1938
Das neue Jahr ist gerade zwei Tage alt. Für den Funker hätte es nicht besser beginnen können, das alte nicht schöner enden. Ein Jahreswechsel im familiären Kreis zusammen mit seiner Herzallerliebsten . Nun aber ist er wieder unterwegs nach Graz in die Kaserne. Das Auto hat Mühe, sich durch die widrigen Straßenverhältnisse zu kämpfen. Der Fahrer tut sein Bestes, doch die Sicht ist miserabel. Zu schlechter Letzt fallen auch noch die Scheibenwischer aus. Den dichten Schneefall packen sie nicht mehr. Immer wieder steigt der Chauffeur aus und reinigt die Scheiben. Mit entsprechender Verspätung kommt er in Graz an . Doch dauert es noch einige Zeit, bis er wieder in den Kasernenalltag zurückfindet. In Gedanken steht er mit seiner Liebsten und ihrer Familie noch immer in der behaglichen Stube vor dem Christbaum. Von diesem silvesterlichen Weihnachtsfest wird er noch lange träumen .
In Hartberg gehen die Hl. Drei Könige um. Es ist die letzte der drei Rauhnächte. Die Oberlehrerswitwe legt Wert darauf, die Wohnung zu räuchern und mit Weihwasser zu besprengen. Ihre Kinder machen da gerne mit. Sie sind das von Kindheit an so gewöhnt - nur dass jetzt die Mutter statt des Vaters die Rauchpfanne vor sich herträgt. Friedl hat die Aufgabe, die glühenden Kohlen aus dem Ofen zu holen. Den Weihrauch streut die Tochter darauf. Selig betrachtet sie die Kirschzweige. Nicht und nicht wollten sie erblühen. Doch das Warten hat sich gelohnt. Ein herrlicher Blütenstrauß steht jetzt im Herrgottswinkel. Friedl ist erleichtert. Ob er diesmal einen anderen Baum geplündert hat? Die Katze trollt sich davon, dieser Geruch, der da die Räume durchzieht, behagt ihr nicht so recht .
Nun aber ist eine Himmelserscheinung in aller Munde. Der Funker verpasst sie, er sieht sich zu dieser Zeit einen Film an - "Der Berg ruft!". Die Zeitungen sind voll mit Berichten von diesem Ereignis, die Radiomeldungen ebenso. Ihm ist leid, das Nordlicht verpasst zu haben. Auch in Hartberg war es zu sehen. Die Oberlehrerswitwe wird einsilbig, als sie davon hört. Sie ahnt Schlimmes, aber das heißt noch lange nicht, dass sie Recht behalten wird. Umso mehr genießt sie das Faschingstreiben. Auch ihre Kinder sind viel unterwegs. Ein Ball nach dem anderen wird in Hartberg gefeiert. Ihre Tochter wirkt bei Theateraufführungen mit, spielt wieder ein bisschen Zither, und wann immer es geht, zieht sie mit ihren Schlittschuhen auf dem blanken Eis des Stadtweihers ihre Spuren. Manchmal ertönen auch Walzerklänge, und Werner wartet nur darauf, mit ihr ein Tänzchen zu vollführen. Das sage ich deinem Peter, mault Friedl, wenn du das tust. Doch der Funker ist auch eifrig unterwegs - Einladungen wären da genug, doch nicht alle nimmt er an. So manche Ballkarte verschenkt er. Auch zum Eislaufen geht er - als Zuseher, denn halb Graz ist auf den Beinen, als ein bekanntes Tanzpaar eine Vorstellung gibt. Tage später sieht er sich im Kino die »Fledermaus« an - »glücklich ist, wer vergisst .« Heiter geht die Welt zugrunde! Die Musik des Walzerkönigs wirkt auf ihn wie Champagner!
Im Gesäuse ist Hornung, da wirft das Wild sein Geweih ab. Allmählich wächst es unter dem schützenden Bast wieder nach - ein neues Ende kommt dann an der Spitze stets hinzu. Der Revierjäger ist wieder unterwegs zu den Futterstellen. Altes geht, Neues kommt. Auch er verfolgt, was man sich so erzählt. Seine Kollegen glauben, dass der Anschluss nur noch eine Frage der Zeit wäre. Er, der eingefleischte Monarchist, hatte mit dem verstümmelten Österreich keine Freude, ja auch keinerlei Hoffnung, dass so ein Land überhaupt wieder auf die Beine kommen könnte, so machte es ihn stets neidisch, dass es in Tirol und Salzburg zur Volksabstimmungen darüber gekommen war, sich mit Deutschland zusammenzuschließen. Als es endlich dann in der Steiermark so weit war, darüber ein Wörtchen mitzureden, brachte das die Alliierten auf den Plan, die daran erinnerten, dass dies nach dem Friedensvertrag einen Gesetzesbruch bedeuten würde, denn ein Anschluss ist darin untersagt. Nun aber, da so ein Mann aus Braunau, nämlich Hitler, seit Jahren von sich aus einen Zusammenschluss furchtlos betreibt, ist er anderer Meinung. Nein, diesem Kerl traut er nie und nimmer. Er weiß nicht, dass sein Sohn ähnlich denkt .
