Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Einleitung
Kann das, was wir uns am sehnlichsten wünschen, die Ursache unseres größten Unglücks sein? Dieses Paradoxon gilt es zu erkunden, einerseits von der universellen Hoffnung her, die in das wirtschaftliche Wachstum gesetzt wird, und andererseits vom Wissen um die dramatischen Konsequenzen her, die dieses Wachstum mit sich bringt. Nicht nur um die Gründe für die große Trendwende zu erklären, sondern auch und vor allem, um politische und praktische Maßnahmen vorzuschlagen, welche hoffen lassen, dass der angekündigte Zusammenbruch wenn möglich verhindert oder zumindest auf einen späteren Zeitpunkt aufgeschoben werden kann1.
1Pablo Servigne und Raphaël Stevens, Comment tout peut s'effondrer. Petit manuel de collapsologie à l'usage des générations présentes, Paris, Seuil, 2015.
Die Sache ist in der Tat höchst dringend. Moderne Gesellschaften sind gleichermaßen gefangen im wahnsinnigen Traum von der Rückkehr eines Wachstums, wie sie es zwischen 1950 und 1980 gekannt hatten, sowie in der Realitätsverweigerung, die die sozialen und umweltpolitischen Konsequenzen dieses Wachstums außer Acht lässt. Es ist also höchste Zeit zu klären, was auf dem Spiel steht, und zu verstehen, warum aus institutionellen Gründen Wachstum notwendig ist und warum aus biophysikalischen Gründen, die von der »Wirtschaftswissenschaft« nicht berücksichtigt werden, dieses Wachstum ebenso notwendigerweise zur Zerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen auf unserem Planeten führt. Die Dinosaurier wussten vor 65 Millionen Jahren nicht, dass ein Meteorit ihre Auslöschung verursachen würde. Wir hingegen wissen sehr wohl ? ohne es glauben zu wollen, dass der Lebensstil der Privilegierten unseres Planeten uns in eine ähnliche Katastrophe führen wird.
Dieses Werk beabsichtigt an erster Stelle, die Welt von morgen vorzubereiten, die - daran besteht kein Zweifel - ganz anders sein wird als die Welt, wie wir sie heute kennen. Wir sind in das Zeitalter der Umbrüche eingetreten. Selbstverständlich wissen wir, dass die Erklärungsschemata der Natur und der sozialen Beziehungen plötzlich obsolet werden können: Glaubenssätze, die während sehr langer Zeit von einem breiten Konsens geprägt waren, können in sich zusammenstürzen, nicht unbedingt kurzfristig, aber unter dem Druck ihrer Unfähigkeit, neu auftretende Fragen zu klären. So weit, so gut. Nur ist das Problem viel tiefgründiger und vor allem viel folgenreicher. Es geht nicht mehr nur darum, den Gesichtspunkt oder die »Episteme« zu wechseln, um mit Michel Foucault zu sprechen. Wir haben unsere Überzeugungen im Lauf der Geschichte angepasst, weil sie nicht mehr mit unserer Sicht der Welt übereinstimmten. Die alten Götter haben den Olymp verlassen, die Welt ist rund geworden, Hexen sind keine Bedrohung mehr, die Befürworter der Kolonialisierung sind verschwunden. Es reichte aus, diese Irrtümer zu korrigieren. Aber von nun an ist es nicht mehr nur unsere Auslegung der Welt, die sich ändern muss, sondern es sind die Umwälzungen in der Welt selbst, die wir ausgelöst haben, die uns zum Denken zwingen und vor allem dazu, uns anders zu verhalten, und sei es auch nur, um dem Vorwurf der Blindheit zu entgehen, den unsere Nachfahren uns gewiss machen werden.
Wie man vielleicht erraten hat, verweist der Titel dieses Werkes ironischerweise auf den Artikel »The Tragedy of the Commons«, in dem Garrett Hardin zeigt, dass, wenn eine Weide allgemein zugänglich ist, jeder Viehzüchter ein Interesse daran hat, eine möglichst große Zahl von Tieren dort weiden zu lassen, was über kurz oder lang zum Ruin der Ressource führt2. Auch wenn sich Hardin in seiner Interpretation der allgemein zugänglichen Weiden vollständig irrt (die nie wirklich frei zugänglich sind) und selbst wenn sein Vorschlag, ein allgemein genutztes Gut entweder in Privat- oder in Staatsbesitz mit kostenpflichtiger Benutzung zu überführen, selbstverständlich nicht die beste Lösung des Problems ist, lenkt er doch die Aufmerksamkeit auf die »Tragödie«, die sich abspielt, wenn eine limitierte Ressource übernutzt wird. Genau mit einem solchen Dilemma müssen wir uns von jetzt an auseinandersetzen. Es gab nie eine Tragödie der frei benutzbaren Weiden, aber wir wohnen heute der Tragödie des Kapitalismus bei, der ja ein unbegrenztes Wachstum voraussetzt. Wir verstehen alle ohne Schwierigkeit, dass ein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt unmöglich ist, handeln aber trotzdem so, als ob dies nicht wahr wäre. Wir sind als Gesellschaft von einer kognitiven Dissonanz befallen: Um unser psychisches Wohlbefinden beizubehalten, verzichten wir darauf, die Wahrheit, die uns ungelegen kommt, in Betracht zu ziehen, und hoffen darauf, dass am Ende ? aber ohne zu wissen wie ? sich alles in Wohlgefallen auflösen wird. Es bleibt nur noch ein Verständnis dafür zu gewinnen, wie wir so weit gekommen sind und wie wir aus dieser Situation wieder herauskommen.
