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Das Erreichen der Gänze des Daseins im Tode ist zugleich Verlust des Seins des Da.Martin Heidegger in Sein und Zeit
Jetzt fuhrwerken sie wieder in der Zeit 'rum!Meine Großmutter zur erneuten Einführung der «Sommerzeit» im Jahre 1980
Es ist ein beliebter rhetorischer Zug in Debatten, (pseudo-)etymologische Belege heranzuziehen, um die eigene Position zu untermauern. Im besten Fall gelingt das, und es kommen durch den Hinweis auf bestimmte Ähnlichkeiten zwischen Wörtern wichtige Beziehungen zwischen Begriffen zum Vorschein. Im schlechtesten Fall suggeriert aber eine sprachliche Nähe einen engen inhaltlichen Zusammenhang, der gar nicht besteht.
Wie verhält es sich mit dem «Zählen» und den «Zahlen»? Hängen die Begriffe wirklich so eng miteinander zusammen, wie es die Wörter nahelegen? Und wenn ja, was kommt zuerst: das Zählen oder die Zahlen? Oder sind sie zwei Seiten einer Medaille? Oder spielt uns das Deutsche hier womöglich einen Streich, und sie haben überhaupt nichts miteinander zu tun? Doch, haben sie, und natürlich kommen zuerst die Zahlen. Denn wenn man zählt, heftet man sozusagen gedanklich Zahlen an die Dinge, die man zählt - beispielsweise, beim Zählen der Finger an der Hand, die Eins an den Daumen, die Zwei an den Zeigefinger, die Drei an den Mittelfinger usw.
Wem diese Charakterisierung des Zählens vermöge der Zahlen einleuchtet oder gar wie eine Binsenweisheit vorkommt, der ist einem weitverbreiteten und tiefsitzenden Missverständnis aufgesessen. Es ist, wie ich glaube, u.a. der Grund dafür, weshalb die Menschheit so lange so große Mühe hatte (und viele Menschen immer noch haben), die Zahl Null zu fassen zu kriegen. An welches Ding sollte man die Null auch heften? Ein echtes Ding gewiss nicht; das wäre ja mindestens eines. Also an nichts? Aber wie heftet man etwas an nichts - auch nur gedanklich? Das Nichts anstelle von nichts bringt auch nichts; das wäre ja wieder etwas und somit wieder mindestens eines.
Um beim Finger-Beispiel zu bleiben: Eine Freundin erzählte mir einmal von den Problemen ihrer kleinen Tochter mit dem Zählen. Wenn sie, die Freundin, alle fünf Finger einer Hand hochstrecke und ihre Tochter bitte, die Finger zu zählen, so gelinge dies der Kleinen problemlos (angefangen beim Daumen): «Eins, zwei, drei, vier, fünf!» Doch wenn sie, die Freundin, anschließend nur den kleinen Finger ausgestreckt lasse und die Tochter frage, wie viele Finger es jetzt seien, so antworte diese: «Fünf!» Diese Antwort hätte man in pädagogisch weniger aufgeklärten Zeiten schnellfertig als Zeichen von Dummheit gedeutet und wohl auch heute noch zumindest als eines mangelnder mathematischer Begabung. Beides ist falsch; im Gegenteil, das Mädchen hält sich einfach nur konsequent an obiges Bild vom Zählen: Warum, so könnte es zu Recht fragen, sollte denn auf einmal die Fünf nicht mehr am kleinen Finger haften, nur weil die anderen Finger nicht mehr ausgestreckt sind?!
Die meisten von uns haben sich als Kind irgendwann einfach mit der Antwort der Erwachsenen abgefunden: «Frag nicht so dumm, so ist es halt.» Und wir haben brav gezählt, wie «man eben zählt» - ohne zu verstehen, was wir da eigentlich tun; schlimmer noch, mit einem völlig falschen Verständnis davon.
