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Im ganzen T-Shirt-Shop stank es penetrant nach Patschuliöl. Emma saß auf einem Hocker neben der Kasse und überlegte, wie sie diesen süßlichen Moschusgeruch je wieder aus ihren Klamotten herausbekommen sollte.
»Stell die in die Ecke dort.« Raven hielt ihr eine Handvoll selbst gebastelter Schilder hin und nickte Richtung Hinterzimmer, vor dem sich Shirts mit Peace-Slogans, Perlenhalsketten und Kunstschnitzereien stapelten.
»Na klar.« Emma sprang von ihrem Hocker. Die Farbe auf den etwa fünfzehn Schildern war noch nicht einmal ganz trocken. Schlagworte wie NOTFALL, GEFAHR und STREIK blitzten in leuchtendem Rot, Grün und Blau auf, als sie sie nach hinten trug.
Raven hatte den Laden bereits geschlossen, sie jedoch gebeten, noch zu bleiben und ihm bei der Vorbereitung des Protestmarschs am Wochenende zu helfen. Raven war ein zottelhaariger Polit-Eiferer, dem der Nordlondoner Laden gehörte und der in seiner Freizeit eine linksgerichtete Protestgruppe organisierte. Er war dreiunddreißig, seine Mähne und die vielen Tattoos ließen ihn jedoch jünger wirken. Eigentlich hieß er David Lees, hatte seinen Namen allerdings vor acht Jahren in Raven Hawkhurst ändern lassen, was öffentlichkeitswirksamer war. Bei den Straßenprotesten glich er einem Leichtgewichtsboxer - klein, wendig und unermüdlich -, das schmale Gesicht hinter einem Schal verborgen, während er den Demo-Polizisten schwarz-rote Anarchiefahnen entgegenreckte; im restlichen Leben war er ein hasserfüllter Paranoiker mit der felsenfesten Überzeugung, dass es die Regierung auf ihn abgesehen hatte.
Was zugegebenermaßen stimmte.
Mehrere Wochen verdeckter Ermittlungsarbeit waren notwendig gewesen, bis Emma in den inneren Kreis vorgedrungen war, und noch einige weitere, um sein Vertrauen zu erlangen, nur um gleich danach zu dem Schluss zu gelangen, dass er keine wirkliche Gefahr darstellte. Er war weder gerissen noch organisiert genug, um die Revolution, von der er träumte, in die Tat umzusetzen. Er liebte das Drama und die Abwechslung des Alltags in Form einer kleinen Prügelei mit der Polizei, aber ein Terrorist war er nicht.
Das hatte sie ihren Vorgesetzten bereits mehr als einmal dargelegt, doch die hatten ihre Einwände abgetan und darauf bestanden, dass sie weiter am Ball blieb und tiefer grub. Das Online-Fundraising hatte der Gruppe erstaunliche Summen beschert; Gelder, die durch unterschiedliche Kanäle geflossen waren, deren Ursprung jedoch in Russland lagen. Deshalb war Emma immer noch hier und stapelte Protestschilder, eingehüllt in einer Patschuliwolke.
Sie kehrte in den Laden zurück. »Klingt ja, als würde das ein Riesenmarsch am Samstag werden«, sagte sie in dem nordenglischen Akzent, den sie sich für ihre Tarnung angeeignet hatte. Raven hielt sie für eine leidenschaftliche Aktivistin aus Manchester.
Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Weißt du, wie viele Menschen in dieser Stadt leben?« Er hielt inne, wartete ihre Antwort jedoch nicht ab. »Vierzehn Millionen. Zehntausend für einen Protestmarsch? Das ist echt kein Erfolg. Sondern Versagen auf der ganzen Linie.« Er schnappte die restlichen Schilder und schleppte sie nach hinten, ohne auf ihre Hilfe zu warten.
»Die Leute wollen jeden Tag ihre Kinder in ihren SUVs zur Privatschule fahren und sich einbilden, sie täten etwas für die Umwelt, indem sie auf Plastikstrohhalme verzichten.«
Am Tag vor einem Marsch war er grundsätzlich mies gelaunt. Emma ließ ihn maulen und kehrte zu ihren Farbeimern zurück, während er sich weiter in Fahrt redete. »Aber wenn wir ihnen ihre schicken Buden unterm Arsch wegziehen, werden sie's schon merken«, zeterte er, als ihr Handy vibrierte.
Nur ein Wort stand auf dem Display. Zuhause.
»Raven.« Sie hob die Stimme, um die gewohnte Leier zu unterbrechen. »Ich muss rangehen. Bin gleich zurück.«
Er sah sie entrüstet an, ehe er »Typisch« brummte.
Sie hastete hinaus auf den Bürgersteig und drückte auf die Taste, kaum dass die Tür hinter ihr zufiel. »Hier ist Makepeace 1075.«
Eine unbekannte Frauenstimme sagte: »Hallo, Emma. Ich habe eine Nachricht von zu Hause. Darf ich sie Ihnen mitteilen? Geht es gerade?«
Emma sah sich um. Auf der Straße war weit und breit niemand zu sehen. »Ja, es geht.«
»Die Nachricht lautet: >Ihre Mutter ist krank und braucht Sie dringend.< Soll ich wiederholen?«
Emmas Herz hämmerte, dennoch bemühte sie sich um einen ruhigen Tonfall. »Nein, alles verstanden. Danke.«
Als sie in den Laden zurücklief, bückte Raven sich gerade nach den letzten Farbeimern.
»Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich muss nach Hause. Ein Notfall«, sagte sie und stürzte zur Kasse, um ihre Tasche zu holen.
