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Der Iran, das Land, aus dem ich stamme, ist ein wunderschönes, aufregendes Land mit vielen Gegensätzen. 83 Millionen Menschen leben im Land meiner Geburt, ziemlich genauso viele wie in Deutschland, aber sie haben viel mehr Platz - der Iran ist mehr als viermal so groß wie ganz Deutschland. Ein riesiges Land mit hohen Gebirgen, in denen Gazellen von Stein zu Stein springen, heißen Wüstengebieten und abgelegenen Arealen, in denen wilde Tiere wie Geparde, Luchse und Leoparden leben. Am Himmel kreisen Steinadler, Geier und Falken, und durch die dichten Waldgebiete ziehen Rothirsche und Stachelschweine.
Die Winter in Vorderasien sind lang und kalt, die Sommer heiß und trocken. Der Wind ist ein ständiger Begleiter - auch in Tabriz, meiner Geburtsstadt, die im Norden des Landes liegt und vor gut hundert Jahren sogar die größte Stadt Persiens war. Persien. So hieß der Iran bis 1935, dem Jahr, in dem mein Vater geboren wurde.
Sowohl die Familie meines Vaters als auch die meiner Mutter haben schon immer in Tabriz gelebt. Fast alle meine Vorfahren waren Kaufleute, die meisten davon handelten mit Fleischprodukten. Auch mein Vater und meine beiden älteren Brüder setzen diese Tradition fort.
Und wie alle meine Vorfahr*innen und nahezu alle gut eineinhalb Millionen Einwohner*innen von Tabriz spricht auch meine Familie zwei Sprachen: Persisch und Aserbeidschanisch. Denn Tabriz hat früher eine Zeit lang zu Aserbaidschan gehört und ist heute die Hauptstadt der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan.
Die Stadt ist vor allem bekannt für ihre Teppiche, aber auch für die vielen heißen Quellen in der Umgebung. Daher hat sie auch ihren Namen: Tabriz bedeutet nämlich »bringt Wärme zum Fließen«.
An die heißen Thermalquellen kann ich mich allerdings nur noch ganz schwach erinnern. Woran ich mich aber genau erinnere, das sind die Menschen, die mich in Tabriz umgeben haben. Meine Familie.
Meine Mutter war gerade einmal 20 Jahre alt, mein Vater doppelt so alt wie sie, als sie sich auf einer Feier kennenlernten und ineinander verliebten. Nicht lange danach heirateten sie und zogen in das große, vierstöckige Haus, in dem kurz darauf mein ältester Bruder geboren wurde.
Drei Jahre später bekamen meine Eltern einen weiteren Sohn, und eigentlich waren sie mit zwei Kindern mehr als zufrieden. Aber dann, fünf Jahre danach, kündigte ich mich an - kein wirkliches Wunschkind, und so richtig begeistert waren meine Eltern zunächst nicht. Aber als ich dann schließlich auf der Welt war, freuten sie sich sehr. Nach zwei Söhnen nun noch eine Tochter - damit war die Familie dann endlich komplett.
Mein Vater hätte mich gern mit einem altehrwürdigen persischen Namen bedacht, wie meine Brüder sie tragen, aber meine Mutter, ein glühender Fan der berühmten italienischen Schauspielerin Sophia Loren, setzte sich am Ende schließlich durch: »Sie soll Sofia heißen und basta! Vielleicht wird sie dann auch ein bisschen wie Sophia Loren!«, rief sie, und damit war die Diskussion endgültig beendet. Mein Vater lächelte schief und gab nach, wie so oft, denn er konnte meiner Mutter kaum einen Wunsch abschlagen. Und er setzte sich bei einem Bekannten im Rathaus dafür ein, dass mein Name auch genauso auf meiner Geburtsurkunde eingetragen wurde: Sofia Ghasab Abdollahi.
Wie die meisten Iraner*innen trägt auch unsere Familie zwei Nachnamen, wobei diese Kombination einzigartig im gesamten Land ist. Nur wir heißen Ghasab Abdollahi, allerdings verwende ich nur den ersten davon hier in Deutschland. Zwei Nachnamen sind für viele Deutsche einfach zu ungewohnt, das sorgt nur für Verwirrung.
Ob ich nun ein bisschen so wie meine berühmte Namensvetterin geworden bin, kann ich nicht beurteilen, aber auf jeden Fall war ich damals in Tabriz im Familien- und Bekanntenkreis und auch in der Schule das einzige Mädchen, das diesen Namen trug. Damals war es absolut nicht üblich, seiner neugeborenen Tochter den Namen eines westlichen Filmstars zu geben. Und gern gesehen war es auch nicht. Denn der Iran hatte sich sehr verändert, seit meine Mutter selbst ein Mädchen gewesen war.
Damals, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, galt der Iran als das modernste Land Asiens. Die jungen Leute hörten westliche Musik, trugen Jeans und Miniröcke, und dass Frauen an den Universitäten studierten und Berufe erlernten, die früher nur Männern vorbehalten gewesen waren, war völlig normal. Der Schah Mohammad Reza Pahlavi, der persische König, hatte sich mit den Amerikanern verbündet, und im persischen Reich mit seiner langen, wechselhaften Geschichte herrschte Frieden. Aber unter der Oberfläche brodelte es.
