Schweitzer Fachinformationen
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Er tauchte an dem Tag auf, als unser Hotel verschwand. Erwachsene redeten ständig davon, das Hotel wäre eine Fata Morgana. Was mir immer ein Rätsel war. Nach dem Königspalast war unser Hotel das größte Gebäude in der Stadt. Aber Dad sagte, es käme immer drauf an, wie man die Dinge betrachtete. Und als das Hotel einen neuen Anstrich bekommen hatte, verstand ich, was Dad meinte. Unter der knalldottergelben Sonne erstrahlte es nagelneu, und wenn ich die Augen zusammenkniff, löste es sich in Nebel auf, und das Schild schwebte in einem Dunstschleier: Hotel Mirage.
Es wurde frisch gestrichen, weil der wichtigste Tag des Jahres näher rückte, der Glorreiche Tag unserer ruhmvollen Unabhängigkeit. Den die meisten von uns kurz den Großen Tag nannten. Ein Tag, an dem der König zu seiner Nation sprach, ein Tag, an dem alle aus allen Winkeln des Landes kamen, um zu feiern, ein Tag, an dem die Menschen sangen, tanzten und ihre Haut mit Vaseline zum Glänzen brachten. Ein Tag, von dem Dad sagte, dass alle aus einem kleinen Spektakel ein großes Trara machten.
An diesem Tag wurde der Rausschmiss der Männer gefeiert, die Bwalo gestohlen hatten. Als ich Dad fragte, wie man denn ein ganzes Land stiehlt, sagte er, es gibt nichts, was ein Engländer nicht stehlen kann. Als ich ihn fragte, ob man uns auch rausschmeißen würde, sagte er, die Schotten würde keiner rausschmeißen, und Mum sagte, von wegen, und als ich fragte, wie sie das meinte, sagten beide, ich solle verdammt noch mal aufhören, sie mit Fragen zu löchern.
Ich stand mit Dad und Ed vor dem Hotel und sah zu, wie der Gast eintraf. Als das Taxi hielt, kam dessen Insasse herausgestolpert, und Dad flüsterte durch sein Lächeln hindurch: »Wappnet euch, Männer, der da hat's in sich.«
Der Mann war von Kopf bis Fuß in Kaki getunkt, trug die UWA, wie Mum sie nannte, die Uniform des Weißen Afrika, was sie immer so aussprach, als würde sie einen Furz riechen: Uwwwa.
Mit dem vornehmen Tonfall, den Dad für Gäste anschlug, sagte er: »Willkommen im Mirage. Es ist uns eine Ehre, Sie in unserem Hause begrüßen zu dürfen und -« Der Mann fiel Dad ins Wort. »Ich hab ein Zimmer reserviert, hm.«
Die Leute hier beenden ihre Sätze gern mit hm. Ich hab das früher auch gemacht, aber Mum hat es mir ausgetrieben, hm.
»Ausgezeichnet«, sagte Dad. »Ich bin Stuart, der Hotelmanager, das ist unser Concierge, Ed, und mein Junge, Charlie, unser Hotelmaskottchen.«
Den Scherz machte Dad dauernd. Es war nicht witzig, aber Ed und Dad lachten jedes Mal. Und die Gäste auch. Dieser Mann nicht. Er starrte nur stumm, bis Dad sagte: »Und Sie sind?«
Zunächst antwortete der Mann nicht. Er stand bloß da, als hätte er seinen Namen vergessen, die Zeit zog sich wie Kaugummi, bis er schließlich sagte: »Willem.«
Willem bedeutet in Afrika William. Übersät mit kupferroten Sommersprossen und ausgestattet mit einem fülligen Körper, aber dünnen Beinen, hatte Willem eine Statur wie ein schlecht gebackener Lebkuchenmann. Ich folgte ihm in die Lobby und starrte derart gebannt auf den Schweißsee an seinem Rücken, dass ich ihn fast angerempelt hätte, als er stehen blieb, den Blick nach oben richtete, als wollte er sich die Deckenventilatoren ansehen, und dann glatt umkippte.
»Steht nicht einfach da«, rief Dad. »Helft dem Mann, ruft Dr. Todd.« Doch Willem stöhnte vom Fußboden: »Keinen Arzt«, rappelte sich dann langsam wieder hoch, wackelig auf den Beinen wie ein neugeborenes Kalb.
Dad sagte: »Wir bringen Sie jetzt zu Ihrem Zimmer, ja?«, und half Willem zum Lift.
Während Ed das Gepäck aufsammelte, fragte ich: »Glaubst du, der ist ein Promi?«
»Kann sein«, sagte Ed. »Ich hab gehört, Promis sind oft schon morgens betrunken.«
Die ganze Stadt sprach über nichts anderes: Prominente. Die Erwachsenen sagten öfter, Bwalo wäre eine gebrochene Nation. Als ich Dad fragte, wie man denn eine ganze Nation brechen kann, sagte er, das wäre kompliziert, was er immer sagte, wenn er auf irgendwas keine Antwort wusste. Als ich sagte, ich würde die Frage dann in meinem Referat stellen, damit mein Lehrer das erklären könnte, meinte Dad, es wäre wahrscheinlich besser, das Thema nicht anzuschneiden. Aber worüber soll ich sonst schreiben? Hier passiert nichts. Willems Bauchlandung war das Einzige, was den ganzen langweiligen Sommer über passiert ist. Und seit der König angekündigt hatte, dass Prominente kommen würden, redete sogar keiner mehr über die Dürre oder die Sache mit der gebrochenen Nation; alle redeten nur noch über Prominente. Deshalb sagte ich, als Sean kam und wissen wollte, wer denn der aus den Latschen gekippte Riese war: »Ed meint, er ist ein Promi, weil er schon morgens betrunken ist«, und Sean sagte: »Dann wäre ich berühmter als Madonna«, und lachte sich schief, weil Sean seine eigenen Witze lustig fand.