Bald platzt eine Bombe, dann noch eine - Bundesbediensteten wird in diesem Jahr kein Auslandsurlaub genehmigt. Und - der Jahrgang 1918 wird zur Stellung einberufen, mehr noch, die Wehrpflicht dauert nun nicht mehr ein Jahr, sondern eineinhalb Jahre! Romreise ade, denkt der Funker, als er nach Hartberg schreibt. Er sehnt sich nach dem Frühling wie auch die Junglehrerin, doch Frau Holle tut wieder ganze Arbeit. Graz steckt unter einer dichten Schneehaube, ein feenhafter Anblick, dazu kommt noch Raureif, sodass alles ringsum im Sonnenlicht herrlich glitzert - der Schlossberg vor allem. In Hartberg tragen die Bäume hohe weiße Pelzmützen, und die Oberlehrerswitwe ist froh, dass um sie herum Jubel, Trubel und Heiterkeit herrscht. Natürlich gibt es für die Tochter die versprochene Anstellung nicht, dafür hilft sie weiterhin in der Schule aus. Das kann es doch auf die Dauer nicht sein - doch: »Glücklich ist, wer vergisst, was nun nicht zu ändern ist .« Wann hat ihre Tochter jemals so einen Fasching erlebt? Eigentlich noch nie, seit sie denken kann. Währen der Studierzeit nicht und auch nicht danach .
Niemand ahnt vorerst, was sich Mitte Februar in Österreich abspielt. Was ist Besonderes an dem Morgenzug, der wie sonst von Wien nach Salzburg abfährt? Der angehängte Sonderwaggon erregt auch kaum Aufmerksamkeit. In diesem frühstückt der österreichische Bundeskanzler, ehe ihn und seine Begleitung - allen Warnungen zum Trotz - ein Wagen, der nach Salzburg nachgefahren kam, nach Berchtesgaden bringt. Von dort geht es dann mit einem Raupenschlepper hinauf auf den Obersalzberg. Wer ihn dort empfängt und wozu, ist leicht zu erraten. Später dann erfährt die Bevölkerung vom »Berchtesgadener Abkommen«, und das bunte Karnevalstreiben des Faschings geht weiter. In Hartberg gibt es noch einen riesigen Fackelzug, wie ihn das Städtchen noch nie sah. Und beim letzten Ball am Wochenende kommt sogar Dohrchen aus Straden angereist, um mit ihrem Brieffreund das Tanzbein zu schwingen.
Noch vor dem Aschermittwoch stellt sich bei der Junglehrerin Katzenjammer ein. Eine Absage nach der anderen ereilt sie wieder. Man kann sich nicht immer nur betäuben. Der Frühling kämpft mit den letzten Ausläufern des Winters. Fredl, ihr Lieblingscousin, hat geschrieben. Was nützt das fertige Studium, wenn es keine Anstellung gibt. Die beiden sitzen im selben Boot. Wenn sich politisch nichts ändert, meint er, wird sich an ihrer Situation auch nichts verändern. Wie er das meint? Die Mutter kennt sich aus. Sie weiß um die Gesinnung ihres Schwagers und dessen Familie. Was da am Obersalzberg passierte, wird den »Grazern« wohl Auftrieb geben, denkt sie, da jetzt das nationalsozialistische Bekenntnis wieder erlaubt wurde. Ja, die Anerkennung der österreichischen Unabhängigkeit hat nun einmal ihren Preis .
Auch du, mein Sohn Brutus, wirst du jetzt wohl zu mir sagen, eröffnet Walter dem Funker seine Absicht, der nationalsozialistischen Partei beizutreten. Dieser ist, wie zu erwarten, empört - noch mehr darüber, dass Walter ihm rät, das auch zu tun. Bist du von Sinnen, schnauzt er ihn an, eher . Eher was?, fragt Walter. Der Funker lässt ihn einfach stehen. Der Mann aus Braunau hat offensichtlich erreicht, was er wollte. Die Garantie, bei Einhaltung verschiedener Forderungen, Österreich in Ruhe zu lassen, ist in den Augen des Funkers nur eine Farce sondergleichen. Zum Glück sieht das Emmerich auch so. Sein nur halb gelesener Brief liegt auf dem Schreibtisch. Auch er ist enttäuscht, verunsichert und überdies hat er Kummer, da sein Gretchen für längere Zeit in der Ferne weilt. Auch sie bekam als Kindergärtnerin im Lande keine Anstellung, wohl aber in England!
Nun kommen sie alle aus ihren Schlupflöchern - die Illegalen. Auch Hakenkreuzfahnen werden gehisst und triumphierende Umzüge veranstaltet. Es dauert wohl nicht mehr lange, und wir sind nicht mehr Herren im eigenen Land! Diese Worte aus dem Munde des Vizeleutnants, der nicht wie viele in der Kaserne offen das Parteiabzeichen trägt, um die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus zu dokumentieren, lässt den Funker nachdenklich werden. Wie meint er das? Obwohl er ihm nun väterlich auf die Schulter klopft und ihn überredet, den freien Nachmittag zusammen zu verbringen, ist er sich plötzlich nicht mehr so sicher, auf welcher Seite er steht. Schon auf dem Weg in die Innenstadt von Graz kommen ihnen johlende Menschen entgegen. Heil Hitler, rufen sie unentwegt. Aber auch noch andere beunruhigende Parolen: Weg mit den Juden! Der Funker ist nicht unbedingt ein Judenfreund. Nun aber bekommt er angesichts dieses hasserfüllten Geschreis Gänsehaut. Ich sage dir, meint er dann bei einem Glas Bier zum Vizeleutnant, wenn dieser braune Halunke in unserem Land ans Ruder kommt, dann gibt es Krieg. Doch der Vizeleutnant beruhigt: Noch ist es nicht so weit! Prost! Er hebt sein Glas. Pietro, meint er dann, uns wird schon etwas einfallen für den Fall des Falles! Fragt sich nur, was, überlegt der Funker. Soll er den Beruf an den Nagel hängen? Doch diese Wahl hat er nicht. Wovon soll er dann leben, gar eine Familie gründen .
Allerdings so, wie sich die »grüne Mark« gebärdet, geht es in den anderen Bundesländern nicht zu. Da man fürchtet, es könnte bei den Soldaten durch die Nationalsozialisten zu...