Die tiefgläubigen Muslime im Land waren unzufrieden. Sie wollten keinen weltlichen, sondern einen muslimischen Staat, und weil sie immer mehr Anhänger fanden, kam es 1979 schließlich zum Umsturz. Der Schah wurde abgesetzt und flüchtete mit seiner Familie ins Ausland, und die Mullahs, die Religionsführer, kamen an die Macht.
Seitdem ist der Iran ein islamischer Gottesstaat, und damit veränderte sich für die Einwohner*innen das gesamte Leben. Tanz und Musik, eigentlich alles, was für eine westliche Lebensweise stand, war ab sofort verboten. Frauen waren nun nicht mehr gleichberechtigt und sie mussten jetzt Kopftücher und lange Kleidung tragen, die Knöchel und Handgelenke bedeckte. Durch die Straßen patrouillierte die Sittenpolizei, die die Kleidervorschriften genau überprüfte. Politisch Andersdenkende wurden verfolgt und ins Gefängnis geworfen und niemand konnte mehr frei seine Meinung sagen. Alle Bilder des Schahs wurden verbrannt.
Mein Vater musste sich geschäftlich neu orientieren, aber meine Mutter litt besonders unter der veränderten Situation.
Sie war jetzt 24 Jahre alt, Mutter eines kleinen Sohnes und eine sehr lebenslustige, moderne junge Frau, die gern in ihrem Beruf als Kosmetikerin und Friseurin arbeitete. Aber fast alles andere, was ihr vorher Freude gemacht hatte, war nun verboten. Für viele Dinge, die sonst ganz normal gewesen waren - Reisen ins Ausland, den Besuch von Veranstaltungen und vieles mehr -, brauchte sie nun die Zustimmung ihres Ehemannes.
Also konzentrierte sie sich noch mehr auf die Familie und die Erziehung ihrer Kinder. Für mich und meine Brüder war das natürlich ein Glück und ich verbinde viele schöne Erinnerungen an meine Kindheit mit meiner Mutter.
Neben dem historischen Basar im Zentrum der Stadt, der seit 2010 zu den Weltkulturerbestätten zählt, ist Tabriz berühmt für seine uralte Blaue Moschee und den wunderschönen El-Goli-Park mit seinem großen, künstlich angelegten See. Ein breiter Steg führt zu einem Pavillon in der Mitte des Sees, in dem ein Restaurant untergebracht ist. Über große Steinterrassen fließt Wasser, gespeist aus einer Quelle, in den See hinunter, Vögel singen, Pappeln und Weiden rascheln im Wind.
Bevor ich mit sechs Jahren in die Schule kam, machte ich jeden Morgen mit meiner Mutter einen Spaziergang zum El-Goli-Park. Nur im Winter, wenn es gar zu kalt wurde, fuhren wir mit dem Auto dorthin, an den anderen Tagen liefen wir zu Fuß. Zwanzig Minuten brauchten wir bis in den Park, zwanzig wunderbare Minuten, in denen ich Hand in Hand mit meiner Mutter die belebten Straßen entlanglief und mich auf das Eis oder eine andere Nascherei freute, die mich am Pavillon erwartete. Ich liebte die Tierskulpturen, die die Wege des Parks säumten, lauschte begeistert dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen des Wassers, das sanft die fünf breiten Terrassen zum See hinunterfloss.
Meine Mutter, die sehr auf ihr Aussehen achtete, betrachtete unsere Spaziergänge als morgendliches Sportprogramm. Seit ich mich erinnern kann, war es ihr wichtig, gesund zu leben. Auch heute ist das noch so.
Mein Vater achtete ebenfalls auf seine Gesundheit. Früh um fünf stand er auf und absolvierte seine Sportübungen noch vor dem Frühstück, das wir oft gemeinsam einnahmen. Dazu knackte er dann Nüsse für mich und gab sie mir zusammen mit einem Löffel Honig. Das schmeckte mir nie besonders und mein Vater lächelte jedes Mal, wenn er sah, wie ich das Gesicht verzog.
»Das magst du nicht, ich weiß«, sagte er. »Aber das macht dich schlau, kleine Prinzessin.«
Vielleicht hat er ja recht behalten, wer weiß .
Mein Vater hat mich stets wie eine Prinzessin behandelt. Ich sah ihn nur selten, weil er so viel arbeitete, aber fast jeden Tag brachte er mir Leckereien mit. Wenn ich ihn kommen hörte, rannte ich aus dem obersten Stockwerk unseres Hauses wie der Wind nach unten und fiel ihm in die Arme. Dann riss ich ihm die Tüte mit den Mitbringseln aus der Hand und stürmte die vier Stockwerke wieder hinauf, vorbei an meinen Brüdern, die gemeinsam ein eigenes Stockwerk...
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