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Du bist erledigt, meine Liebe.«
Jacob Wolff sagte es freundlich, und Marcella fand keinen Grund, ihm deswegen zu grollen. Außerdem war es möglich, daß er recht hatte.
Sie saß in ihrem Kontor, einem winzigen Raum hinter der Krämerei mit niedriger, verrußter Balkendecke, in dem sich Regale und Tongefäße an den Wänden drängten und mit einem zierlichen Scrittoio um die Luft zum Atmen stritten. Jacob lehnte ihr gegenüber an der Tür, die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt, als wäre er ein Cherub, dazu abgestellt, das Tor zum Paradies zu bewachen. Er trug einen kostbaren Seidensurcot in blaurotem Schachbrettmuster, der ihn mit Unmengen von Stoff umwallte, dazu einen ebenfalls blauen, mit Perlen bestickten Hut und natürlich die unvermeidlichen Schellenschuhe, die jede seiner Bewegungen mit fröhlichem Gebimmel untermalten.
Marcella seufzte. Ihr Zimmer lag im Trüben. Richtig hell wurde es hier sowieso nie, aber draußen regnete es, und was an Licht zu dem kleinen Fensterchen hineinfiel, reichte gerade, um den Bottich mit den Wurstgaffelspitzen zu erhellen.
Voller Abneigung musterte sie die Gaffelspitzen. Abscheuliche Bastarde eines Pfannenschmiedes waren das, hastig aus schlechtem Eisen zusammengehämmert, ungeliebt und mit keiner anderen Daseinsberechtigung, als daß sie nützlich waren. »Wurstgaffeln werden von Leuten gekauft, die in der Küche schwitzen«, hatte Elsa gesagt. »Und denen ist es egal, wie die Dinger aussehen, wenn sie sie nur bezahlen können.« Damit hatte sie recht, und Marcella hatte zweihundert Gaffelspitzen gekauft, den halben Pfennig das Stück. Und jetzt lagen die häßlichen Dinger im einzigen Lichtfleck des Kontors und beleidigten ihr Auge und kränkten ihren Sinn für Ästhetik.
»Zweiundfünfzig Pfund Heller!« Jacob kratzte sich stöhnend den fetten Nacken. »Mädchen, ich hab' keine Ahnung, was du an dem Kram hier verdienst. Schön, es muß einiges sein, sonst könntest du den Zins für den Laden nicht zahlen. Aber jetzt, durch diesen verfluchten Überfall, sind dir zweiundfünfzig Pfund verloren, und niemand, nicht einmal der Judenhund Muskin, würde dir noch Kredit geben. Brauchst mich nicht so anzusehen, ich sag nur, wie es ist.«
Er zwängte die Hand unter den Gürtel und massierte seinen Wanst. Marcella betrachtete ihn voll Mitgefühl. Jacob hatte es mit dem Magen. Jeder Ärger, den er litt, schuf an seinen Schleimhäuten ein Geschwür oder nährte ein vorhandenes, und da er sich immer über irgend etwas aufregte, war ihm das Magenweh ein ständiger Begleiter.
»Verdammter Pfau!« ächzte Jacob. »Kann gar nicht verstehen, was die Leute dran finden. Ist zäh und liegt einem für Stunden . Kannst du nicht mal das Messer in Ruhe lassen? Du schneidest dir noch die Finger wund.«
Gehorsam hängte Marcella das Federmesserchen in seinen silbernen Ständer zurück. Der Ständer war auch eins von diesen Nutzdingern. Er barg das Tintenhörnchen mit der Rußtinte und die Schreibfedern und das Messerchen zum Spitzen der Federn und wurde täglich gebraucht. Aber im Gegensatz zu den Gaffelspitzen war der Ständer ein Wunder an Schönheit. Gerundete Silberstäbe bogen sich in symmetrischer Form gegeneinander, eine ovale, gelochte Platte deckte sie ab, und alles war mit feinster Ätzung durch ein Rankenmuster zum Funkeln gebracht worden. Ribaldo di Sauro hatte ihr den Ständer geschenkt. In einem Augenblick der Sentimentalität, die ihn übermannt haben mußte, als er in seinem Bett den wundgeschlagenen Rücken auskuriert hatte. Marcella liebkoste das kalte Silber. Der Genuese war ein durchs Ohr gebrannter Spitzbube, von dessen Geschäften man besser nichts wußte, und wahrscheinlich hätte sie von ihm gar nichts annehmen dürfen, aber wenigstens verstieg er sich nicht zu Häßlichkeit.
Jacob ließ sich auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Scrittoio nieder. »Hilft überhaupt nichts, wenn du die Augen davor verschließt«, brummelte er und stopfte die Daumen hinter den Gürtel. »Du bist erledigt, und du weißt es auch.«
»Ich bin erledigt, mein lieber Jacob«, erwiderte Marcella freundlich, »wenn vorn im Laden keine Pfennige mehr über den Tisch geschoben werden.«
Jacob befreite die Daumen wieder, langte nach einem ledernen Büchlein, das neben dem Silberständer lag, und hielt es hoch, als wäre es Beweisstück einer Anklage. »Du hast für zweiundfünfzig Pfund Heller Auripigment gekauft, Marcella. Der Teufel mag wissen, wie du das Geld zusammengekratzt hast. Vielleicht war's sogar eine gescheite Idee. Aber nun ist der alte Scholer überfallen worden, und mit ihm und seinen Wagen ist dein Auripigment zum Teufel. Und damit bist du erledigt!«
Das war deutlich gesprochen, wie es sich für einen Kaufmann und Freund gehörte.
