Schweitzer Fachinformationen
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EINS
Am 3. Dezember 1996 beging Mercedes Johanna Hollowell modischen Selbstmord. Schon jahrelang war Sadie kurz davor gewesen, hatte Dessins und Schottenmuster wild kombiniert und noch im September weiße Sandalen getragen. Doch als letzter Nagel in ihrem Modesarg, schlimmer noch als der Fauxpas mit den weißen Sandalen, sollte sich der Abend erweisen, an dem sie zum Weihnachtskotillon im Texas-Star-Hotel mit einer Frisur aufkreuzte, die so platt war wie ein überfahrenes Tier.
Je aufgeplusterter die Frisur, desto näher war man bei Gott - das wussten alle. Wäre es Gottes Wille, dass Frauen die Haare glatt trugen, hätte er die Menschheit nicht inspiriert, Schaumfestiger, Toupierkämme und Aqua-Net-Superhalt-Haarspray zu erfinden. Und genauso sicher, wie alle wussten, dass glatte Haare eine modische Abscheulichkeit darstellten, wussten sie auch, dass sie geradezu eine Sünde waren. Als ginge man angeschickert zum Sonntagsgottesdienst oder verabscheute Football.
Sadie war schon immer etwas . komisch gewesen. Anders eben. Aber nicht auf schrullige Art wie Mrs London, die allerlei Katzengetier um sich scharte, Zeitschriften hortete und ihren Rasen mit der Nagelschere bearbeitete. Sadie war eher versponnen. Wie damals mit sechs, als sie sich in den Kopf setzte, dass sie auf Gold stieße, wenn sie nur tief genug grub. Als hätte ihre Familie das Geld nötig. Oder als Teenie, als sie sich die Haare pink färbte und mit schwarzem Lippenstift rumlief. Das war etwa zu der Zeit, als sie auch mit Volleyball aufhörte. Obwohl alle wussten, dass Jungs, wenn eine Familie schon mit einem männlichen Nachkommen gesegnet war, ganz selbstverständlich Football spielten und Mädchen eben Volleyball. Das war ein ungeschriebenes Gesetz, eine Art elftes Gebot: Als Tochter sollst du Volleyball spielen oder die Verachtung der Texaner auf dich ziehen.
Ein andermal fand sie plötzlich die Uniformen des Tanzteams an der Lovett Highschool frauenfeindlich und reichte bei der Schulleitung eine Petition ein, den Trikotsaum der Beaverettes weiter nach unten zu versetzen. Als wären kurze Trikots skandalöser als glatte Haare.
Doch auch wenn Sadie versponnen und widerspenstig war, konnte es ihr keiner so recht verübeln. Sie war als Wunschkind einer »Spätgebärenden« zur Welt gekommen, als Tochter eines pragmatischen Viehzüchters namens Clive und seiner liebreizenden Frau Johanna Mae. Johanna Mae war eine echte Südstaaten-Lady, großzügig und liebenswürdig, und als sich herumsprach, dass sie ausgerechnet Clive auserwählt hatte, war nicht nur ihre Familie, sondern das ganze Städtchen Lovett leicht schockiert. Immerhin war Clive fünf Jahre älter und stur wie ein alter Maulesel. Er stammte zwar aus einer alteingesessenen, angesehenen Familie, aber um ehrlich zu sein, war er schon als Griesgram auf die Welt gekommen, und seine Umgangsformen ließen zu wünschen übrig. Ganz anders als Johanna Mae. Johanna Mae war Schönheitskönigin und hatte von »Little Miss Peanut« bis »Miss Texas« alle Titel abgeräumt, die es nur abzuräumen gab. Leider war sie bei der Wahl zur »Miss America« bloß Zweite geworden. Hätte Richter Nummer drei nicht mit der Frauenbewegung geliebäugelt, hätte sie sogar gewonnen.
