trafen sich allwöchentlich, um sich gegenseitig zu unterstützen, was sie liebevoll Bitch-Talk nannten. Die anderen drei dachten, ihr gehe es gut.
Nein, sie sollte sich auf das Glück ihrer Freundinnen konzentrieren. Das Gute in allem sehen. Immerhin war sie Vanessa Longfellow und unterrichtete an der Herscher University. Manchmal war sie auch Mistress Vivienne im Onyx, einem exklusiven BDSM-Club. Sie hatte tolle Freunde, im Onyx einen fantastischen Sub und alles in allem ein gutes Leben. Ihr ging es bestens.
Sie wollte einen Drink.
Sie brauchte einen Drink.
Nicht hier bei der Party, wo jeder einzelne Hochzeitsgast nur zu gut wusste, dass sie trockene Alkoholikerin war. Aus demselben Grund hätte sie auch nie an die Hotelbar flüchten können. Womöglich sollte sie nachfragen, ob es hier im Hotel noch ein freies Zimmer gab, das sie spontan buchen konnte - ein Zimmer mit Minibar. Dann würde sie ein Wochenende lang alles vergessen können. Sie würde wieder auf dem Damm sein, sobald sie zurück zur Arbeit müsste, genau wie früher. Niemand würde es je erfahren, niemand wüsste es - außer ihr selbst.
Ja, sie würde es wissen. Und das bedeutete auch, dass sie wüsste: Sie hätte versagt. Ein unerträglicher Gedanke, erst recht, da so viele in ihrer Umgebung nur darauf lauerten, dass sie versagte. Ihr war klar, dass sie schleunigst würde gehen müssen, um einen ihrer Rückzugsorte aufzusuchen: ihr Zuhause . oder das Onyx. Und weil sie zu Hause mit ihren Gedanken allein wäre, entschied sie sich kurzerhand für den Club.
»Du hast doch wohl hoffentlich nicht gedacht, ich hätte dich vergessen, oder?«
Eilig setzte Vanessa ihre Maske wieder auf und strahlte Nadia an. »Du solltest ausgerechnet heute nun wirklich keinen Gedanken an mich verschwenden, Mrs Kaname Sullivan.«
Nadia lachte. »An diesen Namen muss ich mich erst noch gewöhnen! Im beruflichen Umfeld will ich weiter bei Nadia Spiceland bleiben. Freunde und Familie dürfen natürlich gerne beide Namen benutzen, das ist uns egal. Aber apropos Freunde und Familie .« Sie legte Vanessa den Arm um die Schultern. »Du hast hier einen Verehrer.«
Vanessa drehte sich der Magen um. »Ach ja?«
»Ja«, bekräftigte Nadia. »Irgendeine Vermutung, wer es sein könnte?«
Das hatte sie. Beim Probeessen am Vorabend hatte sie ihn offiziell kennengelernt, weil er mit ihr als Teil von Nadias Entourage zum Altar schreiten sollte: Nadias ältesten Bruder Sergey. Obwohl er mittlerweile Nadias Wohnung über dem von Nadia und Siobhan geführten Café Sugar & Spice bezogen hatte, kannten sie einander nur flüchtig vom Sehen. Doch als sie am Vorabend neben ihm gestanden und sich bei ihm untergehakt hatte, hatte ein merkwürdiges Déjà-vu-Gefühl von ihr Besitz ergriffen.
Alles an ihm war ihr vertraut vorgekommen. Die Breite seiner Schultern, die Art, wie er das Kinn leicht vorschob, dann dieses zufriedene Lächeln . und wie er sich während der Generalprobe für Nadias Hochzeit auf sie - Vanessa - konzentriert hatte.
Unwillkürlich hatte sie an Sam denken müssen, ihren Sub aus dem Onyx, dem sie bislang immer nur im Club begegnet war. Sie hatte an die Breite seiner Schultern und an die Art denken müssen, wie er das Kinn immer leicht vorschob . an das Lächeln auf seinen Lippen, wenn sie ihn lobte . und daran, wie er die Hände zu Fäusten ballte, sobald sie seinen nackten Rücken mit dem Flogger bearbeitete .
In den vergangenen Wochen hatte sich ihre Beziehung vertieft, was angesichts des Umstands, dass er im Club eine Maske und sie Perücken und farbige Kontaktlinsen trug, durchaus eine seltsame Aussage war. Doch sie hatten beide ihre Gründe, sich zu verkleiden, da war sie sich sicher, auch wenn sie ihn nach seinen Motiven nie gefragt hatte. Vielleicht hatte er verhindern wollen, dass sie ihn als den Bruder ihrer Freundin wiedererkannte?
»Keine Ahnung«, murmelte sie, als ihr auffiel, dass Nadia immer noch gespannt auf eine Antwort wartete. Sie hatte zwar eine starke Vermutung, aber keine handfesten Beweise.
