14. Abbruch der Schule
Als ich in der zwölften Klasse war, steckte ich bereits tief im Drogenkonsum und allem, was dazu gehörte. Es kam so weit, dass ich alle anderen zur Arbeit schickte. Nur mich schickte keiner. Sie baten mich eher, Drogen zu besorgen, was ich auch tat. Ich stellte meine Prioritäten um, und so stand der Schulbesuch ganz unten auf der Liste. Als ich mich zwischendurch doch mal wieder dorthin verlief, musste ich immer wieder feststellen, dass ich den Anschluss verloren hatte. Es verstrichen erst Tage, dann Wochen und schließlich waren es drei Monate, in denen ich nicht mehr zur Schule gegangen war. Dann kam der Lichtblick, der mir offenbarte, dass ich hier gerade meinen Abschluss und meine Zukunft aufs Spiel setzte. Ich ging zum Arzt und schilderte ihm mein Problem. Es war nicht schwer, eine Krankmeldung zu erhalten. Als Nächstes musste ich dem Direktor der Schule mein Problem schildern. Komischerweise reagierten alle anders als erwartet. Es kamen keine Vorwürfe, wie ich es eigentlich erst erwartet hatte, als ich offen und ehrlich über mein Drogenproblem sprach. Das war befremdlich. Zu Hause hätte ich Vorwürfe und vieles mehr für ein derartiges Entgleisen erhalten, aber hier zeigten alle Verständnis. Sie gaben mir sogar noch eine Chance, das Jahr zu wiederholen und bewilligten mir ein Stipendium, womit auch mein finanzielles Problem geklärt gewesen wäre. Das bedeutete eine große Erleichterung. Ich nahm die Chance an und sagte allen zu.
Aber der Zeitraum bis zum neuen Schuljahr war zu lang, um vernünftig zu bleiben. Ich ließ mich erneut gehen. Der Drogenkonsum- und Verkauf nahm stetig zu. Es konnte schon mal passieren, dass ich am Tag zehn Ecstasy, dazu Speed und natürlich Marihuana nahm. Ich war süchtig danach, nach den Glücksgefühlen und der Freiheit, die diese Mittel auslösten.
Es wurde zum Alltag, morgens nach Berlin zufahren und Drogen zu kaufen und diese ab dem frühen Abend selbst zu konsumieren. Ich verdiente nicht schlecht und mein Drogenkonsum war ebenfalls abgedeckt. Mittlerweile wohnte ich bei Simone. Später holte ich auch meine Vögel zu ihr, was ein großer Fehler war. Einer flog aus dem Fenster und der andere starb kurze Zeit später, weil er Kristalien gepickt hatte.
Schließlich wurde es mir bei Simone zu langweilig. Immer wieder das Gleiche, Drogen konsumieren, abspasten und warten bis einer nach dem anderen müde wurde. Wir hatten zwischendurch auch jede Menge Spaß, aber es wurde mit der Zeit immer monotoner und so fing ich mit Partygängen an, wo ich einiges an Geld ließ. Geld, das ich eigentlich für den nächsten Einkauf benötigte. Irgendwann stahl ich von Simone 400 DM, die sie für eine Anschaffung zur Seite gelegt hatte. Ich glaube, es war eine Waschmaschine, aber genau weiß ich es nicht mehr. Mich plagte zwar mein schlechtes Gewissen, aber mit dem Drogenkonsum schwand auch das. Sie bemerkte den Verlust sehr schnell und wurde allen gegenüber misstrauisch, was auch verständlich war.
Irgendwann tauchten ein paar Jungs in der Wohnung auf und verprügelten mich. Es ging so weit, dass sie mir sogar eine Waffe an den Kopf hielten. Ich hatte von den Tritten und Schlägen Schmerzen am ganzen Körper und riesige Angst, als sie mir die Knarre vorhielten, aber ich gab nicht zu, dass ich das Geld gestohlen hatte. Bis zum heutigen Tag wissen sie es nicht. Aber es war mir eine Lektion. Ich schwor mir, nie wieder Freunde zu bestehlen, was ich auch einhielt. Zu Simone und den anderen suchte ich keinen Kontakt mehr.
Irgendwann lernte ich Nicole kennen. Ich glaube, es war auf einer Party, so genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls zog ich mit ihr durch die Gegend. Wir feierten viel und waren viel auf Droge, aber alles in Maßen. Da wir beide nicht viel Geld hatten, fingen wir an, in Klamottenläden zu klauen. Sie zeigte mir die Geschäfte, wo es besonders gut ging, und brachte mir Tricks bei, um, vor allem ohne gefasst zu werden, erfolgreich zu sein. Erstaunlicherweise waren wir sehr erfolgreich, sodass unsere Diebestouren bald zur Sucht wurden. Mein bester Diebstahl waren zehn Zentimeter hohe Buffalos. Es war erstaunlich, aber ich wurde dabei nicht erwischt. Ich zog sie einfach an und ging damit hinaus.
Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag war ich sehr tief gesunken. Drogen und Party bestimmten meinen Alltag, an Schule war nicht mehr zu denken, da ich wusste, dass ich aus diesem Sumpf nicht herauskommen würde. Das Umfeld, die Probleme und der Freundeskreis blieben gleich. Es wäre naiv gewesen, zu glauben, dass ich es unter diesen Umständen schaffen könnte.