Ein stummer Vorwurf lag in seinem Blick, als er sie wachsam musterte.
»Das war meine Mum«, fügte sie in besorgtem Tonfall hinzu. »Sie ist krank und hat niemanden, der sich um sie kümmert. Deshalb muss ich gehen.«
»Na gut.« Er machte eine ausschweifende Bewegung mit dem Arm, auf dem vom Handgelenk bis zum Ellbogen KEINE GERECHTIGKEIT tätowiert war. »Und ich mache das alles alleine, ja?«
»Das wäre echt super. Du bist der Beste, ehrlich. Bis später«, erwiderte sie dankbar lächelnd, obwohl sie ihn mit Absicht missverstanden hatte.
»Das war sarkastisch gemeint«, rief er ihr hinterher.
Doch sie stürmte bereits in Richtung Camden High Street, wobei ihre schweren Bikerboots dumpf auf dem Bürgersteig widerhallten. Raven war jetzt völlig egal. Sie wurde ins Büro gerufen.
Sie brauchte eine gute halbe Stunde nach Westminster. In der Hektik blieb keine Zeit, ihr Climate Panic-Shirt und ihre zerrissenen Jeans zu wechseln oder die blauen Extensions in ihrem Haar loszuwerden. Ihr Erscheinungsbild sorgte für einige hochgezogene Brauen in der schicken Rochester Row, als sie von der U-Bahn die Straße entlangrannte und dabei mehr als eine rote Fußgängerampel missachtete, aber sie hatte es viel zu eilig, um sich deswegen einen Kopf zu machen.
Schließlich bog sie in eine kleine, halbkreisförmige Straße und blieb vor einem schmalen Backsteingebäude stehen, das sich durch nichts von den anderen gepflegten vierstöckigen Bürogebäuden ringsum unterschied. The Vernon Institute stand auf dem schlichten blauweißen Schild über dem unauffälligen Eingang.
Emma hastete durch die leere Halle im georgianischen Stil zu einer schwarzen Doppeltür, die im Gegensatz zur Eingangstür modern und kugelsicher war. Auf der einen Seite befand sich eine elektronische Vorrichtung an der Wand. Sie beugte sich vor und blickte auf die glänzende, dunkle Glasfläche, in der sich ihre Iris spiegelte. Drei Lämpchen blinkten - zuerst ein rotes, dann ein oranges und schließlich ein grünes -, bevor sich das Schloss mit einem Klicken öffnete. Sie drückte die Tür auf und betrat das geschäftige Büro.
Eine Mitarbeiterin am Empfang sah von ihrer Arbeit auf. »Er ist oben«, sagte sie.
Ripley stand auf dem Treppenabsatz im ersten Stock. Er hatte die Hände in den Taschen seiner Anzughosen vergraben, der Ausdruck auf seinem langen, undurchdringlichen Gesicht verriet nichts.
»Ich bin so schnell hergekommen, wie ich konnte«, erklärte Emma atemlos. »Was ist passiert?«
Die Nachricht war ein Notfallcode, den Ripley anlässlich ihres ersten verdeckten Einsatzes für sie eingerichtet hatte. In den zwei Jahren, seit sie für die Agency arbeitete, war er lediglich ein einziges Mal ausgelöst worden, allerdings hatte Ripley sie sofort informiert, dass es ein Testlauf gewesen sei. Diesmal aber nicht, das wusste sie, noch bevor ihr Vorgesetzter auch nur den Mund aufmachte.
Mit ernster Miene deutete er auf seine Bürotür. »Wir müssen reden.«
Charles Ripley war zwischen fünfzig und sechzig, gut einen Meter achtzig groß und mager, mit einem markanten Kiefer und kurzem, an den Schläfen ergrautem Haar. Sein Anzug aus marineblauer Wolle wirkte weder teuer noch billig. Hundertausende von Geschäftsleuten in London trugen solch einen Anzug. Seine Schuhe bestanden aus solidem Leder, waren jedoch nicht auf Hochglanz poliert, die Uhr an seinem Handgelenk kein Designerexemplar und sein weißes Hemd zwar ordentlich, aber nicht blütenweiß und übermäßig akribisch gebügelt. Alles in allem gab er ein so unauffälliges Erscheinungsbild ab, dass man Mühe hätte, ihn zu beschreiben, wenn einen jemand fünf Minuten nach einer Begegnung danach fragen würde. »Unsichtbarkeit ist die wichtigste Eigenschaft eines Spions«, hatte er ihr zu Beginn ihrer Zusammenarbeit erklärt.
Zwar hatte er in fünfunddreißig Jahren im Dienst der Regierung gelernt zu verbergen, was in ihm vorging, trotzdem spürte sie sofort, dass Ärger in der Luft lag, als sie ihm in sein Büro folgte.
Der Raum war groß, mit staubigen eichenvertäfelten Wänden und hohen Bogenfenstern. Abgesehen von einem Schreibtisch, zwei abgewetzten Lederstühlen und einem Beistelltisch war er leer. Keine Bilder, nichts, was Hinweise darauf gab, wer hier arbeitete. Oder dass überhaupt jemand einer Tätigkeit nachging.
Er bedeutete Emma, Platz zu nehmen, und trat hinter seinen Schreibtisch.
»Es gab einen weiteren Mord. Diesmal in Knightsbridge«, sagte er und zog ein schwarzes Zigarettenetui aus der Brusttasche seines Jacketts. Spätnachmittägliches Licht fiel durch die Fenster mit den kugelsicheren Scheiben und blendete sie, sodass sie Mühe hatte, seine Miene zu erkennen, als er nach einem abgenutzten silbernen Feuerzeug griff. »Profis, genauso wie...
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