2Science, 162, 2968, S. 1243-1248. Der Artikel ist der Überbevölkerung gewidmet, die Hardin begrenzen will. Das Beispiel der Weidenübernutzung ist von William Forster Lloyd (1794-1852). Es werden zwei Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt: eine Verstaatlichung der Weiden mit beschränkten Nutzungsrechten oder die Umwandlung in Privatbesitz.
Der erste Teil dieses Werkes ist der Kritik des dominanten Wirtschaftsparadigmas gewidmet, dessen Konsequenzen unsere Gesellschaft als Ganzes bedrohen. Dazu müssen wir zuerst im Laufe der Geschichte zurückgehen, um die besonderen Bedingungen zu verstehen, in denen dieses Paradigma entwickelt wurde, Bedingungen, die ganz anders sind als die heutigen Bedingungen. Sehr verschieden, sowohl aus dem Gesichtspunkt der wissenschaftlichen und anthropologischen Erkenntnisse als auch aus dem der Ausbreitung ? oder Globalisierung ? des Handels. Dann wird es, um die Gründe für die universelle Schwärmerei für das Wachstum zu erfassen, notwendig sein, die Grundlagen, auf denen diese beruht, zu untersuchen, nämlich den Privatbesitz, die Universalität des auf eigenen Vorteil bedachten Egoismus und die Effizienz der Märkte. All dies sind unerlässliche Glaubensakte, um in die Sekte der klassischen und neoklassischen Wirtschaftswissenschaftler aufgenommen zu werden.
Der zweite Teil handelt von den notwendigen Transformationen der »Wissenschaft« der Ökonomie und stellt neue Verfahrensweisen fest, die es ermöglichen, zu einer Gesellschaft des Post-Wachstums3 zu gelangen. Man kann diese schon in Umrissen skizzieren, ohne deshalb für einen gefährlichen Utopisten gehalten zu werden; denn gewisse Elemente beruhen auf bereits in lokaler Umgebung gemachten Erfahrungen, die nur verallgemeinert werden müssen. Das Vorwegnehmen eines Post-Wachstums stellt keine politische Option unter anderen dar. Gewiss, die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung werden Gegenstand von Diskussionen sein und die Widerstände werden beträchtlich sein: Man wird sich nicht ohne Mühe und Schmerz vom ökonomischen Dogma des Wachstums befreien, das seit zwei Jahrhunderten vorherrscht und es ? den privilegierten Minderheiten des Nordens und des Südens - ermöglicht hat, in einem noch nie dagewesenen Wohlstand zu leben. Aber die Wahl zwischen der Möglichkeit, einfach so weiterzufahren oder sich für den Weg des Post-Wachstums zu entscheiden, ist eine Illusion geworden. In der Tat ist die Option business as usual ? auch wenn sie noch die weitaus präferierte Option ist ? von nun an zum Scheitern verurteilt. Und zwar durch die unvermeidbare Verknappung der Ressourcen (Bodenschätze und Bioressourcen), die für das Überleben der thermo-industriellen Gesellschaft unabdingbar sind, und durch die Folgen des Klimawandels. Die einzige Frage ist von nun an, ob es uns gelingt, uns rechtzeitig für diese soziale Umwälzung vorzubereiten. Oder ob diese Umwälzung chaotisch vor sich gehen wird. Sogar das Ausbrechen von Kriegen, um sich die letzten Tropfen Öl oder die paar letzten Quadratmeter Ackerboden zu sichern, wäre dann nicht mehr auszuschließen.
3Auch wenn ich lange ein Anhänger des Ausdrucks »negatives Wachstum« (»décroissance«) war, ziehe ich es von nun an vor, von »Post-Wachstum« (»après-croissance«) zu sprechen, um nicht der Verlockung einer polemischen Antithese nachzugeben und weil, auch wenn gewisse Prozesse auf jeden Fall ein negatives Wachstum haben werden müssen, es andere Prozesse geben wird, die nach wie vor wachsen sollen. Das »negative Wachstum« wird notwendigerweise selektiv sein. Die Japaner umgehen die Schwierigkeit des Gegensatzes (Wachstum - negatives Wachstum), indem sie den Ausdruck datsuseicho verwenden, der sich vom Wachstum »befreien« bedeutet (oder »entgiften«). Ein schöner Ausdruck!
Allerdings gibt es dennoch einige Maßnahmen, die es genauer zu beschreiben gilt, welche es ermöglichen, die Situation zum Guten zu wenden. So ist es möglich, den Privatbesitz, der ja den Zwang zu unbegrenztem Wachstum mit sich bringt, durch Gemeinbesitz zu ersetzen. Um sich von der Zwangsvorstellung einer illusorischen Rückzahlung der Staatsschulden zu befreien, gibt es bereits erprobte politische Maßnahmen. Um sich von der Allgegenwart von Geschäftsbeziehungen zu befreien, wäre es notwendig, Beziehungen zu knüpfen, die sich nicht in einem einmaligen Tauschvorgang erschöpfen. Genauso wird es auch notwendig sein, sich einmal mehr darüber klar zu werden, dass die nicht-menschlichen Lebewesen im...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.