Um weiterhin Sozialhilfe zu erhalten, musste ich eine ABM-Stelle im Altersheim antreten. Mein Aufgabenfeld war nicht groß und nicht allzu schwer. Die Arbeit reichte aus, um mir einen kleinen Denkanstoß zugeben. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich vor und während der Arbeit keine Drogen konsumieren konnte und sich daher wieder einmal mein Kopf einschaltete. Ich kam zur Besinnung und dachte an meine Zukunft. Was würde aus mir werden, wenn ich weiterhin auf Droge war und Party machte. Mir war klar, dass keine schöne Zukunft wäre. Ich stellte mich meiner Realität und ging mit meinem achtzehnten Geburtstag auf Jobsuche. Es war nicht so leicht, als Schulabbrecher und ohne Ausbildung. Ich war ziemlich down, als ich merkte, dass ich wenig Chancen hatte, und nahm weiterhin Drogen. Doch irgendetwas in mir gab mir immer wieder einen Stoß, es weiter zu versuchen, und so landete ich bei der Drückerkolonne. Die Anforderungen waren sehr gering, Reisefreudigkeit und Kontaktfreudigkeit, mehr wurde nicht verlangt. Das war es, dachte ich, so könnte ich endlich aus meinen Sumpf herauskommen. Leider wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Zu Beginn war alles super, die Leute waren nett und ich fühlte mich wohl in der Gruppe. Nicht zu vergessen, dass ich wirklich keine Chance hatte, an Drogen zu gelangen, was meinem Körper und Verstand sehr guttat. In den ersten Tagen lernte ich meinen Spruch auswendig. Es war eigentlich nicht schwer. Für die Arbeit gab ich vor, ein Student zu sein, der sich durch den Verkauf von Zeitungen sein Geld aufbessert und sein Studium bezahlt. Die ersten Tage ging ich mit Mandy zusammen. Es war lustig mit ihr, wir machten sehr viel Blödsinn und lernten recht unterschiedliche Menschen kennen. Doch schon da merkte ich, dass es nicht einfach war, den Leuten ein Abonnement anzudrehen. Viele Leute hatten sehr schlechte Erfahrungen mit Abos gemacht. Sie waren ihnen entweder aufgedrückt worden oder sie schlossen sie ab, weil ihnen der Verkäufer leidtat. Hinterher zu kündigen, war nicht so einfach. Wenn man Pech hatte, behielt man die Zeitung über Jahre, denn wer denkt schon in einem Jahr daran, das Abo rechtzeitig zu kündigen.
Nach einer Woche musste ich allein an die Tür. Es war noch in Oldenburg. Wir fuhren jeden Tag in eine andere Stadt oder in ein anderes Dorf. Es kam nur selten vor, dass wir mehrere Tage am gleichen Ort agierten. Der Anfang war schwer und sehr frustrierend für mich. Wenn ich gut war, hatte ich ein oder zwei Abos am Tag. Mein Problem war, dass ich nach dem ersten Nein ging, statt es weiter zu versuchen. Aber mit der Zeit entwickelte ich ein Gefühl dafür, bei welchen Leuten sich ein Beharren bezahlt machte und bei wem es reine Zeitverschwendung war. Wegen der anfänglichen Schwierigkeiten und der Langeweile am Abend fing ich an zu trinken.
Zu dieser Zeit ahnte ich immer noch nichts von den Tücken einer Drückerkolonne. Bei den ersten Lohnauszahlungen, die immer am Ende der Woche durch den Chef stattfanden, sagte er noch nicht, dass ich mindestens drei Scheine täglich bräuchte, damit die Kosten von Unterkunft und Verpflegung gedeckt wären.
Als es nach zwei Wochen immer noch nicht so gut klappen wollte, hatte ich ein Gespräch mit meinem Chef, während dem er mir die Kosten vorrechnete und mir mitteilte, dass ich ab dem nächsten Tag genauso wie alle anderen behandelt werden würde. Meine Schonfrist war vorbei. Wenn ich nicht ausreichend Scheine brachte, würde ich ins Minus geraten und hätte somit Schulden. Allerdings nicht nur bei der Drückerkolonne, da die Miete für meine Wohnung, die ich nicht gekündigt hatte, weiterlief. Da begriff ich, warum diese Jobs so verrufen waren. Auch die Kunden erzählten mir viele traurige Geschichten über Drücker. Man nannte sie auch gern Klinkenputzer, weil wir täglich mindesten an fünfzig Türen klopften.
Ich musste mir ab sofort größte Mühe geben und versuchen, überzeugend zu wirken. Mein Glück war, dass ich noch sehr jung war und die Studentenrolle zu mir passte. Ich musste mir aber eine Bandbreite von Argumentationen zurechtlegen, warum sie mich unterstützen sollten, da die Leute mindestens genauso viele Gründe hatten, ein Abo abzulehnen. Je nach Stadt oder Land verhielten sich die Erfolgsquoten. In der Stadt gab es unzählige solcher Firmen, daher waren die Leute sehr reserviert, wenn sie das Wort Zeitung hörten.
In der Gruppe war es weiterhin angenehm. Mit der Zeit lernte ich die Lebensgeschichten der Einzelnen kennen. Sie waren traurig und ich begriff langsam, in welcher Abhängigkeit ich mich befand. Mein Vorteil war, dass ich im Gegensatz zu den meisten von ihnen noch eine Wohnung besaß und jederzeit wieder zurückkonnte. Ein Mann, er war ungefähr vierzig, hatte alles verloren. Eigentlich wollte er nur die Chance, arbeiten zu können, um wieder Halt im Leben zu finden. Durch seine lange Arbeitslosigkeit hatte er die Kosten nicht denken können und sein letztes Hab und Gut verloren. Er war auf die Drückerkolonne angewiesen und würde sich so schnell nicht daraus befreien können, denn sein Schuldenberg war riesig. Aus diesem Grund war er zum Alkoholiker geworden, was seine Probleme nur noch vergrößerte. An Tagen, an denen es...