Schweitzer Fachinformationen
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Das Taxi erreichte den Flughafen Gatwick um vier Uhr vierzig, genau eineinhalb Stunden vor dem Boarding für Janes Flug. Sie checkte routiniert und mühelos ein und ging zum Gate. Auf dem Flug würden sie alle zusammensitzen. Ein aufgezwungener Weihnachtsurlaub war eine Sache, aber musste er zusammen mit so vielen Menschen stattfinden?
Als Jane zu dieser frühen Stunde durch den Flughafen lief, war sie benommen vor Müdigkeit, auch wegen des über Monate angesammelten Schlafmangels und verstärkt von der blechernen Weihnachtsmusik, die in ihren Ohren summte. Als sie an einem Spiegel vorbeikam, hielt sie an und betrachtete sich darin.
»Ein Gesicht, vor dem die Jalousien heruntergezogen sind«, so hatte Simon es nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht beschrieben. »Du bist immer auf der Hut.« Seine Hand, die ihre Wange streichelte. »Dabei siehst du so bezaubernd aus, wenn du lächelst.«
Ihr kamen die Tränen, aber Jane blinzelte sie fort und reckte das Kinn. Sie war bei der Arbeit. Ihr Herz mochte gebrochen sein, aber das würde sie sich nicht anmerken lassen.
Am Gate erkannte Jane die Bloggerinnen sofort. Ein Trio aus drei jungen Frauen, die hektisch mit einer Hand auf ihren Handys tippten. Sie alle hielten Öko-Kaffeebecher in der anderen Hand, waren in dicke, fast schon deckenartige Schals eingewickelt, und sie waren allesamt sehr hübsch. Irgendetwas - das Schimmern ihrer Haut zwischen der grauen, erschöpften Blässe der anderen Passagiere, ihr leuchtender Lippenstift und das kunstvoll zerzauste Haar, die durchdachten Kleidungsschichten - ließ sie aus allen anderen hervorstechen. Während Jane sie betrachtete, hob eine von ihnen, eine Schönheit mit rotem Lippenstift und Afro, ihr Handy, hielt den Kaffeebecher an die Lippen, ohne daraus zu trinken, und schoss ein Foto. Dann ein zweites Foto. Ein drittes. Ein viertes .
»Hi«, ertönte eine forsche, aristokratische Stimme neben Jane, und sie drehte sich um. »Gehören Sie zur Oslo-Gruppe? Ich bin Natasha Barnes. Ich bin auf dieser Reise für die PR zuständig. Wir hatten schon Kontakt per E-Mail.«
Natasha war etwa in Janes Alter, groß und blond und trug pelzgefütterte Stiefel, einen Pullover mit einer Art nordischem Muster und eine ausgefranste, hochtaillierte Jeans mit modischen Rissen. Ihre Haare fielen ihr um die Schultern, und ihr Gesicht war tadellos geschminkt.
»Hi. Ja, ich bin Jane Brook vom Courier.«
Natasha nickte, sah jedoch nicht zu Jane, sondern auf ihr Handy.
»Dann sind wir vollzählig.« Sie hatte einen geschliffenen Akzent und die Art von einschüchterndem guten Aussehen, durch das Jane sofort in Abwehrhaltung ging. »Da vorn sitzen die Bloggerinnen, Lucy, Lena und Freddie.« Sie nickte in Richtung des Trios mit den Handys. »Und dann haben wir noch die traditionelle Presse. Dazu gehören Sie, Nick Green von der Daily Post da drüben, Sandra Riley vom Gourmand, der Fotograf Ben Andersen und Philip Donnelly, der einen Artikel für Rural Living schreibt.«
Jane sah hinüber. Sandra war in einen dicken Steppmantel gehüllt und hatte die Augen geschlossen. Nick, mit Brille und einem blassen Gesicht voller Bartstoppeln, blätterte in einer Zeitung. Bens Haare waren verwuschelt, er trug eine blaue Kapitänsjacke und Jeans, trank Kaffee und gähnte.
»Sandra und Nick kenne ich flüchtig. Und das ist Ben.« Jane winkte ihm zu.
Er hob mit einem strahlenden Lächeln den Kaffeebecher zum Gruß. Immer gut gelaunt, dachte sie, selbst bei einem Flug noch vor dem Morgengrauen.
»Moment mal«, sagte Jane, als ihr müdes Gehirn endlich schaltete. »Haben Sie gerade Philip Donnelly gesagt? Der aus dem Fernsehen? Er stand gar nicht auf der Liste, oder?«
Natasha tippte immer noch auf ihrem Handy herum. »Verrückt, oder? Er möchte zurück zu seinen journalistischen Wurzeln. Seine Leute haben seine Teilnahme erst in letzter Minute bestätigt.« Sie beugte sich zu Jane vor. »Das da hinten ist er. Der mit der Sonnenbrille. Er wird uns bestimmt von Nutzen sein, falls das Flugzeug abstürzt und wir im Wald überleben müssen.«
Jane starrte die auf dem Plastikstuhl würdevoll zusammengesunkene Gestalt an. Philip Donnelly war ein richtiger Promi, ursprünglich Reisejournalist, dessen Karriere aber erst mit der Moderation von Survival of the Fittest richtig Fahrt aufgenommen hatte, einer Fernsehshow, in der eine Gruppe von Prominenten vierzehn Tage lang in einer menschenfeindlichen Umgebung zurechtkommen musste. Der Erfolg der Show war lange Philip Donnellys Moderatorenrolle zu verdanken gewesen: wortkarg, kurz angebunden und gut aussehend, mit kaltem Blick aus blauen Augen, zerknittertem T-Shirt und einer ikonenhaften, abgenutzten Lederjacke. Er entfachte nicht nur mühelos Feuer oder erklomm Schluchten, sondern sprach auch leidenschaftlich über die Natur und die Notwendigkeit, indigene Kulturen zu erhalten, obwohl die meisten Leute nur einschalteten, um sich davon unterhalten zu lassen, wie verwöhnte Berühmtheiten ohne jeglichen Komfort lebten. Die Show hatte jahrelang höchste Einschaltquoten erzielt.