Marcella nahm Jacob das Handelsbuch ab, blätterte darin und tat, als ob sie läse. Nötig war das nicht, denn sie hatte die Zahlen im Kopf, und außerdem . Tja, aber das war auch etwas, was sie Jacob lieber nicht auf die Nase binden wollte. Ihr Handelsbuch war nämlich genaugenommen gar kein Handelsbuch, sondern ein Sortiment hübscher, kleiner Lügen, das in Form von Rußtintenzahlen Geschichtchen für Onkel Bonifaz erzählte.
Sie bezweifelte, daß Jacob - auch wenn er ein gescheiter Mann war und nicht halb so borniert wie der Rest des Schöffenrates - jemals die Notwendigkeit dieser Lügengeschichten würde begreifen können. Natürlich wußte er von Onkel Bonifaz' Ängstlichkeit - schließlich führte er mit ihm zusammen den Weinhandel am St. Katharinenkloster. Was er aber nicht wußte und auch nicht wissen sollte war, daß der Onkel Nacht für Nacht in seinem zerschlissenen Hemd durch das Kontor im Erdgeschoß des Wohnturmes geisterte und im Licht einer billigen Kerze Rechnungen überprüfte, die schon Wochen zuvor abgelegt worden waren, und Weinfässer zählte, deren Anzahl er im Traum hätte hersagen können, und hundertmal an denselben Fenstergittern rüttelte und allerlei anderen Unfug trieb, der aus Ängsten geboren wurde, von denen ein Mann wie Jacob nichts verstand und für die er allein Abscheu empfinden würde.
Aber Marcella kannte sich aus mit Furcht, und deshalb hatte sie das Lügengeschichtenbuch geschrieben. Denn mußte es den Onkel nicht aufregen, wenn er erfuhr, daß seine Nichte sich bei den lombardischen Wechslern Geld borgte? Und Geschäfte mit Männern tätigte, die er nicht einmal dem Namen nach kannte? Und dabei so viel Geld verdiente, daß allein der Gedanke, sie könnte es durch weibliche Kurzsicht wieder verlieren, ihm Herzrasen bescheren würde? Also führte sie ein Handelsbuch, das in reinlicher Schrift Kunde vom Kauf und Verkauf einiger Ellen Spitze gab und alles verschwieg, was dem Onkel den Frieden rauben konnte.
Marcella strich sachte mit dem Finger über die letzte Zahl.
Den Kauf des Auripigments für zweiundfünfzig Pfund Heller hatte sie auch erst nach dem Überfall eingetragen, als Scholers Warenliste dem Schöffenrat vorgelegt worden war und sowieso jeder wußte, daß auf seinen Frachtwagen Güter für Marcella Bonifaz transportiert worden waren. Was das Buch aber noch immer verschwieg und was sie auch weiterhin für sich behalten wollte war, daß sich außer dem Auripigment auch noch Safran auf dem Wagen befunden hatte. Echter, ungemischter Safran, zehnmal so teuer wie Pfeffer, aus den Blütennarben der besten toskanischen Krokusse. Und nicht etwa fünfzig oder hundert Lot. Nein, wenn Marcella Bonifaz sich ruinieren wollte, dann tat sie es gründlich! Sie hatte ihr gesamtes Geld - etwa achtmal so viel, wie Jacob vermutete - zusammengekratzt, um dem alten Marzini seinen Safran abzukaufen. Das Lot achtundsechzig Heller billiger als auf dem Baseler Markt. Sie hatte insgesamt sechshundert Lot gekauft. Und somit waren nicht zweiundfünfzig, sondern, wenn man ihren Anteil des Zolles dazurechnete, dreihundertachtzig Pfund Heller zum Teufel.
»Mädchen«, Jacob hüstelte in seine Faust, mit einer Geste, so zart und verlegen, daß Marcella überrascht die Augenbrauen hob. »Mir scheint, ich muß jetzt mal was sagen, was mir schon lange auf der Zunge liegt. Du bist inzwischen dreiundzwanzig . nein? . vierundzwanzig Jahre also alt. Und die Hälfte der Zeit kennen wir uns schon. Und solange ich zurückdenken kann, hast du eigentlich immer nur eines im Kopf gehabt - nämlich Krämerin zu werden. Das hast du auch geschafft, und ich will gar nicht tun, als ob mir das mißfiele. Im Gegenteil. Ich hab' Respekt davor. Du hast ein Köpfchen für Zahlen und Qualität und kannst Leute einschätzen und weißt, was du willst und .« Seine Gesichtshaut bekam plötzlich bis in die Speckfalten hinein eine zartrosa Färbung, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Ferkelchen verlieh. »Ich wäre jedenfalls nicht der Mann«, schnaufte Jacob, »der ein Weib wie dich - ich meine, wenn er eines hätte - aus seinem Kontor jagen würde .«
»Das ist anständig von dir, Jacob, und wundert mich auch nicht, denn es beweist, daß du einen guten Geschäftssinn hast, wovon ich immer überzeugt gewesen bin. Kann es sein, daß Elsa da eben gerufen hat?«
Elsa hatte ein lautes Organ. Man hörte ihre Stimme bis ins Kontor, wenn sie sich mit den Kunden unterhielt. Im Augenblick schien es keine Kunden zu geben.
»Was ich mit all dem sagen will, liebe Marcella .«
». gereicht dir zweifellos zur Ehre. Ob Elsa zur Gasse hinaus .«
»Verflucht, ich will .«
»Jacob - nein.« Marcella stand auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte den bulligen Mann sacht auf die Stirn. Armer Jacob. Da stand er vor ihr, einer der reichsten Trierer Weinhändler, Mitglied des Schöffenrates, anständig, großzügig, rücksichtsvoll. Und geriet mit seinem Heiratsantrag ausgerechnet an...
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