»Ich hab mir gedacht, du könntest das hier gebrauchen«, sagte er und überreichte mir ein supertolles Diktafon.
»Das ist spitze, Sean! Kann ich das wirklich behalten?«
»Es gehört dir, Boss.« Dann ging er dahin, wo er auf der ganzen Welt am liebsten ist: in die Bar.
Als Dad durch die Lobby kam, lief ich ihm nach, um ihm das Diktafon zu zeigen. Doch ich blieb an der Bürotür stehen, als ich sah, dass Dad und Mr Horst sich vorbeugten und auf das Radio starrten, als wäre es ein Fernseher. Fernsehen war verboten, weil, wie Dad erklärt hatte, der König fürchtete, dass die Meinungsfreiheit sich ausbreiten würde wie ein Flächenbrand und die Menschen glauben lassen könnte, sie hätten Rechte. Auch das Internet war fast vollständig blockiert, so dass die meisten Suchanfragen null Ergebnisse brachten. Dad nannte Google Frugal, weil es so wenig hergab. Dem König gehörten sämtliche Medien, bis auf die BBC, die, wie Dad sagte, sich einschlich wie ein subversives Flüstern. Und Dad und Mr Horst lauschten dem Radio, als würde es genau das tun: ihnen Geheimnisse zuflüstern. Mr Horst trug die UWA: hochgezogene Wollsocken und Kakishorts, und aus seiner Brusttasche lugte eine goldene Packung Benson & Hedges. Und Dad in seinem anthrazitfarbenen Anzug wirkte wie Mr Horsts dünner Schatten. Er kratzte sich den Bart, was er immer machte, wenn er nachdachte, und Mr Horst kratzte sich die Eier, was er einfach ständig machte, während die BBC sagte: »Hier ist der BBC World Service .«
Die vornehme britische Stimme kam über Tausende von Meilen aus einem Land angereist, in dem Mum und Dad zur Welt gekommen waren, von dem sie aber nur selten mehr erzählten, als dass es da verdammt viel regnete. Ich war nie da gewesen, doch es hörte sich an wie ein Märchenland - das Vereinigte Königreich -, auch wenn Postkarten von da Punks zeigten, deren Klamotten von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. Normalerweise berichtete die BBC über britische Probleme wie Streiks, Steuern und schlechtes Wetter. Dinge, die einem Jungen, der in einem Land von schwarzen Menschen, Tee und Sonnenschein aufwuchs, wenig sagten. Aber heute meldete das Radio: ». angesichts des dubiosen Verschwindens von Finanzminister Patrick Goya verhängt die internationale Staatengemeinschaft Sanktionen gegen die ostafrikanische Nation Bwalo .«
Wie wichtig diese Nachricht war, merkte ich daran, dass Mr Horst sich ruckartig die Eier hochzog. Bwalo ist so klein, dass wir auf einer Karte fast nicht zu finden sind. Und dennoch waren wir der BBC eine Meldung wert. Das war aufregend, aber auch beängstigend, weil die BBC nur über schlechte Dinge berichtete. Ich machte ein Geräusch, und flink wie eine Eidechse schaltete Dad das Radio aus, während Mr Horst sich umdrehte und rief: »Charlie! Ach, du bist das bloß. Alles klar?« Aber ehe ich antworten konnte, wandte er sich wieder meinem Dad zu: »Sie haben recht, Stu, es wird Zeit, mein Hotel richtig bekannt zu machen, hm. Bringen Sie es mal ordentlich auf Vordermann.« Dann strich Mr Horst mit einem Finger über die Fensterbank, betrachtete ihn und sagte: »Staub. Das ist das Problem hier, überall Staub. Schlimmer als im verdammten Rhodesien.«
Mr Horst nannte Simbabwe noch immer Rhodesien, obwohl Rhodesien der alte Name ist. Dad meinte, Mr Horst würde weiter Rhodesien sagen, weil er hart dafür gekämpft hatte, dass es Rhodesien blieb, deshalb wäre es sein gutes Recht, es weiter so zu nennen, aber Mum sagte, Mr Horst wäre ganz einfach ein Arschloch.
Sobald wir das Klacken von Absätzen hörten, nahm Mr Horst ruckartig die Haltung eines Erdmännchens an. Mum sagte, Marlene würde glatt umkippen, wenn sie nicht in einer Hand eine Kippe und in der anderen einen Whisky hätte, um die Balance zu halten. Zum Glück hatte sie heute beides in Händen. Sie lehnte sich gegen die Tür und sagte: »Hallöchen, Jungs.«
Mr Horst zischte: »Wir haben heute den Hochkommissar im Haus, und du bist schon angeschickert.«
Angeschickert hieß so viel wie hackevoll. Marlene zuckte bloß die Achseln, riss die Augen irrsinnig weit auf, zeigte auf ein neues Gemälde von Horst an der Wand und kreischte: »Ist es das? Hast du dafür ein verdammtes Vermögen hingeblättert? Tagelang stumpfsinnig Modell gesessen? Meine Fresse, Eugene.«
»Was verstehst du schon von Kunst, Frau«, rief Mr Horst. »Und wie oft hab ich dir gesagt, du sollst keine Stöckelschuhe tragen, weil du Löcher ins Parkett machst. Das hat mich ein verdammtes Vermögen gekostet.«
»Rutsch mir den Buckel runter mit deinem...
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