Doch Johanna Mae war nicht nur schön, sondern auch clever. Für sie spielte es keine Rolle, ob ein Mann den Unterschied zwischen einer Suppenschüssel und einer Fingerschale kannte. Eine gute Ehefrau konnte das ihrem Mann jederzeit noch nahebringen. Wichtig war nur, dass er genug Geld für beides hatte, und Clive Hollowell konnte es sich allemal leisten, sie mit Wedgwood-Porzellan und Waterford-Kristall einzudecken.
Nach der Hochzeit hatte Johanna Mae sich in dem großen Haus auf der JH-Ranch häuslich eingerichtet und auf Nachwuchs gewartet, aber auch nach fünfzehn Jahren, in denen sie von der Knaus-Ogino-Methode bis hin zu künstlicher Befruchtung nichts unversucht gelassen hatten, war Johanna Mae immer noch nicht schwanger. Das Paar fand sich mit seiner kinderlosen Ehe ab, und Johanna Mae stürzte sich in ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten. Alle waren sich einig, dass sie geradezu eine Heilige war, und letzten Endes, im reifen Alter von vierzig Jahren, wurde sie mit ihrem »Wunderbaby« belohnt. Das Kind war einen Monat zu früh zur Welt gekommen, weil »Sadie es nicht abwarten konnte, aus dem Mutterleib zu flutschen und alle rumzukommandieren«, wie ihre Mutter es ausdrückte.
Johanna Mae las ihrem einzigen Kind jeden Wunsch von den Augen ab. Als Sadie sechs Monate alt war, meldete sie ihr Töchterchen beim ersten Schönheitswettbewerb an, und in den nächsten fünf Jahren sackte Sadie massenweise Krönchen und Schärpen ein. Doch aufgrund Sadies Hang, sich einen Tick zu schwungvoll zu drehen, einen Tick zu laut zu singen und nach einem Stepp-Tanzschritt von der Bühne zu fallen, erfüllte sie den Traum ihrer Mutter, einen wirklich bedeutenden Titel zu holen, niemals ganz. Mit fünfundvierzig Jahren starb Johanna Mae unerwartet an Herzversagen und mit ihr ihre Schönheitsköniginnen-Ambitionen für ihre Kleine. Sadies Erziehung blieb fortan Clive überlassen, der sich in der Gesellschaft von Hereford-Rindern und Rancharbeitern wohler fühlte als in der eines kleinen Mädchens, an dessen Schuhen statt Kuhmist Glitzersteine klebten.
Aber Clive hatte sein Bestes gegeben, um Sadie zu einer Lady zu erziehen. Er hatte sie auf Ms Naomis Benimmschule geschickt, um die Umgangsformen zu erlernen, an die heranzuführen er weder die Zeit noch die Fähigkeit hatte, doch der Unterricht ersetzte die Frau im Haus nicht. Während die anderen Mädchen das Gelernte zu Hause anwandten, feuerte Sadie ihr Kleid in die Ecke und machte, was sie wollte. Das Resultat dieser bunt zusammengewürfelten Erziehung war, dass Sadie zwar Walzer tanzen, einen Tisch hübsch eindecken und mit Gouverneuren plaudern konnte, aber auch wie ein Cowboy fluchen und spucken wie ein Rancharbeiter.
Kurz nach ihrem Abschluss an der Lovett High lud sie ihre Siebensachen in ihren Chevy, brach zu einer schicken Uni in Kalifornien auf und ließ ihren Vater und die schmuddeligen Kotillon-Handschuhe weit hinter sich. Seither hatte niemand mehr viel von Sadie gehört. Nicht einmal ihr armer Daddy, aber soweit man wusste, hatte sie nie geheiratet. Was ganz einfach traurig und unfassbar war, denn mal ehrlich, wie schwer konnte es sein, einen Kerl abzukriegen? Sogar Sarah Louise Baynard-Conseco, die das Pech gehabt hatte, mit derselben Figur auf die Welt zu kommen wie ihr Daddy, Big Buddy Baynard, hatte das hinbekommen. Zugegeben, Sarah Louise hatte ihren Göttergatten über prisoner.com kennengelernt, und Mr Consecos Wohnsitz lag gut zweitausend Kilometer entfernt in San Quentin, doch Sarah Louise war überzeugt, dass er an den Straftaten, für die man ihn zu Unrecht eingebuchtet hatte, völlig unschuldig war, und plante unbeirrt, mit ihm eine Familie zu gründen, wenn er in zehn Jahren den erhofften Hafturlaub bekam.