Und dann war alles zusammengestürzt. Philip, so stellte sich heraus, hatte eine Affäre mit seiner Co-Moderatorin Donna Marks, die für ihn ihren Ehemann - und ihre kleinen Kinder - verließ, woraufhin ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit ging. Philip war seitdem bei der Presse als Familienzerstörer verschrien.
Jane ließ ihren Blick über seine langen Beine und den kantigen Kiefer wandern. Sonnenbrille im Flughafen, dachte sie finster. Typisch Promi. Ob er wohl schlief?
Dann setzte sie sich, holte ihr Handy heraus und schrieb eine Nachricht an Margot.
Bin mit ein paar Kindern am Flughafen, die angeblich Lifestyle-Bloggerinnen sind. Und Philip Donnelly von Survival of the Fittest kommt auch mit auf unsere Reise. Er trägt eine Sonnenbrille, hier im Flughafen.
Eine kurze Pause, dann kündigte ein Vibrieren eine Antwort an.
Wunderbar, das ist mehr, als ich mir gewünscht habe.
Dann:
Wenn du es nicht schaffst, Philip Donnelly in einem Whirlpool zu küssen, brauchst du gar nicht nach Hause zu kommen.
Jane schnaubte.
Er ist ein notorischer Frauenverführer!
Margots Antworten kamen in schneller Folge.
In Ordnung, dann eben wenn du es nicht schaffst, dich in einem Whirlpool von ihm verführen zu lassen.
Denk dran: Das ist der einzige Weg, dir Simon aus dem Kopf zu schlagen.
Guten Flug!
Jane schnaubte erneut und steckte ihr Handy zurück in die Tasche. Sie sah zum Rest der Gruppe. Die Bloggerinnen posierten gerade für ein gemeinsames Selfie, alle mit Schmollmündern und perfekt frisierten Haaren. Wenn Philip Donnelly so ein Frauenheld war, wie die Klatschzeitungen behaupteten, dann gab es auf dieser Reise für ihn wesentlich bessere Kandidatinnen als sie selbst.
Es war Janes erster Flug in der Business Class. Dankbar nahm sie ein heißes Tuch entgegen, verzichtete aber auf den Champagner und ließ sich stattdessen ein Glas Sprudelwasser reichen. Dann lehnte sie sich zurück und genoss den Luxus der bequemen Sitze und großen Beinfreiheit. Um sie herum setzten die Bloggerinnen Augenmasken auf, rieben ätherisches Lavendelöl auf die Handgelenke und kuschelten sich mit der Selbstverständlichkeit erfahrener Reisender in Kaschmirdecken. Jane spähte in die Tüte mit kleinen Geschenken und sprühte getreu ihrem Vorsatz, etwas Neues auszuprobieren, ein wenig von dem angeblich entspannenden Gesichtsspray auf. Es brannte in den Augen, und sie musste husten.
Der Bloggerin neben ihr, Lucy, war es offenbar recht, sich nicht zu unterhalten, sie band stattdessen ihr Haar zu einem bezaubernd unordentlichen Dutt zusammen, füllte ein Glas mit dickflüssigem grünen Saft und vertiefte sich dann in einen psychologischen Thriller, der seit vierzehn Tagen in jeder einzelnen von Jane durchfahrenen U-Bahn-Station beworben wurde. Jane setzte ihre Kopfhörer auf und öffnete auf ihrem Handy das Hörbuch zur norwegischen Geschichte mit dem Titel: Haakons Dilemma - Der König und seine schwierigste Entscheidung. Gesprochen wurde es, wie Jane amüsiert feststellte, von keinem Geringeren als Philip Donnelly, was sich vollkommen surreal anfühlte, saß der Mann doch höchstpersönlich und immer noch mit Sonnenbrille nur wenige Meter von ihr entfernt.
Jane lehnte den Kopf zurück und ließ sich von der Geschichte berieseln, die schon in der Pressemitteilung angeklungen war, jetzt aber viele Details erhielt, die Philips Stimme allesamt lässig vortrug.
April 1940. Ganz Norwegen war besetzt.
Deutsche Truppen waren in das Land eingefallen und forderten vom norwegischen König, eine Marionette der Nationalsozialisten mit Namen Vidkun Quisling zum Ministerpräsidenten zu machen.
Doch die norwegische Regierung hatte andere Pläne. Der König und sein Kabinett brachten sich in dem kleinen Dorf Nybergsund in Sicherheit, nahe der Grenze zu Schweden. Doch ihr Aufenthalt war nur von kurzer Dauer.
Jetzt, da ihnen die Zeit davonlief, war das Dilemma des Königs offensichtlich. Er hatte nur die Wahl, einer von Quisling angeführten Regierung zuzustimmen oder die volle Kraft der deutschen Wehrmacht gegen sein geliebtes Land zu spüren zu bekommen.
Nach einer langen von einer schwierigen Entscheidungsfindung geprägten Nacht...
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