»Dann gebe ich dir einen Hinweis«, sagte Nadia und grinste schelmisch. »Er ist groß, dunkler Teint, ziemlich gut aussehend und stand heute mit dir und den anderen Brautjungfern am Altar. Ach ja, und er ist mein großer Bruder.«
»Sergey!« Sie schloss kurz die Augen, als ihr dämmerte, was das bedeutete, und wunderte sich im selben Moment, warum sich ihr Magen zusammenkrampfte, sowie sie seinen Namen laut aussprach.
Vanessa musste sich eingestehen, dass sie die Schmetterlinge bereits gespürt hatte, als sie am Vorabend bei der Generalprobe einfach nur neben ihm gestanden hatte - und dann heute wieder, als er im Frack erschienen und neben ihr hergegangen war. War das Panik oder Aufregung gewesen? Sie war sich nicht sicher. Sie war sich bei gar nichts mehr sicher - und genau das war es auch, was ihr das durstige Kribbeln in ihrer Kehle beschert hatte.
»Wie kann dein Bruder mein Verehrer sein, wenn er mich doch gar nicht kennt?«
In Nadias Augen blitzte es. Es war ihr Hochzeitstag, aber ganz offensichtlich genoss sie die Rolle als gute Fee, die ihren Brautjungfern den einen oder anderen Wunsch erfüllte. »Anscheinend hast du gestern Abend einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.«
Gestern Abend. Das Probeessen. Als sie Nadias Brüdern Sergey und Anton offiziell vorgestellt worden war. Bei der Gelegenheit hatte sie auch erfahren, dass Sergey mittlerweile Sergeant bei der Herscher-Campuspolizei war. Außerdem hatte sie festgestellt, dass er einen Sinn für Humor hatte und wesentlich besser aussah als bloß »ziemlich gut«.
»Einen bleibenden Eindruck?«, echote sie. »In fünfzehn Minuten?«
»Wieso überrascht dich das? Du bist eine kluge, schöne Frau, und mein Bruder ist bestimmt eine Menge, aber weder blöd noch blind.«
Sergey war auf jeden Fall eine Menge - zum Beispiel faszinierend. Das hatte sie am Vorabend beim Small Talk mit ihm festgestellt. Sie hatte sein leises Seufzen gehört, als sie ihm die Hand auf den Arm gelegt hatte. Er hatte sich ganz dezent an sie geschmiegt und sie während des Essens nicht aus den Augen gelassen. Und so wie er ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, war er aller Wahrscheinlichkeit nach . ihr Sam.
Aber ahnte er seinerseits, dass sie Mistress Vivienne war? Nicht nur trug sie im Club eine Perücke und ihre farbigen Kontaktlinsen; sie imitierte dort außerdem einen Pariser Akzent. Ihre Tarnung war so perfekt, wie sie es mittels ihres analytischen Verstandes zustande brachte. Wodurch hätte sie da ihre wahre Identität verraten können?
Audie! Nessa unterdrückte ein Stöhnen. Ihre temperamentvolle, rothaarige Freundin war einfach nicht zu übersehen und hatte ihre wahre Identität im Onyx nie verheimlicht. Und weil Audie während Vanessas Ausbildung deren Bottom gewesen war, konnte wohl jeder, der sie außerhalb des Clubs zusammen sah, ganz leicht eins und eins zusammenzählen.
»Direkt nach der Zeremonie meinte er: >Ich werd mich übrigens an deine Freundin Vanessa ranmachen. Versuch gar nicht erst, mich aufzuhalten.< Klang ziemlich draufgängerisch.« Nadia neigte den Kopf leicht zur Seite. »Also frage ich mich jetzt natürlich, ob ich aus dem Weg gehen oder ihm gegen's Schienbein treten soll - wie damals, als ich neun war.«
Sobald Nessa sich Nadia als wütende Neunjährige vorstellte, musste sie unwillkürlich lächeln. »Nein, brauchst du nicht, auch wenn dein Vorschlag mich amüsiert.«
»Wieso? Er ist mein Bruder, und du bist meine Freundin. Ich hab euch beide lieb.«
»Sicher, dass du ihn nicht lieber vor deiner Alkoholikerfreundin warnen willst?«, fragte Nessa und meinte es wirklich ernst.
»Wenn das der Fall wäre, würden wir diese Unterhaltung hier gar nicht erst führen.« Nadia nahm ihre Hand. Ihr brandneuer Ehering funkelte mit dem Verlobungsring um die Wette. »Ob du ihm von deiner Sucht erzählen willst oder nicht, ist ganz allein deine Sache. Aber du wirst überrascht sein, wie verständnisvoll und hilfsbereit er sein kann. Er hat genau wie du schon einiges durchgemacht - wie wir alle. Er ist ein toller Typ und ein noch tollerer Bruder, und das habe ich ihm tatsächlich auch schon mehrmals gesagt. Du musst ihm nur signalisieren, ob du Interesse an ihm hast oder nicht.«
Sie hatte Interesse,...
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