Die Arme.
Zugegeben, in einer Kleinstadt war die Auswahl oft begrenzt, aber deshalb gingen Mädchen ja aufs College. Alle wussten, dass der triftigste Grund für unverheiratete junge Damen, ein Studium aufzunehmen, nicht etwa die Vervollkommnung ihrer Bildung war, obwohl auch das durchaus wichtig war. Den Wert des urgroßmütterlichen Silbers berechnen zu können war immer wichtig, doch die höchste Priorität einer ledigen jungen Dame bestand darin, sich einen Mann zu angeln.
Und genau das hatte Tally Lynn Cooper, Sadie Jos zwanzigjährige Cousine mütterlicherseits, getan. Tally Lynn hatte ihren Zukünftigen auf der Texas A&M kennengelernt und sollte in nur wenigen Tagen mit ihm vor den Altar treten. Tally Lynns Mama hatte darauf bestanden, dass Sadie Jo ihre Brautjungfer wurde, was sich im Nachhinein als Fehler erweisen sollte. Mehr als für das Kleid, das sich Tally Lynn ausgesucht hatte, oder die Größe ihres Diamantrings oder ob Onkel Frasier ausnahmsweise das Saufen sein ließe und sich anständig benähme, interessierten sich schließlich alle brennend dafür, ob es Sadie Jo gelungen war, sich einen Kerl zu angeln, denn mal ehrlich, so schwer konnte das doch nicht sein. Auch nicht für ein versponnenes, widerspenstiges Mädchen mit glatten Haaren.
Sadie Hollowell betätigte den Knopf an der Türkonsole ihres Saab, und die Fensterscheibe glitt zwei Zentimeter nach unten. Warme Luft pfiff durch den Spalt, und sie drückte erneut auf den Knopf und öffnete das Fenster noch ein Stückchen weiter. Der Wind wehte in ihre glatten blonden Haare und blies sie ihr ins Gesicht.
»Sieh mal für mich in der Scottsdale-Auflistung nach«, sagte sie in den Blackberry, den sie sich mit der Schulter ans Ohr presste. »Nach dem Haus mit den drei Schlafzimmern in San Salvador.« Während ihre Assistentin Renee nach der Immobilie suchte, blickte Sadie aus dem Fenster auf die flachen Ebenen des texanischen Nordens. »Steht es schon drauf?« Manchmal warteten die Makleragenturen noch ein paar Tage, bevor sie schwebende Verkäufe auf die Liste setzten, weil sie hofften, dass noch ein anderer Makler einem Interessenten die Immobilie zeigte und ein bisschen mehr herausschlagen konnte. Raffinierte Mistkerle.
»Es ist gelistet.«
Erleichtert atmete sie auf. »Gut.« Bei der aktuellen Marktlage zählte jeder Verkauf. Selbst die kleinsten Vermittlungsprovisionen. »Ich melde mich morgen wieder bei dir.« Damit deponierte sie das Telefon schwungvoll im Getränkehalter.
Draußen vor dem Fenster glitten Schlieren aus Braun, Braun und nochmals Braun vorüber, nur von Reihen aus Windrädern in der Ferne unterbrochen, deren Propeller sich langsam im warmen texanischen Wind drehten. Kindheitserinnerungen und altvertraute Gefühle stiegen in ihr auf. Die altvertraute bunte Mischung aus Emotionen, die tief in ihr schlummerten, bis sie die texanische Grenze...
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