Auftritt Georg Cantor. Kaum zu glauben, aber erst dieser 1845 in Sankt Petersburg geborene Kaufmannssohn und Begründer der höheren Mengenlehre erkannte den Schlüssel zum richtigen Verständnis des Zählens als solchen und - worauf wir im dritten Kapitel näher eingehen werden - dessen erstaunliche mathematische und philosophische Sprengkraft: die Eins-zu-eins-Beziehung.[1]
Zu Beginn einer Tanzstunde stehen die Mädchen der Tanzklasse in einer Ecke des Saals beisammen, um sich gegenseitig ihre neuesten Instagram-Posts zu zeigen; die Jungs lümmeln in einer anderen Ecke rum und machen das Gleiche. Als die Lehrerin den Saal betritt, möchte sie umgehend wissen, ob es gleich viele Jungen wie Mädchen sind. Denn die Tanzschule ist sehr konservativ; es dürfen nur jeweils ein Junge und ein Mädchen ein Tanzpaar bilden. Um das herauszufinden, könnte die Lehrerin natürlich zunächst die Jungen durchzählen, dann die Mädchen und dann die beiden Ergebnisse miteinander vergleichen. Es geht aber viel einfacher. Wenn Sie mögen, überlegen Sie gerne erst einmal selbst, bevor Sie weiterlesen. Kommen Sie darauf? Die Tanzlehrerin muss nur laut rufen: «Damenwahl!» Wenn sich nach einer kleinen Weile alle Paare gebildet haben, kennt die Lehrerin die Antwort, und zwar ganz ohne zu zählen. Es sind nämlich genau dann gleich viele Jungen wie Mädchen im Saal, wenn kein Kind ohne Tanzpartner übrig bleibt. Mathematisch ausgedrückt: Es besteht eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den Jungen und den Mädchen.
Etwas abstrakter, besteht in der Abbildung links zwischen den Kreisen und den Dreiecken eine Eins-zu-eins-Beziehung, denn jedem Kreis ist genau ein Dreieck zugeordnet, und umgekehrt. In der Mitte und rechts sind hingegen keine Eins-zu-eins-Beziehungen dargestellt, da mindestens einem Dreieck mehr als ein bzw. kein Kreis zugeordnet ist.
Eins-zu-eins-Beziehung
«Wie soll das denn das Zählen erklären können?», könnte man einwenden. «Es setzt ja schon voraus, dass man weiß, ob einem Ding kein, ein oder mehr als ein anderes Ding zugeordnet ist.» Genau! Das wird vorausgesetzt, aber der springende Punkt ist: Es wird nicht mehr vorausgesetzt. Insbesondere wird nicht vorausgesetzt, dass man weiß, ob einem Ding (genau) zwei andere Dinge zugeordnet sind, oder drei oder vier oder . Es wird nicht einmal vorausgesetzt, dass man weiß, was es überhaupt heißt, dass einem Ding (genau) zwei andere Dinge zugeordnet sind, oder drei oder vier oder . Man muss nur Sätze wie die folgenden verstehen und gegebenenfalls auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen können: «Oh je, für den neuen Kollegen gibt's gar keinen freien Arbeitsplatz.» - «Doch, da drüben ist noch einer frei; das ist aber der einzige.» - «Quatsch, der in der Ecke ist auch noch frei.»
Zu beachten ist ferner, dass man zum Verständnis solcher Sätze ebenso wenig bereits über die Zahlen Null und Eins verfügen muss. Zwar lässt sich «es gibt kein/genau ein/mehr als ein Ding der und der Art» umformulieren zu «die Anzahl von Dingen der und der Art ist null/eins/größer als eins». Die Umformulierung ist aber begrifflich voraussetzungsreicher als der Ausgangssatz.
Eine Analogie mag das verdeutlichen: In einer entwickelten Geldwirtschaft kann ein Bauer einem andern gegenüber sinnvoll behaupten: «Der Preis deiner Kuh ist gleich dem Preis meiner Kuh.» Vom emotionalen oder sonstigen nichtmonetären Wert abgesehen, läuft das schlicht auf die Behauptung hinaus, dass beide Kühe gleich viel wert sind. Letzteres kann auch ein Bauer in einer reinen Tauschwirtschaft sagen, aber nicht Ersteres. Denn Preise sind Größen in Geldeinheiten, von denen die Akteure einer reinen Tauschwirtschaft buchstäblich noch gar keinen Begriff haben.
Begeben wir uns auf eine kleine Zeitreise in die Steinzeit vor der neolithischen Revolution. Wir landen am Rande einer zeitweiligen Siedlung einer Sippe von Jägern und Sammlern. Wir halten uns in einem kleinen Wäldchen versteckt, um den Lauf der Geschichte nicht allzu sehr zu stören, bleiben aber in Seh- und Hörweite. Erstaunlicherweise spricht das Völkchen Deutsch.
Da kehrt ein junger Bursche, anscheinend vom Beerensammeln kommend, in die Siedlung zurück und tritt vor die Älteste der Sippe und berichtet: «Weiseste, ich habe unten am Fluss der springenden Frösche eine große Herde von Hirschkühen entdeckt und auf der Lichtung des schreienden Bussards noch eine. Lass uns eine Treibjagd machen!» - «Schön und gut, Kleines Fuchsohr», entgegnet da die weise Frau - offenbar die Anführerin -, «doch welche Herde ist die größere?» - «Kann ich nicht sagen», antwortet der Jüngling, ...
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